Fünftes Kapitel.

Die Gefühle lebenden Eigenthums unter wechselnden Besitzern.

Mr. und Missis Shelby hatten sich am Abend in ihr Zimmer zurückgezogen. Er streckte sich in einem großen, bequemen Armstuhle und las einige Briefe, die mit der Nachmittagspost angekommen waren, während sie vor dem Spiegel stand und die verwickelten Flechten und Locken wieder glatt bürstete, welche Elisa zuvor gemacht hatte; denn als ihr die bleichen Wangen und verweinten Augen derselben zu Gesicht gekommen waren, hatte sie sie von ihren Dienstgeschäften für diesen Abend entbunden und sie zu Bett geschickt. Ihre gegenwärtige Beschäftigung erinnerte unwillkührlich an die Unterhaltung dieses Morgens mit ihrer Dienerin. Indem sie sich deßhalb zu ihrem Manne umwandte, sagte sie nachlässig:

„Sage mir doch, lieber Arthur, wer war denn der ordinaire Mensch, den Du heut an unsern Mittagstisch zogst?“

„Haley ist sein Name,“ sagte Shelby, sich unbehaglich in seinem Stuhle umwendend und seine Augen unverwandt auf den Brief gerichtet haltend.

„Haley! Bitte, sage mir, was ist er denn? und was mag er denn nur für Geschäfte hier gehabt haben?“

„Nun, s'ist ein Mann, mit dem ich einige Geschäfte gemacht hatte, als ich zum letzten Male in Natchez war,“ sagte Mr. Shelby.

„Und deßhalb machte er sich's hier so bequem und kam und lud sich zum Mittagessen ein, – ja?“

„Nein, ich lud ihn ein; ich hatte einige Rechnungen mit ihm abzumachen,“ sagte Shelby.

„Ist er ein Sklavenhändler?“ fragte Mrs. Shelby, eine gewisse Verlegenheit im Wesen ihres Mannes erkennend.

„Warum, mein Kind, was bringt Dich denn auf die Frage?“ sagte Mr. Shelby aufblickend.

„O nichts, – nur, Elisa kam heut nach Tische weinend und in größter Verzweiflung zu mir und sagte, Du sprächest mit einem Händler und sie habe ihn gehört Dir ein Gebot für ihren Jungen machen, – das alberne Gänschen!“

„So?“ sagte Mr. Shelby, wieder auf seinen Brief blickend, der einige Augenblicke lang seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen schien, obgleich er nicht bemerkte, daß er ihn verkehrt in der Hand hielt.

„Es muß heraus, jetzt oder später,“ sagte er im Geiste zu sich.

„Ich sagte Elisa,“ bemerkte Mrs. Shelby, während sie fortfuhr, ihr Haar zu bürsten, „daß sie eine Närrin sei, sich solche Angst zu bereiten, und daß Du nie irgend etwas mit solchen Menschen zu thun habest. Ich wußte ja, daß Du nie die Absicht hattest, irgend einen unserer Leute zu verkaufen, – am wenigsten an solchen Menschen.“

„Richtig, Emilie,“ sagte der Mann, „so habe ich immer gedacht und gesagt; allein die Sache ist, meine Verhältnisse sind jetzt von der Art, daß ich jetzt nicht mehr umhin kann. Ich werde einige meiner Leute verkaufen müssen.“

„An dieses Geschöpf? Unmöglich! Shelby, das kann nicht Dein Ernst sein.“

„Es thut mir leid, sagen zu müssen, daß es wirklich mein Ernst ist,“ sagte Mr. Shelby. „Ich habe mich dazu verstanden, Tom zu verkaufen.“

„Was? unsern Tom? – dieses gute, treue Geschöpf! – ist Dein treuer Diener von seiner Kindheit an gewesen! – O Shelby! – und Du hast ihm außerdem die Freiheit versprochen, – Du und ich, wir haben hundertmal mit ihm davon gesprochen. – Wohl, nun kann ich Alles glauben, – nun kann ich auch glauben, daß Du den kleinen Harry, das einzige Kind der armen Elisa, verkaufen könntest!“ sagte Mrs. Shelby in einem Tone, der eine Mischung von Kummer und Unwillen verrieth.

