Der germanische Kulturkreis umfaßt die Völkerstämme im Süden der Ost- und Nordsee bis etwa nach den Alpen zu, also, ganz allgemein gesagt, die Bewohner Skandinaviens, Englands, Hollands, teilweise auch Nordfrankreichs, ferner Deutschlands (einschließlich der deutschen Ostseeprovinzen), Deutsch-Österreichs und der deutschen Schweiz. Die Sitten und Gebräuche aller dieser Länder ähneln sich im großen und ganzen, sie hängen zu einem wesentlichen Teile mit altgermanischen heidnischen Anschauungen (Abb. 253 bis 256) zusammen. — Der Quellenkultus sowie die Verehrung vorgeschichtlicher Denkmäler sind unter anderem solche Überreste (Abb. 258 bis 260 und 265). — Leider ist viel von dem Ursprünglichen bereits abgebröckelt, aber es steht zu hoffen, daß die letzten Reste (Abb. 252), die oft genug auch an geschichtliche Ereignisse anknüpfen, erhalten und weiter gepflegt werden dank den Bestrebungen der Vereine und Persönlichkeiten, denen die Erhaltung deutscher Art und Sitte am Herzen liegt. Zunächst gilt dies für die teilweise recht malerischen Volkstrachten (Abb. 261 bis 264 und 266 bis 271), an denen die germanischen Stämme besonders reich sind. Belohnungen sind verschiedentlich ausgesetzt worden für diejenigen, die sich befleißigen, die alte, kleidsame Tracht ihrer Vorfahren wieder zu Ehren zu bringen, anstatt sie in den Truhen vermodern zu lassen. Verschiedentlich sind aus besonderen Anlässen die alten Gewänder der Großeltern wieder hervorgeholt worden und in festlichen Aufzügen von neuem zu Ehren gekommen. Volkstümliche Feste (Abb. 272 bis 275, 277 und 278) bieten dazu die beste Gelegenheit. In engem Zusammenhang mit den Volkstrachten stehen die Volkstänze (Abb. 276, 279 bis 284 und 286), die man ebenfalls der Vergangenheit vielfach entrissen und zu neuem Leben hat erstehen lassen. Ähnlich verhält es sich mit dem Gebrauch altertümlicher Musikwerkzeuge (Abb. 285 und 289) und mit den Volksspielen (Abb. 290). Ebenso hat man verschiedentlich die volkstümliche Hauskunst und Heimindustrie (Abb. 287) wieder neu belebt. Die alten anheimelnden Haustypen (Abb. 288) sind leider nicht mehr zu ersetzen, jedoch besteht neuerdings auch hier das Bestreben, die neu entstehenden Häuser dem althergebrachten Dorfbild nach Möglichkeit anzupassen. Es steht zu hoffen, daß auf diese Weise noch manche althergebrachte schöne Sitte ihre Wiederauferstehung feiern werde.
Die Namen unserer Wochentage, um mit diesen zu beginnen, sind heidnischen Ursprungs. Der Sonntag war der Sonne gewidmet und galt beim Volke als glückbringend. Wer an ihm geboren wurde, ein sogenanntes Sonntagskind, ist mit dem zweiten Gesicht begabt, das heißt er besitzt die Fähigkeit, in die Zukunft zu blicken und Geister zu schauen; seine Handlungen sind stets von günstigem Erfolge begleitet. Im Gegensatz dazu steht der Montag, der Tag des Mondes, vielfach im Rufe eines Unglückstags. Daher wechseln im Hannöverschen und in Schleswig-Holstein die Dienstmädchen an ihm niemals ihre Stelle; wer am Montag etwas unternimmt, wird immer Pech haben. Dem Dienstag, dem Tage des Gottes Tiu oder Tyr (englisch Tuesday, in Schwaben auch Zieseldi genannt), kommt keine besondere Bedeutung zu. Der Mittwoch, der ursprünglich dem Gotte Wodan heilig war (daher noch die englische Bezeichnung Wednesday und die westfälische Gauns- oder Godensdag), wurde im Mittelalter in den Tag der Jungfrau Maria umgewandelt und zu einem Fasttag gemacht. Der Donnerstag verrät wieder recht deutlich seine heidnische Herkunft von Thor oder Donar (englisch daher Thursday, skandinavisch Thorsdag), dem höchsten Gotte der altgermanischen Götterwelt. Mit ihm sind noch verschiedene abergläubische Vorstellungen im Volke verknüpft; solche Überreste des alten Thorkultus erblicken wir noch heutigestags in dem vielfach in Norddeutschland am Donnerstag üblichen Erbsengericht, denn die Erbse war eine dem Thor geheiligte Pflanze. Desgleichen geht der Name Freitag auf eine germanische Gottheit, Freia oder Frigga, die Gemahlin des Wodan, zurück. Auch dieser Tag gilt vielfach in den Augen des Volkes für einen Unglückstag, an dem nichts Neues unternommen, zum Beispiel keine Reise angetreten oder mit dem Schiff in See gestochen werden darf. Anderseits wieder werden gerade am Freitag in Dänemark mit Vorliebe Hochzeiten abgehalten, was damit zusammenhängt, daß bei den alten Römern dieser Tag der Venus, der Göttin der Liebe (daher im Französischen Vendredi, entstanden aus Veneris dies), geweiht war. Die katholische Kirche hat den Freitag zum Fasttag gestempelt. Der Sonnabend endlich, das heißt der Vorabend des Sonntags, soll seinen zweiten Namen Samstag von dem lateinischen Saturni dies erhalten haben; indessen wird diese Ableitung mit Recht angezweifelt. Die skandinavische Bezeichnung Löwerdag und Lördag wird mit dem alten nordischen Laugadagr in Verbindung gebracht und soll Badetag bedeuten, weil am Schlusse der Woche allgemein gebadet wurde, wie es übrigens noch heutigestags Familiensitte in Deutschland ist.
Phot. J. Valentine.
Abb. 257. Denkmäler zu Kirkconnell Moor zur Erinnerung an schottische Märtyrer,
die lieber für ihren Glauben den Tod erlitten, als daß sie gemäß der Uniformity Act vom Jahre 1662 das Ritual der englischen Kirche annahmen. Man begegnet solchen durch fromme Sammlungen entstandenen Denkmälern vielfach auf den einsamen, wilden Hügeln des südlichen Schottland.
Phot. T. J. Westropp.
Abb. 258. Die heilige Senansquelle zu Kiltinanlea.
An dem sie umgebenden Gebüsch sind Lumpen aufgehängt, die als bescheidene Opfergaben dargebracht wurden.
Ebenso wie die Namen der Wochentage gehen auch unsere kirchlichen und weltlichen Feste auf die religiösen Anschauungen unserer Altvordern zurück, und zwar in erster Linie auf ihren Sonnenkultus. Die Sonne spendet der Erde Licht und Wärme und damit die notwendigen Grundbedingungen für alles Leben. Daher feierten auch die alten Germanen, ebenso wie andere Völker des Altertums, den Zeitpunkt der Sonnenwende beziehungsweise des höchsten und tiefsten Standes der Sonne sowie der Tagundnachtgleiche und begingen dementsprechend das eine Fest um die Mitte des Sommers und des Winters, das andere im Frühling. Die altgermanische Vorstellung faßte den Wechsel der Jahreszeiten als einen Kampf des Lichtes mit der Finsternis auf; der Winter als böse Macht hat die Natur in Eis und Kälte erstarren lassen, also anscheinend die den Menschen gutgesinnte Macht, die Sonne, überwunden. Die Wintersonnenwende ist der Zeitpunkt, an dem es der Sonne nun gelingt, wiederum zu neuem Leben zu erwachen und mit der Dunkelheit des Winters den Kampf aufzunehmen. Zwölf Tage lang (die sogenannten Zwölften) währt derselbe, bis es sich deutlich an der zunehmenden Länge des Tages zeigt, daß die Sonne als Siegerin aus ihm hervorgehen wird. Daher sahen die alten Germanen den Tag der Wintersonnenwende mit Recht als den Anfang einer neuen Zeit an und begingen ihn festlich. Um den heidnischen Anschauungen sich anzupassen, verlegte die christliche Kirche auf diesen Tag der Wiedergeburt des Lichtes auch die Geburt des neuen Verkünders des Heils, des Messias. — Der endgültige Ausgang des Kampfes zwischen Licht und Finsternis, der vollendete Sieg des Lichtes gab unseren Altvordern wiederum Gelegenheit zu einem Feste, der Feier der Frühlings-Tagundnachtgleiche. Dementsprechend wurde von der christlichen Kirche der Sieg Christi über den Tod auf den gleichen Zeitpunkt verlegt und zum Osterfest gemacht. — Der Augenblick, an dem die Natur ihre Höhe erlangt und ihre größte Pracht entfaltet, ist der Mittsommertag, an dem auch die Sonne ihren höchsten Punkt erreicht hat. Er war für unsere heidnischen Vorfahren ebenfalls Gegenstand ausgelassener Freude. Die christliche Religion setzte diesen Tag der Erfüllung der Verheißung, der Ausgießung des heiligen Geistes über die Menschheit, gleich und verlegte in ungefähr dieselbe Zeit (allerdings einige Wochen früher) das letzte ihrer drei großen Hauptfeste, Pfingsten. Wir sehen also auf der einen Seite, der heidnischen, das Ringen zwischen Licht und Finsternis, auf der anderen, der christlichen, den Kampf zwischen Sünde und Erlösung, beidemal Anfang, Wachsen und Vollendung.
Phot. Underwood & Underwood.
Abb. 259. Geweihte Quelle zu Tissington,
ein Überrest des altheidnischen Quellenkultus.
Das Weihnachtsfest hängt, wie wir soeben sahen, eng mit dem Kultus der Sonne und der Lichtgottheit zusammen. Die christlichen Lehrer verlegten bereits um die Mitte des vierten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung auf den 25. Dezember, also den Zeitpunkt der heidnischen Feier der Wintersonnenwende, die Geburt des Heilandes. Im siebenten bis achten Jahrhundert fand diese Feier in Deutschland Aufnahme, wo man von jeher schon das Julfest beging. Wie der altheidnische Glaube es mit sich brachte, spähte man um diese Jahreszeit von hohen Bergen nach dem Wiederaufkommen der Sonne aus und begrüßte die Nachricht von ihrem Erscheinen mit größtem Jubel und festlichen Gelagen.
Das Hauptstück der ältesten christlichen Weihnachtsfeier machte die Weihnachtskrippe aus, eine Art Dramatisierung der Ereignisse bei der Geburt des Jesusknäbleins und vielfach auch geradezu die dramatische Vorführung dieses Vorgangs. Der strahlende Weihnachtsbaum (Abb. 291) ist erst verhältnismäßig spät in Erscheinung getreten — man sagt, vor etwa drei Jahrhunderten — hat sich aber heutigestags so ziemlich die ganze Kulturwelt erobert. Wenigstens ist er zu einem unbedingten Erfordernis der deutschen Weihnachtsfeier geworden; vor allem dort, wo es Kinder gibt, ist eine Feier ohne Baum nicht denkbar. Wo Mangel an Tannen oder verwandten Bäumen bestand, wurde der Weihnachtsbaum früher vielfach durch eine hölzerne, gleichfalls mit Lichtern besteckte Pyramide (Abb. 292) ersetzt, eine Sitte, die sich in manchen Gegenden bis in die Gegenwart herein erhalten hat. Daß gerade die Tanne oder ein ihr verwandtes Nadelgewächs im Lichterglanz des Heiligen Abends erstrahlt, mag wohl damit zusammenhängen, daß dieser Baum in den Augen des Volkes das schlummernde Leben in der Natur versinnbildlicht, denn er behält trotz des nordischen Winters mitten im Schnee allein von allen Bäumen des Waldes sein frisches Grün. Unter den strahlenden Weihnachtsbaum kommen bekanntlich allerlei Geschenke zu liegen; in den skandinavischen Ländern und auch vielfach in Norddeutschland pflegt man diese in zahlreiche, oft genug scherzhafte Umhüllungen mit besonderen Aufschriften einwickeln und durch vermummte Personen mit dem Rufe „Julklapp“ zur Tür hineinwerfen zu lassen.
Phot. R. Welch.
Abb 260. Ein Denkmal aus heidnischer Zeit,
an das sich ein christlicher Brauch knüpft. Um Glück in der Ehe zu haben, berühren Eheleute das Loch in der Säule.
In England feiert man das Weihnachtsfest nicht nach deutscher Art als ein Familienfest mit Tannenbaum und Geschenken, sondern begibt sich aufs Land und begeht das Fest hier möglichst in freier Luft. Man widmet sich allem möglichen Sport. Der zweite Weihnachtsfeiertag heißt daher im besonderen der Boxing day. An ihm wandert die Bevölkerung von London nach Hampstead Heath und belustigt sich mit Wettlaufen, Eselreiten, Boxen und Werfen nach Kokosnüssen, die auf kurzen in den Boden eingerammten Pfählen reihenweise dastehen, frönt auch reichlichem Wirtshausbesuch und ist in jeder Weise lustig. Der Weihnachtsabend ist kein Feiertag wie bei uns. Früher waren an ihm noch mancherlei Gebräuche im Schwange, die an das altheidnische Fest erinnerten. In vergangenen Jahrhunderten pflegten die Leute auf den Landsitzen der Adligen einen mächtigen Kloben Buchenholz zur Halle hereinzuziehen, anzuzünden und in allerlei Vermummung um das Feuer zu tanzen, während die Herrschaft und ihre Gäste dem lustigen Treiben zuschauten, auch sich gelegentlich selbst an ihm beteiligten. Als letzter Überrest dieses alten Brauchs ist allein noch die Sitte übriggeblieben, am Abend vor Weihnachten anstatt der alltäglichen Steinkohle einen Kloben Buchenholz (den Julblock) in die Glut des Kamins zu schieben, um den sich die ganze Familie setzt. Dieser Klotz muß jetzt die Form eines Kreuzes als Erinnerung an das Kreuz Christi haben. Den ersten Weihnachtstag begeht man in lustiger Gesellschaft bei einem leckeren Mahle. An der Mitte der Zimmerdecke fehlt wohl in keiner englischen Familie der Mistelzweig, jene zierliche, mattgrüne, auf den Bäumen schmarotzende Pflanze mit ihren perlgrauen, runden Beeren. Wer unter ihm steht, der hat das altverbriefte Recht, jedes weibliche Wesen, das sich absichtlich oder zufällig an derselben Stelle einfindet, zu küssen. In der Kirche jedoch ist die heidnische Mistel verpönt; an ihre Stelle ist hier die Stechpalme mit ihren brennendroten Früchten, auch wohl der Efeu oder das Immergrün getreten.
Phot. Thos. E. Smurthwaite.
Abb. 261. Mädchen in norwegischer Landestracht,
wie sie hauptsächlich noch in Hardanger und Saetersdalen getragen wird: kurzer, dunkelblauer Rock mit buntem Besatz, weiße Ärmel, mit Silber besticktes Leibchen, Gürtel aus Metall und weiße Haube.
Am Weihnachtsabend und ebenso am ersten Festtage sind wohl überall bestimmte Gerichte zu den Mahlzeiten üblich. Dem Gotte Donar war der Eber heilig, daher wurde dieses Tier bei den gemeinsamen Opfern der alten Germanen gelegentlich des Julfestes mit Vorliebe verspeist. Noch heutigestags ist Eberkopf oder Wildschweinkopf ein beliebtes Weihnachtsgericht, besonders in England. Mit diesem alten Aberglauben hängt auch eine in Oxford in studentischem Kreise noch immer am Heiligen Abend geübte Sitte zusammen, die Wildschweinprozession. Vor den versammelten Professoren und der Studentenschaft bewegt sich zum Saale herein ein Festzug, dessen Erscheinen fröhliche Fanfaren ankündigen. An seiner Spitze schreitet ein in Weiß gekleideter Sänger, ihm folgen zwei Personen mit einer großen Platte, auf der der mit Lorbeer und Rosmarin bekränzte, mit einer goldenen Krone geschmückte und zwischen den Hauern eine Zitrone haltende Kopf eines Ebers ruht. Eine Anzahl Studenten, gleichfalls in Weiß, beschließen den Zug. Der Sänger stimmt beim Eintritt in den Saal ein Lied an, das in humorvoller Weise die kulinarischen Eigenschaften des Wildschweinkopfes preist und dessen Kehrreim vom Chor mitgesungen wird. Unter Absingung noch anderer Weisen, in denen den Festgenossen Gesundheit und langes Leben gewünscht wird, begibt sich der Zug langsam zur Professorentafel und setzt die Platte vor den Rektor hin. Dieser zieht die Zitrone mit feierlicher Gebärde aus dem Maule des Tieres und bietet sie dem Sänger an. Darauf drängen sich alle Anwesenden an den Tisch, um ihren Anteil bei der Verteilung der Lorbeerblätter und des Rosmarins zu erhaschen, denn beide stehen in dem Rufe, Glück zu bringen. Ist alles aufgeteilt, dann begibt sich der Zug zu einem üppigen Mahl, bei dem Truthahn und Plumpudding nicht fehlen dürfen. Der Truthahn, desgleichen der Karpfen waren als Sinnbild der Fruchtbarkeit der germanischen Göttin Freia heilig; man brachte sie in der Vorzeit ihr zum Opfer dar. Daher sind beide ein beliebtes Weihnachtsessen, der Truthahn allerdings nur in England, dagegen der Karpfen auch in ganz Deutschland. In Skandinavien bevorzugt man den Lütgefisk, dessen traniger Geruch die Nase gewaltig belästigt, weswegen man ihn auch meistens in der Küche zu verspeisen pflegt. Unmittelbar hinter den Fischgerichten kommt als Weihnachtsbraten das Geflügel; in England ist es, wie wir hörten, der Truthahn, in wohlhabenden Kreisen auch der Schwan, in Deutschland wie auch in Dänemark die Gans, in anderen Gegenden der Fasan und das Perlhuhn. Unter den Beigaben zur Tafel spielen Grünkohl, Hirse und Mohn allenthalben eine große Rolle. Merkwürdigerweise besteht in einzelnen Gegenden für Weihnachten ein Verbot des Genusses von Erbsen. — Wir dürfen endlich bei der Erwähnung der Weihnachtspeisen nicht des Backwerks vergessen, das wohl in keinem deutschen Hause zu Weihnachten fehlt. Zusammensetzung, Form und Benennung dieses Weihnachtsgebäcks wechseln nach den Provinzen und selbst von Stadt zu Stadt; man spricht in Österreich und in Schlesien von Striezeln, in Sachsen von Christstollen, in Thorn von Kathrinchen, in Königsberg und Lübeck von Marzipan, in Mecklenburg und Holland von Heetwecken, in Aachen von Printen, in Nürnberg von Lebkuchen, in Basel von Leckerli, und so weiter.
Phot. H. H. Johnston.
Abb. 262. Mädchen in nordholländischer Tracht.
Bezeichnend für die allgemeine Landestracht sind die eigentümlichen Kopfbedeckungen, die indessen je nach dem Ort Abweichungen zeigen. Zu Volendam und Marken sind die Trachten ganz besonders malerisch und werden von alt und jung noch sehr viel getragen.
Phot. The Tourist Traffic Society of Sweden.
Abb. 263. Schwedische Volkstracht aus Dalekarlien.
Die der Frau besteht aus schwarzem Rock, gesticktem Leibchen mit langen, weißen Ärmeln, Schürze und gestickter Kappe; die des Mannes aus gelben Kniehosen, schwarzer Weste mit silbernen Knöpfen, schwarzem Rock und Hut.
Phot. Underwood & Underwood.
Abb. 264. Stube in Seeland,
mit Leuten in der Tracht der Insel, für die die flachen Hüte bezeichnend sind.
Die zahlreichen Gebräuche, die sich an das Weihnachtsfest knüpfen, beginnen bereits vielfach mit dem Erscheinen des Nikolaus (vorzugsweise im südlichen Deutschland) und des Knecht Ruprecht (nördliches Deutschland), beide ein Schreckgespenst für unartige Kinder (Abb. 293). Den Sankt Nikolaus hat die christliche Legende zu einem Heiligen des dritten Jahrhunderts nach Christus gemacht, aber er ist nichts anderes als sein Genosse Ruprecht, gleich Hruodperaht, das heißt der von Ruhm Strotzende, womit wieder Wodan gemeint ist; beide haben somit ein und dieselbe Bedeutung. Sie erscheinen meistens bereits einige Wochen vor Weihnachten oder in einzelnen Gegenden am Heiligen Abend, und zwar entweder unbemerkt in der Nacht oder sichtbar gegen Abend. Im ersteren Fall stellen die Kinder ihre Schuhe oder auch Körbchen und Teller, in die sie Hafer oder Heu, in Belgien auch Rüben für das Pferd des Nikolaus legen — offenbar ist hiermit Sleipner, das Roß des Wodan, gemeint, auf dem er die Lüfte durchreitet — vor ihr Bett, in die Nähe des Schornsteins oder vor die Türe; die guten Kinder finden dann am anderen Morgen an Stelle dieser Gabe Äpfel, Nüsse und Zuckerwerk vor, während die bösen neben dem unberührt gebliebenen Futter noch eine Rute erblicken. Findet sich der Ruprecht in höchsteigener Person ein, dann hat er einen langen Bart, ist mit Pelz und hoher Mütze bekleidet und trägt auf dem Rücken einen Sack, in der Rechten eine Rute. Er fordert die erschreckten Kinder zum Beten auf und verteilt dann an die Kleinen Äpfel, Nüsse und Pfefferkuchen, die Unartigen aber züchtigt er mit der Rute oder droht ihnen wenigstens. In Österreich ist ein sehr beliebtes Geschenk für Kinder der Krampus (Abb. 294). In Pommern befinden sich in Begleitung des Weihnachtsmannes noch verschiedene Gestalten, die offenbar heidnischen Ursprungs sind, so der Schimmelreiter (eine Karikatur des auf seinem weißen Wolkenroß dahinjagenden Wodan), der Bärenführer mit dem Bären (Versinnbildlichung des Winters), der Ziegenbock (Erinnerung an Donar, den man sich mit einem Ziegengespann fahrend dachte) und der Storch (Sinnbild des Frühlingsgottes); alle diese Gestalten werden von verkleideten Burschen dargestellt, die ihre Kurzweil treiben, während der Ruprecht seiner Pflicht nachgeht. Nachdem dieser ein kleines Geldgeschenk erhalten hat, begibt er sich mit seinem Gefolge zum nächsten Haus.
