BÜRGERKRIEG

Den ganzen Tag hatte man in den Strassen gekämpft. Das Kaisertum war gestürzt worden. Einige von den Siegern hatten einen kaiserlichen Polizisten zu fassen bekommen, geschwärzt von Pulverrauch, mit blutbesudelten Kleidern.

Er hatte sich bis zum äussersten verteidigt.

»Wir kennen ihn – er hat auf uns geschossen!« schrieen mehrere Weiber.

»Er soll sterben!« sagten die Männer.

Immer mehr kamen herzu, packten ihn beim Kragen und schleppten ihn fort.

»Wohin?« frugen ein paar Stimmen.

»Nicht dorthin!« antworteten andere, »weiter!«

»Nach der Bastille!«

»Nein! Nach dem Arsenal!«

»Wohin ihr wollt!« sagte der Mann stolz.

Alle umheulten ihn. Man schritt weiter … über Gefallene weg, welchen vielleicht er, den sie in ihrer Mitte dahinschleppten, das Lebenslicht ausgeblasen hatte.

Vorwärts wogte der Haufen.

Furchtbar ist das Volk, wenn es zum Sturm sich erhebt.

Je schlimmer sie dem Manne zusetzten, desto verächtlicher sah er auf sie herab.

Gott, wie er hasste, wie er gehasst wurde!

Hätte er gesiegt, er hätte sie alle miteinander niedergeknallt!

»Nun ist er es, der sterben muss!« jubelte es um ihn. »Eben stand er noch hier und schoss auf uns! Sterben sollst du, Verräter!«

Nie wohl hatte einer weniger Angst vor dem Tode, nie wohl hatte ihm einer ruhiger ins Auge gesehen als er, der stolz und stark dahinschritt.

Da geschah etwas.

»Das ist ja der Vater!« rief eine Kinderstimme durch den Lärm, und alle schauten auf und sahen einen kleinen Jungen von sechs Jahren, der von zwei kräftigen Armen über die ganze Horde emporgehoben wurde. Wie wenn ein greller Lichtstrahl ins Dunkel gefallen wäre! Und dann hing er auch schon um Vaters Hals, seine beiden Ärmchen schlossen sich zusammen, als ob sie den Vater nie mehr loslassen, als ob sie ihn gegen die ganze Welt verteidigen wollten.

»Warum sollen wir so weit laufen?« fragten jene, die weiter hinten waren und nichts sehen konnten. Und sie brüllten: »Erschiesst ihn doch gleich hier!«

Aus der Ferne dröhnten Kanonenschüsse, und von allen Seiten scholl das Geläute der Sturmglocken.

»Worauf wartet ihr noch?« schrie es wieder.

Da weinte das Kind. Deutlich durch all den Lärm konnte man sein Weinen hören. Und solange man es hörte, verstummten die Rufe.

Die zunächst gingen, sahen die Tränen fallen, so dicht, so dicht, sie sahen, wie leichenblass das Kind war.

»Es ist ein schönes Kind,« sagte ein Weib.

»Wie alt bist du denn, Kleiner?« frug eine andere Frau.

»O, tut dem Vater nichts!« antwortete bittend das Kind.

Da war einer und wieder einer, die konnten das nicht aushalten; sie gingen zwar noch weiter mit, aber sie schauten vor sich nieder.

Die Männer, die den Vater am Kragen gepackt hatten, hielten ihn nicht mehr so fest. Aber einer in ihrer Nähe nahm sich zusammen und rief mit erzwungener Strenge: »Schafft das Kind zu seiner Mutter!«

»Es hat keine Mutter mehr!« erwiderte der Vater.

Nun war auch er nachdenklich geworden.

»Geh zur alten Kathrine,« sagte er zu dem Jungen, »die wird sicher gut zu dir sein!«

»Ja – aber du musst mitgehn!« …

»Es ist wohl am besten, ihr tut so, als wenn ihr mich losliesset, sonst – geht es nicht!« raunte der Gefangene den beiden zu, die ihn am Kragen hielten.

Und da liess der eine los … und dann auch der andere … und sie gingen dann bald ihrer Wege …

»Nun siehst du, dass ich frei bin,« sagte der Vater zu dem Knaben. »Und morgen komm' ich zu dir …«

»Nein, du sollst jetzt gleich mitkommen!« sagte das Kind, und klammerte sich fest, ach, so fest.

Rundum begannen die Leute leise miteinander zu sprechen … Weiber … Männer … Nur ganz hinten brüllte und sang man noch …

Der Gefangene schritt vorwärts mit dem Knaben am Halse. Aber die um ihn waren, richteten es so ein, dass er mehr und mehr seitwärts gehen musste, dichter und dichter an der Häuserwand der Strasse entlang …

Mit einem Mal war er verschwunden …

Hinten im Haufen wurde gesungen und gejohlt – die vordersten aber gingen weiter … sachte weiter … einer hierhin … einer dorthin …

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