DIE ZEDER

Scheik Omar, der grosse Gottesmann, so gross wie Mohammed, der Wundertäter, erging sich eines Tages am Gestade des Roten Meeres, an einem langen Stab gestützt.

Bei dem heiligen Djeddah machte er Halt, dort, wo Gott sich Israel geoffenbart hatte.

An dieser geweihten Stätte ward Omars Auge fernsehend. Er schaute weiter als die Wüste sich dehnte, er schaute über Ägypten hinaus, über Judäa hinaus bis hin zur Insel Patmos.

Dort lag am Fusse eines kahlen Berges Johannes der Täufer und schlief. Denn der grosse Einsiedler ist noch nicht tot. Gott hält ihn hier verborgen. Mit Elias und den anderen Propheten soll er einst wider den Antichrist streiten.

Das Haupt des heiligen Johannes lag in der heissen Sonne.

Scheik Omar, der gewaltige Priester vor dem Herrn, der so gross war wie Mohammed, sah empor zu einer alten, mächtigen, dichtbelaubten Zeder, die sich an seiner Seite erhob. Und Scheik Omar streckte die Hand aus gegen den nördlichen Horizont nach dem Ägäischen Meere hin, gen Patmos.

»Auf und voran, Zeder! Breite deinen Schatten über den schlafenden Mann dort!«

Das Salzgespenst von Sodom und Gomorrha stand nicht starrer als die Zeder, da Omar zu ihr gesprochen.

Und der Gottesmann rief aufs neue: »Auf und voran!« und schlug mit seinem Stab gegen den Baum.

Die Zeder hatte ihre Wurzeln im Marmor eines Eremitengrabes dort am Meer. Sie zitterte nicht. Sie verharrte in Ruhe.

Da hob der Scheik seine Augen auf zu dem Unsichtbaren, machte drei Schritte, öffnete seine Rechte und streckte sie empor: »Voran, Zeder!« rief er, »in des lebendigen Gottes Namen!«

»Warum nanntest du diesen Namen nicht gleich?« sagte der Baum. Zuckend zersprengte er den Marmor, zog seine Äste dicht an den Stamm zusammen, wie ein Schiffsmast sein Takelwerk, spaltete den Erdboden, raffte aus den tiefen Rissen seine Wurzeln heraus – und schwebte fort wie ein ungeheurer schwarzer Vogel, zog hin über den Berg Gor, der gleich einem riesigen Rauchfang über den roten Flammen der unterirdischen Schmiedefeuer sich wölbt … hin über Ägypten, das formlose Pantheon mit den vielen Göttern, – über den Nil hin und über das Meer, – schwebte finster und feierlich über den feindlichen Abgrund hin, selig erfüllt von seiner Sendung … und senkte sich dann sanft auf Patmos über den schlummernden Johannes herab …

Johannes erwachte – und erschaute den fremden Baum. Er musste sich eine Weile besinnen … dann aber sprach er, bebend in jener fanatisch eifernden Strenge, die alles Volk in angstvolles Grauen versetzt: »Baum, was machst du hier? Wie hast du es angefangen, Wurzeln zu schlagen, zu wachsen, gross zu werden in einer einzigen Stunde? Jehova will: der Baum soll in tiefer Erde gegründet sein, auf dass er stehe, indes die Menschen kommen und gehn! Ein Baum soll Stürmen trotzen! Nicht aber soll eine Zeder jäh wie ein Traumbild emporgaukeln! Was aus einer Stunde emporschiesst, hoch wie ein Berg, das mag auch zerfallen in einem Augenblick!«

Die Zeder erwiderte: »Warum klagst du mich an? Ich bin hier, weil ein Mensch es mir gebot!«

Und wieder frug Johannes, der düstere Träumer: »Wer ist dieser Mensch, vor dem du dich beugst?«

Der Baum antwortete: »Es ist Omar, der Priester Mohammeds! In Djeddah stand ich, viele, viele Jahre hindurch. Da kam er und sagte, ich sollte fort nach Patmos, um dir Schatten zu geben, derweilen du in der Sonnenglut schliefst!« …

Da wandte sich Johannes, den Gott wieder unter die Lebenden gesetzt hatte, – gen Süden wandte er sich und schrie von dem wilden Strand in die Winde hinein: »Du Neugekommener! ich sage dir: lass die Natur in Frieden!«

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