Phot. R. Welch.
Abb. 265. Ein vorgeschichtliches Denkmal (Altar mit Löchern) zu Inniskeel (Westirland),
zu dem von Heilung Suchenden gepilgert wird. Von denen, die durch den Besuch Hilfe erfahren haben, werden die Krücken als Zeichen des Erfolges zurückgelassen.
Phot. Gebr. Haeckel.
Abb. 266. Spreewälderinnen beim Kirchgang.
Früher waren solche Umzüge (Abb. 295 und 296) sehr verbreitet, sie sind aber jetzt so ziemlich außer Gebrauch gekommen. Stets treten dabei phantastische oder mythische Gestalten in die Erscheinung, wie der soeben erwähnte Schimmelreiter und der Ziegen- oder Klapperbock in Pommern, Hans Trapp in Westfalen und noch andere Persönlichkeiten, die ihren Zusammenhang mit Wodan und seinen Begleitern bei der wilden Jagd erkennen lassen. In England begegnen wir den Überresten solcher Umzüge in den Carolussängern. In Kaltbrunn, Kanton St. Gallen, wird seit Jahrhunderten schon das „Klausnen“ geübt. Zwölf junge Burschen (Abb. 299), bekleidet mit weißem Hemd und Hosen, bestickten Hosenträgern und hellroter Krawatte, einem breiten Ledergurt, der eine große Kuhglocke trägt, und einer eigenartigen Kopfbedeckung, Inful genannt, deren oberer Teil zierliche Figuren in allen Farben durchsichtig erscheinen läßt, ziehen in der Stadt umher. Einer von ihnen, der Samichlaus, beschenkt die Kinder in den Häusern, die übrigen Kläuse erfreuen draußen die zahlreichen Zuschauer durch ihre reigenartigen Bewegungen, wobei die von innen erleuchteten Infuln und das vielstimmige Glockengeläute den Reiz noch erhöhen. Die Pausen füllen der „Dumme August“ und der Esel durch ihr übermütiges Treiben aus; eine weitere typische Figur ist der „Geißler“, der mit der dicken und langen Peitsche (Geißel) knallt (Abb. 300). Vor jeder Kirche verneigen sich die Kläuse, nachdem der Samichlaus drei Glockenschläge getan hat.
Abb. 267. Oberschlesische Trachten aus der Tarnowitzer Gegend.
Die Christnacht gilt in den Augen des germanischen Landvolkes für hochheilig, und daher werden an diesem Abend, besonders um die mitternächtliche Stunde, allerlei abergläubische und mystische Handlungen vorgenommen. Besondere Sorgfalt läßt der Bauer seinem Vieh angedeihen. Er füttert es reichlicher als sonst und versieht es wohl auch mit besonderer Leckerspeise. In einzelnen Gegenden behauptet man, daß er dies aus dem Grunde tue, weil um Mitternacht der Teufel im Stalle erscheine und die Tiere ausfrage, ob sie mit ihrem Herrn und dem Gesinde zufrieden seien. Denn das Vieh besitzt nach dem Glauben des Volkes um die Weihnachtsmitternacht die Gabe zu reden, auch zu weissagen. Ebenso können Menschen unter Umständen um diese Stunde in die Zukunft schauen. Wenn ein Mädchen Schlag zwölf Uhr in einen Brunnen sieht, erblickt es darin das Bild seines Zukünftigen; desgleichen kann jemand erfahren, ob im kommenden Jahre eine Hochzeit oder ein Leichenbegängnis im Hause stattfinden wird, wenn er um Mitternacht mit verhülltem Kopfe aus der Haustür tritt, seine Hülle abwirft und nach dem Giebel sieht. In Belgien suchen junge Leute, die verlobt sind, auf eigentümliche Weise zu ergründen, ob ihre Ehe glücklich sein wird: sie werfen zwei Kastanien ins Feuer und achten darauf, ob sie gleichmäßig verbrennen oder nicht; trifft das erstere zu, dann wird die zukünftige Ehe gut ausschlagen; bersten die Kastanien aber oder springen sie aus der Glut, dann steht Unglück in ihr zu befürchten. In bestimmten Gegenden Deutschlands behauptet man, daß zur Geisterstunde der Heiligen Nacht sich die Berge öffnen und dem Mutigen ihre Schätze enthüllen, daß aber derjenige, der es unternimmt, sie zu heben, sich damit beeilen müsse.
Phot. Wilhelm Müller, Bozen.
Abb. 268. Unterinntaler Sennerinnen.
In Skandinavien legt man große Bedeutung dem Julstroh bei. Die Mägde hängen am Abend, wenn sie das ganze Haus gereinigt und alles blitzblank gescheuert haben, mit Zierat versehene Strohkränze über dem Eßtisch auf und stecken kleine Bündelchen Roggenähren unter das Dach. Der Landmann legt Stroh in die Ställe, damit es Gänse und Hühner gegen Marder und Hexen schütze und die Kühe vor Krankheit und Fortlaufen bewahre, streut es ferner auf die Äcker, damit die Saat gedeihe, und windet es um die Obstbäume, damit sie reichlich Früchte tragen. Überhaupt ist der Bauer überall eifrig bemüht, auch den Bäumen seines Gartens und den Früchten des Feldes besondere Sorgfalt angedeihen zu lassen. So stellt er in Ungarn das auszusäende Korn unter den Tisch und deckt es mit Stroh oder Heu zu, weil er meint, daß in der Nacht das Jesuskindlein komme und ein wenig darauf ausruhe, was eine reichliche Ernte zur Folge habe. In anderen Gegenden begießt er die Obstbäume mit dem Wasser, in dem die Festspeisen geknetet wurden oder der Mohn angerührt wurde; in Alpach (Tirol) läßt er die Bäume von dem Mädchen, das den Teig zurechtmachte, mit den noch nassen Händen anfassen. Stellenweise begegnet man auch der Sitte, daß in die Rinde der Bäume Geldstücke gesteckt werden, damit sie reichlich tragen, oder, wie in Tirol, daß man die Bäume schlägt oder tüchtig schüttelt, oder, wie in Belgien, daß man sie am Weihnachtstage mit einem Beil anschlägt — alles dies, um ihre Fruchtbarkeit zu steigern.
Phot. Wilhelm Müller, Bozen.
Abb. 269. Grödner Brautpaar.
Phot. J. Brocherel.
Abb. 270. Sennerinnen von Champery in ihrer bequemen Männertracht.
Die Furcht vor der Tätigkeit böser Geister und Hexen, die in der Weihnachtsnacht ihr Unwesen treiben sollen, spukt noch allenthalben im Volke. Man sucht sich ihrer auf die verschiedenste Weise zu erwehren. In Tirol schüttet man die Speiseabfälle ins Feuer, damit die Hexen kein Zaubermittel daraus anfertigen können, in Ungarn in den Brunnen. Außerdem stellt man aus ihnen mit Hilfe von Mehl ein Gebäck in Gestalt einer menschlichen Figur her und schiebt dieses mit den Worten „Esset, schöne Frau!“ in den Ofen, um die Hexe dadurch gut zu stimmen. Früher war zur Vertreibung der bösen Geister verschiedentlich auch das Weihnachtschießen üblich. In Schweden und ebenso in Schleswig-Holstein hat sich der Glaube an böse Spukgestalten zu einem bestimmten Hausgeist, dem Niß, verdichtet, den man zu Weihnachten recht gut behandeln zu müssen glaubt, damit er dem Haushalt Segen bringe. Um ihn gut zu stimmen, stellt man auch eine Gabe für ihn hin, nämlich Stücke des Weihnachtsgebäcks, vor allem aber einen Topf mit Buchweizengrütze und Honig. — Auch seine und der Hausgenossen sowie des lieben Viehs Gesundheit kann man fördern, wenn man am Heiligen Abend diese oder jene Vorschriften beobachtet. In der Nahegegend darf die Frau den Flachs nicht zu Ende spinnen, sondern muß etwas stehen lassen, damit die Heilige Jungfrau es in der Nacht benutzen kann, um ihr Kindlein abzutrocknen. Dieser Flachs gilt dann für ein Heilmittel gegen allerlei Gebresten, sowohl bei Menschen wie bei Tieren. In der Mark Brandenburg und in Sachsen darf man während der Weihnachtszeit keine Hülsenfrüchte, im besonderen keine Erbsen, essen, sonst bekommt man Geschwüre und andere Krankheiten. In Tirol darf man im Garten kein Stück Wäsche zum Trocknen hängen lassen, weil man fürchtet, daß sonst das Vieh erkranke.
Phot. J. Brocherel.
Abb. 271. Bernerin in der Landestracht.
Abb. 272. Vom Münchener Oktoberfest.
Verteilung der Preise.
Die Weihnachtsgebräuche nehmen vielfach ihre Fortsetzung in den Zwölften oder Zwölfnächten, der Zeit zwischen Weihnachten und dem Tage der Drei Könige, während deren die Tage zwar fortlaufend, aber nur sehr langsam an Länge schon etwas zunehmen, also nach der heidnischen Anschauung unserer Vorfahren der Kampf zwischen Licht und Finsternis gleichsam noch unentschieden ist; erst mit dem Dreikönigstage werden sie sichtlich länger, und der Sieg des Lichtes tritt nun deutlich in die Erscheinung. Die Zwölften sind die unheimlichste Zeit im Jahre, während deren nach dem Volksglauben den Geistern und den in Unholde verwandelten Gottheiten der Vorzeit die Macht gelassen ist, ihren Spuk zu treiben. Besonders sind es zwei Persönlichkeiten: Wode (Wodan), der wilde Jäger, und seine Gattin, vom Volke Frau Holle, auch Frau Harke oder Fru Gode genannt, die beide an der Spitze eines wilden Heeres, letztere mit ihren Hunden, die die Seelen der ungetauften Kinder sein sollen, nachts durch die Lüfte brausen und dabei den Menschen, die ihnen begegnen, allerlei Schaden zufügen. Diesen heidnischen Gottheiten zu Ehren wurden in der Vorzeit während der Wintersonnenwende Umzüge veranstaltet, deren Überreste (Abb. 298) sich bis auf unsere Tage forterhalten haben. Allerdings haben wir sie bei uns nur noch in bescheidenem Umfange in Gestalt der Dreikönigsänger, die in den Dörfern von Haus zu Haus ziehen und „Sternlieder“ singen, die vorzugsweise die Geschichte der drei Weisen aus dem Morgenlande zum Gegenstand haben. In der Hauptsache handelt es sich dabei um drei phantastisch ausgeputzte Männer, von denen zwei mit langen vergoldeten Spießen, der dritte mit einem Stern ausgestattet ist, weswegen man sie auch die Sternsänger nennt. Ferner begegnen wir solchen Umzügen am Dreikönigstag noch im Pinzgau und im Pongau in Österreich in den Berchtentänzen mit ihrem lustigen Treiben. Der Name stammt von der Göttin Berchta oder Perahta (das heißt der Glänzenden, Prächtigen), einer Bezeichnung für Wodans Gemahlin. Es beteiligen sich an diesen Umzügen viele Leute, alle in ebenso phantastischer wie eigenartiger Maskierung. Im Sarntal (Schweiz) ziehen die „Glöckelsinger“ mit dem sogenannten „Weibl“, einem als Strohpuppe verkleideten Manne, durch das Dorf und bitten unter Gesang um eine Gabe (Abb. 297). Nach dem jedesmaligen Vortrag wird das Weibl verprügelt. — In Skandinavien, England und Nordfrankreich finden die Weihnachtsgebräuche ihren Abschluß mit dem Bohnenfest am Dreikönigstage. Die Hausfrau bäckt zu diesem Zwecke einen Kuchen und mischt eine Bohne in den Teig hinein. Wenn die Gäste sich abends versammelt und um den Tisch Platz genommen haben, wird der Kuchen in so viel Stücke, als Teilnehmer vorhanden sind, zerschnitten, worauf eines der Kinder sich unter dem Tisch versteckt und der Reihe nach bestimmt, welches Stück jeder von dem Kuchen erhalten soll; das erste Stück wird dem „guten Gotte“ geweiht. Wem das Stück mit der Bohne zufällt, der wird König (Abb. 302) beziehungsweise Königin und wählt sich seinen Partner aus der Gesellschaft. Beide umgeben sich mit einer Art Hofstaat, dessen Mitglieder bestimmte ihnen zufallende Pflichten diesen Abend über erfüllen müssen. Sobald der König trinken will, ist die ganze Gesellschaft verpflichtet, das gleiche zu tun; wer sich weigert mitzumachen, muß ein Pfand an den Hofnarren zahlen. In England verteilt man jetzt die einzelnen Rollen des Hofstaates durch Lose, die in einigen Gegenden scherzhafte Verse enthalten. Diese Sitte hat in Holland und dem Marschlande die Form angenommen, daß die Bäcker ihre Waren am Dreikönigstage mit solchen, manchmal recht derben, Versen bekleben.
Der Umstand, daß in der heidnischen Vorzeit während der ganzen Dauer des Julfestes, also während der Zeit der Zwölf Nächte jegliche Arbeit ruhte, hat den Volksglauben entstehen lassen, daß man während dieser Zeit bestimmte Beschäftigungen, zum Beispiel Waschen, nicht vornehmen dürfe, weil dies sonst Unglück bringen würde.
Abb. 273. Vom Cannstatter Volksfest.
Verteilung der Preise.
Abb. 274. Vom Cannstatter Volksfest.
In die Zeit der Zwölften fällt auch der Übergang des alten in das neue Jahr, Silvester. Die Zahl der Silvesterbräuche ist sehr groß; in der Hauptsache laufen sie darauf hinaus, beim Scheiden des alten Jahres Fragen an das Schicksal über die im neuen bevorstehenden Ereignisse zu stellen. Fromme Leute stechen mit einer Nadel oder einem Messer aufs Geratewohl in die Bibel oder ins Gesangbuch und schließen aus der dabei getroffenen Stelle auf Freud oder Leid, Glück oder Unglück im kommenden Jahre. Im lustigen Kreise ist das Bleigießen und Lebenslichter-Schwimmenlassen (Abb. 301) beliebt. Wer um Mitternacht über seinen Kopf hinweg rückwärts seine Schuhe wirft, kann aus der Lage derselben feststellen, ob er im nächsten Jahre am Orte bleibt oder fortkommt. Heiratslustige junge Mädchen suchen auf diese und noch auf andere Art zu erfahren, ob sie baldige Anwartschaft auf die Ehe haben, wer und was ihr Liebster sein wird und dergleichen. In der Gegend von Brünn in Mähren versteckt man am Silvesterabend, in Abwesenheit der sich daran Beteiligenden, verschiedene Gegenstände unter Töpfen; darauf wird jeder einzeln hereingerufen, um drei von den Töpfen aufzuheben. Deckt der das Orakel Befragende mehrere Male denselben Gegenstand, zum Beispiel Geld, unter dem Topfe auf, dann wird er das ganze Jahr lang solches besitzen; findet er wiederholt ein Stück Brot, dann wird er niemals an Nahrung Mangel leiden. Wer aber einen Kamm erwischt, dem wird es nicht gut ergehen.
In Belgien besteht in manchen Gegenden der Brauch, daß dasjenige Kind, das am Silvestermorgen als letztes in der Familie aus dem Bette steigt, mit dem Namen des heiligen Silvester angeredet wird und seine besten Spielsachen und Geschenke den Geschwistern überlassen muß. Auch Mädchen, die bis zum Jahresschluß eine Arbeit, mit der sie sich beschäftigen, nicht fertigbringen, setzen sich nach dem Volksglauben in manchen ländlichen Gegenden der Gefahr aus, wegen ihrer Unpünktlichkeit und Faulheit von Geistern verfolgt zu werden.
Abb. 275. Schäferlauf in Markgröningen.
Wettlauf der Schäferinnen.
Das Umherziehen der Schuljugend im Dorfe, oft genug in spaßiger Vermummung, und das Absingen von Liedern unter Musikbegleitung, um sich damit ein kleines Geldgeschenk, Obst, Nüsse oder Zuckerwerk zu verdienen, ist verschiedentlich sowohl in Deutschland wie auch in Österreich und der Schweiz noch gang und gäbe, und zwar nicht nur am Silvester- beziehungsweise Neujahrstage, sondern auch während der ganzen Zeit der Zwölften. In Schleswig-Holstein bedient man sich zum Musikmachen des „Rummelpottes“, eines mit einer Tierblase überspannten Topfes, der wie eine Trommel geschlagen wird. Das Umherziehen und Lärmmachen ist sicherlich als ein Überrest des Vertreibens und Erschreckens der bösen Geister zu deuten, die, wie wir schon hörten, gerade in den zwölf Nächten nach Weihnachten ihr Unwesen treiben. Dahin gehört auch das Neujahrschießen und Neujahrwerfen, worunter man das Zertrümmern von alten Töpfen, Tellern und Scherben vor der Tür des Nachbars, auch das Werfen von Erbsen durch die Fenster versteht, eine über ganz Deutschland bis nach Holland hinein verbreitete Sitte. Vielleicht hängt mit dieser Anschauung auch der in den Dörfern Niederösterreichs verbreitete Brauch des Krönens eines Silvesterkönigs zusammen. Dem ungeschicktesten Knecht wird von einer Person aus dem Hausgesinde ein Strohkranz auf den Kopf gesetzt und ein Strohbüschel in die Hand gegeben, worauf er von den anderen mit einer aus Stroh geflochtenen Peitsche aus dem Hause gejagt wird. Draußen muß er so lange stehen bleiben, bis sich eine Magd, meistens die jüngste, seiner erbarmt und ihn zurückführt. Diejenige, die sich des Hinausgetriebenen erbarmt hat, ist im kommenden Jahre das Haupt des Gesindes und wird den ganzen Abend über beglückwünscht.
Wie an dem Heiligen Abend, so sind auch am Silvester bestimmte Gerichte für die Abendmahlzeit gleichsam vorgeschrieben. Hierunter sind in erster Linie Fische zu nennen, die man auf jeden Fall genießen muß, um im neuen Jahre von Unglück verschont zu bleiben. Besonders beliebt sind Karpfen, aber es müssen Rogner sein, damit man stets Geld im Beutel habe; auch ein paar Fischschuppen in der Börse bewirken dasselbe. Andere Silvesterspeisen sind Heringsalat, Hirsebrei, Linsen, Mohnklöße und die unter den verschiedensten Namen bekannten Gebäcke (Krapfen, Pfannkuchen, Kräppel, Pförtchen und so weiter), die beim Silvesterpunsch in fröhlicher Gemeinschaft verzehrt werden. Geselligkeit ist gerade an diesem Abend wohl überall in Deutschland Hauptbedingung. Meist treffen mehrere befreundete Familien bei einer derselben zusammen; wo solcher Anschluß fehlt, versammelt man sich in großen Wirtschaften und feiert gemeinsam den Abschied des alten und den Einzug des neuen Jahres mit Trinken, Singen und den schon angedeuteten Gebräuchen. Punkt zwölf Uhr in der Nacht beglückwünscht man sich, während in den kleineren Städten zur gleichen Zeit eine Musikkapelle vom Turm herab das neue Jahr begrüßt.
Phot. Underwood & Underwood.
Abb. 276. Schwälmer Mädchen (Hessen) beim Reigentanz.
Das Merkwürdigste an ihrer sonst recht kleidsamen Tracht sind die etwa vier bis zehn Unterröcke, die zu ihr gehören.
Das Neujahrsfest, das unter ähnlichen Veranstaltungen wie heutzutage schon von den ältesten Völkern gefeiert wurde, ist allenthalben Gegenstand der Freude und der Wünsche. Man besucht sich gegenseitig und spricht sich seine Glückwünsche aus oder tut dies auch schriftlich. Vielfach sind auch noch Neujahrsgeschenke üblich, die sich aber in Deutschland wohl zumeist auf Geldspenden der Herrschaft an Untergebene und Bedienstete oder kleinere Geschenke der Kaufleute an ihre Kunden beschränken. Diese kleinen Aufmerksamkeiten gehen auf die strenae der alten Römer zurück, deren Überreste sich außerhalb Deutschlands noch in wirklichen Neujahrsgeschenken unter Freunden und Familienangehörigen erhalten haben. In Holland zum Beispiel beschenkt man sich mit vergoldeten Kräuterkuchen oder kandierten Früchten, in England und Frankreich mit Orangen, früher jenseits des Kanales auch mit Handschuhen. — In Friesland findet am Neujahrsmorgen ein Wettlaufen mit Schlittschuhen auf dem Eise statt, in Schleswig-Holstein ein Wettschieben mit hölzernen, innen mit Blei beschwerten faustgroßen Kugeln (das sogenannte Eisbosseln), wobei nicht nur einzelne Gruppen von Menschen, sondern auch wohl ganze Dörfer gegeneinander kämpfen.
