Drittes Kapitel.

Der Gatte und Vater.

Mistreß Shelby hatte das Haus verlassen, um ihren Besuch zu machen, und Elisa stand in der Veranda des Hauses und schaute traurig dem fortfahrenden Wagen nach, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte. Sie wandte sich um, und ein freundliches Lächeln leuchtete augenblicklich aus ihren schönen Augen.

„Georg, bist Du es? Wie Du mich erschreckt hast! Ach, wie froh bin ich, daß Du gekommen bist! Mistreß ist ausgefahren, um einen Besuch zu machen; komm' also in mein kleines Zimmer, wir haben den ganzen Nachmittag für uns.“

Indem sie dies sagte, zog sie ihn in ein niedliches kleines Gemach, welches an der einen Seite der Vorhalle lag und in welchem sie sich gewöhnlich aufhielt, mit ihren Nähereien beschäftigt, um den Ruf ihrer Herrin hören zu können.

„Wie froh ich bin! Warum bist Du denn nicht freundlich? – Und sieh' Harry, wie er wächst.“ Der Knabe blickte scheu durch seine Locken hindurch auf den Vater und hielt sich ängstlich an den Röcken seiner Mutter fest. „Ist er nicht hübsch?“ sagte Elisa, seine Locken aufhebend und ihn küssend.

„Ich wollte, er wäre nie geboren worden!“ sagte Georg bitter. „Ich wollte, ich wäre selbst nie geboren worden!“

Ueberrascht und erschreckt setzte sich Elisa nieder, lehnte ihren Kopf an ihres Gatten Schulter und brach in Thränen aus.

„Das noch, Elisa, o es ist zu sündlich von mir, Dir solchen Schmerz zu bereiten, armes Weib!“ sagte er zärtlich, „'s ist zu sündlich. O, wie wünsche ich, daß Du mich nie gesehen hättest, – dann hättest Du vielleicht glücklich werden können.“

„Georg, Georg, wie kannst Du so reden? Was ist denn Schreckliches geschehen, oder was soll geschehen? Wir waren doch so glücklich bis vor Kurzem.“

„Das waren wir,“ sagte Georg. Dann das Kind auf seinen Schooß nehmend, schaute er ihm in seine funkelnden, dunklen Augen und fuhr mit den Händen durch seine langen Locken.

„Gerade wie Du, Elisa; und Du bist das hübscheste Weib, das ich je gesehen habe, und das beste, das ich je zu sehen wünsche. Aber ach! ich wollte, ich hätte Dich nie gesehen, und Du nie mich.“

„O Georg, wie kannst Du –?“

„Ja, Elisa, 's ist Alles Elend, Elend, nichts als Elend. Mein Leben ist bitter wie Wermuth; alle Lebenskraft verzehrt sich in mir. Ich bin ein armes, elendes, verlorenes Lastthier; ich werde Dich nur mit mir hinabziehen, das ist Alles! Was nützt es, daß man sich Mühe giebt, etwas zu verrichten, etwas zu lernen, etwas zu sein? Wozu nützt das ganze Leben? Ich wollte, ich wäre todt!“

„O lieber Georg, aber das ist wahrhaftig sündlich! Ich weiß, wie sehr es Dich schmerzt, daß Du Deinen Platz in der Fabrik verloren hast, und daß Du einen harten Herrn hast; aber, bitte, sei geduldig, vielleicht –“

„Geduldig!“ sagte er, sie unterbrechend; „bin ich nicht geduldig gewesen? Sagte ich ein Wort, als er kam und mich ohne jeden irdischen Grund von dem Orte wegnahm, wo Jeder freundlich gegen mich war? Ich habe ihm gewissenhaft jeden Cent von meinem Lohne ausgeliefert, – und Alle sagten, daß ich ein guter Arbeiter wäre.“

„Ja, es ist schrecklich,“ sagte Elisa, „aber Du weißt, er ist doch nun einmal Dein Herr!“