„Wohl, da Du doch einmal Alles wissen mußt, – es ist so. Ich habe versprochen, Tom und Harry zu verkaufen; und ich sehe nicht ein, weßhalb ich um einer Handlung willen für ein Ungeheuer gehalten werden soll, die von Andern jeden Tag verübt wird.“

„Aber warum unter Allen grade diese wählen?“ sagte Mrs. Shelby, „wenn Du überhaupt verkaufen mußt.“

„Weil diese die höchste Summe von Allen einbringen, – das ist der Grund. Ich hätte allerdings noch eine andere Wahl treffen können, wenn Du so willst. Der Kerl machte mir ein hohes Gebot für Elisa. Hätte Dir das besser zugesagt?“

„Der Elende!“ sagte Mrs. Shelby mit Heftigkeit.

„Ich habe ihn natürlich keinen Augenblick angehört; – aus Rücksicht für Dich wollte ich nicht. Laß mir also wenigstens so viel Gerechtigkeit widerfahren.“

„Mein Lieber,“ sagte Mrs. Shelby sich sammelnd, „verzeihe mir. Ich war überrascht, und gänzlich unvorbereitet für diese Nachrichten; aber gewiß wirst Du mir erlauben, ein Fürwort für diese armen Geschöpfe einzulegen. Tom ist ein edelherziger, treuer Mensch, wenn er auch schwarz ist. Ich glaube, Shelby, daß, wenn es nöthig wäre, er sogar willig sein Leben für Dich hingeben würde.“

„Ich weiß es, – ich glaube es, – aber was hilft das alles? Ich kann mir nicht anders helfen!“

„Warum nicht ein Opfer in Geld bringen? Ich will gern meinen Theil daran tragen. O, Shelby, ich habe mich bemüht, – gewissenhaft bemüht, wie eine Christin soll, – meine Pflichten gegen diese armen, einfachen, abhängigen Geschöpfe zu erfüllen. Ich habe für sie gesorgt, sie unterrichtet, über sie gewacht, und alle ihre kleinen Sorgen und Freuden seit Jahren gekannt; und wie kann ich jemals wieder meinen Kopf unter ihnen aufrichten, wenn wir, um eines kleinen, erbärmlichen Gewinnes willen, ein so treues, vortreffliches, vertrauungsvolles Wesen, wie den armen Tom, verkaufen, und in einem Augenblick ihn von Allem losreißen, was wir ihn schätzen und lieben gelehrt haben? Ich habe ihnen die Pflichten der Familie gelehrt, der Eltern und der Kinder, des Gatten und des Weibes; und wie kann ich den Gedanken tragen, öffentlich anerkennen zu müssen, daß wir, sobald es sich um den Werth des Geldes handelt, keine Pflicht und kein Band ehren, wie heilig es auch immer sein möge. Ich habe mit Elisa über ihren Knaben gesprochen, – über ihre Pflicht gegen ihn als eine christliche Mutter über ihn zu wachen, für ihn zu beten, und ihn nach christlichen Grundsätzen zu erziehen; und was soll ich nun sagen, wenn Du ihn von ihr reißest, und ihn verkaufst, Seele und Leib, an einen gemeinen Menschen ohne alle Grundsätze, – nur um etwas Geld zu gewinnen? Ich habe ihr gesagt, daß eine menschliche Seele mehr werth sei, als alles Geld in der Welt: und wie kann sie nun meinen Worten Glauben schenken, wenn sie uns, im Widerspruche hiermit, ihr Kind verkaufen sieht, – vielleicht zu seinem sichern Ruine an Leib und Seele!“

