15. Abschied in Prosa.

Es mochte ungefähr neun Uhr an demselben Abende sein, als Tio Lucas und die Seña Frasquita, nachdem sie alle Mühlen- und Hausgeschäfte besorgt hatten, ihr Abendbrot verzehrten, das aus einer Schüssel Endiviensalat, einem mit Tomaten gedämpften Stück Fleisch und einigen von den in dem bewußten Korbe zurückgebliebenen Weintrauben bestand und mit ein wenig Wein und vielem Gelächter auf Kosten des Corregidors begossen wurde; darauf sahen sich die beiden Ehegatten, wie zufrieden mit Gott und sich selbst, an und sagten unter wiederholtem Gähnen, das die ganze Ruhe und den Frieden ihrer Herzen enthüllte:

»Na, dann wollen wir nur zu Bett gehen, morgen ist ein anderer Tag.«

In dem Augenblick hörten sie zwei starke Schläge gegen die große Mühlenthür.

Der Mann und die Frau sahen sich erschrocken an.

Zum erstenmal hörten sie zu solcher Stunde an die Thür klopfen.

»Ich will nachsehen,« sagte die unerschrockene Navarresin und wendete sich nach der Thür.

»Geh weg! Das ist meine Sache!« rief Tio Lucas mit einer solchen Würde aus, daß Seña Frasquita ihm den Weg freiließ. »Ich habe dir doch gesagt, daß du nicht hinausgehen sollst,« fügte er mit einiger Härte hinzu, als er sah, daß die Navarresin Miene machte, ihm zu folgen. Diese gehorchte und blieb im Hause.

»Wer ist da?« fragte Tio Lucas von der Mitte der Hausflur aus.

»Die Obrigkeit,« antwortete eine Stimme von der andern Seite des Portals.

»Was für eine Obrigkeit?«

»Die des Ortes. Öffnet im Namen des Herrn Bürgermeisters.«

Inzwischen hatte sich Tio Lucas einem kleinen, versteckten Guckloch in der Thür genähert und erkannte beim klaren Schein des Mondes den ländlichen Alguacil des benachbarten Ortes.

»Du willst sagen, daß ich dem Trunkenbold Alguacil öffnen soll,« antwortete der Müller, den Riegel zurückschiebend.

»Das ist dasselbe,« antwortete der draußen Stehende; »da ich aber einen geschriebenen Befehl von Seiner Wohlgeboren bringe... Ich wünsche Euch einen guten Abend, Tio Lucas,« fügte er mit einer etwas weniger offiziellen Stimme hinzu und trat ein.

»Gott behüte dich, Toñuelo,« antwortete der Murcianer. »Laß einmal sehen, was für ein Befehl das ist. Señor Juan Lopez hätte auch eine andere passendere Stunde wählen können, um sich an Biedermänner zu wenden. Natürlich wird es deine Schuld sein. Ich sehe schon, du hast dich in den Obstgärten am Wege berauscht. Willst du noch einen Schluck?«

»Nein, Herr, es ist keine Zeit dazu. Sie müssen mir sofort folgen. Lesen Sie den Befehl.«

»Wie, dir folgen?« rief Tio Lucas und trat, nachdem er das Papier an sich genommen, in die Mühle zurück.

»Du, Frasquita, leuchte mir.«

Seña Frasquita warf etwas, was sie in der Hand hielt, fort und brachte die Lampe.

Tio Lucas warf einen schnellen Blick auf den von seiner Frau losgelassenen Gegenstand und erkannte seine alte Donnerbüchse, die mit halbpfündigen Kugeln geladen wurde.

Da blickte der Müller die Navarresin voll Dankbarkeit und Zärtlichkeit an und, sie beim Kinn nehmend, sagte er:

»Du bist Gold wert.«

Bleich und heiter wie eine Marmorstatue hob Seña Frasquita die Lampe in die Höhe, ohne daß die Finger, welche sie hielten, auch nur vom leisesten Zittern bewegt wurden, und antwortete trocken:

»Laß nur, lies!«

Der Befehl lautete folgendermaßen:

»Um Sr. Majestät, unserm König und Herrn (Q. D. G.[6]) besser zu dienen, benachrichtige ich Lucas Fernandez, Müller und hiesigen Bürger, daß er sofort nach Empfang dieses Schreibens vor mir erscheine, ohne irgend welchen Vorwand oder Entschuldigung, indem ich ihn zugleich warne, es irgend jemanden mitzuteilen, da es eine vollständig reservierte Angelegenheit ist, widrigenfalls er, im Falle des Ungehorsams, den betreffenden Strafen verfallen wird.« Der Alkalde (Bürgermeister) Juan Lopez.

Und statt des Federzuges war ein Kreuz.