In der Schweiz feiert man in den ersten Tagen des neuen Jahres den Berchtelitag, der seinen Namen von der schon oben erwähnten Gattin Wodans erhalten hat. In Zürich ist diese Feier, die sich hier zu einem wirklichen Volksfest gestaltet, auf den 2. Januar verlegt worden. Die Kinder nehmen an verschiedenen Orten des Landes die sogenannten Neujahrstücke (Neujahrsblätter) in Empfang und erhalten Geldgeschenke, die den Namen „Stubenlitzen“ führen, da sie ursprünglich einen Beitrag für die Heizung der Zunftstuben bildeten. Andere durchziehen vermummt die Straßen und sprechen mit dem Rufe „Batz, Batz“ die Vorübergehenden um Gaben an. Die Erwachsenen veranstalten in der Stadt Zürich am Nachmittag Umzüge, und zwar bewegen sich dieselben zunftweise von den Zunfthäusern durch die Stadt, Reiter und Wagen mit Kostümgruppen an der Spitze. Gegen Abend versammeln sich alle auf einem freien Platze am See um einen Holzstoß, zu dem die sogenannte Bögg gebracht wird, eine groteske Figur aus weicher Baumwolle, mit irgendeinem Deckel auf dem Kopfe und einem umgestülpten Besen in der Hand; sie stellt die Verkörperung des Winters vor und wird auf dem Scheiterhaufen verbrannt, damit der Frühling seine Herrschaft ungestört antreten könne. Schlag sechs Uhr ertönt die historische zweitgrößte Glocke vom Turm des Großmünsters — daher wird die ganze Feier auch Sechseläuten genannt — und unter Musik und allgemeinem Jubel schlagen die Flammen um den mit Petroleum übergossenen Holzstoß und die Bögg empor (Abb. 303). Ist alles niedergebrannt, dann kehren die Zünfte in ihre Häuser zurück und „bächten“ die ganze Nacht, worunter Essen, Trinken, Singen und derbe Scherze verstanden werden.
Phot. Sport & General Preß Agency.
Abb. 277. Ein am Spieß gebratener Ochse auf einem Volksfest in Stratford-on-Avon.
Phot. C. Faist, Schramberg.
Abb. 278. Festzug in Alpirsbach.
Hinlänglich bekannt sind die an dem nächsten christlichen Fest, Mariä Lichtmeß (2. Februar), vorgenommenen Handlungen und Gebräuche, die noch recht deutlich ihren heidnischen Ursprung erkennen lassen. Ein eingehenderes Verweilen verdient der Valentinstag (14. Februar), der auf den Britischen Inseln Anlaß zu volkstümlichen Gebräuchen bietet. Hierunter ist in erster Linie das Valentinwählen zu nennen. Die junge Welt auf dem Lande meint allgemein, daß diejenigen Personen, die sich am Morgen dieses Tages zuerst erblicken, zu Ehegatten beziehungsweise Ehegattinnen bestimmt seien; natürlich sind Verliebte und alle die, die einem solchen Paar wohlwollend gesinnt sind, bestrebt, es nach Möglichkeit so einzurichten, daß sich die Richtigen zuerst zu Gesicht bekommen. Die Jünglinge stellen sich oft schon vor Sonnenaufgang in der Nähe des Hauses auf, in dem ihre Auserwählte wohnt, oder an einer Stelle, wo sie vorüberkommen muß; die Mädchen setzen sich am frühen Morgen mit geschlossenen Augen ans Fenster und warten so lange, bis sie die Stimme desjenigen vernehmen, den sie gern haben möchten. In den Städten ist es Brauch, sich gegenseitig kleine Geschenke scherzhafter Art (Valentine genannt), besonders Karten mit zwei Herzen, die von Liebespfeilen durchbohrt werden, mit der Post zu übersenden oder diese Karten an einen Apfel oder an eine Apfelsine gebunden persönlich zur Tür hineinzuwerfen. Ein anderer Brauch, der früher bis nach Nordfrankreich und selbst nach Lothringen hin verbreitet war, besteht darin, daß die jungen Leute am Vorabend des Valentinstages zusammenkommen und jeder seinen Namen auf einen besonderen Zettel schreibt, worauf man der Reihe nach die Namen der jungen Burschen und Mädchen paarweise verliest; die auf solche Weise Zusammengekommenen sind bis zum nächsten Jahre Valentin und Valentine und halten bei allen vorkommenden Gelegenheiten mehr oder weniger als solche zusammen.
Phot. The Exclusive News Agency.
Abb. 279. Schwedischer Spinntanz.
Bei den Schweden sind Tänze üblich, in denen allerlei Tätigkeiten, wie Spinnen, Weben, Säen, Ernten, Dreschen, sinnreichen Ausdruck finden.
Mit dem Valentinstag sind wir bereits in die Fastenzeit hineingekommen. Das Fasten, das heißt die Enthaltsamkeit von allen oder gewissen Speisen, meistens Fleischspeisen, ist eine uralte religiöse Einrichtung, die sich schon bei den Kulturvölkern des Altertums und ebenso noch bei den Naturvölkern der Gegenwart nachweisen läßt. So kennt auch die christliche Kirche eine Fastenzeit von vierzig Tagen mit Rücksicht darauf, daß Moses, Elias und Christus die gleiche Zeit über sich der Speisen enthielten. Es leuchtet ein, daß die Menschen sich für die durch die Fasten ihnen auferlegten Entbehrungen entweder vorher oder nachher schadlos zu halten suchen; daher begegnen wir wohl überall, wo die Religion längere Fasten vorschreibt, möglichst viel Genüssen und größerer Ausgelassenheit vor oder nach der Zeit der Entbehrungen. Wir können hier nur einen kleinen Teil der zahlreichen Gebräuche und Belustigungen aufzählen, die in den Gauen der nordeuropäischen Länder vorkommen; ihnen allen liegt mehr oder weniger der Gedanke eines Kampfes zwischen Licht und Finsternis, zwischen Frühling und Winter zugrunde, bei dem der siegende Teil seinen Spott an dem überwundenen ausläßt. Als solche Volksbelustigungen (Abb. 304, 307, 311 und 312) führen wir unter anderen an das Eselreiten am Rhein, das Ringreiten in Westfalen, das Hudlerlaufen in Bayern und Tirol, das Topfschlagen und Sacklaufen in Skandinavien und Schleswig-Holstein, das Schönbartlaufen in Süddeutschland, besonders in Nürnberg, und den Metzgersprung in München. Wir erinnern ferner an die prunkhaften Umzüge des Prinzen Karneval in Mainz, Köln, München und in anderen Städten des westlichen und südlichen Deutschlands.
Phot. The Sport & General Preß Agency.
Abb. 280. Morristänzer in Stratford-on-Avon.
Der Morris ist einer der ältesten Tänze Englands, ein Überbleibsel aus den Tagen Robin Hoods und seines lustigen Gefolges.
Der Karneval erreicht seinen Höhepunkt am sogenannten Rosenmontag und endet am darauffolgenden Fastnachtdienstag; an diesem Abend wird vielfach der Schluß der lustigen Karnevalszeit in den Familien mit einer Festlichkeit begangen, an der in Norddeutschland Pfannkuchen und Punsch nicht fehlen dürfen. Der darauffolgende Tag, der Aschermittwoch, stellt den Tag der Buße dar, denn an diesem Tage setzt die Fastenzeit ein. Eine am Aschermittwoch weitverbreitete Sitte ist das Stäupen (auch Kindeln oder Peitschen genannt) mit Birkenruten (dem heiligen Baum des Donar); damit soll das Austreiben der bösen Geister angedeutet werden, von denen die Menschen besessen sein könnten, ursprünglich aber wohl das Vertreiben des Winters durch den hereinbrechenden Frühling. Alle Langschläfer werden unsanft aus ihrem Schlummer geweckt und gestäupt oder wenigstens auf ihre Bettdecke mit Ruten geschlagen. Eltern und Kinder wetteifern miteinander, als die ersten aufzustehen, um dem Verhängnis zu entgehen. In Schleswig-Holstein muß der Langschläfer eine Hedwig spenden, ein gewürztes Brötchen in Keilform (Keil = wegg ist der Hammer des Thor). Hedwig ist durch Verunstaltung aus Hollewig hervorgegangen, einem Wort, das wieder mit der Göttin Holle zusammenhängt. Die Hedwig ist nicht das einzige Fastengebäck; man kennt in Deutschland noch eine ganze Reihe von Formen und Bezeichnungen der verschiedensten Art, wie Fastenbretzeln, Krapfen, Öhrle, Küchel, Heißwecken und so fort, die nur zur Fastenzeit hergestellt werden.
Phot. Wilhelm Müller, Bozen.
Abb. 281. Schuhplattler im Pustertal.
Das Wort Fastnacht hat ursprünglich nichts mit dem Fasten zu tun, es hängt vielmehr mit dem alten deutschen Worte vahsen, das heißt in großer Ausgelassenheit toben, zusammen. In alten Zeiten gab es die Vahsnächte, die mit Mariä Lichtmeß begannen und sich bis Ostern hinzogen, in christlicher Zeit aber mit dem Beginn der Fastenzeit endeten. Weil man sich in diesem Zeitraume erst noch einmal ordentlich austoben wollte, bevor man sich Buße, Entbehrungen, Fasten auferlegte, wurde das Wort Vahsnacht in Fastnacht umgewandelt. In die Vahsnächte fiel auch der Frühlingsanfang, der Zeitpunkt der Frühlings-Tagundnachtgleiche, an dem der Frühling über den Winter endlich die Oberhand gewinnt, was Anlaß zu ausgelassener Freude gab. Nach der alten Sage wurde die Sonnengöttin vom Winterriesen geraubt und in ihrer Eisburg gefangengehalten; um den Menschen den Lenz bringen zu können, mußte sie befreit werden. In dieser Auffassung finden zahlreiche Spiele der Kinder ihre Erklärung. In Schleswig-Holstein wurde von den Kindern bis in die Neuzeit herein ein Spiel gespielt, bei dem sie einen Kreis (Mauer) mit einer in der Mitte sitzenden Person, der Königstochter (Sonnengöttin), bildeten und die übrigen Mitspielenden außerhalb des Ringes standen. Zwischen beiden Parteien entspann sich nun ein Wechselgesang, bei dem die Außenstehenden den Wunsch aussprachen, zur Königin gelangen zu wollen, die den Ring Bildenden aber ihnen den Zutritt verwehrten und schließlich nur unter der Bedingung gestatteten, daß sie die Mauer zerbrächen. Darauf stürmten die Außenstehenden die Kette, sprengten sie und führten die Königstochter im Triumphe davon. Anderen ums Frühjahr herum üblichen Spielen, wie Hahnschlagen, Katzenschlagen, Ringreiten, Türkenstechen, Rolandreiten und ähnlichen, liegt dieselbe Bedeutung zugrunde. Hahn und Katze, der eine dem Donar, die andere der Freia geweiht, sitzen unter dem Topfe; man sucht mit verbundenen Augen in die Nähe des Topfes zu gelangen und diesen zu zertrümmern, aber nicht um die Tiere zu töten, sondern um sie zu befreien. Beim Türkenstechen, Rolandreiten und so weiter handelt es sich um eine Art Kampfspiele, in denen Roland oder die Türken gleichbedeutend mit den Winterriesen sind.
Phot. Schweizer. Gesellschaft f. Volkskunde.
Abb. 282. Blumengeschmückte Tänzer in der Zentralschweiz.
Abb. 283. Alter Volkstanz der oberschlesischen Jugend (Gegend von Tarnowitz).
Auch das Osterfest war ursprünglich ein Frühlingsfest, obgleich es sich, oberflächlich betrachtet, aus dem jüdischen Passah- oder Pesachfeste entwickelt hat, dem Feste zum Gedächtnis des Auszuges der Kinder Israel aus Ägypten, das mitzufeiern Jesus nach Jerusalem eingezogen war. Das Passahfest, das das nachweisbar älteste Fest der Juden ist und in Wirklichkeit schon lange vor der Zeit ihres Auszuges aus Ägypten gefeiert wurde, ist keineswegs als ein den Israeliten eigentümliches Fest anzusprechen, sondern war, wie die in noch früheren Zeiten in Ägypten und Babylonien begangenen Festlichkeiten, ursprünglich ein Frühlingsfest, ein Fest, an dem man Gebete an die Götter richtete, um Fruchtbarkeit für Tiere und Pflanzen von ihnen zu erreichen. Die alten Deutschen kannten gleichfalls ein Frühlingsfest, das sie zu Ehren ihres Gottes Thor und seiner Schwester Ostara oder Eostra feierten. An seine Stelle setzte die christliche Lehre das Passahfest. Mit allen Mitteln versuchte sie, den von den Juden überkommenen Namen für dasselbe beizubehalten; indessen blieb die Erinnerung an die heidnische Göttin in den Bezeichnungen Ostern und Easter beim deutschen und englischen Volke erhalten.
Phot. The Topical Preß Agency.
Abb. 284. Schwedischer Volkstanz unter freiem Himmel (Dalekarlien).
Phot. Donald Mc Leish.
Abb. 285. Ein Älpler mit einem Riesenalphorn,
das jetzt noch benutzt wird, um das Vieh von der Weide heimzurufen.
Phot. Rudolf Jobst, Wien.
Abb. 286. Tiroler Tanz (Schuhplattler)
auf einem Tanzboden im Freien (Zillertal).
Das heilige Tier der Ostara war der Hase, ihr Lieblingsopfer waren Eier; beide galten als Sinnbilder der wiedererwachenden Natur und der Fruchtbarkeit, die im besonderen der Frühling mit sich bringt. Osterhase und Ostereier sind daher eng mit den deutschen Ostergebräuchen verknüpft. Lange vor dem Fest sammelt die Hausfrau möglichst viel Eier an, färbt und bemalt sie mit schönen Mustern (Abb. 305) und versteckt sie am Ostermorgen, in kleine Nestchen gelegt, auf die wiederum ein Osterhäschen gesetzt wird, im Haus, im Garten oder auf der Wiese, wo die Kinder sie dann suchen. Auch Erwachsene beschenken sich gegenseitig mit Ostereiern, wie die heidnischen Altvordern es bereits taten; indessen sind an Stelle der ursprünglichen Hühnereier jetzt zumeist Schokolade- oder Zuckereier, auch wohl Eier aus Porzellan oder Metall getreten, die die auserlesensten Erzeugnisse des Zuckerbäckers, in wohlhabenden Kreisen unter Umständen auch Gegenstände kostbarerer Natur, Goldsachen und Juwelen, als Inhalt in sich bergen. Mit den Ostereiern wird von den Kindern mancherlei Kurzweil getrieben. Sehr verbreitet ist das Eierpicken (Abb. 306). Zwei Spieler verbergen in der hohlen Hand ein Ei, so daß nur die Spitze hervorsieht, und picken, das heißt stoßen die beiden Eierspitzen aneinander; wessen Ei dabei unversehrt bleibt, der erhält das seines Gegners. Ein anderes am Ostertage sehr beliebtes Volksspiel ist das Eierkullern oder Eierwalen (Abb. 309). Auf einem Hügelabhang oder einer kleinen, besonders dazu hergerichteten und geglätteten schrägen Bahn lassen die Spieler die Eier hinabrollen; wessen Ei die der anderen trifft oder überholt, der hat gewonnen. Vielfach sind die Eier außer Gebrauch gekommen; an ihre Stelle sind Äpfel, Pfefferkuchen, sogar Würste getreten, die man den Abhang hinabwirft, worauf sich die zahlreich unten versammelten Kinder um sie balgen. In Süddeutschland wie auch in der Schweiz betreibt man das Eierlaufen. Auf einer abgesteckten Bahn, am besten auf einer Wiese, werden ein paar hundert Eier in Abständen von je einem Meter verteilt und am Anfang derselben ein Korb aufgestellt. Ein Teilnehmer an dem Spiel muß nun jedes Ei einzeln aufheben, zum Korbe zurückgehen und das Ei hineinlegen. Währenddessen läuft ein anderer zu einem etwa eine halbe Stunde entfernten Nachbardorf, um sich hier zu melden, und begibt sich ebenso schnell wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück (Abb. 308). Wer nun seine Aufgabe zuerst gelöst hat, gilt für den „König“. Allerlei Lustbarkeiten schließen sich an dieses Eierlaufen an.
Phot. Wilhelm Müller, Bozen.
Abb. 287. Inneres einer Pustertaler Hütte mit Hausweberei.
Die am Gründonnerstag gelegten Eier schätzt das Volk besonders hoch ein. In Süddeutschland behauptet man, daß diese bereits in der Henne geweiht seien, ehe das Tier sie legt, und am Ostertage durch den Priester eine zweite Weihe erhalten, so daß sie nunmehr eine besondere Wirksamkeit besitzen. Am Ostersonntag nüchtern getrunken, verleihen sie außergewöhnliche Kräfte, schützen vor Blitzgefahr, machen stichfest und so weiter. In der Oberpfalz und in Oberfranken vergißt der Hausherr niemals, ein Gründonnerstagsei zu essen, um gegen allerlei Krankheit gefeit zu sein. Er gibt ein an diesem Tage gelegtes Ei sogar dem Vieh zu fressen oder teilt ein solches in zwei Hälften, von denen er die eine, in ein Läppchen eingewickelt, im Pferde-, die andere im Kuhstall aufhängt, um dadurch Viehseuchen fernzuhalten. In Pommern steckt der Bauer jedem Stück Vieh vor dem ersten Austreiben ein Ei ins Maul und zwingt es, dasselbe hinunterzuschlucken; dadurch sollen die Kühe so rund wie die Eier werden. In anderen Gegenden werden bei dem Beginn der Feldarbeit zahlreiche Gründonnerstagseier über den Acker verstreut oder unter das Korn gemischt, um große Fruchtbarkeit zu erzielen oder die Saat vor Hagel zu schützen. Auch wirft man bei einem losbrechenden Gewitter ein solches Ei über das Dach des Hauses, um dieses vor Blitz zu schützen. Sieht man in der Kirche bei Sonnenschein durch ein solches Ei, dann vermag man die in der Gemeinde vorhandenen Hexen zu erkennen; überhaupt kann jeder, der ein solches Gründonnerstagsei bei sich trägt, vieles erkennen, das anderen Menschen verborgen bleibt.
Abb. 288. Schwarzwälder Bauernhaus.
Phot. J. Valentine.
Abb. 289. Ein Hornbläser in Ripon.
In Ripon besteht noch jetzt die alte Sitte, jeden Abend um neun Uhr blasen zu lassen, zuerst auf dem Marktplatz und dann vor dem Bürgermeisterhause.
Sehr verbreitet ist der Glaube an die heilende und verschönende Kraft des Osterwassers und an die reinigende des Osterfeuers. Die Sitte des Osterwasserschöpfens hängt wohl mit der Vorstellung zusammen, daß die Erde in derselben Weise, wie sie dem in sie hineingelegten Samen den Trieb zum Sprossen und Blühen mitteilt, so auch dem aus ihr fließenden Wasser eine besondere Kraft verleihe. Um Mitternacht oder wenigstens vor Sonnenaufgang müssen die jungen Mädchen an einen fließenden klaren Bach oder auch an den Dorfbrunnen (Abb. 313) gehen und daraus schöpfen. Während bei dieser Beschäftigung in den meisten Gegenden das Sprechen verpönt ist, wird es in anderen wieder gestattet oder sogar gefordert, insofern man einen bestimmten Spruch beim Schöpfen hersagen muß. In jenen suchen die Burschen, die die jungen Mädchen begleiten, sie aus Übermut durch allerhand Neckereien zum Sprechen oder Lachen zu bringen, und wer nun gegen die Vorschrift des Schweigens verstößt, für den ist die Zauberkraft dahin. Diese aber ist in den Augen des Volkes eine ganz außerordentliche. Osterwasser ist gleichsam ein Allheilmittel gegen alle möglichen Krankheiten. Besonders gern wird es gegen Hautkrankheiten angewandt; es soll dem Gesicht Schönheit und Anmut verleihen. Man kocht auch die Speisen am Ostertage mit solchem Wasser; ferner füllt man es auf Flaschen oder in Fässer, um es später gegen allerlei Gebrechen zu trinken. Ähnliche Kräfte werden dem Ostertau sowie etwa am Ostermorgen gefallenem Schnee zugeschrieben.
Phot. J. Brocherel.
Abb. 290. Das Hornussen, ein Volksspiel der Schweizer.
Die eine Partei schlägt den Ball mit einem Schläger möglichst hoch in die Luft, während die andere ihn, bevor er die Erde erreicht, mit hölzernen Scheiben aufzufangen sucht.