„Es thut mir leid, daß Du Dir das so sehr zu Herzen nimmst, Emilie, – wahrlich,“ sagte Mr. Shelby, „und ich ehre Deine Empfindungen, wenn ich sie auch nicht in ihrer ganzen Ausdehnung theile, aber ich versichere Dir heilig, daß es nichts nützt, – ich kann mir nicht anders helfen. Es war nicht meine Absicht, Dir dies zu sagen; aber, um die reine Wahrheit zu gestehen, es bleibt mir keine andere Wahl, als entweder diese Beiden oder – Alles zu verkaufen. Haley ist in den Besitz einer Hypothek gekommen, welche, wenn ich sie nicht unverzüglich abzahle, Alles verschlingt. Ich habe zusammengescharrt und gekratzt, was möglich war, ich habe geborgt und Alles gethan, nur nicht gebettelt, und der Preis für diese Beiden war grade noch nöthig, um das Fehlende zu decken, und so mußte ich sie dran geben. Haley hatte an dem Kinde Gefallen gefunden, und wollte auch kein anderes Arrangement eingehen. Ich war in seiner Gewalt und mußte es thun. Wenn es Dir so nahe geht, diese verkauft zu sehen, würde es besser sein, wenn Alle verkauft würden?“

Mrs. Shelby stand wie vom Schlage gerührt. Endlich, sich wieder zu ihrer Toilette wendend, bedeckte sie ihr Gesicht mit beiden Händen und seufzte tief.

„Das ist der Fluch der Sklaverei! – Ein Fluch für den Herrn wie für den Sklaven! Ich war eine Thörin zu glauben, daß ich aus einem so tödtlichen Uebel noch etwas Gutes bilden könne. Es ist eine Sünde, unter Gesetzen, wie die unsrigen sind, Sklaven zu halten; ich fühlte das immer, – ich dachte das immer, als ich noch ein Mädchen war, – ich fühlte es noch mehr, als ich in den Kirchenverband getreten war; aber ich dachte, ich könne es mit Gold überziehen, ich könne durch Güte, Sorgfalt und Belehrung das Verhältniß der Meinigen besser machen, als es in der Freiheit sein würde, – Thörin, die ich war!“

„Aber Weib, Du wirst ja ein vollständiger Abolitionist.“

„Abolitionist! Wenn Jene von der Sklaverei so viel wüßten wie ich, so möchten sie reden. Wir bedürfen ihrer nicht. Du weißt, daß ich Sklaverei nie gebilligt habe, – daß ich nie gewünscht habe, Sklaven zu besitzen.“

„Ja, in diesem Punkte bist Du verschiedener Meinung von vielen weisen und gelehrten Männern,“ sagte Mr. Shelby. „Erinnerst Du Dich an Mr. B...'s Predigt, vor einigen Wochen?“

„Ich will solche Predigten nicht hören; ich mag Mr. B. nie wieder in unserer Kirche hören. Geistliche können dem Uebel vielleicht nicht abhelfen, – können es nicht heilen, so wenig wie wir, – aber es vertheidigen! – das ging immer gegen meinen Verstand. Und ich glaube, Du selbst hast auch von der Predigt nicht viel gehalten!“

„Ich muß gestehen,“ sagte Mr. Shelby, „diese Geistlichen treiben die Sache zuweilen noch weiter, als wir armen Sünder es thun würden. Wir Weltmenschen müssen gewaltig oft ein Auge zudrücken, und uns an Manches gewöhnen, was nicht ganz in Ordnung ist; aber wir mögen's nicht leiden, wenn Weiber und Geistliche groß und breit auftreten und in solchen Dingen noch weiter gehen als wir. Aber nun, meine Liebe, hoffe ich, hast Du die Nothwendigkeit eingesehen, und Dich überzeugt, daß ich das Beste gethan habe, was die Umstände zuließen.“

„O ja, ja,“ sagte Mrs. Shelby hastig und zerstreut, ihre goldene Uhr in der Hand wiegend, und fügte sodann nach einer Pause gedankenvoll hinzu: – „ich besitze keine Juwelen von einigem Werthe, aber – würde diese Uhr nicht vielleicht etwas nützen? – sie war sehr theuer, als sie gekauft wurde. Wenn ich nur wenigstens Elisa's Kind retten könnte, so würde ich gern Alles opfern, was ich habe.“