»Höre, du, was heißt dies?« fragte Tio Lucas den Alguacil. »Wozu ist dieser Befehl?«

»Das weiß ich nicht,« antwortete der Bauer, ein Mann von einigen dreißig Jahren, dessen spitzes, boshaftes Gesicht, das Gesicht eines Räubers und Mörders, gerade kein Vertrauen zu seiner Glaubwürdigkeit einflößte. »Ich glaube, es handelt sich um Hexerei oder Falschmünzerei; Euch betrifft die Sache nicht. Ihr sollt nur als Zeuge oder Sachverständiger vernommen werden. Na, ich weiß nicht recht, ich hab's nicht recht verstanden. Der Señor Juan Lopez wird es Euch schon erklären, mit allem, was drum und dran hängt.«

»Gewiß!« rief der Müller aus. »Sag ihm, ich werde morgen kommen.«

»O nein, Herr, Ihr müßt auf der Stelle kommen, ohne auch nur eine Minute zu verlieren. So lautet der Befehl, den mir der Herr Alkalde gegeben hat.«

Einen Augenblick lang herrschte Stille.

Die Augen der Seña Frasquita sprühten Flammen. Tio Lucas erhob die seinigen nicht vom Fußboden, wie wenn er dort etwas suchte.

»Du wirst nur doch wenigstens die nötige Zeit gestatten,« sprach er endlich, den Kopf erhebend, »um nach dem Stall zu gehen und einen Esel zu satteln.«

»Was Esel, was Teufel!« entgegnete der Alguacil. »Eine halbe Meile kann doch wohl jeder zu Fuß gehen. Außerdem ist die Nacht sehr schön und der Mond scheint. Ich habe schon gesehen, daß er aufgegangen ist.«

»Aber meine Füße sind sehr geschwollen.«

»Nun, dann wollen wir aber keine Zeit verlieren. Ich werde das Tier satteln helfen.«

»Holla, Holla! Fürchtest du, daß ich davonlaufe?«

»Ich fürchte nichts, Tio Lucas,« antwortete Toñuelo mit der Kälte eines seelenlosen Geschöpfes. »Ich bin die Obrigkeit.«

Und indem er so sprach, legte er die Waffen nieder und ließ die unter seinem Mantel verborgene Büchse sehen.

»Hör 'mal, Toñuelo,« sagte die Müllerin, »da du doch in den Stall gehst, um dein Amt auszuüben, so sei so gut und sattle auch den anderen Esel.«

»Wozu?« fragte der Müller.

»Für mich, ich gehe mit euch.«

»Das kann nicht sein, Seña Frasquita,« entgegnete der Alguacil. »Ich habe Ordre, Euren Mann mitzubringen, aber nichts weiter, und zu verhindern, daß Ihr ihm folgt. Dabei gilt es ja meine Stelle und meinen Kopf. So teilte mir der Señor Juan Lopez mit. Also vorwärts, Tio Lucas.« Und er wendete sich der Thür zu.

»Das ist sehr sonderbar,« stotterte der Müller, ohne sich zu regen.

»Sehr sonderbar,« antwortete die Seña Frasquita.

»Da steckt etwas dahinter... nur weiß ich nicht...« fuhr Tio Lucas fort, doch so, daß er von Toñuelo nicht gehört werden konnte.

»Soll ich nach der Stadt gehen,« fragte die Navarresin, »und dem Herrn Corregidor Nachricht geben von dem, was hier geschieht?«

»Nein,« antwortete Tio Lucas mit lauter Stimme, »das nicht.«

»Was soll ich denn aber thun?« fragte die Müllerin ungestüm.

»Sieh mich an,« antwortete der frühere Soldat.

Schweigend sahen sich die beiden Gatten an und waren von der Ruhe der Entschlossenheit und Energie, welche sich ihre Seelen gegenseitig mitteilten, so befriedigt, daß sie die Achseln zuckten und lachten.

Darnach zündete Tio Lucas eine andere Lampe an und wendete sich nach dem Stalle, indem er unterwegs spöttisch zu Toñuelo sagte:

»Nun, Mann, komm und hilf mir, da du doch so liebenswürdig sein willst.«

Toñuelo folgte ihm, indem er leise ein Liedchen trällerte.

Wenige Minuten später verließ Tio Lucas die Mühle auf einer schönen Eselin, vom Alguacil gefolgt.

»Schließ gut zu,« sagte Tio Lucas.

»Wickele dich gut ein, es ist frisch,« sagte Seña Frasquita, schloß mit dem Schlüssel zu und schob den Riegel und die eiserne Stange vor. Und da war kein Lebewohl weiter, kein Kuß, keine Umarmung, kein Blick. Wozu auch?

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