Phot. The Tourist Traffic Society of Sweden.
Abb. 291. Weihnachtsfeier in Schweden.
Die an den Christbaum gesteckten Lichter werden am Heiligen Abend angezündet. Am anderen Morgen vor der Christmesse pflegt man die Lichter noch einmal anzuzünden und ins Fenster zu stellen.
Die Sitte der Osterfeuer geht auf die reinigende Kraft der Flamme zurück, mit der ursprünglich die Hexen und Dämonen des Winters vertrieben werden sollten. In vielen Gegenden Deutschlands pflegt das Volk am Abend des ersten Ostertages mit Vorliebe auf Anhöhen, alten Opferstätten oder sonst durch Überlieferung geheiligten Plätzen haushoch aufgetürmte Haufen Holz oder Reisig als Osterfeuer anzuzünden. Vielfach wird noch mit Musik in festlichem Zuge zu der Stätte hinausgezogen und getanzt oder sonstwie gefeiert; auch die Kinder beteiligen sich mit allerlei Schabernack dabei. In einzelnen Gegenden läßt man mit Teer gefüllte Tonnen oder flammende Wagenräder die Berge hinunterrollen und begleitet diesen Vorgang mit lautem Gejohle. Der Glaube an die reinigende Kraft des Feuers tritt noch in einer ganzen Reihe anderer Gebräuche zutage. Im Braunschweigischen behauptet man, daß, soweit die Helle der Osterfeuer reiche oder der Rauch hinziehe, die Felder fruchtbar würden und von Hagel und Mißwachs verschont blieben; die Häuser in diesem Umkreis seien vor Feuersbrunst und Blitzschlag, ihre Insassen vor Krankheit geschützt. Man pflegt auch vielfach die Asche des heruntergebrannten
Feuers auf die Äcker zu streuen oder unter das Futter beziehungsweise die Saat zu mischen, um Gedeihen für Tiere und Pflanzen zu erzielen. In der Altmark malt man mit Kohle das Zeichen des Kreuzes an die Haustür, um seine Bewohner vor Hexen zu schützen, und mehr dergleichen. In katholischen Gegenden werden am Ostersonntagmorgen überall auf den Dörfern die Speisen geweiht. Nach dem Gottesdienst drängen sich Frauen und Mägde um einen der Seitenaltäre zusammen und setzen hier ihre Körbchen nieder, in denen Osterspeisen liegen, in der Hauptsache mit Rosinen reichgespickte Kuchen, ein Stück Schinken und Salz. Der Priester spricht über sie den Segen aus. Die Speisen werden sodann mit besonderer Andacht zu Mittag gegessen, das Salz aber wird vielfach aufgehoben und muß das ganze Jahr hindurch als Heilmittel gegen Krankheit bei Menschen und Vieh dienen. Wie zu Weihnachten, so bäckt man auch zu Ostern besondere Gebäcke, die man in Sachsen Osterfladen, im Elsaß, in Oberbayern und in Böhmen Osterlaibel, in Wien Osterflecken nennt. Es sind meistens dünne, flache Kuchen, die auf das Sonnenrad anspielen. — Auch Umzüge finden zu Ostern hier und dort noch statt. In Wittichenau in Schlesien zum Beispiel setzen sich die männlichen Dorfbewohner auf festlich geschmückten Pferden von der Kirche aus in Bewegung; vor ihrem Aufbruch übergibt der Pfarrer den Teilnehmern ein Kruzifix und ein geweihtes Banner, jeder Reiter nimmt noch ein Psalmbuch mit, aus dem während des Rittes, dessen Ziel die umliegenden Dörfer sind, vorgelesen und gesungen wird (Abb. 310).
Märk. Provinzial-Museum, Berlin.
Abb. 292. Berliner Weihnachtspyramide.
In England haben sich wieder ganz andere Osterbräuche erhalten, wenngleich manche in den Städten bereits so gut wie ausgestorben sind. Am Ostermorgen scharen sich die jungen Burschen zusammen und umringen jedes junge Mädchen auf der Straße mit den Worten: „Lösen Sie gefälligst Ihre Schuhe ein.“ Wenn es nicht sofort einen Penny spendet, zieht man ihm die Schuhe mit Gewalt aus, so daß es ohne solche nach Hause zurückkehren muß. Am Abend oder am nächsten Morgen nehmen die Mädchen dann aber Rache, indem sie von den Männern eine Hutsteuer verlangen und, wenn ihnen diese nicht sofort gezahlt wird, die Hüte der Betreffenden unfehlbar ins Feuer wandern lassen. Eine andere Steuer wird in der Gemeinde Hungerford (Berkshire) am dritten Osterfeiertag von allen Einwohnern erhoben; die Taxe lautet für jeden Mann auf einen Penny, für jede Frau auf einen Kuß. Wenn der Morgen graut, bläst der Chor der Stadtmusikanten vom Balkon des Rathauses seine Weisen, und wenn der letzte Ton verklungen ist, eilt alles auf die Straße, jede Frau und jedes Mädchen wird geküßt, und jeder Mann muß einen Penny bezahlen; dabei werfen alle Beteiligten Nüsse, Apfelsinen und Kupfermünzen unter die Kinder. In einzelnen Orten von Lancashire, Cheshire und im nördlichen Wales wird noch der alte Brauch des „heaving“ geübt, bei dem die Männer die Frauen (und umgekehrt) hochheben und dann küssen dürfen. Am Ostermontag genießt die männliche Bevölkerung dieses Vorrecht, am Osterdienstag die weibliche, und diese macht es sich nicht weniger zunutze als jene.
Phot. The London Electrotype Agency.
Abb. 293. Das Fest des heiligen Nikolaus in Utrecht.
Der Nikolaus oder Klaus sitzt zu Pferde und führt in der Satteltasche allerhand Spielzeug mit, das er des Nachts den Kindern bringt. Sein Knappe Piet hat neben Rute und Sack für unartige Kinder Süßigkeiten bei sich, die er an die Straßenjugend verteilt.
Bevor wir weitergehen, wollen wir noch kurz der volkstümlichen Gebräuche gedenken, die an den drei Festtagen der Karwoche, am Palmsonntag, am Gründonnerstag und am Karfreitag, geübt werden. In katholischen Gegenden Österreichs und Süddeutschlands pflegt man die jungen Triebe der Birken, Weiden, Haselnußbüsche und anderer Sträucher am Sonntag vor Ostern auf feierliche Weise vom Priester einsegnen zu lassen; sie werden dann entweder an die Gläubigen verteilt oder gegen ein paar Pfennige Gotteslohn verkauft. Denn diesen geweihten Zweigen, den sogenannten Palmen — in der Schweiz haben solche Palmen die Gestalt hoher Bäume angenommen (Abb. 314) — wohnt eine geheimnisvolle Macht inne. Die Wohnräume, die man mit ihnen schmückt, bleiben von Unheil verschont; man erreicht dasselbe auch, wenn man diese Kätzchen, wie sie auch heißen, auf glühende Kohlen des Herdes wirft. In der Umgebung Prags schlägt man die Knaben und Mädchen mit den Palmbüscheln, damit sie in der Schule nicht faul werden. In ähnlicher Weise schlagen die badischen Bauern ihr Vieh in der Form eines Kreuzes auf den Rücken, damit es gesund bleibe und reichlich Milch gebe. — Eine ganz eigenartige Sitte ist der Tallsackenmarkt, der am Palmsonntag in Warmbrunn in Schlesien abgehalten wird. Was diesem Jahrmarkt zu seinem Namen und zu seiner Beliebtheit bei alt und jung verholfen hat, das sind die Tallsäcke, die in Unmasse zum Verkauf gestellten, aus Semmelteig angefertigten menschlichen Figuren beiderlei Geschlechts. Die gangbarsten dieser verschiedenen Gebilde haben Augen aus Korinthen und drücken mit den nudelförmigen Armen ein buntgefärbtes Ei an die Brust. Damit der Käufer auch wisse, ob es sich um einen männlichen oder weiblichen Tallsack handelt, bringt man im Gesicht des ersteren als Andeutung des Bartes kleine Teigröhrchen an.
Phot. Carl Seebald, Wien.
Abb. 294.
Krampusverkäufer auf den Straßen Wiens.
Der Gründonnerstag hat seinen Namen wahrscheinlich von der heidnischen Sitte erhalten, um diese Zeit die Erstlinge der Felder, die ersten grünen Gemüse, den Göttern zu opfern; diese Sitte kehrt in dem christlichen Brauch wieder, am Gründonnerstag entweder gänzlich zu fasten, was wohl mit dem Genuß des heiligen Abendmahls zusammenhängt, oder doch sich auf den Genuß grünen Gemüses zu beschränken. Daher schreibt die Volksitte noch jetzt vor, an diesem Tage Blumenkohl, Rapunzeln, Spinat, Schnittlauch, Sprossenkohl, Brennesseln, Taubnesseln, Kerbel, Scharbockskraut, Pimpernelle, Malven und andere Frühlingsgewächse zu verspeisen. Sie werden entweder als einziges Gericht (Salat) oder mit Teig verbacken genossen; in Böhmen sind dies die sogenannten Spinatkrapfen, in Schwaben die Laubfrösche oder Maultaschen. Von sonstigen Gründonnerstagspeisen erfreut sich noch großer Beliebtheit der Honig. Man nimmt an, daß dieser bei den Opfern, die man dem Thor darbrachte, eine große Rolle spielte. Daher schreibt man dem Genuß des Honigs zur Osterzeit, der besonders am Gründonnerstag auf keinem Tische fehlen darf, besondere Heilkräfte zu. Ein Honigbrot, das man an diesem Tage nüchtern verzehrt, soll vor dem Biß toller Hunde und giftiger Schlangen schützen. In Böhmen werfen die Knechte, nachdem sie sich am Ostermorgen durch Waschen in fließendem Wasser gereinigt haben, einen mit Honig bestrichenen Brotbissen in den Brunnen, um das Wasser vor Ungeziefer zu bewahren, oder spritzen zu demselben Zweck mit einer Rute Honig im Zimmer umher; auch legen sie mit Honig bestrichene Brotscheiben in die junge Saat oder binden vor Sonnenaufgang durch Honig gezogene Fäden um die Obstbäume, um deren Fruchtbarkeit zu steigern.
Eine in katholischen Fürstenhäusern übliche Zeremonie des Gründonnerstages ist die Fußwaschung, wie sie unter anderem an dem Kaiserhofe zu Wien in Anwesenheit des ganzen Hofstaates, der Minister und Diplomaten am Vormittag dieses Tages in der Hofburg an zwölf Greisen vom Kaiser selbst unter großer Feierlichkeit vorgenommen wird. An die Waschung schließt sich die Speisung von zwölf Armen an. Auch bei den Mennoniten und den Mitgliedern der Brüdergemeinde ist die Fußwaschung üblich. In dem protestantischen England begnügt man sich bei Hofe damit, Speisen an Arme zu verteilen, und zwar an so viel Personen, als der König und die Königin zusammen Jahre zählen. Die Speisen werden für jeden Armen, der damit bedacht werden soll, sorgfältig in einen Korb verpackt, weswegen der Gründonnerstag in England auch den Namen Korbdonnerstag führt. Etwas Ähnliches hat sich in Antwerpen erhalten. Hier werden im St.-Julien-Hospiz an diesem Tage zwölf Armen, die indessen sich schon an einer Pilgerfahrt beteiligt haben müssen, an einer Tafel die auserlesensten Gerichte und Getränke vorgesetzt. — Daß in christlichen Ländern am Abend des Gründonnerstags das Abendmahl zur Erinnerung an seine Einsetzung durch Christus mit besonderer Feierlichkeit von den Gläubigen genommen wird, verdient ebenfalls hervorgehoben zu werden.
Phot. Schweizer. Gesellschaft f. Volkskunde.
Abb. 295. Eine Maske in Appenzell,
wie sie am St. Nikolaustage unter Begleitung der Einwohner durch die Straßen laufen.
Phot. Schweizer. Gesellschaft f. Volkskunde.
Abb. 296. Teilnehmer an einer Maskerade am Nikolaustage zu Appenzell.
Die Ketten, die sie sich umgehängt haben, bestehen aus großen Glocken.
An den Karfreitag oder Stillen Freitag knüpfen sich allerhand abergläubische Vorstellungen. In Deutschland herrscht durchweg die Meinung, daß man an diesem Tage, wie in manchen Gegenden in der Stillen oder Marterwoche überhaupt — in Flandern führt sie die Bezeichnung „Teufelswoche“ —, keine gewöhnlichen Arbeiten vornehmen, also nicht waschen und im Freien trocknen, nicht zimmern, schneidern, schustern, weben, keinen Dünger aufs Feld fahren, keine Reise unternehmen dürfe und so fort, da sonst Unglück heraufbeschworen werde; so wird beispielsweise auch selten ein Dienstmädchen am Karfreitag seine Stelle wechseln. Ferner knüpfen sich an diesen Tag verschiedene Gebräuche, durch die man allem Unheil vorbeugen und vor allem sich vor Krankheit schützen zu können meint. So glaubt man in England, daß am Karfreitag zu Pulver zerriebenes Brot ein Allheilmittel gegen alle möglichen Gebrechen sei, in Ungarn, daß das Abschneiden der Haare an diesem Tage den Träger ein ganzes Jahr lang vor Kopfschmerzen bewahre, sowie daß am Karfreitag aus dem Strom geschöpftes Wasser sich gegen Augenleiden heilsam erweise. Auch übernatürliche Kräfte kann man sich am Karfreitag aneignen, die übrigens ein an diesem Tage Geborener von vornherein besitzt. In Schwaben ist der Glaube verbreitet, daß man in der Abendstunde des Stillen Freitags imstande sei, verborgene Schätze zu entdecken, die Schlüssel zur Hölle zu schmieden, um damit den Fürsten der Unterwelt zu bannen, und dergleichen.
Phot. Schweizer. Gesellschaft f. Volkskunde.
Abb. 297. Glöckelsinger im Sarntal
am Vorabend des Dreikönigstages.
In katholischen Ländern besteht vielfach das Verbot, am Karfreitag die Kirchenglocken zu läuten. Um nun die Leute auf den Beginn der Messe aufmerksam zu machen, behilft man sich damit, daß man zur festgesetzten Stunde Chorknaben mit hölzernen Klappern, den sogenannten Ratschen, die Straßen durchziehen läßt und dadurch das Glockenläuten ersetzt. — Aus den deutschen katholischen Ländern kennen wir noch eine andere eigenartige Sitte. Am Morgen des Sonnabends vor Ostern werden in den Kirchen alle Lichter ausgelöscht und mit Hilfe von Stahl und Feuerstein, Brennspiegel oder Kristallinsen ein „neues“ Feuer erzeugt, an dem man dann erst wieder die Altarkerzen anzündet. In feierlichem Zuge begibt man sich danach auf den Kirchhof, wo vorher ein mächtiger Holzstoß errichtet wurde, und zündet diesen mit einer der Osterkerzen an, verbrennt auch in seiner lodernden Flamme die Wolle, die der Priester bei der Taufe oder beim Spenden der Letzten Ölung zum Abwischen des Wassers oder des heiligen Öles gebraucht hat, Kirchenlichterreste und alte Meßgewänder; schließlich wirft man an manchen Orten noch eine Strohfigur hinein, die den Verräter Judas Ischariot vorstellen soll. Hier haben wir es wiederum mit einem Überbleibsel jener alten heidnischen Freudenfeuer zu tun, die in der Vorzeit zu Ehren der im Kampfe mit den froststarrenden Winterriesen siegreichen Licht- und Frühlingsgöttin emporloderten und vermöge ihrer reinigenden Kraft die Unheil bringenden Dämonen vertreiben sollten.
Phot. Schweizer. Gesellschaft f. Volkskunde.
Abb. 298. Maskendämonen von Umzügen während der Zwölften (Zürich-Land).
Als ein Ausfluß derselben altgermanischen Anschauung sind auch die Gebräuche und Festlichkeiten anzusehen, die am ersten Mai stattfinden. Um den jungen Lenz zu begrüßen und den Göttern dafür zu danken, daß sie den Winter vertrieben haben, brachten unsere Vorfahren ihnen Opfer dar und schmückten Altar und Wohnstätten mit dem jungen Grün der Birke. Diese schöne Sitte, die Birke als Schmuck für Häuser und Wohnräume, Ställe und Brunnen zu verwenden, hat sich in Deutschland bis in unsere Tage herein erhalten, ist aber zum großen Teil in das Pfingstfest aufgegangen. In früheren Zeiten war es in den Städten sowohl wie auf dem Lande allgemeiner Brauch, den Maien in feierlichem Zuge aus dem Walde zu holen, ihn auf einem freien Platze des Orts aufzupflanzen und das Ereignis mit Tanz, Schmausereien, Gelagen und anderen Volksbelustigungen (Abb. 315) festlich zu begehen. Leider ist diese schöne Sitte schon so ziemlich in Abnahme gekommen; doch begegnet man ihr in Schweden, Thüringen, Bayern und Österreich auch heute noch vielfach. In Skandinavien errichtet man den Maibaum erst am Mittsommertag (Abb. 316). Der heutige Maibaum besteht aber zumeist nicht mehr aus der schlanken, nur mit Bändern geschmückten Birke, wie sie aus dem Walde kommt, sondern vielmehr aus einem hohen Maste, der an seiner Spitze ein Büschel Birkenzweige trägt und im übrigen mit bunten Bändern, Fahnen, Kuchen, Würsten, Figuren, Spielsachen und anderen derartigen Dingen besteckt ist (Abb. 318 und 319). Die jungen Burschen müssen hinaufklettern und sich diese Dinge herunterholen. In einigen Gegenden Schwabens zeichnet man auch den Ortspfarrer, den Lehrer und andere Personen von Rang und Würden durch das Pflanzen eines echten Maibaums vor ihrer Tür aus. Auch tragen hier und da Kinder (die Maijungen) kleine Birkenbäumchen von Haus zu Haus und stellen dem, der ihnen eine reichliche Gabe spendet, einen solchen Busch vor die Tür. Vielfach pflanzen auch die jungen Burschen ihrem Schatz über Nacht einen Maibusch vors Kammerfenster; je größer ihre Liebe ist, um so größer muß das Birkenbäumchen sein. Anderseits stecken sie aber auch einem Mädchen, das seinem Liebsten untreu geworden ist oder sich sonst keines guten Rufes im Dorfe erfreut, einen dürren Stock, auch wohl einen alten Besen oder eine Strohpuppe vors Fenster oder befestigen einen solchen Gegenstand am Dachfirst, um die Betreffende für jedermann deutlich zu brandmarken. Früher, und gelegentlich noch heute, stellte man auch dem Vieh im Stalle einen Maibaum an die Krippe oder an die Pfosten, in der Absicht, es vor den bösen Geistern zu schützen und die Kühe zu reichlicherer Milchabgabe zu veranlassen. Auch werden vielfach die Dorfbrunnen bekränzt, damit sie reichlich Wasser geben.
In der ersten Hälfte der Nacht vor dem ersten Mai, der Walpurgisnacht, läßt der Volksaberglaube die bösen Mächte, im besonderen die Hexen, zu einem eigenen Feste mit dem Teufel zusammenkommen und ihr Unwesen treiben. Als Orte dieser Zusammenkünfte gelten gewisse Berge, vor allem der Brocken oder Blocksberg im Harz sowie der Kniebis im Schwarzwald; übrigens besitzt wohl jede Gegend ihren eigenen Hexenberg. Wie man annimmt, verlassen in dieser Nacht alle Hexen ihre Wohnungen und reiten durch den Schornstein auf Besen, Mistgabeln oder Böcken im schnellsten Fluge nach ihrem Versammlungsplatz, wo der Teufel in Gestalt eines Bockes auf dem Throne sitzt und sich von ihnen huldigen läßt; ein ausgelassenes Gelage mit allen nur denkbaren Orgien bildet den Abschluß dieses Hexensabbats. Um sich vor der Bosheit der Hexen zu schützen, kennt das Volk zahlreiche Abwehrmittel und Vorbeugungsmaßregeln. Zu den harmloseren Mitteln gehört das Anbringen von drei Kreuzen über der Haustür oder das Heraushängen eines Besens. In Deutschböhmen werden die alten Kehrbesen, die man das ganze Jahr über schon für diesen Zweck aufbewahrt hat, im Hause zusammengesucht, mit Fett, Wagenschmiere und Teer getränkt und gegen Mitternacht auf einer Anhöhe angezündet, wobei die Burschen und Mädchen sie wohl mit den Worten „Die Hexen fliegen“ hoch in die Luft schleudern. Im Fränkischen Jura begeben sich die jungen Burschen nach Sonnenuntergang auf den Dorfplatz und beginnen an einigen Orten ein gewaltiges Peitschenknallen, an anderen eine Schießerei.
Phot. Internat. Illustrat.-Co. J. Sanden, Berlin.
Abb. 299. Zwei Kläuse aus Kaltbrunn
mit eigenartigen Kopfbedeckungen (Infuln) und großen Kuhglocken.