„Es thut mir leid, sehr leid, Emilie,“ sagte Mr. Shelby, „daß Dir dies so sehr zu Herzen geht; aber es hilft nichts. Die Sache ist, Emilie, Alles ist bereits abgemacht; die Verkaufsscheine sind bereits unterschrieben und in Haley's Händen, und Du mußt Gott danken, daß es nicht noch schlimmer ist. Der Mann hatte es in seiner Gewalt, uns alle zu Grunde zu richten, – und nun sind wir ihn glücklich los. Wenn Du den Mann kenntest, wie ich ihn kenne, so würdest Du einsehen, daß wir einer großen Gefahr entgangen sind.“

„Ist er denn so hartherzig?“

„Nicht hart und grausam grade, aber ein Mensch wie Leder, – ein Mensch, der für nichts Anderes lebt, als für Handel und Gewinn, – kalt und ohne Bedenken, und unerbittlich wie Tod und Grab. Er würde für einen guten Gewinn seine eigne Mutter verkaufen, – ohne dabei der alten Frau irgendwie Uebles zu wünschen.“

„Und diesem Elenden gehören der gute, treue Tom, und Elisa's Kind!“

„In der That, meine Liebe, dies liegt mir schwer auf dem Herzen, – ich kann nicht daran denken. Haley will die Sache schnell betrieben haben, und schon morgen Besitz ergreifen. Ich werde mein Pferd aus dem Stalle nehmen, bei guter Zeit, und mich auf und davon machen. Ich kann Tom nicht sehen, das ist gewiß; und Du thätest auch am besten, wenn Du eine Fahrt irgendwohin unternähmest, und Elisa mit Dir führtest. Laß die Sache abgemacht werden, während sie aus dem Wege ist.“

„Nein,“ sagte Mrs. Shelby, „ich will auf keine Weise Mitschuldige oder Mithelferin in diesem grausamen Geschäfte sein. Ich will den armen, alten Tom sehen, und möge Gott ihm Kraft geben in seinem Unglück! Sie sollen wenigstens sehen, daß ihre Herrin für sie und mit ihnen fühlen kann. Was Elisa betrifft, so wage ich nicht an sie zu denken! – Gott sei uns gnädig! Was haben wir denn gethan, daß diese grausame Nothwendigkeit über uns kommen muß?“ –

Es gab einen Zuhörer dieser Unterhaltung, an den Mr. und Mrs. Shelby wenig dachten.

In Verbindung mit dem Zimmer, in welchem sich Beide befanden, stand ein geräumiges Kabinet, welches nach dem äußeren Gange führte. Als Elisa von Mrs. Shelby für den Abend entlassen worden war, hatte ihr fieberhaft aufgeregter Geist sie an dieses Kabinet erinnert, und sie hatte sich dort versteckt, und mit fest gegen die Spalte der Thüre gedrücktem Ohre kein Wort der ganzen Unterhaltung verloren.

Als die Stimmen allmählig erstarben, schlich sie leise davon. Blaß, fröstelnd, mit starren Zügen und zusammengepreßten Lippen, schien aus dem zarten, furchtsamen Geschöpfe, was sie bisher gewesen war, ein ganz anderes Wesen geworden zu sein. Sie schlich vorsichtig den Flur entlang, hielt einen Augenblick an der Zimmerthür ihrer Herrin an, hob ihre Hände auf wie in stummem Rufe zum Himmel, und schlich dann in ihr eignes Zimmer. Es war ein stilles, reinliches Gemach, auf demselben Flure mit dem Zimmer ihrer Herrin belegen. Hier war das freundliche, sonnige Fenster, wo sie so oft singend, mit ihrer Näherei beschäftigt, gesessen hatte; dort stand eine kleine Büchersammlung, vor der verschiedene kleine Schmuckartikel, Geschenke des Weihnachtsfestes, in sorgfältiger Ordnung lagen; hier befand sich ihre einfache Garderobe, im Wandschranke und in der Kommode; hier, mit einem Worte, war ihre Heimath, die im Ganzen genommen bisher eine glückliche gewesen war. Aber dort, auf dem Bette, lag ihr schlummerndes Kind, dessen lange Locken nachlässig um seine bewußtlosen Züge fielen, während sein rosiger Mund halb geöffnet war, seine kleinen, fetten Hände ausgestreckt auf der Bettdecke lagen, und ein Lächeln, gleich einem Sonnenstrahle, sich über das ganze Gesicht breitete.

