3. Werden wir einen Sternennebel erreichen?

Ich habe schon gesagt, daß nahezu in gerader Linie mit der Richtung, in der unser Sonnensystem durch den Weltenraum fliegt, ein Nebel von großen Sternen liegt. Dadurch wird eine andere Frage in uns angeregt. Sind wir am Ende gar vom Schicksal bestimmt, diese wundervolle Massenansammlung von Sternen zu erreichen? Eine solche Möglichkeit liegt völlig in der Art unseres großen Fluges und hat weit mehr Wahrscheinlichkeit, als die weit tragischere, die ich früher beschrieben habe. Dieser Sternennebel, gegen den wir unaufhaltsam fliegen, ist eines der größten Wunder des gesamten Alls. Den Astronomen ist er unter der Bezeichnung „der Nebel des Herkules“ bekannt. Man hat ausgerechnet, daß er aus ungefähr zwölf bis vierzehn Tausend Sternen besteht, die so dicht aneinander stehen, daß ihr Licht im Fernrohr förmlich als ein einziger Lichtnebel erscheint. Namentlich in dem Zentrum dieses Lichtscheines ist es ganz unmöglich, die einzelnen Sterne voneinander zu trennen. An der Peripherie des Nebels jedoch ist es uns durch unsere großartigen Instrumente gelungen, die hier offenbar auch weiter auseinander stehenden Sterne als getrennte Körper zu erkennen. Und der Anblick dieser unendlichen Sternenmenge ist ungefähr dem gleich, den wir etwa von einem Ballon aus auf eine von elektrischen Lichtern hell erleuchtete Stadt haben. Gegen diese wundervolle Licht- und Sternenmetropole fliegen wir, wie gesagt, mit der Geschwindigkeit von zwölf Meilen in der Sekunde. Im Verlaufe eines Menschenalters kommen wir daher diesen Sternenmengen um mehr als 200000000000 Meilen näher. Die Entfernung ist eine so unglaublich große, daß unsere Annäherung trotzdem eine kaum merkbare ist. Eine ganz geringe Ablenkung von unserer Bahn würde uns mitten in das Herz dieses Sternennebels bringen. Und wenn wir allen Gefahren, die uns auf diesem unendlichen Wege bedrohen, entgehen, und wir wirklich unser Ziel im Herkulesbilde ereichen würden, was würde dann wohl geschehen?

Entweder würde ein Zusammenstoß erfolgen oder nicht. Das würde ganz davon abhängen, welche Richtung unsere Bewegung in dem Augenblicke hat, in dem wir in die große Gesellschaft von Sternen eintreten. Angesichts der großen Menge gleichzeitig von so vielen Sternen wirkender Anziehungskräfte würde die Möglichkeit da sein, daß kein Zusammenstoß stattfindet, sondern daß unsere Sonne sich mit allen ihren Planeten einfach dem Sternennebel anschließt und ein gleichberechtigtes Glied dieser Sternengesellschaft wird. Die Entfernung, die uns von dem Herkulesnebel trennt, ist aller Berechnung nach nicht geringer als Tausend und Abertausende von Millionen Meilen, und es würde, was für uns Lebende ganz zweifellos ein Trost ist, falls wir immer in derselben Geschwindigkeit unserem Ziele zueilen, mindestens noch drei Millionen Jahre dauern, ehe es zu dem geschilderten Ereignisse kommt.

Unsere Erde war weit über drei Millionen Jahre lang unbewohnt, und erst später sind die Lebewesen entstanden und haben sich bis zur Höhe des Menschen entwickelt. Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß in drei Millionen Jahren diese Erde ebenfalls noch bevölkert sein wird, und zwar von geistig zu einer kolossalen Höhe angewachsenen Wesen oder Menschen. Diese werden, wenn jenes große Ereignis geschieht, eines der herrlichsten Schauspiele haben, das man sich denken kann. Wir sehen gegenwärtig mit dem nackten Auge in einer sternenhellen Nacht ungefähr dreitausend Sterne verschiedener Größe. Sobald aber die Erde dem Nebel des Herkules nahe und näher gekommen sein wird, dann wird das halbe Firmament in hellem, wunderbarem Lichte erstrahlen. Und man wird zwölf- bis vierzehntausend Sterne sehen, von denen jeder einzelne weit größer erscheinen und weit heller erstrahlen wird, als zehn oder zwölf Sterne erster Größe, die wir jetzt am Himmel sehen, und ihr vereinigtes Licht würde auf die Erde einen silbernen Schein werfen, der allein schon heller wäre, als jetzt das hellste Vollmondslicht ist. Das wäre der Anfang des Schauspieles, die Ouverture. Und je mehr wir uns dem Nebel, der nun kein Nebel mehr wäre, sondern sich, wie gesagt, in ein Meer von Sternen aufgelöst hätte, nähern würden, um so herrlicher wäre das Schauspiel. Bald wären die Sterne keine Sterne mehr, sondern Sonnen. Ihr Licht würde uns blenden, und unsere Sonne würde bald zu dem einen, bald zu dem andern wanken, gleich als würde sie von jedem zu sich hingezogen, und würde förmlich wie ein Spielball herumgewirbelt werden von einem zum andern; dieser würde sie suchen und jener sie wieder von sich stoßen, und die Erde würde der Sonne auf diesem Wankelweg fortwährend folgen, in jedes ihrer Abenteuer unaufhaltsam mit hineingerissen.

