Neuntes Kapitel.

Worin es sich zeigt, daß ein Senator nur ein Mensch ist.

Der Schein eines behaglichen Feuers fiel auf den Teppich eines kleinen, bequemen Wohnzimmers, und schimmerte auf den Seiten der Theetassen und der blank geputzten Theekanne, als Senator Bird sich seine Stiefeln auszog, als Vorbereitung dazu, seine Füße in ein Paar neuer, schöner Pantoffeln schlüpfen zu lassen, welche seine Frau für ihn während seiner Abwesenheit in seinen Geschäften als Senator gefertigt hatte. Mistreß Bird, ein Bild innerer Wonne in diesem Momente, war beschäftigt, das Arrangement des Tisches zu treffen, während sie dabei von Zeit zu Zeit ermahnende Bemerkungen an eine Zahl fröhlicher Kleinen ergehen ließ, welche sich mit allerhand Arten nicht zu beschreibender, muthwilliger Streiche belustigten, die je Mütter seit der Sündfluth in Erstaunen gesetzt haben.

„Tom, laß den Thürknopf los, es kömmt ein Mann! – Marie! Marie! zupfe die Katze nicht an dem Schwanz, – armes Thierchen! Dim, Du mußt nicht auf den Tisch klettern, – nein! – Ach, Du kannst nicht glauben, mein Lieber, wie Du uns Alle überrascht hast, Dich heut Abend noch hier zu sehen!“ sagte sie, als sie endlich einen Augenblick Zeit gefunden, auch ein paar Worte an ihren Mann zu richten.

„Ja, ja, ich dachte, ich wollte grad 'mal hinunterlaufen, eine Nacht hier zubringen und mich zu Hause pflegen. Ich bin todtmüde und mein Kopf thut mir weh.“

Mrs. Bird warf einen Blick nach der Kampferflasche, welche in dem halb geöffneten Wandschranke stand, und verrieth die Absicht, sie holen zu wollen, allein ihr Mann verhinderte es.

„Nein, nein, Marie, nicht doktern, eine Tasse guten, heißen Thees und etwas von unserer guten Hauskost ist Alles, was ich brauche. 's ist ein ermüdendes Geschäft, – diese Gesetzgebung!“

Und der Senator lächelte, als wenn er sich in dem Gedanken gefiele, sich als eine Art Opfer für sein Vaterland anzusehen.

„Nun,“ sagte seine Frau, als die Geschäfte am Theetische allmählich nachzulassen schienen, „was ist denn im Senate verhandelt worden?“

Es war eine ganz ungewöhnliche Erscheinung bei der sanften, kleinen Mistreß Bird, daß sie sich jemals den Kopf mit dem beschwerte, was im Senatshause vorging, indem sie weislich bedachte, daß sie genug mit ihren eigenen Geschäften zu thun habe. Mr. Bird schlug deßhalb seine Augen verwundert auf und sagte nur:

„Nicht viel von Bedeutung.“

„Aber ist es denn wahr,“ fuhr seine kleine Frau fort, „daß ein Gesetz erlassen worden ist, was verbietet, den armen farbigen Leuten, die manchmal des Weges kommen, zu essen und zu trinken zu geben? Ich hörte davon reden, daß ein solches Gesetz im Vorschlage sei; aber ich konnte mir nicht denken, daß irgend eine christliche Gesetzgebung es wirklich erlassen könne!“

„Wie, Marie, Du wirst ja förmlich ein Politiker, – mit einem Male,“ sagte Mr. Bird lächelnd.

„Nein, Thorheit! Ich kümmere mich für gewöhnlich nicht im Geringsten um Eure Politik, aber dieses würde ich für etwas durchaus Grausames und Unchristliches halten. Nicht wahr, lieber Mann, ein solches Gesetz ist nicht erlassen worden?“

„Es ist allerdings ein Gesetz erlassen worden, mein Kind, welches verbietet, den von Kentucky herüber kommenden flüchtigen Sklaven fortzuhelfen. So weit haben es diese rücksichtslosen Abolitionisten getrieben, daß unsere Brüder in Kentucky in gewaltiger Aufregung sind, und es sowohl nothwendig wie christlich und billig zu sein scheint, daß von Seiten unseres Staates Etwas geschehe, um diese Aufregung zu stillen.“

„Und worin besteht das Gesetz? Es verbietet uns doch nicht, diesen armen Kreaturen ein Nachtlager zu geben, und ihnen etwas zu essen und ein paar alte Kleidungsstücke zu reichen, und sodann ruhig wieder fortzuschicken? – oder thut es das?“

„Allerdings, meine Liebe, das würde helfen und begünstigen sein, – verstehst Du?“

Mrs. Bird war eine furchtsame, scheue, kleine Frau, ungefähr vier Fuß groß, mit sanften, blauen Augen, einem Gesichtchen, so zart wie eine Pfirsichblüthe, und einer weichen, sanften Stimme. Was ihren Muth betraf, so war es bekannt, daß ein mäßiger Truthahn sie durch sein erstes Kollern oft in die Flucht gejagt hatte, und ein gewöhnlicher Haushund sie durch bloßes Zähnefletschen zur Unterwürfigkeit bringen konnte. Ihr Mann und ihre Kinder waren ihre Welt, und in dieser herrschte sie mehr durch Bitte und Ueberredung, als durch Gründe und Befehle. Es gab nur eine Art von Veranlassung, die sie zu Heftigkeit aufreizen konnte, und diese war gerade gegen ihr sanftes, mitfühlendes Gemüth gerichtet; – jede Art von Grausamkeit versetzte sie in heftige Leidenschaft, die um so auffallender und unerklärlicher war, als sie mit der gewöhnlichen Sanftmuth ihres Gemüthes in so grellem Widerspruche stand. Obgleich sie für gewöhnlich die nachsichtigste Mutter und so sehr leicht zu erbitten war, so bewahrten ihre Söhne dennoch ein sehr ehrfurchtsvolles Andenken an eine strenge Züchtigung, die sie ihnen einst ertheilt hatte, als sie in Verbindung mit einigen gottlosen Buben der Nachbarschaft ein hülfloses Hühnchen gesteinigt hatten.

