DIE ROSE DER INFANTIN

Sie war ganz klein. Eine Hofmeisterin war bei ihr. Sie hielt eine Rose in der Hand und schaute über das ungeheure Marmorbassin. Pinien standen in der Runde und riesige Birken. Jetzt, im ersten Abenddämmern, schatteten sie auf das Wasser. Tiefer im Park lag ein grosses Schloss. Unter den Bäumen blinkten murmelnde Quellen. Eine Hirschkuh trank daraus. Pfauen stolzierten umher mit ausgebreiteten Sternschwingen.

Auf der einen Seite des Marmorbeckens war der Rasen ganz übersät von Rubinen und Diamanten. Das machten die marmornen Delphine. Die spieen weite Wasserstrahlen gegen den Wind.

Auf der anderen Seite sass die Kleine. Aus Genueser Spitzen trug sie einen Kragen. Eine Arabeske lief um ihr Seidenkleid, durchbrochen von Stickereien aus Florentiner Goldfäden.

Die Rose war voll und offen. Das Händchen des Kindes umschloss den Stiel, und wenn es das Näschen in die Blüte hineinsteckte, um den Duft zu atmen, so verbarg sich darin das halbe Gesichtchen der königlichen Rosenknospe. Und niemand vermochte die Wangen der Kleinen von dem Rosenkelch zu unterscheiden. Blau war ihr Auge, und die braunen Wimpern machten es noch tiefer blau. Schön war das Kind, und zart wie ein Duft.

Und es sass im Lenz, im Licht, auf dem Rasen so feierlich wie eine Königin auf ihrem Thron. Die Kleine wusste, wer sie war. Sie hatte niemals die Menschen anders als mit krummen Rücken gesehen. Sie sollte eines Tages Herzogin von Brabant werden, Flandern regieren oder über Sardinien herrschen. Sie war Infantin von Spanien, und fünf Jahre alt. Sie sass und sog den Duft der Rose, darauf wartend, dass jemand für sie ein Königreich pflücken möchte.

Ihr Auge ist schon königlich. »Ist das nicht mein?« sagt sie, und zeigt mit dem Fingerchen herum. – »Ja, Hoheit!« – »Das auch?« – »Das auch, Hoheit!« – »Und das da auch?« – »Auch das, Hoheit!« – »Alles zusammen ist mein?« – »Alles zusammen, Hoheit!«

Falls jemand ohne königliche Erlaubnis sie berühren würde, und wäre es auch nur, um ihr zu helfen, denn sie ist so zart und klein, dem läge schon, bevor er nur ein Wort hervorbrächte, der Schatten des Galgens über der Stirn. So befahl das Gesetz.

Das liebliche Kind hatte nichts anderes zu tun, als zu leben, mit einer Rose in der Hand, und den Himmel über sich, und unter sich die Blumen.

Der Tag ging zur Neige. Ein leises Flattern und Zwitschern kam von den Nestern rundum hernieder.

Die Abendsonne leuchtete purpurn durch die Bäume und auf nackte Marmorgöttinnen. Die standen um einen offenen Platz und zitterten im Ahnen der nächtlichen Kühle. Während das Kind mit dem Atem der Rose spielte, sass hinter den Fenstern des Schlosses jemand. Mitunter glitt ein Schatten von Fenster zu Fenster. Mitunter stand er stundenlang still. Ein Wesen, das nichts von all dem hier aussen bemerkte, nicht das Kind, nicht den Park, nicht das leise Geplätscher des Wassers. Auch nicht die Vögel, die sich im Nest just vor dem Fenster schnäbelten. Er presste die finstere Stirn gegen die Scheibe, bleich wie ein Gespenst. Wenn einer vorüberging und sah dorthin, so dachte der: entweder ist das der Tod, oder es ist der König.

Es war der König. Und alles, was sich in seinen abgrundtiefen Augen widerspiegelte, das sahen die Augen ganz gewiss nicht hier, nicht, so weit sie sehen konnten, das war weit, weit fort, auf dem offenen Ozean war es.