„Mein Herr? und wer machte ihn zu meinem Herrn? Das ist es gerade, was mir durch den Kopf geht, – welches Recht hat er auf mich? Ich bin ein Mensch, so gut wie er; – ich bin ein besserer Mensch als er. Ich verstehe mehr vom Geschäfte als er; ich kann besser lesen als er, besser schreiben als er, – und ich habe es Alles selbst gelernt, ohne seinen Beistand, – selbst gegen seinen Willen. Welches Recht hat er nun, aus mir ein Zugpferd zu machen? – mich von Geschäften wegzunehmen, die ich verrichten kann, und besser verrichten kann als er, um mich zu Arbeiten anzustellen, die nur für ein Pferd geeignet sind. Er versucht es; er sagt, er will mich niederdrücken, er will mich demüthigen, und giebt mir deshalb absichtlich die schwerste, niedrigste und schmutzigste Arbeit.“

„O Georg, Georg! Du erschreckst mich! Ich habe Dich nie so reden hören; ich fürchte mich, daß Du etwas Schreckliches begehen könntest. Ich wundere mich durchaus nicht über Deine Empfindungen, aber ich bitte Dich, sei vorsichtig, – bitte, bitte, – um meinetwillen, um Harry's willen!“

„Ich bin vorsichtig gewesen, und bin geduldig gewesen, aber es wird immer schlimmer; Fleisch und Blut kann es nicht länger tragen: jede Gelegenheit, die sich darbietet, mich zu kränken und zu quälen, benutzt er. Ich dachte, ich könnte meine Arbeit ruhig und still verrichten, und würde dann nach den Arbeitsstunden einige Zeit zum Lesen und Lernen haben; allein je mehr er sieht, daß ich thun kann, desto mehr ladet er mir auf. Er sagt, daß obgleich ich nichts sage, er dennoch sehe, daß ich den Teufel in mir habe, und den wolle er austreiben; – ja, er soll dieser Tage herausfahren, aber in einer Weise, die ihm nicht gefallen wird, denke ich.“

„O Gott! was sollen wir thun?“ sagte Elisa traurig.

„Erst gestern wieder,“ sagte Georg, „als ich beschäftigt war, Steine in einen Wagen zu laden, stand der junge Master Tom dabei und knallte mit seiner Peitsche so dicht über dem Pferde, daß es unruhig wurde. Ich bat ihn so freundlich als ich konnte, es nicht zu thun, – allein nun fuhr er erst recht fort. Ich bat ihn abermals, worauf er sich gegen mich wendete und mich an zu peitschen fing. Ich hielt seine Hand fest, und dann schrie er und schlug um sich und lief zu seinem Vater, dem er erzählte, ich habe ihn angreifen wollen. Der kam wüthend zu mir gerannt und sagte, er wolle mir zeigen, wer mein Herr sei, und band mich an einen Baum und schnitt Ruthen für den jungen Herrn aus, und hieß ihn mich peitschen, so lange er könne, – und das that er. – Wenn ich ihm das nicht noch 'mal vergelte!“

Bei diesen Worten wurde die Stirn des jungen Mannes so finster und seine Augen begannen so zu funkeln, daß seine junge Frau davor erbebte. „Wer machte diesen Mann zu meinem Herrn? Das ist es, was ich wissen will!“ sagte er.

„Wohl,“ sagte Elisa traurig, „ich dachte immer, daß ich meinem Herrn und meiner Herrin gehorchen müsse, oder ich könne keine Christin sein.“

„In Deinem Falle hat es Etwas für sich. Sie haben Dich auferzogen wie ein Kind, haben Dich genährt, gekleidet und unterrichtet, so daß Du eine gute Erziehung bekommen hast. Hier ist wenigstens einiger Grund, weshalb sie auf Dich Anspruch haben. Aber ich bin gestoßen und gepeitscht und verflucht worden, und im glücklichsten Falle mir allein überlassen worden; und was schulde ich? Ich habe meine Erhaltung mehr als hundertmal bezahlt. Ich will es nicht länger tragen! Nein, ich will nicht!“ sagte er, seine Faust mit einem wilden Blicke ballend.