„Ich sage Dir,“ pflegte Bill zu sagen, „ich war ganz erschrocken damals. Mutter kam auf mich zu, als wenn sie rasend wäre, und peitschte mich, und warf mich in's Bett, ohne Abendbrod, ehe ich nur zur Besinnung kommen konnte; und nachher hörte ich Mutter'n vor der Thüre weinen, was mir noch mehr weh that, als alles Andere. Ich sage Dir, wir Jungens haben nie wieder ein Huhn gesteinigt!“

Bei der gegenwärtigen Veranlassung erhob sich Mrs. Bird schnell mit hoch gerötheten Wangen, die ihre ganze Erscheinung verschönerten, ging mit einer ganz entschlossenen Miene auf ihren Mann zu und sagte zu ihm in entschiedenem Tone:

„Nun, John, ich möchte wissen, ob Du solch ein Gesetz für recht und christlich hältst?“

„Du wirst mich doch nicht todt schießen, Marie, wenn ich ja sage?“

„Ich hätte es nie von Dir gedacht, John; – nicht wahr, Du hast nicht dafür gestimmt?“

„Ganz gewiß habe ich, mein schöner, kleiner Politiker.“

„So solltest Du Dich schämen, John! Arme, heimathlose, obdachlose Geschöpfe! Es ist ein schändliches, schlechtes, abscheuliches Gesetz, und ich will bei der ersten Gelegenheit, die sich mir darbietet, es übertreten; und ich hoffe, daß sich mir eine darbieten wird, gewiß! Es ist weit gekommen, wenn eine Frau nicht mehr ein warmes Abendbrod und ein Bett solchen verkümmernden Kreaturen geben kann, gerade deßhalb, weil sie Sklaven sind, und ihr ganzes Leben lang mißhandelt und gedrückt worden sind!“

„Aber, Marie, höre mich nur einmal an. Deine Gefühle sind ganz wahr und achtungswerth, und ich liebe Dich um ihrer willen; aber, meine Theuerste, wir dürfen unser Urtheil nicht mit unsern Gefühlen davon laufen lassen; bedenke, es hat nichts mit unsern Privatempfindungen zu thun, – es handelt sich hier um große, allgemeine Interessen, – es herrscht und steigert sich täglich eine so allgemeine Aufregung, daß wir unsere Privatempfindungen bei Seite setzen müssen.“

„Höre, John, ich verstehe nichts von Politik, aber ich kann meine Bibel lesen; und die sagt mir, daß ich Hungrige speisen, Nackte kleiden und die bekümmerten Herzens sind, trösten soll; und meiner Bibel bin ich zu folgen entschlossen.“

„Allein in Fällen, in denen eine solche Handlungsweise von Deiner Seite große allgemeine Nachtheile zur Folge haben würde –“

„Gott gehorchen kann nie allgemeine Uebel herbei führen; ich weiß, es kann nicht. Es ist immer am sichersten, überall das zu thun, was Er uns gebietet!“

„Höre mich nur einmal an, Marie, und ich kann Dir einen ganz klaren Beweis geben, daß –“

„O Thorheit, John! Du könntest die ganze Nacht sprechen, es würde Dir doch nicht gelingen. Ich frage Dich, John, könntest Du ein armes, frierendes, hungriges Wesen von der Thür jagen, weil es ein entlaufener Sklave ist? Könntest Du es thun?“

Um die Wahrheit zu sagen, unser Senator hatte das Unglück, ein Mann von ganz besonders menschenfreundlichem, zugänglichem Gemüthe zu sein, und Jemanden von sich zu stoßen, der sich in Noth und Elend befand, war nie seine starke Seite gewesen; und was die Verlegenheit, in welche ihn dieses Argument versetzte, noch vermehrte, war das, daß seine Frau es wußte, und also einen Angriff auf einen ganz unzuvertheidigenden Punkt machte. Er nahm deßhalb zu den unter solchen Umständen gewöhnlichen Mitteln, Zeit zu gewinnen, Zuflucht: er sagte „hm“ und hustete mehrmals, und nahm sein Taschentuch heraus, um seine Brillengläser abzuwischen. Mrs. Bird inzwischen, die den vertheidigungslosen Zustand des feindlichen Gebietes erkannte, war gewissenlos genug, ihren Vortheil noch weiter zu verfolgen.

„Ich möchte Dich das wohl thun sehen, John, – wahrlich! Zum Beispiel, ein Weib in ein Schneegestöber hinausstoßen; oder vielleicht würdest Du sie aufnehmen und dann in's Gefängniß abliefern, – nicht wahr? Das wäre ganz was für Dich!“

„Es würde natürlich eine sehr unangenehme Pflicht für mich sein,“ begann Mr. Bird in gemäßigtem Tone.

„Pflicht, John! gebrauche nicht diesen Ausdruck! Du weißt, es ist keine Pflicht, es kann keine Pflicht sein! Wenn Leute wollen, daß ihre Sklaven nicht davonlaufen, so mögen sie sie gut behandeln, – das ist meine Ansicht. Wenn ich Sklaven besäße (was, ich hoffe, nie geschehen wird), so möchte ich wohl sehen, ob sie mir oder Dir davonlaufen würden, John. Ich sage Dir, sie laufen nicht davon, wenn sie glücklich sind; und wenn sie entfliehen, – die armen Wesen! – so haben sie genug an Kälte, Hunger und Furcht auszustehen, auch wenn sie nicht von Jedermann feindlich behandelt und verfolgt werden; Gesetz oder nicht, ich will es nimmer thun, so helfe mir Gott!“

„Marie! Marie! Meine Liebe, laß mich mit Dir aus Gründen streiten,“ sagte Mr. Bird.

„Ich hasse dieses Streiten aus Gründen, John, – besonders über solche Gegenstände. Ihr Politiker habt eine Weise, eine einfache, richtige Sache gänzlich zu verdrehen, und wenn es zum Handeln kömmt, so glaubt Ihr selbst nicht dran. Ich kenne Dich zu gut, John, Du hältst es ebenso wenig für recht wie ich, – und Du würdest es ebenso wenig thun wie ich.“

In diesem kritischen Momente steckte der alte Cudjoe, der einzige schwarze Diener des Hauses, seinen Kopf in die Thür und bat, „daß Missis in die Küche kommen möchte;“ und unser Senator, ziemlich erleichtert, schaute seiner kleinen Frau mit einer komischen Mischung von Vergnügen und Aerger nach, und setzte sich sodann in den Lehnstuhl und begann die Zeitungen zu lesen.