Pfingsten, das liebliche Fest, wie es der Dichter nennt, ist aus dem jüdischen Erntefest (Wochenfest) hervorgegangen, das die Kinder Israel, dem Mosaischen Gesetz zufolge, fünfzig Tage nach dem Passah feierten. Bei den Christen bedeutet es den Tag der Ausgießung des Heiligen Geistes und damit zusammenhängend das Stiftungsfest der christlichen Kirche. Daher besteht in katholischen Ländern von alters her der Brauch, am ersten Feiertag vor oder während der Predigt einen reich mit Flittergold und Bändern verzierten Kranz aus jungem Laub, in dessen Mitte der Heilige Geist in Gestalt einer Taube angebracht ist, langsam an einem Strick vom Gewölbe des Gotteshauses auf die Köpfe der Gläubigen hinabgleiten zu lassen. Die dabei etwa abfallenden Goldflitter oder Bänder werden von den Anwesenden aufgefangen und als von Gott verliehenes Pfingstgeschenk das ganze Leben lang im Gesangbuch aufbewahrt.
Phot. Internat. Illustrat.-Co. J. Sanden, Berlin.
Abb. 300. Vom „Klausnen“ in Kaltbrunn.
Der „Geißler“ und der „Dumme August“.
Wie schon angeführt wurde, gehört in erster Linie zum Pfingstfeste auch der Pfingstmaien (Birke); es dürfte wohl kaum einen Ort geben, wo man nicht mit Maien, in der Mark Brandenburg außerdem noch mit Kalmus, Häuser, Stuben, Ställe, Vieh und selbst die Wagen und Eisenbahnen schmückt. Schon am Abend vorher pflegt die Jugend den Maien einzuholen, vielfach unter besonderer Festlichkeit. Die jungen Burschen reiten in den Wald hinaus und kehren reich mit frischem Grün geschmückt im Triumph ins Dorf zurück. Solche „Pfingstritte“ finden verschiedentlich auch noch an den Pfingstfeiertagen statt. Bunt ausgeputzt mit grünen Zweigen und farbigen Bändern, veranstalten die jungen Leute auf ihren in derselben Weise geschmückten Pferden Umzüge oder Wettritte; auch versuchen sie wohl, einen Ring beziehungsweise einen Kranz, der an einer Ehrenpforte oder an einem Galgen aufgehängt ist, im Vorbeigaloppieren mit einem Stock, einer hölzernen Gabel oder einem anderen lanzenartigen Werkzeug herunterzuholen oder herabzustechen; man nennt dies Kranzreiten oder Ringstechen. Wem dies am besten gelingt, der wird zum „Pfingstkönig“ ernannt und im Triumph zum Dorfplatz geführt, wo ihm meistens von einer Dorfschönen ein Geschenk zuteil wird, während der, dem es nicht glückte, im Vorbeigaloppieren etwas zu erlangen, der „Pfingstjunge“ heißt und für Spott nicht zu sorgen braucht. In der Mark Brandenburg besteht das „Königsreiten“ in einem großen Umzuge; voran reitet der Pritschmeister, der in der neugierig umherstehenden Menge Platz schafft, an seiner Seite der „Mückenscheucher“, der einen großen Birkenstrauch mit einer Klingel in der Hand trägt und bald diesem, bald jenem auf den Kopf klopft. Diesen beiden folgt der „König“, meistens der älteste Knecht der Herrschaft, auf einem mit Grün, Blumen und Bändern schön geschmückten Roß, den Schluß bilden die übrigen jungen Burschen. Der Zug bewegt sich durch das Dorf; von jedem Besitzer wird ein Geldgeschenk erhoben, das nach Beendigung des Umzugs im Gasthof in Essen und Trinken umgesetzt wird. Eine schwere Rolle hat beim Umzug der „König“ zu spielen; er darf die ganze Zeit über nicht lachen, nicht einmal die Miene verziehen, selbst wenn die übrigen allen möglichen Unfug mit ihm treiben, sonst muß er im Gasthof für alle die Zeche bezahlen.
Abb. 301. Schwimmenlassen der Lebenslichter am Silvesterabend.
Jedes der auf Nußschalen gestellten Lichtchen bezeichnet das Lebenslicht eines der Teilnehmer.
Auch unter den Pfingstbräuchen ist eine ganze Reihe, die den Sieg des Frühlings über den Winter widerspiegelt. So wird in der Gegend von Halle an der Saale ein Strohmann auf einen Karren gelegt; die Pfingstburschen des Dorfes geben sich alle erdenkliche Mühe, diesen Karren mit verbundenen Augen an den Rand einer Grube, die einem Grab nicht unähnlich sieht, zu fahren und seinen Inhalt hineinzuwerfen, um ihn dann zu vergraben. In der Altmark setzt man die Strohpuppe auf eine Kuh und jagt diese so lange herum, bis die Puppe herabfällt. In Bayern wird der Knecht, der am Pfingstmontag die Zeit verschläft, ergriffen, in den Wald geschleppt, ganz in Grün eingehüllt und auf ein Pferd gesetzt; auf diesem muß er in Begleitung des ganzen Dorfes zum nächsten Teich reiten, wo er feierlichst ins Wasser geworfen wird. Diese und ähnliche Gebräuche, denen wir, manchmal nur noch in ihren letzten Ausläufern, in den verschiedensten Gauen unseres Vaterlandes begegnen, sollen das Austreiben des Winters versinnbildlichen.
In vielen Gegenden besteht noch die alte Sitte, das Vieh zu Pfingsten, meistens am Sonnabend vor dem Fest, zum erstenmal auf die Weide zu treiben, wo es in katholischen Gegenden vielfach vom Priester eingesegnet wird (Abb. 317). Tags zuvor gehen die Hütejungen unter Peitschenknallen (auch dieses ein Zeichen der Austreibung des Winters) im Dorfe herum und sagen es den Knechten und Mägden an. Diese beeilen sich darauf, ihr Vieh möglichst frühzeitig hinauszutreiben; jeder setzt seinen ganzen Stolz darein, der erste am Platze zu sein. Der Kuh, die zuerst auf der Weide eintrifft, wird für gewöhnlich ein Kranz um den Hals und um die Hörner sowie ein Birkenbusch an den Schweif gebunden (Abb. 323). Der Knecht, der sich zuletzt mit seinem Vieh auf der Weide einfindet, heißt der Pfingstlümmel oder Pfingstochse, auch wohl der Pfingstbötel oder Pfingstkärel; er wird zum Gegenstand des Spottes und bleibt es das ganze Jahr hindurch. In Thüringen hüllt man den zuletzt Eintreffenden ganz in Tannen- und Birkenzweige ein und peitscht ihn durch das Dorf, wo er überall mit dem Zuruf „Pfingstschläfer“ begrüßt wird. Eine Magd, die sich am Pfingstsonntag zuletzt im Stalle zum Melken einfindet, erhält den Namen Pfingstbraut. Noch schlimmer ergeht es einem Mädchen auf dem Lande in Steiermark, das am Pfingstmorgen den Sonnenaufgang verschläft; es kommen dann die Nachbarburschen mit einer lebensgroßen, aus Stroh und Lappen angefertigten Puppe, die einem zerfetzten Vagabunden gleicht, und hängen sie zum Gespött an einem Baumast vor dem Fenster der Langschläferin auf. Wer von den jungen Burschen aber die Zeit verschläft, dem setzen die Mädchen einen Strohkranz auf den Kopf und rufen ihn als „Pfingstlücken“ oder „Pfingstnudel“ aus.
Phot. Hanfstaengl, München.
Abb. 302. Das Fest des Bohnenkönigs.
(Nach dem Gemälde von Jordaens in der Kaiserl. Gemäldegalerie in Wien.)
In nordischen Ländern, im besonderen in England, finden die Weihnachtsgebräuche ihren Abschluß in dem Bohnenfest. Wer von den versammelten Gästen von den unter sie verteilten Stücken eines Kuchens, in den man eine Bohne gebacken hat, das die Bohne bergende erhält, wird König und wählt sich einen Hofstaat. Sobald der König trinkt, müssen alle Anwesenden ihm Bescheid tun.
In manchen Orten Thüringens werden am Pfingstfest die Brunnen geschmückt, der Brunnenschaft mit Birkengrün umwunden, die kleine Ausflußröhre noch besonders mit einem Vergißmeinnichtkränzchen umgeben und das obere Ende der senkrechten Brunnenröhre mit einer Krone aus Tulpen geziert. Das Einholen des Grüns aus dem Walde, das sogenannte Waldfahrten, an dem sich alt und jung beteiligt, gestaltet sich zu einem wirklichen Volksfest (Abb. 324).
Phot. J. Brocherel.
Abb. 303. Szene aus dem „Sechseläuten“ zu Zürich.
Der durch eine Strohfigur dargestellte Winter wird öffentlich verbrannt.
Bevor wir die Pfingstbräuche verlassen, über die sich noch sehr vieles sagen ließe, wollen wir noch einer ganz allein in dem Städtchen Echternach im Luxemburgischen heimischen Pfingstsitte gedenken, der Springprozession. An ihr pflegen sich für gewöhnlich weit über zehntausend „Springer und Beter“, wie sie vom Volke genannt werden, zu beteiligen; noch weit größer ist die Zahl der sich als Zuschauer Einfindenden. Nach einer Predigt auf der Sauerbrücke ordnet sich der stattliche Zug zum Einmarsch in die Stadt. Voran schreitet die Geistlichkeit unter Führung der Kirchenfürsten, gefolgt von Mönchen und Nonnen. Hieran schließen sich zunächst die in Gruppen geordneten Springer; jeder Gruppe geht eine Musikbande voran. Die Weise, die sie ertönen läßt, geht nach der bekannten Melodie: „Adam hatte sieben Söhne.“ Hierbei führen die Springenden einen Tanz auf, bei dem jeder Teilnehmer erst fünf Schritte vorwärts und dann drei Schritte rückwärts springt; in derselben Reihe Tanzende reichen sich die Hände oder verbinden sich miteinander durch Taschentücher. Da bei dem großen Gedränge des öfteren eine Stockung eintritt, so müssen die Springbewegungen häufig auf der Stelle ausgeführt werden. Etwa alle zehn Minuten tritt eine Pause ein, während deren entweder Gebete gemurmelt oder Erfrischungen eingenommen werden. Natürlich kommt der Zug unter diesen Umständen nur ganz langsam vorwärts; nach etwa anderthalb Stunden sind die Ersten der Wallfahrer bei der zur Statue des heiligen Willibrord hinaufführenden neunundsechzigstufigen Treppe angelangt. Dann beginnt aber erst das große Schauspiel für die Zuschauer. Die Stufen müssen „hinaufgetanzt“ werden, das heißt jeder Teilnehmer muß, wenn irgend möglich, immer fünf Stufen hinauf- und dann drei wieder herunterspringen. Oben in der Kirche schweigt die Musik, die Gläubigen treten zu dem Altar des heiligen Willibrord, der über dessen angeblichem Grabe errichtet ist, heran und legen ihre Opfergaben, meistens Geld, in die an der Steinfigur aufgestellten Körbe, berühren mit ihren Rosenkränzen oder sonstigen Gegenständen, die man weihen zu lassen wünscht, die Hände des Standbildes und gehen langsam durch die Tür auf der anderen Seite der Kirche wieder hinaus. Damit ist der heiligen Pflicht Genüge geleistet; die Menge löst sich sofort auf, und die Teilnehmer lagern sich erschöpft auf dem Platze oder in sonst verfügbaren Räumen. Sodann aber begeben sie sich in die Wirtshäuser und belustigen sich auf alle nur mögliche Weise, denn stets ist ein großer Jahrmarkt mit der kirchlichen Feier verbunden.
Phot. Berl. Illustrat.-Ges. m. b. H.
Abb. 304. Fastnachtsmasken aus dem Sächsischen Erzgebirge,
wie sie nach altem Brauch von Haus zu Haus ziehen.
Abb. 305. Bunte Ostereier aus dem Spreewald.
Wir kommen jetzt zu dem Johannisfest, das gleichfalls heidnischen Ursprungs ist, aber von der christlichen Kirche, gleichsam als Entsühnung, dem Andenken des heiligen Johannes des Täufers geweiht wurde. Es fällt in den Mittsommer oder die Sommersonnenwende, den Zeitpunkt, an dem die Tage ihre größte Länge erreichen, die Sonne also am höchsten steht oder, wie die alten Germanen annahmen, der Sonnengott Wodan auf seiner Fahrt die höchste Stelle am Himmelszelt erreicht hat und nun im vollen Gefühl seines Sieges über die feindlichen, lichtscheuen Mächte eine Weile rastet, um dann mit der Freia seine Hochzeit zu begehen. In den Augen der alten Nordländer war der Mittsommertag kein geringeres Fest als das der Wintersonnenwende.
Abb. 306. Das Eierpicken,
ein Osterspiel der Jugend im Spreewalde.
Dem Gotte zu Ehren zündete man allenthalben Feuer an, die man unter Absingung von Sonnwendliedern umtanzte oder, um sich symbolisch zu reinigen, übersprang. Noch heutigestags flammen an vielen Orten, namentlich in Süddeutschland und Tirol, am Abend vor Johanni auf den Höhen Freudenfeuer empor (Sonnwendfeuer, Sungibtfeuer, Fro- oder Fronfeuer); meistens sind es Scheiter- oder Reisighaufen, zu denen die Jugend schon tagelang vorher den Brennstoff zusammentrug oder früher unter Absingung bestimmter Lieder sich zusammenbettelte. Die Burschen und Mädchen des Dorfes versammeln sich festlich gekleidet um die lodernde Glut; Paar um Paar springt unter Gesang über den im Auslöschen begriffenen Holzstoß. Mit diesem Sprung ist oft genug eine abergläubische Bedeutung verbunden: wer ihn ausführt, bleibt das Jahr über von Krankheit verschont, kann auf eine gute Ernte hoffen und darf auf sonstige Glücksfälle rechnen. Auch Kräuter, die in das Feuer geworfen werden — beliebt ist besonders Beifuß — bannen Krankheit und Unheil. Sehr gebräuchlich war früher auch, daß jeder Teilnehmer ein angebranntes Scheit mit sich forttrug, das er auf dem Herd seines Hauses aufbewahrte oder noch in derselben Nacht zur Erhöhung der Fruchtbarkeit auf seinen Acker steckte. In Schlesien, in den Rheinlanden und in Kärnten rollt man mit Stroh und Werg umwundene Holzräder oder Scheiben von den Höhen herab ins Tal (Scheibenschlagen); stürzt das Rad noch flammend in ein unten etwa vorhandenes Gewässer, dann kann man auf eine gute Ernte rechnen. Während die Scheibe hinuntersaust, spricht der „Scheibentreiber“ in manchen Gegenden einen Vers, der gleichsam eine Widmung enthält, oder er nennt den Namen einer Person, der zu Ehren er sie hinabrollen läßt; die jungen Burschen widmen die Scheibe natürlich ihrer Liebsten. Aber auch zur Beschimpfung und Verspottung von Personen, die sich etwas zuschulden kommen ließen oder sich mißliebig machten, werden Scheiben „geschlagen“; dieser Brauch erinnert insofern an das Haberfeldtreiben.
Phot. Schweizer. Gesellschaft f. Volkskunde.
Abb. 307. Szene aus einem Fastnachtsbrauch in Appenzell.
Eine Strohfigur wird durch vermummte Leute aus dem Dorf ins Freie gefahren und hier feierlich verbrannt.
Phot. Schweizer. Gesellschaft f. Volkskunde.
Abb. 308. Osterbrauch in der Schweiz.
Es wird ein Wettkampf ausgefochten in der Weise, daß jemand eine bestimmte Strecke hin- und zurücklaufen muß, während ein anderer zwei- bis dreihundert Eier aufzuheben hat, die in einer langen Reihe längs der Landstraße liegen. Wer zuerst mit seiner Aufgabe fertig ist, hat gewonnen.
Neben dem Feuer spielt zu Johanni auch das Wasser eine große Rolle; ihm kommt eine reinigende, alles Elend und alle Sünde fortspülende Kraft zu. Dieser Glaube hängt wohl mit der heidnischen Vorstellung von der Gewalt der wasserspendenden Gottheit zusammen, die im Hochsommer ihre Macht in zahlreichen Unwettern zum Segen oder Unsegen der Menschen kundgibt. Daher brachte man ihr früher auch Menschenopfer dar. Die Taufe durch Johannes ist die christliche Auslegung dieser heidnischen Anschauung. In Schwaben gilt ein am Johannistage genommenes Bad für neunmal heilkräftiger als ein gewöhnliches. Am Mittelrhein werden daher an diesem Tage die Brunnen gereinigt; wo man dies unterläßt, da wählt sich der Fluß von selbst seine Opfer durch Überschwemmung. Aus demselben Grunde darf man am Bodensee am Johannistage überhaupt nicht im See baden, und die Schiffer behaupten, man dürfe an ihm auch keine Antreibenden herausziehen, denn das hieße dem Wassergott seine Opfer wieder entreißen. Mit der Vorstellung von der reinigenden Wirkung des Johanniswassers hängt auch der Aberglaube zusammen, daß der an diesem Morgen eingesammelte Tau ein vorzügliches Mittel gegen Sommersprossen abgebe.
Abb. 309. Das Eierkullern, ein Osterspiel im Spreewalde.
Eine schiefe Ebene werden Eier hinabgerollt; wessen Ei das eines Mitspielenden trifft, hat dieses gewonnen.
Einer ganzen Reihe von Pflanzen wird am Johannistage eine besondere geheimnisvolle Kraft zugeschrieben. Als solche heilkräftigen Kräuter gelten das Johanniskraut oder Hartheu, die Hauswurz, der Bärlapp oder das Hexenkraut, der Wermut oder Beifuß, das Eisenkraut, der Rittersporn, das Gottesgnadenkraut, das Kardobenediktenkraut, das Liebstöckel, der Steinfarn und noch andere Pflanzen. So befreit die Wurzel der Hauswurz, an einem roten Faden um die Schulter getragen, von Hämorrhoiden, Beifuß hält die Müdigkeit fern, Eisenkraut läßt durch Eisen geschlagene Wunden schneller heilen und versöhnt durch Streit entzweite Leute, der Same des Steinfarnkrautes macht unsichtbar oder läßt, neben Geld gelegt, dieses nicht weniger werden, auch wenn man davon nimmt, und so weiter. Besonders wirksam ist die Kraft aller dieser Zaubermittel, wenn sie in der Johannisnacht gepflückt werden. An der Spitze aller Johanniskräuter steht aber unzweifelhaft das Hartheu; es erfreut sich eines allgemeinen Rufes als Heilmittel bei Wunden, Quetschungen, Bruchleiden, Verrenkungen und allen möglichen anderen Gebrechen. Im Hause oder im Stall befestigt, schützt das Hartheu oder Johanniskraut ferner vor Feuersgefahr, Blitz, Ungewitter, Hexen und sonstigem Unheil. Selbst zu Weissagungen wendet das verliebte Bauernmädchen in Holstein es an. Will es nämlich erfahren, ob es mit dem Gegenstand seiner Liebe vereint werden wird, so bricht es am Johannisabend zwei Zweige des Hartheus ab, einen etwas längeren, der den Schatz bedeutet, und einen kürzeren, der es selbst darstellen soll; beide Zweige werden darauf stillschweigend mit den Spitzen nach unten in die Spalte eines Dachbalkens gesteckt; hier wachsen sie in allerlei Verschlingungen weiter fort. Vereinigen sich dabei die beiden Spitzen, dann deutet dies auf Erfüllung des stillen Wunsches; entfernt sich aber der eine Zweig von dem anderen, dann ist die Liebe hoffnungslos.
Phot. The London Electrotype Agency.
Abb. 310. Osterprozession zu Wittichenau in Schlesien.
Am Morgen des ersten Ostertages machen sich eine Anzahl Bürger beritten und begeben sich zur Kirche, wo ihrem Anführer vom Priester ein geweihtes Kruzifix übergeben wird. Mit diesem wird dann ein Umritt gehalten.
Phot. E. H. Binney.
Abb. 311. Sankt Georg und der Türkische Ritter,
Gestalten aus einem in England verbreiteten Fastnachtspiel, in dem der Kampf des heiligen Georg, sein Tod und seine Auferweckung dargestellt werden.
Phot. The Sport and General Preß Agency.
Abb. 312. Teilnehmer an einem Fußballspiel am Fastnachtdienstag in Ashbourne,
wie es vielfach an diesem Tage ohne feste Regeln von zwei Parteien aus der Gemeinde auf offener Straße gespielt wird.