Elisa zitterte und schwieg. Sie hatte ihren Gatten noch nie in solcher Stimmung gesehen, und ihr sanftes System von Ethik schien sich wie Schilf in der Brandung solcher Leidenschaft zu beugen.

„Du weißt, du gabst mir den armen kleinen Carlo,“ fügte Georg hinzu; „das Thierchen war mein einziger Trost. Er schlief mit mir des Nachts und folgte mir des Tages überall, und sah mich an, als wenn er wisse, was ich fühlte. Eines Tages fütterte ich ihn gerade mit einigen Ueberbleibseln, die ich vor der Küchenthür gefunden hatte, als der Herr vorüber kam und sagte, ich füttere den Hund auf seine Kosten, und das könne er nicht ausführen, daß jeder Neger seinen Hund halte. Er befahl mir, ihm einen Stein an den Hals zu binden und ihn in's Wasser zu werfen.“

„O Georg, Du thatest es doch nicht?“

„Ich nicht, aber er that es. Er und Tom warfen das arme Thier mit Steinen, während es im Ertrinken war. Es sah mich so traurig an, als wenn es sich wundere, daß ich ihm nicht zu Hülfe komme. Ich wurde gepeitscht, weil ich es nicht selbst thun wollte. Ich frage nichts darnach. Er wird schon sehen, daß ich Keiner bin, der sich durch Peitschenhiebe zähmen läßt. Meine Zeit wird schon noch kommen, wenn er sich nicht vorsieht.“

„Was hast Du im Sinne? O Georg, thue nichts Schlechtes! Wenn Du nur auf Gott vertraust und Recht thust, so wird er Dich erretten.“

„Ich bin kein Christ, wie Du, Elisa; mein Herz ist voll Bitterkeit; ich kann nicht auf Gott vertrauen. Warum läßt er das so geschehen?“

„O Georg, wir müssen glauben. Mistreß sagt, daß, wenn uns Alles mißglückt, wir glauben müssen, Gott habe es zu unserm Besten gethan.“

„Das können solche Leute leicht sagen, die auf ihrem Sopha sitzen und in ihrem Wagen fahren; aber laß sie an meinem Platze sein, ich glaube, dann würde es ihnen etwas schwerer fallen. Ich wollte, ich könnte fromm sein; aber mein Herz brennt mir und kann nicht wieder ruhig werden. Du könntest es auch nicht in meiner Stelle, – Du kannst es jetzt nicht, wenn ich Dir Alles gesagt habe, was ich zu sagen habe. Du weißt noch nicht Alles.“

„Was kann denn jetzt noch kommen?“

„Vor einiger Zeit sagte mein Herr, er sei ein Narr gewesen, daß er mir erlaubt habe, außerhalb des Platzes zu heirathen; daß er Mr. Shelby und seine ganze Familie hasse, weil sie Alle stolz wären und ihre Köpfe höher trügen als er, und daß ich stolze Begriffe von ihnen bekommen hätte; und sagte, daß er mich gar nicht wieder hierher gehen lassen wolle, und daß ich auf seinem Gute ein Weib nehmen solle. Anfangs sagte er diese Dinge nur, wenn er brummte und schalt, aber gestern befahl er mir, Mina als Weib zu mir zu nehmen und mit ihr in eine Hütte zu ziehen, oder er wolle mich den Fluß hinunter schicken und verkaufen lassen.“

„Wie? – Du bist ja aber mit mir verheirathet worden, durch den Geistlichen, gerade so, als wenn Du ein Weißer wärest!“ sagte Elisa einfach.