Es kann mathematisch nachgewiesen werden, daß in der Mitte dieses Nebels ewiges Tageslicht herrscht, und es wäre ganz gleichgültig, ob die Erde auch weiterhin noch so wie jetzt sich um ihre Achse drehen würde, so daß die Sonne für sie scheinbar aufgeht und sinkt; denn es würde doch auf allen Seiten der Erde das Licht der andern Tausende von Sternen erstrahlen, so daß wir das Sonnenlicht nicht brauchen. Natürlich würden unter diesem Einflusse von Licht und Wärme alle Lebensbedingungen andere werden. Alles wäre in Bewegung. Immerfort würde sich der Wechsel in der Lage der vielen Sonnen uns gegenüber bemerkbar machen. Unsere eigene Sonne würde in eine Bahn von unglaublicher Kompliziertheit gedrängt werden, und die Erde würde immer hinter ihr her oder vielmehr um sie herum jagen. Bald würde sie sich dem Mittelpunkt des Nebels nähern, bald wieder an der Peripherie desselben hinausgehen, und immerwährend würde sich der Anblick des Himmels, der Intensität des Lichtes und die Intensität der Wärme ändern. Der Himmel wäre wie ein Kaleidoskop, das in immerwährender Drehung befindlich ist, und immer neue und wunderbare Kombinationen strahlender Lichteffekte bieten würde. Es ist aber auch möglich, daß unter dem Widerstreit so vieler verschiedener Anziehungskräfte unsere Erde der Kontrolle ihrer Sonne einfach entzogen und unter die Herrschaft einer anderen kommen würde. Und das kann immer und immer wieder geschehen, so daß im Laufe der Zeit unser Planet der Gravitationssklave der verschiedenen Sonnen werden könnte, und mit jedem Wechsel der Herrschaft würde auch ein Wechsel der auf unsere Erde wirkenden Sonneneinflüsse stattfinden, und damit würden sich immer aufs neue wieder alle Lebensbedingungen und Lebensverhältnisse ändern. Jede andere Sonne in dem Sternenbild des Herkules mag ihre besonderen Strahlungseigentümlichkeiten haben, und die lebenden Wesen auf unserer Erde würden ihnen immerfort ausgesetzt sein. Der Magnetismus der einen Sonne dürfte ein anderer sein, als der der zweiten und dritten, die Lichtart und Wärme stets eine andere, und die Erde müßte sich, wenn sie von einer Sonne zur andern geht, in immer neue Verhältnisse finden; ungefähr so, wie wenn eine Frau der Reihe nach Männer von anderem Charakter und anderem Temperament nähme; der eine heiß, glühend und leidenschaftlich, der andere kalt, ernst und gleichgültig, ein anderer reizbar und nervös, ein vierter launenhaft und abstoßend. Und die Erde würde all das auch in ihrem Wesen und ihrer Erscheinung wiederspiegeln; denn so wie das Weib das ist, wozu der Mann es erst gemacht, so ist auch ein Planet nur das, wozu die Sonne ihn macht.

Bald wären die Sterne keine Sterne mehr, sondern Sonnen. Ihr Licht würde uns blenden.

„Wenn ich jemals mir einen Gott schaffen würde,“ sagte Napoleon, „so würde ich mir die Sonne dazu machen, die der Quell alles Lebens ist und aller Kraft.“

In der Mitte des Herkulesnebels würde Napoleon nicht einen einzigen Gott, sondern viele Götter gehabt haben.

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