Aus Raumgründen ist es leider nicht möglich, auf die zahlreichen anderen Gebräuche teils an kirchlichen, teils an weltlichen Festen näher einzugehen, wie sie zum Beispiel üblich sind am Sankt Georgstag, Himmelfahrtstag, den drei gestrengen Herren, Fronleichnamsfest, Mariä Himmelfahrt, Peter und Paul, Lambertustag, Erntefest, Michaelistag, Allerheiligen und Allerseelen (Abb. 320), Hubertustag, Martinstag, Andreastag, Kirchweih (Abb. 321, 322 und 326), Weinlese (Abb. 327) und so fort (Abb. 325, 328 bis 336 und 345). Die meisten dieser Gebräuche entpuppen sich, wenn man ihnen auf den Grund geht, als Überreste aus heidnischer Zeit. Um ein Beispiel hierfür anzuführen, so verdanken Allerheiligen und Allerseelen, beides wichtige Feste der katholischen Kirche, ihre Entstehung altheidnischen Opferfesten, durch die man sich gegen die Macht der bösen Geister, die man vielfach als die Seelen Abgeschiedener auffaßte und an die Oberwelt zum Besuche ihrer Angehörigen zurückkehrend sich dachte, zu schützen beziehungsweise sie zu versöhnen trachtete. Die alten Römer (Lemurenfest), wie auch die alten Kelten, Skandinavier, Isländer (Kauri) und andere Völker des Altertums schlachteten zum Schutze gegen solche Geister Tiere und luden die Geister zum Mahle ein. Anklänge an solche Opfer finden wir an vielen Orten noch am Allerheiligentage. In Schweden und Finnland setzt man den Elfen, die man noch heute für die Geister Verstorbener ansieht, die der ewigen Seligkeit nicht teilhaftig werden können, an diesem Abend Speisen und Getränke vor. Die christliche Religion hat die Opfer an die Geister durch Gebete für die Seelen der Abgeschiedenen und durch andere fromme Gebräuche zu ihren Gunsten ersetzt. So zum Beispiel läuten Knaben im Elsaß am Vorabend des 1. November eine Stunde lang die Kirchenglocken, weil um diese Zeit die Seelen der Verdammten aus dem Fegfeuer gehen dürfen, und halten darauf einen Rundgang in den Häusern, um eigens für diesen Zweck gebackene Brötchen oder eine Belohnung in Geld zu erbetteln. In Flandern errichten die Knaben am Abend vor Allerseelen auf der Straße kleine, mit brennenden Kerzen beleuchtete Altäre und gehen die Vorübergehenden um milde Kuchenspenden an, für die Seelen im Fegfeuer, wie sie sagen. Allerdings übernehmen sie für diese gleichzeitig die Arbeit des Essens. Von den dabei erbettelten Geldstücken werden am nächsten Morgen die „Zielenbröderche“ (Seelenbrötchen) gekauft, ein feines, mit Mandeln in Kreuzform verziertes und zur Versinnbildlichung des Fegfeuers stark mit Safran und rotem Farbstoff gefärbtes Gebäck, mit dem man ebensoviel Seelen aus dem Feuer erlösen kann, als man Seelenbrötchen ißt. Ein ähnlicher Brauch besteht in einigen Gegenden Englands. Hier gehen die Kinder unter dem Rufe „Seele, Seele, um ein oder zwei Äpfel!“ herum und betteln um Kuchen, Bier und Äpfel. An vielen Orten Deutschlands kennt man für den Allerseelentag bestimmte Gebäcke, die als Seelenwecken, Seelenzöpfe, Seelenbrezeln und so weiter bezeichnet werden. — Sehr verbreitet ist auf den Britischen Inseln die Sitte, am gleichen Tage das Schicksal einer ehelichen Verbindung oder einen etwa bevorstehenden Todesfall im voraus zu erforschen, die man übrigens auch im schottischen Hochlande kennt. Hier zündet man am Allerseelenabend ein Feuer an, häuft seine Asche in Form eines Kreises auf und legt am Rande der Asche für jedes Familienmitglied einen Stein hin. Findet man am anderen Morgen diesen nicht mehr an der alten Stelle oder den Kreis sonstwie beschädigt, dann weiß man, daß die betreffende Person im nächsten Jahre sterben wird.
In den katholischen Ländern ist es allgemein Sitte, daß sich am Allerseelentage die Angehörigen von Verstorbenen zu dem Gottesacker begeben, um deren Grabstätten auszuschmücken — ein Rest des altheidnischen Opfers — und zu beten, und am Allerheiligentage werden die Heiligen um ihre Hilfe zur Erlösung der armen Seelen angerufen. Die evangelische Kirche feiert etwa um die gleiche Zeit, wenn auch nicht an einem bestimmten Kalendertage, ein ähnliches Erinnerungsfest, das Totenfest.
Abb. 313. Holen des Osterwassers (Spreewald).
Phot. Schweizer. Gesellschaft f. Volkskunde.
Abb. 314. Eine „Palme“ vom Palmsonntag (Kanton Aargau).
In Wirklichkeit ist es eine Tanne, die mit Flittern, Früchten, Eiern und geweihten Bändern ausgeputzt ist.
In derselben Weise wie an die Feste knüpft sich an die Verrichtungen und Ereignisse des täglichen Lebens allerlei zum Teil ganz grober Aberglaube, und zwar nicht nur bei denen, die zu den ungebildeten Gesellschaftschichten zählen, sondern sehr häufig auch bei solchen, die für gebildet und aufgeklärt gelten wollen. Eine Wiedergabe der zahlreichen Gebräuche, Gewohnheiten und Anschauungen, denen wir beinahe auf Schritt und Tritt begegnen, am meisten natürlich beim Landvolk, würde allein einen ganzen Band füllen; wir müssen uns deshalb darauf beschränken, auf einige wenige Beispiele hinzuweisen, wie das Anzaubern und Anhexen von Krankheiten, das Besprechen derselben zu ihrer Heilung, das Hersagen von sogenannten Segen (Diebessegen, Kugelsegen, Bienensegen und so fort) zur Abwendung von Gefahren oder zur Ermittlung des Verbleibs gestohlener Sachen, die Furcht vor dem bösen Blick sowie vor der Zahl dreizehn, die Verkündigung bevorstehenden Glücks oder Unglücks durch den Ruf gewisser Tiere und dergleichen. Länger wollen wir dagegen bei den drei wichtigsten Ereignissen des Lebens verweilen, der Geburt, der Heirat und dem Tode.
Phot. E. H. Binney.
Abb. 315. Hans im Grünen,
ein alter Maibrauch, der jetzt nur noch von der Gilde der Schornsteinfeger geübt wird.
Der deutsche Volksglaube verlegt den Ursprung der neugeborenen Kinder teils in Gewässer, Flüsse oder Brunnen, teils in Felsspalten, Höhlen und hohle Bäume. Von hier holt sie der Storch (Norddeutschland) oder die Hebamme (Süddeutschland) und führt sie den Eltern zu. In England läßt man die kleinen Kinder aus weniger geheimnisvollen Orten herkommen, wie aus dem Kohlkopf, dem Petersilienblatt, dem Stachelbeerstrauch oder auch aus der Tasche des Doktors. Der Storch, an der Wasserkante Adebar genannt, wirft die Kleinen oben in den Schornstein hinein und beißt die Mutter ins Bein, weswegen sie einige Tage das Bett hüten muß; die Geschwister beglückt er mit Zuckertüten.
Bereits mit der Schwangerschaft setzen allerlei abergläubische Gebräuche ein. Das Versehen der Schwangeren spielt eine große Rolle beim Volke, weswegen man sich bemüht, alle schrecklichen und häßlichen Eindrücke von der angehenden Mutter fernzuhalten; sie darf unter anderem auch keinen verkrüppelten Menschen erblicken, weil sonst das Kind ebenso mißgestaltet werden könnte, kein brennendes Haus sehen, weil das Kind sonst ein Feuermal bekäme und mehr dergleichen. Vielmehr sucht man der Schwangeren immer nur möglichst schöne Gestalten und Bilder vor Augen zu führen. Mancherlei Tabus werden der Frau während ihres gesegneten Zustandes auferlegt. So darf sie sich nicht das Haar kürzen, weil sonst das Kind kahlköpfig werden würde, ihren Zustand nicht verleugnen, weil es sonst schwer sprechen lernen würde, nicht erschreckt oder gereizt werden, weil das Kind sonst leicht zornig werden könnte, auch nicht waschen oder spinnen, nicht unter etwas hindurchkriechen und so weiter. Auf der anderen Seite wieder wird es gern gesehen, wenn eine Frau, die guter Hoffnung ist, von einem Baume, der zum erstenmal Früchte trägt, etwas genießt, damit derselbe fortan reichlicher trage. In England darf keine Frau, die selbst nährt, zu einer Schwangeren gehen, denn dadurch könnte diese Gefahr laufen, ihr Kind später nicht selbst stillen zu können. Hat die Stillende diese Vorsicht doch außer acht gelassen, dann gibt es ein Mittel dies wieder gutzumachen: die künftige Mutter muß sich das Kind der Schuldigen heimlich zu verschaffen suchen und es mit Hilfe einer Freundin über ihre Schürze gleiten lassen.
Phot. Underwood & Underwood.
Abb. 316. Szene von der Johannisfeier in Skandinavien.
Das Landvolk tanzt um den mit Blumen und Kränzen verzierten Mittsommerbaum (Majstang).
Die Geburt sucht man auf mancherlei Weise zu erleichtern, so durch Darreichung von allerhand Tränklein, bei denen dem Honig eine wichtige Rolle zukommt, durch Umhängen von Amuletten, Unterlegen eines Gebetbuches oder eines Himmelsbriefes unter das Kopfkissen der Kreißenden und ähnliche Maßnahmen. In Norwegen muß man, wenn eine Entbindung bevorsteht, alle Knoten im Hause, besonders an den Kleidern, lösen. — Anklängen an die Couvade begegnen wir noch auf den Britischen Inseln. Vielfach glaubt man hier auf dem Lande, daß von den Geburtschmerzen der Mutter etwas auf den Vater übergehen könne, bei diesem aber eine andere Form annehme, zum Beispiel die heftiger Zahnschmerzen oder des Reißens. Eine Irin zieht bei der Niederkunft den Rock oder die Beinkleider ihres Mannes an, damit er die Schmerzen mit ihr teile und sie dadurch Linderung erfahre.
Phot. J. Brocherel.
Abb. 317. Segnen des Viehs im Wallis,
wie es jedes Frühjahr vom Priester vorgenommen wird.
Das Neugeborene wird im Wasserbad gereinigt, zu dem man öfters Zusätze macht, zum Beispiel Milch, damit das Kind eine schöne weiße Haut bekomme, oder Weihwasser beziehungsweise einen Rosenkranz, damit es fromm werde, bei einem Mädchen wohl auch eine Spindel, damit es fleißig werde, bei einem Knaben Geld, damit er viel verdiene. Dem Badewasser wird nicht nur eine reinigende Kraft und Schutz gegen Zauberei für das Kind, sondern auch ein fördernder Einfluß auf alles Lebendige, das mit ihm in Berührung kommt, zugeschrieben; so sollen die Obstbäume, die man mit dem Badewasser begießt, reichlicher Früchte tragen. Im nordöstlichen Schottland wickelt man einen neugeborenen Knaben in ein Frauen-, dagegen ein Mädchen in ein Männerhemd, damit das Kind in seinem späteren Leben nicht ledig bleibe. In Friesland besteht ein eigenartiger Brauch bei der Geburt eines Sohnes. Die Freundinnen der Mutter beeilen sich, in möglichst großer Zahl sich in dem Zimmer der Wöchnerin einzufinden und hier Branntwein aus einem besonderen Becher zu trinken. Auch erheischt es die gute Sitte, daß jede von ihnen eine Torte mitbringe, die dann alle, manchmal zwanzig und mehr, im Zimmer aufgestellt werden. An der Zahl der Torten, die die junge Frau erhält, läßt sich die Größe ihres Ansehens und ihrer Beliebtheit ermessen, denn jede Torte bedeutet ja eine Freundin.
Mit einer sogenannten Glückshaube geboren zu werden, bedeutet Glück während des ganzen Lebens. Desgleichen steht solches einem Kinde bevor, dessen Kopf einen doppelten Haarwirbel aufweist. Aber gleichzeitig ist ihm auch eine unangenehme Beigabe mit auf die Welt gegeben, nämlich recht zornig und widerspenstig zu werden. Die Jahreszeit, der Tag und die Stunde besitzen vielfach ihre besondere Bedeutung. Kinder, die an einem Sonntag geboren sind, besonders wenn dieser auf den Anfang des Neumondes fiel (Österreich), sind Glückskinder, denen das Unglück nie etwas anhaben kann. Auch besitzen sie die Gabe des zweiten Gesichts und die Fähigkeit, Unglück und Hexen zu bannen, sowie verborgene Schätze aufzudecken. Ebenso sind Kinder, die zu Weihnachten oder in den Zwölften zur Welt kommen, vom Glück begünstigt. Als Unglückstage werden der Freitag und die ersten Tage des Monats angesehen. Von den Tagesstunden gilt die Stunde nach Mitternacht für glückbringend. Im westlichen Irland dagegen sieht man Mitternacht als eine gefährliche Zeit an. Um ein zu dieser Stunde geborenes Kind vor dem ihm bevorstehenden Unglück zu schützen, muß man es sofort mit Weihwasser besprengen und sieben Tage lang mit besonderer Sorgfalt behüten. — Am Abend des Tages der Geburt wird im Norden Großbritanniens, gelegentlich auch im Westen, eine Festlichkeit veranstaltet, bei der dem Käse eine wichtige Rolle zufällt. Der Vater schneidet ein „tüchtiges Glückstück“ von dem „stöhnenden Käse“ ab, zerlegt es in soviel Stücke als junge Mädchen anwesend sind — wobei er sich beileibe nicht in den Finger schneiden darf, weil das Kind sonst schon in jungen Jahren sterben würde — und verteilt an jedes ein Stück. Die Mädchen aber legen sich ihr Stück für die Nacht unter das Kopfkissen, um von ihrem zukünftigen Gatten zu träumen. In Yorkshire ißt man Pfefferkuchen zu dem Käse, in Cornwallis eine besondere Art Gebäck, den „Seufzerkuchen“.
Abb. 318. Tanz um den Maibaum.
Die Wöchnerin gilt sechs Wochen lang als unrein und während dieser Zeit auch dem Einflusse böser Geister ausgesetzt. Daher pflegt man in der Gemeinde Buchberg bei Kufstein zu deren Vertreibung dreimal mit einer Glocke um das Haus zu läuten. Mit ihren „Wochen“ ist für die junge Mutter allerlei Tabu verknüpft. Eine Wöchnerin darf nicht in den Garten gehen, sonst wüchse nichts mehr darin, kein Wasser aus dem Brunnen schöpfen, sonst würde er versiegen, kein anderes Haus betreten, sonst würde Unfriede dort entstehen, keinem Leichenzuge nachsehen, sonst stürbe bald ihr Mann, ebensowenig einem Hochzeitszug, sonst würde bald Streit zwischen den jungen Eheleuten ausbrechen, und was dergleichen mehr ist. Ihr erster Ausgang muß der Kirche gelten zur Einsegnung; lenkt sie ihre Schritte nach der Niederkunft anderswohin, dann bringt sie Unglück ins Haus oder Unfruchtbarkeit dem Acker. Auf ihren ersten Kirchgang pflegt sie ein Goldstück im linken oder drei Stückchen Brot im rechten Schuh mitzunehmen, beides gegen dämonischen Einfluß, der ihr auf dem Wege dorthin begegnen könnte. Vielfach bestehen auch bestimmte Speiseverbote, sowohl für die Wöchnerin wie für die ganze Familie. An manchen Orten ist eine ganz bestimmte Speisenfolge für die einzelnen Tage vorgeschrieben.
Abb. 319. Dachauer Maibaum.
Der erste Mai gilt auf dem flachen Lande noch heute vielfach als sog. „Bauernfeiertag“; es wird an ihm der Maibaum gesetzt, ein ausgeputzter Tannenstamm, um den die jungen Leute tanzen.
Bis zur Taufe bestehen auch für das Kind bestimmte Vorschriften. Es darf nicht allein gelassen werden, sein Bettchen darf nicht aufgedeckt bleiben, auch wenn es nicht darin liegt; man würde damit das Grab für das Kind zurechtmachen oder bösen Geistern den Zutritt ermöglichen. Aus demselben Grunde muß beständig nachts über Licht brennen und stets die Tür geschlossen gehalten bleiben. Die leere Wiege darf nicht geschaukelt werden, weil man sonst dem Kinde die Ruhe nehmen würde. Es darf vor der Taufe auch nicht gemessen werden, weil sich sonst bald der Tischler einstellen könnte, um für den Sarg Maß zu nehmen. — In katholischen Ländern, besonders in Österreich, wird der böse Blick sehr gefürchtet. Um das Kind gegen ihn zu schützen, werden viele Kunstgriffe angewandt. Sieht zum Beispiel jemand das Kind scharf an, dann macht man das Zeichen des Kreuzes über dasselbe oder tut so, als speie man es an, oder man zupft es an der Nase. An manchen Orten setzt man dem Badewasser für das Kind eine besondere Kräutermischung zu, an anderen bindet man ihm einen Wolfszahn um den Hals. Ein weit verbreitetes Abwehrmittel besteht darin, daß man dem Kinde ein rotes Bändchen um den Arm bindet oder ihm eins seiner Kleidungstücke verkehrt anzieht. — Auf den Britischen Inseln zeigt das Volk große Furcht vor dem Zauber der Feen, die erst durch die Taufe beseitigt werden kann. Damit nun kein ungetauftes Kind eine Beute der Feen werde, nimmt man seine Hilfe zu allen möglichen Vorbeugungsmaßregeln. Im Norden werden Mutter und Kind eingesegnet; dabei wird eine Fichtenholzkerze dreimal um das Bett getragen oder, wenn dies nicht möglich ist, um ihre Köpfe geschwenkt. Außerdem werden Bibel, Zwieback oder Brot und Käse mit der Bitte: „Möge der Allmächtige alles Übel von dieser Frau fernhalten, stets um sie sein und sie und ihr Kind behüten“ unter das Kopfkissen gelegt. In Irland glaubt man, daß der Vater mit besonderer Macht ausgestattet sei, seinen Sprößling gegen den Einfluß der Feen zu schützen. In Galway speit er sein Kind an; an anderen Orten muß er zu Hause bleiben, denn solange sein Atem in der Stube ist, können die Feen das Kind nicht stehlen noch ihm sonst etwas anhaben. In Schottland gilt die Kleidung des Vaters als Schutz gegen die Feen; daher werfen schottische Mütter ihres Mannes Rock oder Weste über die Kinder, um sie vor Unheil zu schützen. Wenn im schottischen Hochland ein Kind zum erstenmal ausgezogen wird, dreht seine Pflegerin es dreimal Hals über Kopf um, schüttelt es ebenso oft mit dem Kopf nach unten und segnet es. Durch dieses derbe Mittel glaubt sie die Feen von ihm fernzuhalten.
Die Taufe, der das Volk immer noch einen Schutz gegen allerlei Einflüsse zuschreibt, ist für jedes christliche Kind durchaus notwendig, in einzelnen Gegenden wird sie daher möglichst bald vorgenommen, denn stürbe das Kind vorher, so käme es nicht in den Himmel, sondern müßte als Irrlicht ein unstetes Dasein führen. Um die bösen Geister, die das Kind selbst noch bei der Taufe belästigen könnten, abzuhalten, steckt man dem Täufling vielfach einen heiligen Gegenstand, etwa ein Gebet- oder Gesangbuch, ein Blatt aus der Bibel, ein Heiligenbild, ein Kruzifix in das Kissen. In der Willkommenkirche, in der Nähe von Morwenstow (England), öffnet man während der Tauffeierlichkeit die sogenannte Teufelstür, damit der Teufel sich durch sie entfernen könne. Derselbe Gedankengang ist mit einer Tür in der Wroxallabtei verknüpft, obgleich diese schon vor langer Zeit zugemauert worden ist. In Westfalen und Ostpreußen müssen die Teilnehmer an einer Taufe, um die bösen Geister zu bannen, über eine Axt oder einen Besen, die man auf die Türschwelle gelegt hat, mit dem Kinde hinwegschreiten.
Phot. A. W. Jordan.
Abb. 320. Prozession am Allerseelentage zu Gunwalloe
von der Kirche zu den Klippen der Küste, wo man für die Seelen der Ertrunkenen und im Meer Begrabenen betet.
Die christliche Sitte erfordert eine Anzahl Paten für das zu taufende Kind, die zu ihm, wenn sie ihre Pflicht heute meistens auch nicht mehr so genau nehmen, in ein gewisses Verwandtschaftsverhältnis, gleichsam an Vater- und Mutterstelle treten. Ihr Verhalten am Tauftage ist nach dem Volksglauben von bestimmendem Einfluß auf das künftige Leben des Kindes. Im Harz verrichten sie daher, nachdem sie sich versammelt haben, erst noch einige Arbeiten; sie schreiben, lesen, graben, säen, nähen, stricken und so weiter, damit das Kind später in diesen Dingen geschickt und fleißig werde. Im Erzgebirge dürfen die Paten keinen Schlüssel bei sich tragen, weil sonst das Kind ein verschlossenes Herz bekäme. Die Paten pflegt man noch vielfach durch Gevatterbriefe einzuladen.
Auf dem Wege zur Kirche müssen die Teilnehmer am Taufzuge recht schnell gehen, damit das Kind auch schnell gehen lerne. Begegnet der Zug einem Manne, dann ist das von guter Vorbedeutung, wogegen die Begegnung mit einer Frau Unglück befürchten läßt. Während des Ganges nach und von der Kirche gibt man an manchen Orten mit Flinten, Pistolen oder Böllern Freudenschüsse ab.
Phot. The Folk-Lore Society.
Abb. 321. Hörnertanz zu Abbots Bromley.
Er wird am Montag nach dem Kirchweihfest von sechs mit Hirschgeweihen geschmückten Männern aufgeführt.
Phot. Schweizer. Gesellschaft f. Volkskunde.