Wenige Augenblicke nachher wurde die Stimme seiner Frau in einem hastigen, eifrigen Tone an der Thür gehört: – „John! John! bitte, komm' einen Augenblick hierher!“

Mr. Bird legte die Zeitungen bei Seite und ging nach der Küche, wo er über den Anblick erschrack, der sich ihm darbot. Ein junges, schlank gebautes Frauenzimmer, mit zerrissenen und gefrorenen Kleidungsstücken, nur mit einem Schuhe bekleidet, während von dem andern verwundeten und blutenden Fuße der Strumpf herabgerissen war, befand sich in einer todtenähnlichen Ohnmacht auf zwei Stühlen liegend. Der Ausdruck des verachteten Geschlechtes lag auf ihrem Gesichte, aber jeder Umstehende fühlte unwillkührlich die rührende, traurige Schönheit desselben, während die steinerne Schärfe, der kalte, starre, todtenähnliche Anblick einen feierlichen Schauer über Jeden ausgossen. Mr. Bird hielt den Athem an und stand schweigend da. Seine Frau und deren einzige farbige Dienerin, die alte Tante Dinah, waren eifrigst bemüht, wiederbelebende Mittel zur Anwendung zu bringen, während der alte Cudjoe den Knaben auf seinem Schooße hielt, ihm die Schuhe und Strümpfe auszog und die kalten kleinen Füße zu erwärmen versuchte.

„Nu sicher, ist's nicht ein schrecklicher Anblick zu sehen!“ sagte die alte Dinah mitleidig; „'s scheint, sie ist von der Hitze ohnmächtig geworden. Sie war ziemlich munter als sie hereinkam, und fragte, ob sie sich hier ein Bißchen wärmen könnte; und ich wollte sie just fragen, wo sie her käme, als sie gradezu ohnmächtig niederfiel. Hat nie viel harte Arbeit gethan, vermuthe, nach ihren Händen.“

„Armes Wesen!“ sagte Mrs. Bird mitleidig, während das Frauenzimmer langsam ihre großen, schwarzen Augen aufschlug, und gedankenlos um sich schaute. Plötzlich fuhr ein schmerzhafter Zug über ihr Gesicht, und sie sprang auf mit den Worten: „O mein Harry! Haben sie ihn?“

Der Knabe, als er dies hörte, sprang von Cudjoe's Schooß, und lief an ihre Seite, indem er seine Arme zu ihr hinaufstreckte. „O, da ist er! da ist er!“ rief sie.

„O Madame,“ fuhr sie in wilder Aufregung fort, „ich bitte Sie, beschützen Sie uns! lassen Sie sie ihn mir nicht nehmen!“

„Niemand soll Dir hier ein Leid zufügen, armes Weib,“ sagte Mrs. Bird, ihr Muth einflößend. „Du bist hier sicher; fürchte nichts.“

„Gott segne Sie!“ sagte das Weib schluchzend und ihr Gesicht bedeckend, während der Knabe, als er seine Mutter weinen sah, auf ihren Schooß zu steigen versuchte.

Durch manche sanfte, weibliche Zusprache, die Niemand besser verstand als Mistreß Bird, wurde das arme Weib allmählig ruhiger. Ein einstweiliges Bett wurde für sie auf den Sitz am Feuer aufgeschlagen; und nach kurzer Zeit fiel sie mit dem Kinde in einen festen Schlaf, welches, nicht weniger ermüdet, ebenfalls in tiefen Schlummer versank, während sie es in ihrem Arme hielt; denn die Mutter widerstand mit fieberhafter Angst jedem, auch dem freundlichsten Versuche, es ihr abzunehmen, und selbst während des Schlafes preßte sich ihr Arm mit krampfhaftem Drucke um dasselbe, als könne sie selbst dann nicht in ihrer wachsamen Hut betrogen werden.

Mr. und Mistreß Bird waren nach ihrem Zimmer zurückgegangen, wo, so sonderbar es erscheinen mag, von keiner Seite irgend eine Erwähnung der vorangegangenen Unterhaltung gemacht wurde, indem Mrs. Bird eifrig zu stricken begann, und Mr. Bird sich den Anschein gab, als lese er die Zeitungen.

„Ich möchte wissen, wer und was sie ist!“ sagte endlich Mr. Bird, das Blatt niederlegend.

„Wenn sie aufwacht und sich erholt hat, können wir es hören,“ entgegnete Mrs. Bird.

„Höre, Frau!“ sagte Mr. Bird, nachdem er wieder eine Weile über seinen Zeitungen gebrütet hatte.

„Was, lieber Mann?“

„Sie könnte wohl keins von Deinen Kleidern tragen, wenn Du einen Saum ausließest, oder so etwas? Sie scheint etwas größer zu sein als Du.“

Ein stilles Lächeln schimmerte über Mistreß Bird's Gesicht, während sie antwortete: „Wir wollen sehen.“

Nach einer neuen Pause brach Mr. Bird von Neuem hervor: „höre Frau!“

„Was denn nun?“

„Sieh, da ist der alte Mantel von Bombasin, den Du besonders aufhebst, um ihn über mich zu breiten, wenn ich mein Nachmittagsschläfchen mache, – den könntest Du ihr wohl geben, – sie braucht neue Kleidung.“

In diesem Augenblicke schaute Dinah in die Thür mit der Anzeige, daß die Frau erwacht sei, und Missis zu sehen wünsche.

Mr. und Mistreß Bird gingen nach der Küche, von ihren beiden ältesten Söhnen gefolgt, während die jüngere Brut vorher schon in ihre Betten sicher niedergelegt worden war.

Die Frau saß jetzt aufrecht auf dem Sitze am Feuer, unverwandt in die Gluth mit einem ruhigen, schmerzlichen Ausdrucke schauend, der von ihrer vorherigen, wilden Aufregung sehr verschieden war.

„Hast Du nach mir verlangt?“ sagte Mrs. Bird in sanften Tönen. „Ich hoffe, Du fühlst Dich jetzt wohler, arme Frau.“

Ein tiefer, bebender Seufzer war die einzige Antwort; aber sie schlug ihre dunklen Augen auf, und heftete sie auf die Fragende mit einem so trostlosen, flehenden Blicke, daß der kleinen Frau augenblicklich die Thränen in die Augen traten.

„Du brauchst Dich nicht zu fürchten, wir sind Freunde hier, arme Frau! Sage mir, woher Du kommst, und was Du willst?“ sagte sie.

„Ich kam von Kentucky,“ entgegnete die Frau.

„Wann?“ fragte Mr. Bird, das Verhör fortsetzend.

„Diesen Abend.“

„Auf welche Weise kamst Du herüber?“

„Ich ging über das Eis.“

„Ueber das Eis?“ wiederholten alle Umstehenden.

