DER FROSCH

Den ganzen Tag hatte es geregnet. Nun aber war das Wetter umgeschlagen. In flammender Pracht sank die Sonne hinab. Rotglühend lag die Landschaft. Da sass ein Frosch, und schaute alledem zu. Er sass neben einer tiefen und breiten Radspur, die sich zu einer Regenlache gewandelt hatte. Der Frosch war ganz trunken vor Begeisterung. Sogar tiefsinnig war er geworden. Es ist doch wohl auch dem Hässlichen erlaubt, sich betrachtend in das Schöne zu versenken?

Feuer war der Himmel, Purpur das Tal ringsum, und ein blanker Spiegel das Wasser. Sogar die Regenlache hier, auf der Grashalme schwammen, war zu einem Spiegel geworden. Die Vögel sangen noch leise, und zwitscherten immer leiser, je tiefer der Tag sank, bis endlich alles verstummte.

Die Luft war still, das Wasser war still … und der Frosch sass völlig selbstvergessen. Vergessen hatte er, dass er ängstlich, vergessen, dass er hässlich war … er sass nur da und starrte in die sinkende Sonne. Er glaubte gewiss, ein Segen sei über ihn gekommen, ja, auch über ihn. In allem, was lebt, ist ein Widerschein des Ewigen. Kein Auge ist so abstossend, dass nicht das Licht von oben es träfe, manchmal wohl hart, manchmal aber auch mild und sanft … kein Geschöpf ist so hässlich, so niedrig, so unrein, sein Auge fasst doch die Unendlichkeit der Gestirne.

Ein Mann kam des Weges. Er sah das hässliche Tier erst, als er im Begriffe war, seine Ferse auf den Froschrücken zu setzen. Hastig zog er den Fuss zurück. Es war ein Priester, der auf einem Spaziergang sein Brevier las …

Dann kam ein junges Mädchen. Das trug eine Blume an der Brust. Aber es entsetzte sich über den Frosch dermassen, dass es unwillkürlich seinen Regenschirm auf den armen Kerl setzte. Und die Spitze des Schirms traf das eine Auge des Frosches …

Nun kamen vier Schuljungen, blonde, lustige Gesellen. Aber grausam waren sie. So fangen wir alle an … jedwede menschliche Seele geht den Weg, den die ganze Menschheit schon gegangen ist, von der Grausamkeit aufwärts zum Erbarmen …

Die Augen der Jungen blitzten keck und gesund. Jeder von ihnen hatte seine Mutter, alle hatten ihre guten Kameraden, sie atmeten die Luft mit frischen Lungen, man hatte sie gern, sie waren frei und glücklich! Was konnten sie da besseres tun als grausam sein? Grausam gegen den, der ohnehin schon elend war?

Der Frosch schleppte sich fort, so schnell er nur konnte. Aber die Jungen hatten ihn schon entdeckt: »Pfui, das eklige Tier! Wir wollen es totschlagen!« – »Jaa!« – Sie lachten, wie eben Buben lachen, wenn sie einen schlimmen Streich vorhaben. Einen Baumzweig fanden sie. Der wurde zugespitzt. Sie wollten einmal versuchen, den Zweig in das verletzte Auge zu stossen. Und dann wollten sie das Loch noch weiter und tiefer bohren. Eine Wunde wollten sie noch mehr verwunden. Hei, wie die Jungen sich freuten!

Das arme Tier konnte nicht schreien. Sein Blut rann. Es wollte entschlüpfen. Es hatte ja nichts Böses getan. Es war ja nur hässlich!

Der eine Fuss schleppte schon nach. Das wunde Auge hing jetzt völlig heraus. Einer der Jungen kam mit einer zerbrochenen Schaufel an. Bei jedem Schlag, den er dem Tier versetzte, musste es sich erbrechen. »Schau, wie er spuckt!« schrieen die Jungen. Mit einer Schuhlitze wollten sie ihn fesseln. Aber da entkam er ihnen. In seiner Todesangst stürzte er sich in die Regenlache der Radspur, sodass das Wasser darinnen sich trübte und er nicht mehr zu sehen war. Mit schmutzigem Wasser wusch er sich rein von der Grausamkeit der Menschen. O, diese Jungen mit ihren Frühlingsgesichtern, so hübsch und gesund – sie amüsierten sich prächtig. Und alle riefen wie aus einer Kehle: »Wollen wir ihm nicht einen grossen Stein nachpfeffern?« – »Ja, jaa!« jubelten alle miteinander. Einige suchten nach dem Frosch, andere liefen nach einem Stein. Einer fand einen Pflasterstein und kehrte springend im Rudel der übrigen zurück – da mussten sie alle zur Seite weichen wegen eines Wagens, der die Strasse heraufkam.

Es war ein Lastwagen, den ein alter, lahmer Esel zog. Der war nicht nur lahm, er war auch bis auf die Knochen abgemagert, taub und über alle Massen gebrechlich. Er trug auf seinem Buckel, rechts und links, zwei Körbe und zog ausserdem noch den schweren Wagen hinter sich her. So war es den ganzen Tag über gewesen – na, und jetzt war ja der Stall nicht mehr weit. Die Strasse war aufgeweicht, die Räder sanken ein. Ruck auf Ruck ging es, und jeder Stoss tat dem Esel weh, denn er war gar zu abgerackert. Aber das kümmerte jenen nicht, der ihn antrieb. Der alte, abgeschundene Esel schleppte sich in einer Wolke von Peitschenschlägen und Flüchen daher.

Einer von den Jungen jauchzte: »Jetzt geht gleich das Rad über den Frosch!« Das mussten sie alle mitansehen!

Der ächzende Esel hielt seinen Kopf fast bis zur Erde niedergebeugt: und so bemerkte er den Frosch. Der glotzte just aus dem Schlamm heraus ihm entgegen. Der Esel schnüffelte nach ihm – und nun hatte man den Eindruck, als wollte der eine arme Teufel dem andern helfen. Denn im Augenblick bog der Esel seitwärts aus. Alle seine Kräfte raffte er dafür zusammen. Wie weh das tat, schrecklich weh – es nahm ihn arg mit, hatte er doch schon überall blutige Striemen. Aber er brachte es fertig: der Wagen war aus der alten Spur herausgezerrt … »Wohin willst du denn, dummes Vieh??« schrie der Fuhrmann, und schlug klatschend mit der Peitsche drauflos … aber der Frosch war gerettet! …

Die Jungen waren noch stehen geblieben. Der eine, der den Stein geholt hatte, – derselbe, der diese Geschichte später aufschrieb –, er warf nun den Stein weit von sich …

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