„Weißt Du nicht, daß ein Sklave sich nicht verheirathen kann? Es giebt kein Gesetz dafür in diesem Lande. Ich kann Dich nicht als mein Weib behalten, wenn es ihm einfällt uns zu trennen. Das ist der Grund, weshalb ich wollte, ich hätte Dich nie gesehen, – weshalb ich wünschte, ich wäre nie geboren worden; es wäre für uns beide besser gewesen, – es wäre für dieses arme Kind besser gewesen, wenn es nie geboren worden wäre. Alles dies kann ihm auch noch begegnen!“

„O, aber mein Herr ist so gut!“

„Ja, aber wer weiß? – er kann sterben, – und dann kann er verkauft werden, Gott weiß, an wen. Welche Freude kann es uns gewähren, daß er schön und kräftig ist? Ich sage Dir, Elisa, daß ein Schwert Dein Herz durchdringen wird für jede gute und schöne Eigenschaft, die das Kind besitzt; es wird ihn Dir zu werth machen, als daß Du ihn behalten könntest!“

Diese Worte fielen Elisa schwer auf's Herz. Die Erscheinung des Sklavenhändlers trat wieder vor ihre Augen, und als wenn irgend Jemand ihr einen tödtlichen Schlag versetzt hätte, wurde sie plötzlich bleich und verlor den Athem. Sie blickte angstvoll nach der Veranda, wohin sich der Knabe, überdrüssig der ernsten Unterhaltung, zurückgezogen hatte, und wo er auf Mr. Shelby's Spazierstock triumphirend auf- und niederritt. Sie war im Begriff, ihrem Manne ihre Befürchtungen mitzutheilen, aber hielt dennoch zurück.

„Nein, nein, – er hat genug zu tragen, der Arme!“ dachte sie. „Nein, ich will ihm nichts davon sagen; überdies ist es ja auch nicht wahr; Mistreß täuscht uns niemals.“

„Also, Elisa, mein Weib,“ sagte der Mann traurig, „sei standhaft, und nun lebe wohl, ich gehe.“

„Du gehst, Georg? – wohin denn?“

„Nach Canada,“ sagte er, sich hoch aufrichtend, „und wenn ich dort bin, will ich Dich kaufen; das ist die einzige Hoffnung, die uns bleibt. Ich will Dich und den Knaben kaufen, – so Gott mir helfe!“

„O schrecklich! wenn Du gefangen werden solltest!“

„Ich werde nicht gefangen werden, Elisa; eher will ich sterben! Ich will frei sein, oder sterben!“

„Du wirst Dich doch nicht selbst umbringen?“

„Das wird nicht nöthig sein, – sie werden mich schnell genug niedermachen. Nimmer sollen sie mich lebendig den Fluß hinab bringen!“

„O Georg, um meinetwillen sei vorsichtig! Thue nichts Böses, lege nicht Hand an Dich selbst, oder an irgend einen Andern! Du bist zu sehr gereizt, – zu sehr. Gehen mußt Du, – aber sei vorsichtig, sei weise. Bitte Gott, daß er Dir beistehe.“

„Wohlan denn, Elisa, so höre meinen Plan. Meinem Herrn fiel es ein, mich grade hier vorbei zu schicken mit einem Briefe an Mr. Symmes, der eine Meile weiter wohnt. Ich glaube, er rechnete drauf, daß ich hierher gehen würde, Dir zu erzählen, was ich bekommen habe. Es würde ihm Freude machen, wenn er denken könnte, daß das ‚Shelby'sche Volk‘, wie er es nennt, sich darüber ärgerte. Ich gehe jetzt nach Hause, und thue, als wenn ich ganz resignirt wäre, verstehst Du, als wenn Alles vorbei wäre. Inzwischen habe ich schon einige Vorbereitungen getroffen, – und ich habe Freunde, die mir helfen werden, – und in Zeit von acht Tagen oder so werde ich vermißt werden. Elisa, bete für mich, vielleicht erhört Dich der gute Gott!“

„O bete selbst für Dich, Georg, und vertraue auf ihn, wenn Du gehst; dann wirst Du nichts Böses thun.“

„So lebe wohl denn,“ sagte Georg, Elisa's Hände haltend, und unverwandt in ihre Augen blickend. Beide standen eine Zeit lang schweigend; dann folgten die letzten Worte, Schluchzen und bittre Thränen, und ein solcher Abschied, wie er zwischen Personen stattfinden muß, deren Hoffnung auf Wiedersehen so schwach wie Spinngewebe ist. Dann trennten sich Gatte und Gattin.

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