„Ja,“ entgegnete die Frau langsam. „Gott half mir, und ich ging über das Eis; denn Jene waren hinter mir, – dicht hinter mir, – und es gab keinen andern Weg!“

„O Herr!“ rief Cudjoe, „Missis, das Eis ist lauter Stücke und Blöcke, – geht auf und nieder in dem Wasser!“

„Ich wußte das, – ich wußte es!“ sagte sie wieder mit lebhafter Aufregung; – „aber ich that es! Ich hätte nicht gedacht, daß ich's könnte, – ich dachte nicht, daß ich hinüber kommen würde, aber 's war mir gleich! ich konnte nur sterben, wenn's nicht gelang. Der Herr half mir; – o Niemand weiß, wie groß die Hülfe des Herrn ist, bis er's versucht,“ sagte die Frau mit flammendem Auge.

„Warst Du Sklavin?“ fragte Mr. Bird.

„Ja, Herr, ich gehörte einem Manne in Kentucky.“

„War er hart gegen Dich?“

„Nein, Herr, er war ein guter Herr.“

„Oder war Deine Mistreß hart gegen Dich?“

„Nein, o nein! meine Mistreß war immer gut gegen mich.“

„Was hat Dich denn aber veranlaßt, eine gute Heimath zu verlassen, und davon zu laufen, um Dich solchen Gefahren auszusetzen?“

Die Frau schaute auf zu Mrs. Bird mit einem scharfen, forschenden Blicke, und es entging ihr nicht, daß diese in tiefe Trauer gekleidet war.

„Madame,“ sagte sie plötzlich, „haben Sie jemals ein Kind verloren?“

Die Frage kam unerwartet, und war ein Stoß auf eine frische Wunde; denn erst einen Monat zuvor war ein Lieblingskind der Familie in's Grab gelegt worden.

Mr. Bird wandte sich um und ging an's Fenster, und Mrs. Bird brach in Thränen aus; aber ihre Stimme wieder sammelnd, sagte sie:

„Warum fragst Du mich das? – ja, ich habe ein Kind verloren.“

„Dann werden Sie für mich empfinden. Ich habe zwei verloren, eins nach dem andern, – ich ließ dort ihre Gräber zurück, als ich fortging, – und hatte nur dieses Eine noch. Ich schlief nie eine Nacht ohne ihn; er war Alles, was ich besaß. Er war mein Trost und mein Stolz, Tag und Nacht! und, Madame, sie wollten ihn mir nehmen, – ihn verkaufen – verkaufen nach Süden hinunter, – das Kind, das noch nie in seinem Leben seine Mutter verlassen hatte! – Ich konnt' es nicht tragen, Madame. Ich wußte, daß ich nie wieder zu etwas tauglich sein würde, wenn sie es thaten; und als ich deßhalb wußte, daß die Papiere unterzeichnet waren, und daß er verkauft war, nahm ich ihn und entfloh in der Nacht; und sie verfolgten mich, – der Mann, der ihn gekauft hatte, und einige andre von Masters Leuten, – und sie kamen dicht hinter mir, und ich hörte sie. Da sprang ich auf's Eis, – und wie ich hinüber kam, weiß ich nicht, – das Erste, was ich mich besinnen kann, war, daß mir ein Mann das Ufer hinauf half.“

Das Weib schluchzte nicht und weinte nicht; es war bis zu einem Stadium gelangt, wo Thränen versiegen. Aber alle Umstehenden verriethen, je nach der ihnen eigenthümlichen Weise, das innigste Mitgefühl.

Die beiden kleinen Knaben, nachdem sie verzweiflungsvoll ihre Taschen nach jenen Tüchern durchsucht hatten, von denen Mütter wissen, daß sie dort nie zu finden sind, hatten ihre Gesichter in die Falten des mütterlichen Kleides gesteckt und schluchzten und wischten sich die Augen und Nase nach Herzenslust. Mrs. Bird verbarg ihr Gesicht vollständig im Taschentuche; und die alte Dinah, über deren schwarzes, ehrliches Gesicht die Thränen hinab strömten, rief wiederholt, und mit all' der Inbrunst einer Brüderversammlung: „O Herr! sei uns gnädig!“ während der alte Cudjoe, seine Augen heftig mit dem Rockärmel reibend und die seltsamsten und verschiedenartigsten Gesichter dabei schneidend, zuweilen aus demselben Schlüssel, und mit großer Inbrunst, antwortete. Unser Senator war ein Staatsmann, und konnte deshalb nicht, wie andre Sterbliche, weinen; und deshalb wandte er der ganzen Gesellschaft den Rücken, und sah zum Fenster hinaus, und schien besonders bemüht seine Kehle zu reinigen, und seine Augengläser abzuwischen, wobei er sich zuweilen in einer Weise ausschnaubte, die Verdacht hätte erregen können, wenn Jemand im Stande gewesen wäre, ihn genau zu beobachten.

„Wie kamst Du dazu, mir zu sagen, daß Du einen guten Herrn gehabt habest?“ rief plötzlich Mr. Bird, indem er gewaltsam etwas hinunter schluckte, was ihm in der Kehle aufstieg, und sich plötzlich nach der Frau umwandte.

„Weil er wirklich ein guter Herr war; ich werde das immer von ihm sagen; – und meine Missis war gut; – aber sie konnten sich nicht anders helfen. Sie waren Geld schuldig, und auf eine oder die andre Weise, – ich kann nicht sagen, wie, – war es geschehen, daß ein Mann sie in seine Gewalt bekommen hatte, und daß sie ihm seinen Willen thun mußten. Ich horchte, und hörte, wie er dies zu Missis sagte, und wie sie für mich bat und stritt, – und er sagte, daß er sich nicht helfen könne, und daß die Papiere schon alle unterschrieben wären; – und dann nahm ich mein Kind, und verließ meine Heimath, und floh. Ich wußte, es wäre ganz fruchtlos gewesen, wenn ich hätte versuchen wollen zu leben, nachdem sie 's gethan hätten, – denn dies Kind ist Alles, was ich habe!“

„Hast Du keinen Mann?“

„Ja, aber er gehört einem anderen Herrn. Sein Master ist sehr hart gegen ihn, und will ihn nie ausgehen lassen, um mich zu sehen; und er ist immer schlimmer gegen uns geworden, und hat ihm gedroht, ihn nach Süden zu verkaufen – ich werde ihn wohl nie wieder sehen!“

Der ruhige Ton, in welchem die Frau diese Worte sagte, hätte einen oberflächlichen Beobachter verleiten können zu glauben, daß sie sich in vollständiger Apathie befinde; aber aus ihrem großen dunklen Auge sprach ein stummer, tiefer Schmerz, der einen ganz andern Gemüthszustand verrieth.