„Armes Kind! armes Wesen!“ sagte Elisa, „sie haben Dich verkauft! aber Deine Mutter will Dich dennoch retten!“

Keine Thräne fiel auf das Kissen; in solchen Momenten hat das Herz keine Thränen; – es tröpfelt nur Blut, bis es sich still und schweigend ausgeblutet hat. Sie ergriff ein Blatt Papier und Bleifeder, und schrieb eilig folgende Worte:

„O Mistreß! theure Mistreß! halten Sie mich nicht für undankbar, – denken Sie nicht zu hart von mir, – ich habe Alles gehört, was Sie heut Abend mit dem Herrn gesprochen haben. Ich will es versuchen, mein Kind zu retten, – Sie werden mich nicht verdammen! Gott segne Sie, und lohne Ihnen alle Ihre Güte!“

Nachdem sie dieses Blatt hastig zusammengelegt und addressirt hatte, öffnete sie eine Kommode, und legte ein kleines Packet Kleidungsstücke für das Kind zurecht, welches sie mittelst eines Taschentuches fest um ihren Leib band; und so zärtlich ist die Sorge einer Mutter, daß sie selbst in den Schrecken dieser Stunde nicht vergaß, ein oder zwei Lieblingsstücke seines Spielzeugs mit in das Packet zu legen, während sie einen bunt gemalten Papagei zurückbehielt, um ihn damit zu unterhalten, wenn sie ihn aufwecken mußte. Es kostete einige Mühe, den kleinen Schläfer zu ermuntern; allein nach einigen Versuchen saß er im Bette auf, und spielte mit seinem Vogel, während seine Mutter sich den Hut aufsetzte und das Tuch umhing.

„Wo willst Du hingehen, Mutter?“ fragte er, als sie sich mit seinem Röckchen und seiner Mütze dem Bette näherte.

Seine Mutter kam dicht zu ihm heran, und sah ihm so ernst in die Augen, daß er sogleich merkte, daß etwas Ungewöhnliches vorgehen müsse.

„Still, Harry,“ sagte sie, „Du mußt nicht laut sprechen, oder sie hören uns. Ein böser Mann ist gekommen, um den kleinen Harry seiner Mutter wegzunehmen, und im Dunkeln fortzutragen; Mutter aber will ihn nicht lassen, – Mutter will ihrem kleinen Harry das Röckchen anziehen und die Mütze aufsetzen, und mit ihm davon laufen, so daß der böse Mann ihn nicht fangen kann.“

Während dieser Worte hatte sie dem Kinde die einfache Kleidung angelegt, und ihn in ihre Arme genommen, und indem sie ihm zuflüsterte, recht still zu sein, öffnete sie eine Thüre ihres Zimmers, welches in die äußere Veranda führte, und schlich leise hinaus.

Es war eine sternhelle, kalte Nacht, und die Mutter schlug ihr Tuch so dicht wie möglich um das Kind, welches von dumpfen Schrecken ganz still geworden war, und sich ängstlich um ihren Hals klammerte.