Abb. 322. Masken bei einer Kirmes in der Schweiz,
die durch Spiele, Tänze, Wettkämpfe und ähnliche Veranstaltungen gefeiert wird.
Während der Taufhandlung wird das Kind durch die Hebamme der Reihe nach den verschiedenen Paten zum Halten übergeben. Schreit es während der heiligen Handlung, dann wird es ein guter Sänger werden. Das Taufwasser darf als solches nur einmal benutzt werden; sollte man etwa mehrere Kinder mit demselben Wasser taufen, dann würde bald eins von ihnen sterben. Vielfach besteht auch der Aberglaube, daß dem Taufwasser ganz besondere Eigenschaften anhaften. Man nimmt es zum Auswaschen des ersten Hemdchens oder kocht mit ihm ein Süppchen für das Kind, um es dadurch vor Krankheit zu behüten. Der Geistliche und der Küster pflegen von den Paten ein Geschenk zu erhalten, das von diesen auf den Altar oder den Taufstein niedergelegt wird. Im Taunus erhält der erstere ein Gebäck, das Bubenschenkel heißt. Auch der Täufling wird mit einem Geschenk bedacht, das ihm die Taufpaten in ein Papier einwickeln und unter den Kopf legen, meistens zusammen mit einem Patenbrief. — In England bestehen die Geschenke, die man dem Kinde macht, sowohl bei der Taufe als auch vielfach schon bei der Geburt, in einem Ei, in Salz, Silberstücken und einem Streichholz. Auf dem Heimwege werden die Taufpaten an manchen Orten von den Kindern durch Vorhalten eines bunten Bandes oder einer Stange am Weitergehen gehindert, bis sie sich durch ein kleines Geldgeschenk losgekauft haben. Zu Hause finden sie wohl auch die Tür verschlossen und können erst hinein, wenn sie ebenfalls ein Lösegeld gegeben haben.
In Friesland (Holland) bilden beim Taufgange alle Mädchen aus der Verwandtschaft und Bekanntschaft, sofern sie über zwölf Jahre alt sind, einen Zug und begleiten das Kind auf dem Wege nach der Kirche; sie dürfen es der Reihe nach ein Stück Weges tragen. Keines von ihnen verzichtet auf dieses überkommene Vorrecht, zumal dabei der Aberglaube besteht, daß jedes Mädchen, das bei einer Tauffeierlichkeit einmal auf diese Weise mitgewirkt hat, in ihrer späteren Ehe reichlich mit Nachkommenschaft gesegnet sein werde.
Wird in England ein Knabe mit einem Mädchen zusammen getauft, dann trägt man das letztere zuerst zum Taufbecken, denn der Knabe könnte „seinen Bart im Wasser lassen“, und das könnte für das Mädchen unangenehme Folgen haben. Im Norden erhält der erste Mann oder die erste Frau, der man auf dem Wege zur Kirche begegnet, Kuchen, der oft noch von der Geburtsfeier herrührt, oder Brot und Käse, für gewöhnlich mit einem Schuß Whisky, und zwar ist, wenn der Täufling ein Knabe ist, die zuerst begegnende Frau der Empfänger, umgekehrt, wenn ein Mädchen getauft wird, der erste Mann. Die gute Sitte erfordert, daß die so ausgezeichnete Person sofort kehrt mache und den Taufzug ein Stück Weges begleite. In Cornwallis bezeichnet man dies mit dem Ausdruck „das Kind segnen“.
Wie dem ungetauften Kinde, so droht auch der Mutter, wie man in England glaubt, solange Unglück, als sie noch nicht in die Kirche gegangen ist. In Cornwallis pflegen die Frauen, die ihren ersten Kirchgang tun, einen „Seufzerkuchen“ mitzunehmen, den sie der ersten besten Person, die sie treffen, schenken.
Auch an die Wiege knüpft sich mancherlei Aberglaube. In Shropshire (England) darf eine solche für das Kind erst benutzt werden, wenn es getauft ist. Man darf eine leere Wiege auch nicht schaukeln, denn dies würde unverzüglich einen neuen Insassen zur Folge haben oder auch dem Kinde Unglück bringen. Auch darf man, so meint man in den schottischen Hochlanden, eine Wiege niemals leer versenden, sondern muß irgendeinen Gegenstand hineinlegen, gewöhnlich einen Hahn, eine Henne, Kartoffeln oder einen Mehlsack; es liegen hier offenbar Überreste eines alten Opferbrauches vor. Auch erfordert der Volksglaube, daß man, bevor das Kind die Wiege in Gebrauch nimmt, eine Henne oder einen Hahn hineinlege und daß man für den Erstgeborenen keine neue Wiege kaufe, sondern sich eine leihe.
Abb. 323. Antrieb des Almviehs (Spitzingalm bei Schliersee).
Die mit Blumen und Bändern geschmückten Kühe werden zum erstenmal nach dem Winter in die Berge getrieben.
Um die Kinder gegen Krankheiten zu schützen, gibt es in England allerlei abergläubische Gebräuche. Kinderzähne, die ausgefallen sind, bedeckt man mit Salz oder verbrennt sie, um zu verhindern, daß der folgende Zahn ein Hunde- oder Schweinezahn werde. Auf den Hebriden darf man kein Feuer aus einem Hause holen, in dem sich ein Kind ohne Zähne befindet, weil es sonst vielleicht überhaupt keine bekommen würde. Auch darf hier ein Kind nicht rückwärtslaufen, weil man fürchtet, es könnte dadurch das Leben der Mutter verkürzen. In Shropshire darf man das Kind nicht mit einem gestutzten Besen züchtigen, weil dadurch das Wachstum gehindert werden soll, sondern man muß dies mit einer schlanken Birkenrute tun. Noch heutigestags zieht man auf dem Lande ein Kind, das einen Bruch hat, durch eine gespaltene Esche hindurch.
Phot. Gebr. Haeckel, Berlin.
Abb. 324. Ausflug eines Vereins zum Einholen des Pfingstgrüns.
In England soll man einem Säugling nicht die Handflächen waschen, weil man ihm sonst sein Glück damit fortwischen würde, und in Nord- und Westengland bleibt überhaupt die ganze rechte Hand ungewaschen, damit sie Reichtümer einsammle. Auch das Haarabschneiden ist eine bedeutungsvolle Sache. In manchen Gegenden Irlands nimmt der Vater dies zuerst vor. Die Nägel pflegt man im ersten Jahre nicht zu beschneiden, sondern die Mutter oder die Pflegerin beißt sie dem Kindchen ab. Wollte man sie mit einem scharfen Gegenstande kürzen, dann würde das Kind „lange Finger machen“, das heißt stehlen. Auch dürfen Kinder niemals gewogen oder gemessen werden.
Die herangewachsene Jugend beschäftigt sich schon frühzeitig mit der Frage nach der Person des zukünftigen Ehegenossen und dem Zeitpunkt der Vermählung. Um zu erfahren, ob ein Freier zu erwarten stehe und wann dies der Fall sein dürfte, sind allerlei abergläubische Gebräuche und Liebesorakel im Schwange.
Phot. B. Balasse.
Abb. 325. Szene aus der „Parade du Lumeçon“ zu Mons,
die am Trinitatissonntag in Erinnerung an den Kampf des Ritters Sankt Georg mit dem Drachen abgehalten wird. Heute heißt der Held Gilles de Chin, und die Heldin ist eine Prinzessin, die von einem im Walde bei der Stadt hausenden Ungeheuer gefangengenommen wurde.
Phot. Clive Holland.
Abb. 326. Tanzende Kinder auf einem Platze von Antwerpen
während der Kirmes.
Phot. Gebr. Haeckel, Berlin.
Abb. 327. Kurzweil bei der Weinlese,
bei der es sehr heiter zuzugehen pflegt und noch allerlei althergebrachte ländliche Sitten geübt werden.
An bestimmten Tagen, so behauptet der Volksglaube, gelingt es den jungen Burschen und Mädchen, den Schleier zu lüften; am meisten Aussicht hierfür bietet der Andreasabend. Beim Zubettgehen stößt man mit dem Fuß an das untere Ende der Bettstatt, sagt einen bestimmten
Vers her und sieht dann den Geliebten im Traum, oder man wirft, den Rücken der Tür zugekehrt, nachts zwölf Uhr einen Pantoffel rückwärts über den Kopf: fällt derselbe mit der Spitze nach der Stube, dann ist dies ein Zeichen, daß sich bald ein Freier einfinden wird; fällt er aber umgekehrt, dann bleibt er aus. Das Mädchen kann auch um Mitternacht zu einem Brunnen gehen und hineinblicken, um das Bild des Zukünftigen zu schauen, oder um die gleiche Stunde nackend das Zimmer kehren, worauf der Gewünschte seinen Schatten an der Wand zeigt. An anderen Orten schreiben die jungen Burschen oder Mädchen die Buchstaben des Alphabets an die Stubentür und gehen verbundenen Auges mit vorgestreckter Hand auf sie zu; der Buchstabe, den sie dabei mit dem Finger berühren, zeigt ihnen den Anfangsbuchstaben des Namens ihrer späteren Ehehälfte an. Auch decken sie wohl Schlag zwölf Uhr nachts in der Mitte der Stube einen Tisch, stellen Lichter und zwischen diesen ein Glas Wasser, ein Glas Wein, ein Stück Brot und ein Messer auf, worauf sie aus einem Versteck der Dinge harren, die da kommen sollen. Der oder die Zukünftige erscheint dann und beginnt von den vorgesetzten Speisen zu genießen. Trinkt die Erscheinung von dem Wasser, dann wird man mit seinem Ehegespons ein armseliges Leben fristen, genießt sie dagegen von dem Weine, dann wird das gemeinsame Leben in Wohlstand verlaufen. Schneidet der gespenstige Besuch aber von dem Brote ab, dann muß der die Zukunft Erforschende am anderen Morgen das Messer vor Sonnenaufgang an einer verborgenen Stelle tief vergraben, weil er sonst Gefahr liefe, späterhin von seinem Gatten oder seiner Gattin erstochen zu werden. — Ähnliche Gebräuche bestehen am St. Thomastag (21. Dezember) und am Silvesterabend, auch in der Christnacht, zu Ostern und zu Johanni. Am Silvesterabend gießt man geschmolzenes Blei ins Wasser und deutet aus den seltsamen Gebilden, die dabei entstehen, den Beruf des Zukünftigen, oder man läßt in einer mit Wasser gefüllten Schüssel kleine Lichtchen oder Zettel mit Namen in einer Nußschale oder auf Korken schwimmen und beobachtet, welche Schiffchen aufeinander zuschwimmen oder zusammenstoßen (Abb. 301); diejenigen, denen sie gehören, geben dann ein Paar ab. In der Christnacht muß das Mädchen mit dem Schlüsselbund zum Fenster hinausklappern und aufpassen, aus welcher Gegend der Schall widerklingt; aus dieser steht der Freier zu erwarten. Oder es nimmt aus fließendem Wasser eine Anzahl Kieselsteine; ist ihre Anzahl paarig, dann heiratet es im nächsten Jahre. Auch kann sich das Mädchen völlig entkleidet auf den Feuerherd stellen und in den Schornstein oder in das Ofenloch gucken, dann erblickt es den ihm bestimmten Bräutigam. Auch kann es schließlich in der Weihnachtsnacht im Evakostüm in einen Spiegel sehen, bis der Zukünftige darin erscheint. — Auf den Britischen Inseln besteht ein ähnlicher Aberglaube. Auf der Insel Man deuten die Mädchen aus dem Verhalten der ausgeglühten Asche auf dem Herde am anderen Morgen ihre Zukunft, oder sie begeben sich am Abend vor Allerheiligen, den Mund mit Wasser und die Hände mit Salz gefüllt, zum übernächsten Hause und horchen auf den ersten Namen, der dort ausgesprochen wird; dieser ist dann der Name des Zukünftigen. Die Mädchen von Guernsey suchen neun Morgen lang stillschweigend, ohne vorher etwas gegessen zu haben, die Sankt Georgsquelle auf und legen silberne Sachen in eine dazu bestimmte Nische, dann steht in neunmal neun Wochen ihre Hochzeit bevor. Eine Irin pflegt dreimal um einen Spiegel herumzugehen und im Namen des Teufels einen Apfel mit neuen Stecknadeln zu bestecken; darauf erscheint ihr im Spiegel der Mann, der sie heiraten wird. Und auf den Hebriden legen sich die heiratslustigen Mädchen ein Stück Kohl unter ihr Kopfkissen, um von ihrem Zukünftigen zu träumen.
Zahlreich sind die Mittel, deren sich Verliebte bedienen, um Gegenliebe zu finden. Um ein paar Beispiele anzuführen, so muß der Betreffende Haare oder Kleidungstücke von der Person, die er an sich fesseln will, in einem neuen Gefäße kochen, worauf der sehnsüchtig Erwartete sich dort, wo seine Liebe „gesotten“ wird, einfinden wird. Auch kann man dem zur Ehe Begehrten Fledermausblut oder eigenes Blut, bei einem Mädchen Menstrualblut, oder andere Ausscheidungen des Körpers in das Bier schütten, wobei das Hersagen von Zauberformeln und Beschwörungen die Sache fördern soll, ferner die Kleider oder die Hand der geliebten Person mit der „Hand“ eines Frosches, den man in einen Ameisenhaufen vergraben hatte, berühren oder seine eigenen Kleider an diejenigen des anderen heften, und zwar mit einer Nadel, mit der man ein in Kopulation befindliches Froschpaar durchstochen hatte, und was dergleichen abergläubische Gebräuche mehr sind. Auf der anderen Seite aber kennt der Volksaberglaube auch Mittel und Wege, um eine lästig gewordene Person wieder von sich zu stoßen.
Phot. The Exclusive News Agency.
Abb. 328. Prozession des heiligen Blutes zu Brügge.
Eine Reliquie mit einigen kostbaren Tropfen Blut von einem Heiligen wird Mitte Mai von der Kapelle, die 1150 durch Thierry von Elsaß und Sybilla von Anjou gestiftet wurde, feierlich durch die Stadt getragen.
Phot. The Sport & General Preß Agency.
Abb. 329. Fisch-Erntedankfest.
Zu Ehren des Märtyrers Sankt Magnus werden in der Kirche Fische als Dankesgaben dargebracht.
Phot. The Exclusive News Agency.
Abb. 330. Kinder in Landestracht bei einem festlichen Zuge durch die Straßen von Gent,
der jährlich am dritten Samstag im Juli veranstaltet wird.
Phot. The Exclusive News Agency.
Abb. 331. Szene von der Prozession des heiligen Blutes zu Brügge.
Christus trägt sein Kreuz.
Die Werbung (Abbildung 337) wird von den jungen Burschen entweder persönlich vorgebracht oder sie geschieht durch Vermittlung von Verwandten oder guten Freunden, die für ihre Bemühungen, falls sie zum Ziele führen, bei der Hochzeit belohnt werden, entweder mit Geld oder durch andere Geschenke, wie eine Weste, ein Paar Stiefel, früher auch ein Paar Beinkleider und selbst einen Pelz (daher der Name Kuppelpelz). Diese Vermittler gehen entweder ohne Umschweife auf ihr Ziel los oder sie schlagen allerlei Umwege ein, um ihr Anliegen vorzubringen, ganz wie wir dies früher mehrfach bei den Naturvölkern kennen gelernt haben. Zuweilen geben die Eltern der Auserwählten dem Werber durch die Art der Aufnahme zu verstehen, ob er ihnen willkommen ist oder nicht. Wird er zum Beispiel gut bewirtet, dann darf er sich Hoffnung machen, daß sein Vorschlag Gehör finden werde. In Schlesien erbittet er sich „e bißle Tobakfüer“. Wird ihm dieses verweigert unter dem Vorwand, daß kein Feuer vorhanden sei, dann bedeutet dies einen Korb; ebenso in Oberhessen, wenn man dem Vermittler Käse vorsetzt, während Bewirtung mit Wurst und Eiern ausdrückt, daß der Freier willkommen ist. Die abgewiesenen Burschen brauchen natürlich für den Spott der übrigen nicht zu sorgen. In Österreich wird bei der Brautschau zunächst gar nicht von dem eigentlichen Zweck des Besuches gesprochen, sondern ein Viehkauf oder ein ähnliches Geschäft vorgeschützt. Nachdem man darüber nach längerer Erörterung einig geworden ist, wird das Abendessen aufgetragen. Bei dieser Gelegenheit macht der junge Mann der von ihm Auserwählten in Gegenwart der Eltern Geschenke. In manchen Gegenden ist es üblich, daß er ein Kalb mitbringt und im Kuhstall stehen läßt; am Hochzeitstage wird dieses dann festlich ausgeputzt. Gefällt in Holland einem jungen Mann ein Mädchen, dann sucht er im besten Staat das Haus seiner Auserwählten auf und bleibt dort bis zum Abend; während der ganzen Unterhaltung verliert man kein Wort über den Grund des Besuches, obwohl dieser kein Geheimnis für die Eltern und ihre Tochter ist. Wenn dann die Zeit zum Schlafengehen gekommen ist, zieht sich die Familie in ihre Gemächer zurück, nur die beiden jungen Leute bleiben und unterhalten sich über alle möglichen Dinge, nur nicht über ihre Liebe. Das Mädchen gibt indessen auf andere Weise dem Bewerber zu verstehen, ob es ihm geneigt ist. Läßt es nämlich das Herdfeuer herunterbrennen, dann will es ihm damit andeuten, daß er sich keine Hoffnung machen dürfe; schürt es dagegen die Flamme, dann zeigt es dem Freier dadurch an, daß es ihm wohl gesinnt sei.
Phot. The Exclusive News Agency.
Abb. 332. Szene von der Prozession des heiligen Blutes zu Brügge.
Altdeutsche Ritter im Zuge.
Phot. The Folk-Lore Society.
Abb. 333. Girlandentag zu Castleton.
Am 29. Mai verfertigen die Glockenläuter des Ortes „Girlanden“, das heißt Kronen von der Form eines Kirchturms, an deren oberem Ende ein Blumenstrauß (die „Königin“) angebracht ist. Nach feierlichem Umzug werden diese Girlanden auf die Zinnen der Kirche gesetzt.
Noch eigenartiger sind die Werbegebräuche in Irland. Der Bräutigam und ein Freund von ihm finden sich abends, natürlich mit einer Flasche Whisky in der Tasche, im Hause der Auserwählten ein. Der Freund klopft und gibt bekannt, daß er „eine Frau haben will“. Nachdem längere Zeit hinter verschlossener Tür über diese Angelegenheit verhandelt worden ist, läßt man den Bewerber, falls er willkommen ist, herein. Unter großem Aufwand von Händeschütteln, Begrüßungen und Trinken wird man unter einander über die Mitgift einig; hierauf erst läßt man das Mädchen eintreten. Falls es sich nun etwa dem Beschlusse ihrer Angehörigen widersetzen sollte, kann es von diesen eine tüchtige Tracht Prügel erhalten. Am nächsten Morgen ladet man die Verwandten zum Abendbrot ein; bei dieser Gelegenheit wird die Hälfte der Mitgift erlegt. (Der Rest erst im nächsten Jahre, wenn das erste Kind geboren worden ist.) Zwei Tage darauf findet die Hochzeit statt.
Verlobte haben manche abergläubische Vorsichtsmaßregeln zu beachten, denn sie sind vielen schädlichen Einflüssen ausgesetzt. Sie dürfen sich gegenseitig keine Schuhe, ebensowenig eine Schere, ein Messer oder Nadeln schenken, weil sonst ihre Liebe zertreten oder zerschnitten werden könnte; sie dürfen, wenn sie zusammen sind, nicht Brot und Butter anschneiden, weil sonst Zwist zwischen ihnen entstehen könnte; sie dürfen auch nicht Pate stehen, weil sonst ihr Verhältnis sich wieder lösen könnte, nicht zusammen verreisen, weil sonst Unglück über sie hereinbrechen würde; die Braut darf sich vor ihrer Hochzeit nicht in ihrem Brautkleid sehen lassen — und noch viele andere derartige Verhaltungsvorschriften.
Bauernhochzeit auf der Schwäbischen Alb.
Nach einem Ölgemälde von Theodor Lauxmann.
Phot. The Sport & General Preß Agency.
Abb. 334. Eine Stachelbeerpastete,
wie sie zu Tollesbury am letzten Samstag des Juni in dem Backhause des Ortes für jede Familie hergestellt und durch den Hausvater dann verteilt werden.
Das Glück der zukünftigen Eheleute wird auch vielfach von dem Tage, an dem die Trauung stattfindet, abhängig gemacht. Daher sind bestimmte Tage verpönt, unter anderem die Zeit der Fasten und des Advents, der Sonntag Jubilate, der Mittwoch und besonders der Freitag, weil sie Unglück bringen. Nach dem Volksglauben in Baden kehrt eine Braut, die am Mittwoch heiratet, bald wieder ins Elternhaus zurück. Dagegen sind der Dienstag und der Donnerstag sehr beliebt; beide Tage waren einst heidnischen Göttern geweiht, die der Ehe freundlich gesinnt waren: Tiu und Donar. Auch in Holland heiratet man meistens am Donnerstag, offenbar aus althergebrachten Gründen; um dieser Sitte gerecht zu werden, hat man sogar für diesen Tag die Traugebühren außerordentlich niedrig bemessen. — In Nordengland und in Wales ist dagegen gerade der Freitag als Hochzeitstag beliebt. — Vielfach legt man in Deutschland auch Gewicht darauf, daß die Hochzeit bei zunehmendem Monde stattfindet, denn dabei soll das Glück und der Reichtum der Neuvermählten geradeso wie der Mond zunehmen. Auch dem Verhalten des Wetters am Hochzeitstage wird Bedeutung beigelegt. Schlechtes Wetter, wie Sturm, Donner, Gewitter, Regen lassen auf Unglück in der Ehe schließen, dagegen Sonnenschein auf einen glücklichen Verlauf derselben. In manchen Gegenden dagegen bedeutet Regen umgekehrt Glück, und man sagt, daß „wenn es der Braut auf den Kranz regne, es ihr auch Glück und Kinder regnen werde“.