„Und wohin willst Du denn gehen, meine gute Frau?“ fragte Mistreß Bird.

„Nach Canada; – wenn ich nur wüßte, wo es wäre. Ist es sehr weit von hier, – Canada?“ sagte sie, mit einfachem, vertrauungsvollem Blicke zu Mrs. Bird aufschauend.

„Armes Wesen!“ sagte Mrs. Bird unwillkührlich.

„Ist es sehr weit von hier, – glauben Sie?“ fragte die Frau eifriger.

„Viel weiter, als Du glaubst, armes Kind!“ sagte Mrs. Bird; „aber wir wollen versuchen und sehen was sich für Dich thun läßt. Hier, Dinah, schlage ihr ein Bett auf in Deinem eignen Zimmer, dicht bei der Küche, und ich will überlegen was morgen früh für sie gethan werden kann. Inzwischen fürchte nichts, liebe Frau; setze Dein Vertrauen auf Gott, er wird Dich beschützen.“

Mrs. Bird und ihr Mann kehrten in das Zimmer zurück. Sie setzte sich in ihren kleinen Wiegenstuhl vor das Feuer und schaukelte sich gedankenvoll hin und her, während Mr. Bird im Zimmer auf und ab schritt, und vor sich hin murmelte: „Puh! pah! fatale, verdammte Geschichte!“ Endlich, zu seiner Frau heran tretend, sagte er:

„Höre, Frau, sie wird von hier fort müssen, heute Nacht noch. Der Kerl wird ihr nach sein auf der Spur und wird morgen früh bei guter Zeit hier sein. Wenn's das Weib allein wäre, so könnte sie ruhig liegen bleiben, bis Alles vorüber ist; aber der kleine Bengel wird nicht still sein können, wenn da ein Trupp Pferde und Menschen ankommt; er wird uns alle verrathen, indem er den Kopf durch irgend ein Fenster oder eine Thür steckt. 'S wär' ein schönes Gericht Fische für mich, wenn Beide gerade jetzt hier gefangen würden! Nein, sie müssen diese Nacht noch fort.“

„Diese Nacht! Wie ist das möglich? – Wohin denn?“

„Gut, ich weiß schon, wohin,“ sagte der Senator, indem er mit nachdenkender Miene anfing, seine Stiefel anzuziehen, und dann innehaltend, als sein Bein halb hinein war, sein Knie mit beiden Armen umschlang und sich in tiefstes Nachsinnen zu verlieren schien.

„'S ist eine verdammte, fatale Geschichte,“ sagte er endlich, seinen Stiefel von Neuem anziehend, „das ist gewiß!“ Als der eine Stiefel glücklich angezogen war, saß der Senator mit dem andern in der Hand da und schien die Figuren des Teppichs gründlich zu studiren. „Aber 's muß doch geschehen, sehe keinen andern Weg, – häng' die ganze Geschichte!“ und er zog den andern Stiefel hastig an und schaute zum Fenster hinaus.

Mrs. Bird war eine sehr discrete kleine Frau, – eine Frau, die nie zu ihrem Manne sagte: ich hab's Dir vorher gesagt! und bei der gegenwärtigen Gelegenheit, obgleich sie recht wohl errieth, welche Richtung die Gedanken ihres Mannes nahmen, hütete sie sich weislich, in dieselben einzugreifen, sondern saß ganz ruhig in ihrem Stuhle und schien ganz vorbereitet, die Beschlüsse ihres Herrn und Gemahls zu hören, sobald er für gut befinden sollte, dieselben zu äußern.

„Siehst Du,“ sagte er, „da ist mein alter Freund, Van Trompe, der von Kentucky herüber gekommen ist und alle seine Sklaven frei gelassen hat, – er hat einen Platz gekauft, etwa sieben Meilen weit die Bucht hinauf, tief in der Waldung drin, wo Niemand hinkommt, ausgenommen, wenn er absichtlich hingeht; – und es ist ein Ort, der nicht leicht ausgefunden wird. Da ist sie sicher genug; aber das Uebel ist, daß Niemand mit einem Wagen diese Nacht dahin fahren kann, als ich selbst.“

„Warum denn nicht? Cudjoe ist ein vortrefflicher Fuhrmann.“

„Ganz gut, aber hier, das ist die Sache. Man muß zweimal über die Bucht fahren, und die zweite Ueberfahrt ist sehr gefährlich, wenn man die Richtung nicht genau kennt. Ich bin hundertmal durchgeritten, und kenne ganz genau alle Wendungen, die ich zu nehmen habe. Also Du siehst, da hilft nichts. Cudjoe muß die Pferde, ungefähr um zwölf Uhr, so still wie möglich anspannen, und ich will sie hinüber bringen; und dann, um der Sache einen Anschein zu geben, muß er mich bis an das nächste Wirthshaus bringen, um mit der Post nach Columbus weiter fahren zu können, die ungefähr zwischen drei und vier Uhr dort ankommt, und so hat es dann den Schein, als wenn ich den Wagen blos zu diesem Zwecke genommen hätte. Ich werde morgen früh recht zeitig in meinen Geschäften sein, aber ich glaube, ich werde nicht viel nütze sein nach alle dem, was gesprochen und gethan worden ist; aber, zum Henker, ich kann nicht anders!“

„Dein Herz ist in diesem Falle besser, als Dein Kopf, John,“ sagte seine Frau, ihre kleine weiße Hand in die seinige legend. „Hätte ich Dich je lieben können, wenn ich Dich nicht besser gekannt hätte, als Du Dich selbst?“ Und die kleine Frau sah bei diesen Worten so hübsch aus, während Thränen in ihren Augen glänzten, daß der Senator dachte, er müsse ganz entschieden ein außerordentlicher Mensch sein, um ein so hübsches Wesen in eine so leidenschaftliche Bewunderung für ihn versetzen zu können; und was konnte er unter diesen Umständen also anderes thun, als gelassen fortgehen, um nach dem Wagen zu sehen. An der Thür hielt er jedoch einen Augenblick an, und kam dann zurück, indem er zaudernd sagte:

„Marie, ich weiß nicht, wie Du darüber denkst, – aber da ist die Kommode voll von Sachen von – von – unsrem armen kleinen Henry.“ So sagend wandte er sich schnell um und schloß die Thür hinter sich.