Der alte Bruno, ein großer Neufundland-Hund, welcher am Eingange des Portals schlief, erhob sich mit leisem Geknurre, als sie sich ihm nahte. Sie rief jedoch freundlich seinen Namen, worauf das Thier, ihr alter Spielgefährte, augenblicklich zu wedeln und ihr zu folgen begann, obgleich er in seinem schlichten Kopfe mit großem Bedenken zu erwägen schien, was diese nächtliche Promenade zu bedeuten haben möge; denn mehrmals stand er still, und blickte außerordentlich ernsthaft erst nach Elisa und dann nach dem Hause, bis er endlich, wie durch Nachdenken beruhigt, ihr weiter nachtrabte. Wenige Minuten brachten sie an das Fenster von Onkel Toms Hütte, wo Elisa still stand und leise an die Scheibe klopfte.

Die Betstunde bei Onkel Tom war durch Absingen mehrerer Hymnen bis zu einer späten Stunde ausgedehnt worden; und da Onkel Tom nach derselben noch zu seiner eigenen Erbauung einige lange Solos unternommen hatte, so war die Folge davon, daß, obgleich es jetzt zwischen zwölf und ein Uhr war, er und seine würdige Ehehälfte noch nicht schliefen.

„Guter Gott! was ist das?“ sagte Tante Chloë, aufspringend und hastig den Fenstervorhang wegziehend. „Meiner Seel! ist's nicht Lizy! Zieh Dich an, Alter, schnell! – da ist Bruno auch, der herumwedelt; was in aller Welt! Ich will die Thür aufmachen.“

Wie gesagt, so geschehen. Die Thüre flog auf, und der Schein des Talglichtes, welches Tom in der Eile angezündet hatte, fiel auf das bleiche Gesicht und die dunklen, wilden Augen des Flüchtlings.

„Gott helf! – Ich fürchte mich, Dich anzusehen, Lizy! Bist Du so krank, oder was ist vorgegangen mit Dir?“

„Ich will entfliehen, Onkel Tom und Tante Chloë, – und mein Kind mit mir nehmen, – Master hat es verkauft!“

„Verkauft?“ riefen Beide einstimmig, ihre Hände vor Schrecken aufhebend.

„Ja verkauft,“ sagte Eliza mit fester Stimme. „Ich kroch diesen Abend in das Kabinet an Mistreß's Thür, und hörte, wie der Herr ihr erzählte, daß er meinen Harry und Euch, Onkel Tom, an einen Händler verkauft habe; und daß er diesen Morgen fort reiten wolle, und daß der Händler heut' Besitz ergreifen wolle.“

Tom hatte während dieser Rede mit aufgehobenen Händen und aufgerissenen Augen wie ein Träumender da gestanden. Langsam und allmählig, wie er die Bedeutung begriff, sank er in seinem alten Stuhl zusammen, und ließ sein Haupt auf das Knie herabfallen.

„Der gute Gott sei uns barmherzig!“ sagte Tante Chloë. „O, es scheint mir, es kann nicht wahr sein! Was hat er denn gethan, daß der Herr ihn verkaufen sollte?“

„Nichts hat er gethan, – es ist nicht deßwegen. Master verkauft ihn nicht gern; und Mistreß, – ach, sie ist immer gut. Ich hörte, wie sie für uns stritt und bat; aber er sagte ihr, daß Alles vergeblich sei, daß er in der Schuld dieses Mannes sei, und daß dieser Mann ihn in seiner Gewalt habe; und daß, wenn er ihn nicht rein ausbezahle, es damit enden müsse, daß das ganze Gut mit allen Leuten verkauft würde, und er fortziehen müsse. Ja, ich hörte ihn deutlich sagen, daß er keine andere Wahl habe, als entweder diese beiden oder Alles zu verkaufen, weil der Mann ihn so hart dränge. Master sagte, es thäte ihm leid; aber o! Missis, – Ihr hättet sie sprechen hören sollen! Wenn sie keine Christin und kein Engel ist, so hat es nie einen gegeben. Ich bin ein schlechtes Weib, daß ich sie so verlasse, aber ich kann nicht anders. Sie sagte selbst, eine Seele sei mehr werth als die Welt, – und dieser Knabe hat eine Seele; und wenn ich ihn fortschleppen lasse, wer kann dann wissen, was daraus wird? Es muß recht sein; – aber wenn es unrecht ist, so mag Gott mir verzeihen, denn ich kann nicht anders!“