Er sah eine unendliche Flucht von weissen Segeln, ausgespannt gegen die Winde: die unüberwindliche Armada, von ihm ausgesandt, um Blitz und Donner über das Meer zu bringen nach England. Englands weisse Burg sah er auch – weit, weit fort hinter Nebelteppichen.

Philipp der Zweite war der Böse mit dem Schwert. Ein Grauen packte jeden schon, wenn er den Hofmeister des Königs sah.

Der Schrecken hatte Philipp gross gemacht, so gross, dass er einem Gotte glich. Sein finsterer, harter Wille bestimmte das Schicksal vieler Millionen. Er umklammerte Amerika und Indien, auf Afrika stellte er seinen Fuss, und der Herr war er in Europa. Nur England machte ihm Unruhe. Sein Mund war stumm. Sein rätselvoller Geist grübelte und hatte Gemeinschaft mit den Mächten der Nacht.

Immer kleidete er sich in Schwarz, als ginge er immer in Trauer. Er glich einer Sphinx, die sann und schwieg. Da er doch alles war, weshalb sollte er da noch sprechen? Keiner hat ihn je lächeln gesehn. Aber in seinen Augen war mitunter ein seltsames Feuer: das war der Widerschein von Scheiterhaufen, die er für Ketzer errichtete.

Wenn der König ganz still an irgend jemand dachte und dachte, so fühlte der es und sagte: mir geht es heute nicht gut.

Wenn der König betete, wollten manche es donnern gehört haben, und schauten aus dem Fenster, ob es blitzte …

Je länger er in Gedanken hinausstarrte auf das Meer nach der Armada, um so grösser wurde die Flotte. Er sah sie so, wie es seine Natur war, und er dachte: die Schiffe segeln in gleichen Reihen, mit gleichem Abstand zwischen den Reihen und zwischen den Schiffen. Eine endlose Folge von Quadraten also, Maschen in einem Fischernetz. Und jedes Schiff ein Maschenknoten. Das Netz schiebt sich meilenweit über das Meer hin, um England zu fangen.

Er sah nicht allein, er hörte; hörte Matrosen auf dem Deck laufen, hörte Kommandorufe, Bootsmannspfeifen, Trommelwirbel, – denn ein ganzes Heer war an Bord –, er sah Signale auf- und niedersteigen, er hörte das Krachen der Maste und Stangen, er hörte das Schlagen der Segel: klar zum Gefecht wurde gemacht. – Es war ein furchtbares Getöse auf dem Meer von dieser ungeheuren Kriegsflotte.

»Endlich werde ich das bleiche England fassen. Endlich hab' ich es in meiner Hand.«

Als Beit Cifresil, der Sohn von Abdallah-Beit, den tiefen Brunnen in Kairos grosser Moschee gegraben hatte, schrieb er an den Brunnenrand: »Der Himmel ist Gottes, mein ist die Erde.« Diese Sultansworte dachte jetzt Philipp …

Indessen sitzt die kleine ernste Prinzessin noch immer bei dem Marmorbecken und hält ihre Rose in der Hand. Plötzlich saust ein Wirbelwind durch den Park, wie so oft bei Sonnenuntergang. Das rauscht durch die mächtigen Bäume, Wellen schlagen aus dem Wasserbassin, die Gräser beben, die Myrten erschrecken, der Wirbel rast gegen das ruhige Kind, und wie mit einem heftigen Flügelschlag, so stark, dass die Baumkronen über dem Kinde sich biegen, reisst er aus der Kinderhand alle, alle Blätter der Rose und streut sie wild über das Wasser. Nur den Stiel hält die Kleine noch. Zu dem Marmorbecken beugt sie sich nieder und starrt auf die Wellen. Die ganze Rose, alle Blätter schwimmen dort, und das Wasser ist schwarz und böse. Und es wirft die Rosenblätter hin und her und stösst sie gegeneinander, bis sie sich wälzen und versinken. Das ist, als ginge eine ganze Flotte zugrunde.

»Aber –?« sagt die Prinzessin.

Sie begreift das nicht und schaut fassungslos zur Hofmeisterin auf: »Aber –?« –

»Ja, Hoheit – alles ist den Fürsten untertan, nur nicht der Wind!«

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