Die Frau öffnete eine nach einem kleinen Schlafgemach führende Thür, welches dicht neben dem Wohnzimmer belegen war, setzte ein Licht auf ein darin befindliches Bureau, und nahm einen Schlüssel aus einem kleinen Kästchen hervor, den sie gedankenvoll in das Schloß eines unterhalb befindlichen Schubkastens schob, und hielt dann plötzlich inne, während zwei Knaben, welche kinderähnlich ihren Tritten gefolgt waren, hinter ihr standen und ihre Mutter schweigend und mit bedeutsamen Blicken betrachteten. Und o Mutter, die Du dieses liesest, ist in Deinem Hause nie ein Kästchen oder irgend ein Behältniß gewesen, dessen Oeffnen für Dich wie das Wiederöffnen eines kleinen Grabes war? O glückliche Mutter, die Du das nie erfahren hast.

Mrs. Bird öffnete den Schubkasten langsam. Es lagen darin kleine Röckchen von verschiedener Form, Stöße von Hemdchen und Reihen von kleinen Strümpfchen, und aus den Falten eines Papieres blickten selbst ein Paar kleiner, getragener Schuhe mit abgeriebenen Fußspitzen hervor. Ein hölzernes Pferdchen und ein Wagen, ein Kreisel und ein Ball lagen darin, – alles Angedenken, die mit mancher Thräne und dem bittersten Schmerze gesammelt worden waren! Sie setzte sich nieder an den Kasten, lehnte ihr Haupt in ihre Hände, und weinte, bis die Thränen durch ihre Finger in den Kasten niederfielen; dann plötzlich sich aufrichtend, begann sie mit ängstlicher Eile die einfachsten und dauerhaftesten Stücke auszusuchen und sie in ein Bündel zu sammeln.

„Mamma,“ sagte der eine Knabe, ihren Arm sanft berührend, „willst Du denn diese Sachen fortgeben?“

„Meine lieben Kinder,“ entgegnete sie sanft und ernst, „wenn unser lieber kleiner Henry vom Himmel herabblickt, so wird er sich freuen, daß wir dieß thun. Mein Herz hätte sich nie dazu verstehen können, sie an eine gewöhnliche Person fort zu geben, aber ich gebe sie einer Mutter, deren Herz noch mehr gebrochen und noch kummervoller als das meinige ist, und ich hoffe, Gott wird ihnen seinen Segen mit geben!“

Es gibt in dieser Welt besonders gesegnete Seelen, aus deren Kummer Freuden für Andere entsprießen; deren irdische Hoffnungen, wenn sie mit vielen Thränen ins Grab gelegt worden sind, der Same zu heilenden Blumen und zu Balsam für Leidende und Trostlose werden. Und zu diesen gehörte die zarte Frau, die jetzt mit der Lampe dort sitzt und aus deren Augen langsame Thränen fallen, während sie die Angedenken ihres eignen verlorenen Kindes für die ausgestoßene Heimathlose sammelt.

Nach einiger Zeit öffnete Mrs. Bird einen Kleiderschrank, nahm ein oder zwei einfache, brauchbare Kleider heraus, setzte sich an ihrem Arbeitstische mit Nadel, Scheere und Fingerhut nieder, und begann schweigend den ihr von ihrem Manne empfohlenen Proceß des „Auslassens,“ und fuhr emsig damit fort, bis die alte Uhr in der Ecke des Zimmers zwölf schlug und sie ein leises Rasseln der Räder vor der Thür hörte.

„Marie,“ sagte ihr Mann, mit dem Mantel auf dem Arme eintretend, „Du mußt sie nun aufwecken; wir müssen fort.“

Mrs. Bird legte schnell die verschiedenen, von ihr gesammelten Artikel in einen kleinen Mantelsack, bat ihren Mann, diesen in den Wagen bringen zu lassen und ging hinaus, um die Frau zu wecken. Bald darauf erschien diese, in einen Mantel gehüllt, mit Hut und Shawl, was Alles ihrer Wohlthäterin angehört hatte, in der Thür, ihr Kind auf dem Arme tragend. Mr. Bird drängte sie in den Wagen und Mrs. Bird folgte ihr bis an den Tritt desselben. Elisa lehnte sich hinaus und streckte ihre Hand aus, eine Hand, so sanft und schön wie die war, die als Erwiederung gereicht wurde. Sie heftete ihre großen, dunkeln Augen mit unbeschreiblichem Ausdrucke auf Mrs. Bird's Gesicht und schien sprechen zu wollen. Ihre Lippen bewegten sich, – sie versuchte ein, zweimal, aber kein Laut wurde hörbar, und indem sie endlich nur himmelwärts zeigte, mit einem nie zu vergessenden Blicke, sank sie in ihren Sitz zurück und bedeckte ihr Gesicht. Die Thür schloß sich und der Wagen fuhr fort.

Welche Lage war dies nun für einen patriotischen Senator, der die ganze Woche vorher den gesetzgebenden Körper seines Geburtslandes angeregt hatte, strengere Bestimmungen gegen flüchtige Sklaven und deren Helfer und Mitschuldige zu erlassen!

Unser guter Senator wurde in seinem Geburtsstaate von keinem seiner Brüder in Washington in Betreff derjenigen Beredsamkeit übertroffen, welche diesen unsterblichen Ruhm erworben hatte! Wie stolz er dort gesessen hatte, mit den Händen in der Tasche, während er die sentimentale Schwäche derjenigen bespöttelte, die die großen Staatsinteressen über das Wohl einiger elenden Flüchtlinge vergessen wollten! Er war kühn wie ein Löwe in dieser Sache, und „vollständig überzeugt“ davon, so wie jeder, der ihn hörte; allein seine Vorstellung von einem Flüchtlinge war lediglich eine Vorstellung, welche den Buchstaben, aus denen das Wort bestand, – oder höchstens der Abbildung irgend eines kleinen Zeitungsbildes entnommen war, welches einen Mann mit einem Stocke und Bündel darstellte und die Unterschrift trug: „dem Unterzeichneten entlaufen!“ Die zauberische Wirkung wirklichen Elends, – das flehende, menschliche Auge, die schwache, zitternde Hand, das verzweifelnde Flehen um Beistand, der hülflose Todesschmerz, – diese waren ihm fremd geblieben. Er hatte nie daran gedacht, daß ein Flüchtling eine unglückliche Mutter, ein wehrloses Kind sein könne, – gleich dem, das jetzt das wohlbekannte Mützchen seines kleinen verlorenen Henry trug, und da unser armer Senator weder von Stein noch von Stahl, sondern ein Mensch war, und dazu ein edelherziger, so muß Jeder sehen, daß er sich mit seinem Patriotismus in einer bösen Lage befand. Du brauchst nicht über ihn zu frohlocken, guter Bruder des Südens, denn wir haben Winke bekommen, daß Mancher von Euch unter ähnlichen Umständen nicht anders gehandelt haben würde. Wir haben Grund anzunehmen, daß in Kentucky sowohl wie in Mississippi edle, großmüthige Herzen schlagen, denen nie eine Schilderung menschlichen Leidens vergeblich gemacht worden ist. Also, guter Bruder, ist es billig, daß Du von uns Dienste erwartest, die Dein eigenes braves ehrenhaftes Herz Dir nicht zu leisten erlauben würde, wenn Du in unsrer Stelle wärest?