„Nun, Alter,“ sagte Tante Chloë, „warum gehst Du nicht auch? Willst Du warten, bis Du den Fluß 'nuntergeschleppt wirst, wo sie Niggers tödten mit schwerer Arbeit und Hungerleiden? Ich wollte viel, viel lieber sterben, als dahin gehen, jemals! S' ist noch Zeit, – mach' fort mit Lizy, – Du hast 'nen Paß zu kommen und zu gehen, alle Zeit. Komm', mach' auf, – ich will Deine Sachen zusammen suchen.“

Tom hob langsam seinen Kopf auf, und blickte kummervoll und gefaßt um sich und sagte:

„Nein, nein, – ich will nicht gehen. Laß' Elisa gehen, – sie hat recht! Ich wollte nicht der Eine sein, zu sagen, nein - 's ist nicht in Natur für sie, zu bleiben; aber Du hast gehört, was sie sagte! Wenn ich verkauft werden muß, oder alles Volk auf dem Gute, und Alles geht zu Grunde, nun – so laßt mich verkauft werden. Denke, kann's tragen so gut wie Einer,“ fügte er hinzu, während ein Seufzer und eine Art Schluchzen seine breite, rauhe Brust convulsivisch erschütterte. – „Master hat mich immer am Platze gefunden, – er soll es immer. Ich habe nie mein Wort gebrochen, – und nie meinen Paß nirgend gegen mein Versprechen gebraucht, und will es nimmer. S' ist besser, daß ich allein gehe, als daß Alles genommen und verkauft wird. Master ist nicht zu tadeln, Chloë, und er wird sorgen für Dich und die armen –“

Hier wandte er sich zu dem breiten Rollbett um, welches voll von kleinen, wolligen Köpfen lag, und brach gänzlich zusammen. Er lehnte über dem Rücken eines Stuhles, und bedeckte sein Gesicht mit seinen großen Händen. Schweres und tiefes Stöhnen machte den Stuhl unter ihm wanken, und große und schwere Thränen fielen durch seine Finger auf den Fußboden; grade solche Thränen, Mann, wie Du über dem Sarge Deines Erstgeborenen weintest; solche Thränen, Weib, wie Deinem Auge entströmten, als Du das Schreien Deines sterbenden Säuglings hörtest. Denn, Herr, er war ein Mann, und Du bist auch nur einer; – und, Weib, wenn gleich mit Seide und Juwelen bedeckt, bist Du doch nur ein Weib, und in des Lebens schweren Stunden fühlt Ihr beide denselben Schmerz!

„Und nun noch,“ – sagte Elisa, während sie in der Thür stand, „ich sah und sprach noch diesen Nachmittag meinen Mann, als ich keine Ahnung von dem hatte, was kommen würde. Sie haben ihn ganz niedergetreten, und er sagte mir heut', daß er entfliehen wolle. Bitte, seht zu, ihm Nachricht zu geben. Sagt ihm, wie ich gegangen bin, und warum; und sagt ihm, daß ich versuchen wolle, Canada zu erreichen. Ihr müßt ihm meinen Gruß bringen, und ihm sagen, im Fall ich ihn nie wieder sehen sollte,“ – hier wandte sie sich um, und stand einen Augenblick lang Jenen mit dem Rücken zugewandt; dann fügte sie mit heiserer Stimme hinzu: „ihm sagen, daß er immer gut sein möge, – um mich im Himmel wieder zu sehen.“

„Ruft Bruno herein,“ fügte sie hinzu. „Macht die Thür vor ihm zu, gutes Thier! Er darf nicht mit mir gehen!“

Einige Worte und Thränen noch, ein einfaches Lebewohl, und ihr verwundertes, erschrecktes Kind in ihre Arme drückend, schlich sie leise davon.

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