Dem sei, wie ihm wolle, wenn unser guter Senator ein politischer Sünder war, so befand er sich auf dem besten Wege, dafür eine nächtliche Buße zu thun. Es hatte seit längerer Zeit anhaltendes Regenwetter geherrscht und der weiche, fruchtbare Boden von Ohio ist, wie jedermann weiß, ganz besonders für die Fabrikation von Schlamm geeignet, – und der Weg war überdies ein Ohio'scher Bahnweg der guten, alten Zeit.

„O bitte, was für eine Art Weg mag dies sein?“ fragt irgend ein östlicher Reisender, der gewohnt ist, keine andern Ideen mit einem Bahnwege zu verbinden, als die der Ebenheit und Schnelligkeit.

So wisse denn, unschuldiger, östlicher Freund, daß in den gesegneten Regionen des Westens, wo der Koth von sublimer, unergründlicher Tiefe ist, Straßen von runden, rohen Scheiten gebaut werden, welche man dicht und quer über einander legt und sodann mit Erde, Rasen, oder was immer zur Hand sein mag, bewirft, – und dies nennt selbstzufrieden der Eingeborene einen Weg, und versucht sofort darauf zu fahren. Im Laufe der Zeit wäscht natürlich der Regen Rasen und Erde ab, und die Scheite verlieren ihre ursprüngliche Lage und nehmen allerhand malerische Stellungen an, auf und nieder und quer, mit verschieden Abgründen und Gleisen schwarzen Schlammes dazwischen.

Ein solcher Weg war es, welchen unser Senator jetzt stolpernd verfolgte, während er sich mit moralischen Betrachtungen in so ununterbrochener Weise beschäftigte, wie die Umstände es zuließen, indem der Lauf des Wagens etwa folgender Art war: – bump! bump! bump! platsch! nieder in den Schlamm! – Der Senator, die Frau und das Kind verändern ihre Sitze so plötzlich, daß sie ohne besondere Vorbereitung gegen die Fenster der Seite liegen. Der Wagen steckt fest, während Cudjoe außerhalb sehr laut mit den Pferden verhandelt.

Nach wiederholtem Anziehen und Reißen der Zügel, gerade in dem Augenblicke, wo der Senator alle seine Geduld verliert, hebt sich plötzlich der Wagen in Bogen, – die beiden Vorderräder gehen nieder in einen andern Abgrund, und der Senator, die Frau und das Kind, fallen in bunter Mischung auf den Vordersitz, – des Senators Hut ist ihm ohne alle Ceremonie bis über Augen und Nase hinunter gedrückt, und er hält sich für vollständig ausgelöscht; das Kind schreit, und Cudjoe hält außerhalb eine sehr lebhafte Anrede an die Pferde, welche toben und schlagen, und unter wiederholten Peitschenhieben die Stränge reißen. Der Wagen springt auf in einen neuen Bogen, – nieder gehen die Hinterräder, – und Senator, Frau und Kind fliegen zurück auf den Rücksitz, während die Ellbogen des Ersteren Elisa's Hut sehr unsanft berühren, und ihre beiden Füße sich in dem Hute des Senators eingeklemmt befinden, welcher ihm während des Stoßes vom Kopfe gefallen ist. Nach einigen Augenblicken hat der Wagen das Morastloch verlassen; – der Senator findet seinen Hut, die Frau bringt den ihrigen wieder in Ordnung, und beruhigt das Kind, und Alle bereiten sich auf eine Wiederholung vor.

Eine Zeit lang mischt sich nur das regelmäßige bump! bump! der Abwechselung halber, mit einigen Seitenstößen, und die Reisenden fangen an sich Glück zu wünschen, daß ihre Lage dennoch nicht so ganz schlimm ist; allein endlich, und zwar mit einem heftigen Stoße, daß Alle in die Höhe und dann mit unglaublicher Schnelligkeit in ihren Sitz zurückgeworfen werden, hält der Wagen plötzlich ganz still, und nach einer längeren und sehr lebhaften Bewegung außerhalb, erscheint endlich Cudjoe an der Wagenthür.

„Verzeihen Sie, Herr, 's ist mächtig dunkel hier; – weiß nicht, wie wir 'raus kommen sollen; – denke, wir müssen frische Gleise legen.“

Der Senator steigt verzweiflungsvoll aus, indem er vorsichtig mit dem einen Fuße nach einem festen Grunde sucht; – nieder fährt ein Fuß in eine bodenlose Tiefe, – er versucht ihn wieder herauszuziehen, allein er verliert das Gleichgewicht und fällt in den Schlamm, aus welchem er durch Cudjoe in einem höchst traurigen Zustande wieder hervorgezogen wird.

Aber wir wollen aus Mitleid für unsere Leser uns jeder weiteren Schilderung enthalten; genug, es war spät in der Nacht, als der Wagen endlich, triefend und mit Koth bedeckt, die Bucht verließ, und vor der Thür eines großen Farmgebäudes anhielt.

Es kostete nicht wenig Geduld und Ausdauer, die schlafenden Inwohner zu erwecken; aber endlich erschien der ehrenwerthe Besitzer und öffnete die Thür. Es war ein großer, struppiger Orson von Mann, volle sechs Fuß und einige Zoll hoch, und in ein rothwollenes Jagdhemde gekleidet. Eine ziemlich schwere Decke rothen Haares, in einem entschieden ungekämmten Zustande, und ein mehrere Tage alter Bart, verliehen dem Ehrenmanne ein, im gelindesten Ausdrucke, nicht sehr einnehmendes Aeußere. Er stand einige Minuten lang, das Licht hoch erhoben haltend, stumm da, und schaute unsere Reisenden mit einer finsteren, mystischen Miene an, die wirklich komisch war. Unser Senator hatte einige Mühe, ihm das ganze Sachverhältniß vollkommen deutlich zu machen; und während der gute Mann sein Bestes thut, es gehörig aufzufassen, wollen wir unsere Leser etwas näher mit ihm bekannt machen.

Der brave, alte John Van Trompe war früher ein sehr bedeutender Land- und Sklavenbesitzer im Staate Kentucky. Da er nichts weiter zu tragen hatte, als seine eigene Haut, und da er von Natur ein großes, gutes, gerechtes Herz besaß, welches im richtigsten Verhältniß mit seinem gigantischen Körper stand, so hatte er schon seit längeren Jahren mit Mißbehagen die Wirkungen eines für den Unterdrücker und den Unterdrückten gleich nachtheiligen Systems beobachtet. Eines Tages endlich, begann John's großes, gutes Herz zu sehr zu schwellen um seine Fesseln länger tragen zu können; und so nahm er sein Taschenbuch aus seinem Schreibtische hervor, und ging hinüber nach Ohio, und kaufte ein Viertel eines ganzen Stadtgebietes, üppiges Land, fertigte Freilassungsscheine für alle seine Sklaven aus, – Männer, Weiber und Kinder, packte sie auf Wagen, und sandte sie fort, um sich dort niederzulassen; und dann wandte sich Ehren John der Bucht zu, und ließ sich auf einer kleinen, abgelegenen Farm nieder, um sich seines Bewußtseins und seiner Betrachtungen zu freuen.

„Seid Ihr der Mann, der ein armes Weib und ein Kind aufnehmen will, um sie nicht den Sklavenhäschern in die Hände fallen zu lassen?“ sagte der Senator mit Nachdruck.

„Denke schon, daß ich's bin,“ entgegnete Ehren John mit demselben Nachdrucke.

„Ich dachte so,“ sagte der Senator.

„Wenn Jemand kommen solle,“ sagte der gute Mann, seine große, muskulöse Figur aufrichtend, „na, so will ich ihn empfangen; habe auch sieben Söhne, jeder sechs Fuß hoch, die für ihn bereit sind. Bestellt ihm nur mein Compliment,“ fügte John hinzu, „und sagt ihm nur, 's komme gar nicht drauf an, wie bald er komme, – macht gar keinen Unterschied,“ sagte John, durch seine struppigen Haare fahrend, und in lautes Lachen ausbrechend.

Matt, ermüdet und gebrochen, schleppte sich Elisa bis an die Thür, während ihr Kind in festem Schlafe auf ihrem Arme lag. Der rauhe Mann hielt das Licht vor ihr Gesicht, und indem er dann eine Art mitleidigen Grunzens ausstieß, öffnete er die Thür eines kleinen Schlafzimmers, welches neben der großen Küche lag, in der sie standen, und bedeutete sie, da hinein zu gehen. Er holte ein Talglicht, zündete es an, setzte es auf den Tisch, und wendete sich dann an Elisa.

„Brauchst Dich hier nicht zu fürchten, mein Wort, laß kommen wer will. Bin fertig für alles das,“ sagte er, auf einige handfeste Gewehre deutend, die über dem Kamine hingen: – „und die Meisten, die mich kennen, wissen, daß es nicht gut gethan ist, Einen aus meinem Hause wegzuholen, so lange ich drin bin. Also nun, lege Dich hin und schlafe, so ruhig als wenn Dich Deine Mutter wiegte,“ sagte er, während er die Thür zumachte.

„Das ist ein ungewöhnlich hübsches Weibsbild,“ sagte er dann zu dem Senator. „Ja, ja, die Hübschen haben die größte Gefahr auszustehen, oft, wenn sie ein Bißchen Gefühl haben, wie ordentliche Frauenzimmer haben sollen. Kenne das alles.“

Der Senator theilte ihm kurz, in wenigen Worten, Elisa's Geschichte mit.

„O! o! sieh Einer!“ sagte der gute Mann mitleidig; „nun ja! das ist natürlich, versteht sich, armes Wesen! – gehetzt wie ein Thier, grade deshalb, weil sie natürliche Gefühle hat, und das thut, was keine Mutter anders kann. Ich sage Euch, diese Dinge hätten mich beinahe zum Fluchen gebracht, – zu wer weiß was,“ sagte der ehrliche John, während er seine Augen mit der Kehrseite seiner großen, fleckigen Hand wischte. „Ich sage Euch, Mann, es hat Jahre und Jahre gedauert, daß ich nicht in die Kirche ging, weil die Geistlichen da in unsrer ganzen Gegend predigten, daß die Bibel alle diese Schändlichkeiten gut heiße, – und ich konnte nicht mit ihnen fertig werden, mit ihrem Griechisch und Ebräisch, und so ließ ich sie hinter mir, Bibel und Alles. Bin nie in der Kirche gewesen, bis ich einen Pfarrer fand, der 's Alles verstand, Griechisch und Alles, und der grade das Gegentheil sagte; und dann hielt ich fest dran, und ging in die Kirche, – so ist's,“ sagte John, der inzwischen emsig beschäftigt gewesen war, einige vortreffliche Flaschen Cider zu öffnen, die er nunmehr, bei dieser Pause, seinem Gaste offerirte.

„Solltet nun grade hier bleiben, bis es Tag wird,“ sagte er in herzlichem Tone; „ich will meine alte Frau wecken, und Ihr sollt ein Bett im Nu fertig haben.“

„Ich danke Euch, mein guter Freund,“ sagte der Senator, „ich muß fort, um die Nachtpost nach Columbus zu treffen.“

„So, nun, wenn Ihr müßt, so will ich Euch ein Stück begleiten, und Euch einen Richteweg zeigen, der Euch besser hinbringen wird, als der, auf dem Ihr kamt. Das ist ein bitter böser Weg.“

John zog sich an, und war bald fertig, mit einer Laterne in der Hand, um des Senators Wagen einen Hohlweg hinab zu führen, der hinter seinem Hause hinlief. Als sie von einander schieden, drückte der Senator ihm einen Zehndollarschein in die Hand.

„Das ist für sie,“ sagte er kurz.

„Ja, ja,“ entgegnete John mit ähnlicher Kürze.

Beide reichten sich die Hand, und schieden.

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