Phot. The Folk-Lore Society.
Abb. 335. Szene vom Girlandentag in Castleton.
Den Schluß des Festzuges bildet ein als Frau verkleideter, vermummter Mann.
Phot. The Sport & General Preß Agency.
Abb. 336. Nach der Weinernte zu Hungerford
gehen zwei Männer von Haus zu Haus und fordern von dem Hausvater für jedes Familienmitglied einen Penny, von den Frauen aber einen Kuß.
Die Einladung zur Hochzeit erfolgt entweder durch die Brautleute persönlich beziehungsweise einen ihrer nächsten Verwandten, meistens die Eltern, oder auch durch einen Hochzeitsbitter oder Hochzeitslader. Im ersteren Falle trägt das junge Paar in katholischen Gegenden geweihtes Salz in den Schuhen oder sonst einen geweihten Gegenstand mit sich herum, um sich vor bösen Einflüssen zu schützen. Natürlich sind beide Brautleute bei diesem ihrem Rundgang aufs festlichste geschmückt, meistens mit bunten Bändern, die Braut auch mit einer bunten Schürze angetan. Auch der Hochzeitsbitter pflegt geputzt zu sein, er trägt ein Sträußchen am Hute und im Knopfloch und oft einen Stock in der Hand, der gleichfalls geschmückt ist, in Österreich mit einem roten Apfel und einem Rosmarinstrauß. Die Einladungen werden mündlich vorgebracht, öfters in bestimmten Formeln und in gebundener Rede. Falls die Brautleute dieselben in eigener Person übermitteln, pflegen sie, besonders ihren Verwandten und Paten, allerlei kleine Geschenke mitzubringen und dafür allerlei für ihren zukünftigen Haushalt brauchbare Gegenstände als Gegengabe in Empfang zu nehmen. Früher erhielt die Braut darunter auch ein „Glücksbrot“, von dem sie einige Scheiben in die erste von ihr im neuen Haushalt zu kochende Suppe zu tun hatte, um Glück in der Ehe zu haben. In Holland werden die Eingeladenen durch Übersendung einer Schachtel Süßigkeiten und einer Flasche Wein, der die eigenartige Bezeichnung „Brautträne“ führt, zur Teilnahme an der Hochzeit aufgefordert. In Niederösterreich besteht die sonderbare Sitte, daß auch die Braut zu ihrer eigenen Hochzeit eingeladen wird, und zwar durch den Bräutigam und seine Trauzeugen, die sich in festlicher Kleidung morgens gegen zwei oder drei Uhr bei ihr einfinden und sie in der Wohnung zu suchen haben. Bei dieser Gelegenheit darf sich die Braut aber nicht im Schlafe überraschen lassen, weil man daraus schließen könnte, sie werde keine gute Hausfrau werden; anderseits darf sie auch nicht zu schnell von ihrem Zukünftigen gefunden werden, weil man sonst leicht annehmen könnte, sie habe es mit dem Heiraten sehr eilig. Deshalb versteckt sie sich, und je länger nach ihr gesucht wird, um so mehr fühlt sie sich geehrt.
Abb. 337. Die Brautwerbung.
Nach einem Gemälde von Franz v. Defregger.
In Norddeutschland ist es üblich, dem Hochzeitstage den Polterabend vorausgehen zu lassen, zu dem bereits die Hochzeitsgäste und sonstige Bekannte sich einzufinden und teilweise auch schon ihre Geschenke zu überreichen pflegen. Die Bezeichnung Polterabend rührt von dem großen Lärm her, den die Leute der Nachbarschaft, meistens Kinder, durch Zusammenwerfen von alten Töpfen und Scherben vor der Haustür zu machen pflegen, oder auch von dem Peitschengeknalle und Schießen von seiten der jungen Burschen. Es steckt in dieser Sitte wieder ein gut Stück heidnischen Aberglaubens, nämlich das Austreiben oder Bannen dämonischer Mächte, die den die Ehe Eingehenden Schaden bringen könnten. Noch deutlicher beweist dies die in Bayern übliche Sitte, an dem Abend vor der Hochzeit die bösen Geister unter entsetzlichem Gepolter, vom Keller bis zum Boden hinauf, und unter Gemurmel althergebrachter Bannformeln, durch Beklopfen der Wände, Umhersprengen von Wasser und sorgfältiges Verschließen aller Öffnungen des Hauses aus diesem zu vertreiben beziehungsweise von ihm fernzuhalten. — In Schottland bringt man am Abend vor der Hochzeit ein mit Salz angefülltes Nachtgeschirr in die Wohnung des angehenden jungen Paars und schüttet einen Teil seines Inhaltes auf den Boden aus zum Schutz gegen den bösen Blick.
Am Hochzeitstage legen Braut und Bräutigam (Abb. 338) in den ländlichen Gegenden, wo die alten Trachten noch zu Ehren bestehen, diese an, meistens die kostbaren Gewänder ihrer Vorfahren, die man für solche feierliche Gelegenheiten in den Truhen aufbewahrt hat (Abb. 339, 340 und 342). Wohl überall ist es Sitte, daß der Bräutigam sich an die linke Seite seines Rockes einen Myrten- oder Rosmarinstrauß steckt und die Braut, falls sie noch jungfräulich ist, sich einen Myrtenkranz und einen Schleier auf den Kopf setzt. In vielen Gegenden trägt sie einen zu diesem Zweck besonders bereitgehaltenen wertvollen Kopfputz in Gestalt einer reich gestickten Haube oder einer Krone, die mit Flittergold, Perlen, Blumen und bunten Bändern geschmückt ist (hierzu die farbige Kunstbeilage sowie Abb. 343 und 344). An den Brautkranz knüpft sich auch wieder mancherlei Aberglaube. Er darf von einem anderen jungen Mädchen nicht aufgesetzt werden, denn sonst verlobt sich dieses nicht. Ebensowenig darf die junge Frau ihn an ihrem Ehrentage vor zwölf Uhr nachts ablegen, weil es sonst in der Ehe Unglück gäbe. In England besteht der Glaube, daß sie auch das Brautkleid nicht vor der Hochzeit anziehen dürfe; in Yorkshire ist es ihr untersagt, es bei Kerzenlicht zu besehen. Einige Gebräuche am Hochzeitstage sind als Überreste früherer Raubehe zu deuten, so zum Beispiel, wenn der Bräutigam sich die Braut, die sich versteckt hat, erst suchen muß, oder wenn diese sich sträubt, bevor sie ihrem Zukünftigen zum Traualtar folgt.
Phot. Hohlwein & Gircke, Berlin.
Abb. 338. Hochzeitszug in der Schweinfurter Gegend.
Zu jeder Hochzeit gehören Brautführer (Hochzeitsknechte, Kirchführer, Brautgesellen und so weiter) sowie Brautjungfern (Kränzlemädle, Kränzlerinnen, Kirchführerinnen, Hochzeitsmägde oder ähnlich; siehe die Kunstbeilage). Die ersteren begleiten den Bräutigam, die letzteren die Braut auf dem Wege zur Kirche. Vielfach pflegen auch noch kleine Kinder, die sogenannten Brautengel oder Vorbräute, Straußlesbuben, Kringlesmädle dem Zuge, den auf dem Lande meistens noch eine Musikbande begleitet (Abb. 347 und 348), voranzugehen und Blumen auf den Weg zu streuen. — Nicht selten trifft man noch die alte Sitte an, die Ausstattung der jungen Brautleute im Festzuge mitzuführen (Abbildg. 341 und 346).
Aus der Großen Berliner Kunstausstellung 1915.
Abb. 339. Ostfriesische Braut.
Nach einem Gemälde von Otto H. Engel.
Auch mit dem Gang zur Trauung ist mancherlei Aberglaube verknüpft. Die alte Vorstellung, daß irgendein böser Einfluß dem jungen Paare unterwegs schaden könnte, kommt in verschiedenen Gebräuchen zum Ausdruck. So ist es vielfach Sitte, daß die Brautleute zum Schutz gegen bösen Zauber stark riechende Kräuter, wie Kümmel, Dill, Wermut, Beifuß, Rosmarin und anderes derart bei sich tragen. Um mit Reichtümern gesegnet zu sein, müssen sie einen auf ihren Haushalt oder ihr Handwerk bezüglichen Gegenstand zu sich stecken, wie Brot, Messer, Gabel, Löffel, Getreide, Nähzeug (bei einem Schneider), Nägel (bei einem Schmied), etwas Geld (für gewöhnlich im Schuh der Braut) und manche andere Dinge. — Beim Verlassen des Hauses muß das Brautpaar über ein Messer oder ein Beil, auch wohl über einen Besen schreiten. Auf dem Wege zur Kirche sollen beide möglichst dicht nebeneinander gehen, damit der böse Geist nicht zwischen sie fahren könne; auch sollen sie fein sittsam auf den Boden sehen und sich ja nicht umsehen, weil sonst der Betreffende in der Ehe nach einem anderen Gatten Umschau halten und untreu werden könnte; die Braut darf auch bei Schmutzwetter ihr Kleid nicht aufheben, ebensowenig etwas, das auf der Straße liegt, an sich nehmen, weil es von Hexen herrühren könnte. Bestimmte Personen oder Tiere, die dem Brautpaar zuerst begegnen, werden als entscheidend für sein künftiges Schicksal angesehen; so bringen eine alte Frau, ein Fuhrwerk, ein Hase, eine Katze Unglück, hingegen ein Mann, ein Schwein, ein Schaf und anderes Glück. In England sind auch die Farben, die man trägt, für die Zukunft der Neuvermählten ausschlaggebend; ein Tabu ruht dabei auf Grün. Dies wird in Schottland sogar auf die Farbe des Gemüses für die Hochzeitstafel ausgedehnt. — In England wirft man ferner dem Brautpaar beim Antritt seines Kirchganges oder bei der Rückkehr von der Trauung ein paar alte Schuhe nach, damit die Ehe fruchtbar sei. — In Norwegen muß die junge Frau, wenn sie aus der Kirche kommt, rasch den Sattelgurt ihres Pferdes lösen, damit sie leichte Geburten habe.
Phot. The Exclusive News Agency.
Abb. 340. Isländerin im Brautstaat.
Das Kleid ist aus Seide oder Sammet hergestellt und mit Hermelin und Stickereien besetzt; wertvolle Schmucksachen vervollständigen den Anzug. Die Kopfbedeckung bildet eine Art Helm, von dem ein langer weißer Schleier herabhängt.
Abb. 341. Brautkastenführer in Kärnten.
Nach einem Bilde von J. Schlegel
Bei der Trauung weissagt man aus dem Verhalten der brennenden Altarkerzen während des Ringwechsels das Schicksal der Getrauten: wenn sie trübe brennen, flackern oder gar erlöschen, befürchtet man Unglück, Zwist und selbst frühzeitigen Tod dessen, auf dessen Seite die Flamme erlischt; brennen sie dagegen hell und gleichmäßig, so erhofft man ein glückliches, langes Zusammenleben, Friede und Freude. Fällt ein Ring zur Erde, dann bedeutet dies gleichfalls Unglück. Um die Herrschaft über die andere Ehehälfte zu haben, muß der Bräutigam beim Empfangen des Segens auf den Saum des Kleides seiner Braut niederknien, diese dagegen beim Aufstehen zuerst auf den Fuß des Bräutigams treten, und jeder von beiden muß versuchen, beim Händereichen seine eigene Hand nach oben zu bringen.
Phot. Solveig Lund.
Abb. 342. Dänische Braut
in der alten Volkstracht.
Wendische Brautjungfer vor dem Hochzeitshause.
(Kreis Hoyerswerda, schlesische Oberlausitz.)
Nach einem Gemälde von William Krause.
Phot. Gebr. Haeckel, Berlin.
Abb. 343. Bückeburgerin im Brautstaat,
meistens einem alten Familienerbstück.
Nach Beendigung der Trauung pflegt man meistens schnell nach Hause zu eilen; fährt die Hochzeitsgesellschaft zu Wagen (Abbildung 349), dann wird der Weg nicht selten in rasendem Galopp zurückgelegt, offenbar, weil man den Unglück bringenden Mächten entrinnen will. Wie auf dem Wege zur Kirche, so wird auch jetzt das junge Paar vielfach mit Flinten- und Böllerschüssen oder Peitschengeknall begrüßt; in Irland zündet man ihm zu Ehren große Strohgarben an. Häufig begegnet man auch der Sitte, sowohl in Deutschland wie in England, daß den Neuvermählten bei der Rückkehr allerlei Hindernisse in den Weg gelegt werden; so zum Beispiel sperrt man die Landstraße mit Stricken (Abb. 350) oder Girlanden ab und nimmt von dem Paar ein Lösegeld, bevor man es hindurchläßt. Je größer in Wales die Anzahl dieser Stricke ausfällt, um so größeren Ansehens erfreut sich das junge Paar und für um so großartiger gilt die Hochzeit. Beim Betreten des Hauses findet die Hochzeitsgesellschaft nicht selten Tor und Tür verschlossen; auch hier muß das junge Paar sich durch kleine Geschenke erst wieder loskaufen. In Pommern müssen die Neuvermählten beim Betreten ihres neuen Heims ein Stück Brot abbeißen, damit sie an dieser Gottesgabe niemals Mangel leiden. In Österreich überreicht man der jungen Frau einen Laib Brot und ein hölzernes Messer mit dem Ersuchen, ein Stück Brot abzuschneiden, und weidet sich an ihrer Verlegenheit, wenn sie nicht damit zustande kommt. Indessen hat man die Frau meistens im voraus davon verständigt, und sie hat vorsorglich ein Taschenmesser zu sich gesteckt, mit dessen Hilfe es ihr leicht gelingt, dem Wunsche zu entsprechen. Das abgeschnittene Stück wird sorgfältig von ihr aufbewahrt, damit stets genug Brot im Haushalt vorhanden sei. In England pflegt man die junge Frau beim Betreten des neuen Heims mit Reis zu überschütten, in Deutschland verschiedentlich mit Erbsen und Getreidekörnern. In Irland wird über ihrem Kopfe ein Kuchen zerbrochen, den ihre Mutter während der Trauung gebacken hat. Im schottischen Hochland endlich wird ein Handtuch über ihren Kopf gelegt und darüber der Inhalt einer Brotschüssel ausgeschüttet, nach dem die Umstehenden haschen. Im nördlichen England verwendet man zu diesem Zweck statt Brot knuspriges Gebäck, und in manchen Gegenden muß der älteste Mann des Dorfes diese Handlung vornehmen. Hier und dort nimmt die junge Gattin beim ersten Betreten des Hauses noch manche andere zeremonielle Handlung vor, die vielfach auf alten überlieferten heidnischen Vorstellungen von der Bedeutung der Hausahnen und dem Vertreiben böser Mächte beruht. So muß sie sich zunächst vor den Feuerherd stellen oder um ihn herumgehen und sich vor ihm verneigen, sodann die Dungstätte auf dem Hofe betreten, in den Stall gehen und das Vieh füttern, sich den Bienenstöcken vorstellen und so fort. — An manchen Orten haben sich noch andere, ganz merkwürdige Gebräuche erhalten (Abbild. 351 bis 353). Überall sind wohl Hochzeitsgeschenke üblich, die verschiedentlich in Lebensmitteln und Wirtschaftsgegenständen für den neuen Haushalt bestehen (Abb. 354).
Phot. Gebr. Haeckel, Berlin.
Abb. 344.
Braut in hannöverscher Tracht.
Früchte, Blumen und Myrtenstrauß kennzeichnen sie als Braut und unterscheiden ihren Anzug von der Festtracht der übrigen Mädchen.
Phot. The Folk-Lore Society.
Abb. 345. Szene vom Girlandentag in Castleton.
Die „Girlanden“ werden von einem Berittenen in altertümlicher Tracht auf Kopf und Schultern durch die Stadt geführt.
Hieran schließt sich das Hochzeitsmahl (hierzu die Kunstbeilage und Abb. 356), bei dem es häufig genug hoch hergeht und besonders auf dem Lande Unheimliches im Essen und Trinken geleistet wird. Um ein Beispiel aus Pommern anzuführen, so wurden im Jahre 1907 gelegentlich einer Bauernhochzeit in Schwarzau laut Zeitungsbericht zur Bewirtung der Gäste angeschafft — und auch verzehrt: zweiunddreißig Zentner Weizenmehl, vier Schweine von je zweieinhalb Zentnern, zwei Kälber, drei Schafe, zweiunddreißig Gänse, acht Zentner große Fische, zehn Zentner kleine Fische, vierundfünfzig Tonnen Bier, fünfhundert Flaschen Wein und dreihundert Liter Branntwein.
Phot. Rudolf Jobst, Wien.
Abb. 346. Hochzeitszug in Mayrhofen (Zillertal).
Nach alter Sitte wird dabei die Ausstattung der angehenden Eheleute mitgeführt.
Vor Beginn des Mahles pflegt in manchen Gegenden der Hochzeitsbitter einen Hochzeitspruch oder eine „Abdankung“ herzusagen. Das Weinglas, aus dem die Gesundheit des jungen Paares ausgebracht wurde, wird hinterrücks über die Schulter geworfen, so daß es in möglichst zahlreiche Stücke zerspringt, was Glück bringen soll, und zwar um so mehr, je mehr Scherben es sind.
In Irland erscheinen manchmal nach dem Mahle eine Anzahl „Bettler“ oder „Strohknaben“, so genannt, weil sie sich in Stroh einwickeln; ihr Anführer tanzt mit der Braut, und den übrigen werden Erfrischungen vorgesetzt. Der Tanz (Abb. 355) bildet wohl überall den Abschluß des Hochzeitsfestes. In manchen Gegenden ist er besonders auf diesen Zweck zugeschnitten. Den ganzen Abend über versucht man, der jungen Frau allerlei Schabernack zu spielen, der darauf hinausläuft, sie dem Gatten abspenstig zu machen, im besonderen sie ihm zu entführen; daher lassen die Brautjungfern sie nicht aus dem Auge. Gelingt den jungen Burschen ihr Spaß, dann führen sie die junge Frau in ein besonderes Zimmer und geben sie erst wieder her, wenn ihre Wächter Geschenke spenden. In Irland sucht die junge Frau ihrerseits nach dem Mahle zu entschlüpfen, wobei ihr die verheirateten Frauen behilflich sind. Wird sie dabei von den Gästen ertappt, dann muß sie den rechten Strumpf ausziehen und mit demselben nach ihnen werfen. Wer dabei getroffen wird, dem steht die nächste Heirat bevor.
Phot. Gebr. Haeckel, Berlin.
Abb. 347. Hochzeitszug im Gutachtal (Schwarzwald),
wo die alten Trachten noch viel und gern getragen werden.
Gegen Mitternacht geht die feierliche Handlung der Kranzabnahme und die sich daran anschließende der Haubung vor sich. Für gewöhnlich nehmen der Bräutigam, ein Brautführer und eine Brautjungfer der jungen Frau den Kranz vom Kopfe ab, wobei in Nord- und Mitteldeutschland ein Kreis um sie gebildet und unter Absingung eines eigens für diese Gelegenheit bestimmten Liedes im Reigenschritt um sie herumgezogen wird. Der Braut sind dabei die Augen verbunden, und sie bemüht sich, während des Reigens eins der sie Umtanzenden zu erhaschen; wen sie erhascht, der wird demnächst Bräutigam oder Braut. Nach der Kranzabnahme setzen die verheirateten Frauen der Neuvermählten die Haube auf, womit sie andeuten, daß sie sie nunmehr in ihre Gemeinschaft aufgenommen haben. Meistens pflegt sich die Braut nach Möglichkeit dagegen zu sträuben. In ähnlicher Weise wird das Sträußchen des jungen Ehemannes vertanzt. Schließlich wird der Brautschleier noch zerrissen und in kleinen Stückchen an die Gäste verteilt.
Phot. Gerda Södersund, Leksand.
Abb. 348. Schwedischer Brautzug.
Phot. R. Sennecke, Berlin.
Abb. 349. Mecklenburgischer Brautwagen.
Vor seinem Fortgang pflegt das junge Paar noch einen „Ehrentanz“ zu tanzen, und zwar um drei brennende Lichter herum, die entweder auf dem Fußboden stehen oder von drei Mädchen gehalten werden. Es darf aber auf keinen Fall eins der Lichter von den Tanzenden ausgelöscht werden, da es sonst Unglück in der Ehe geben würde. Eine Weiterbildung dieser Sitte ist der bekannte Fackeltanz, wie er bei Hochzeiten im Hause der Hohenzollern aufgeführt wird.
Die Hochzeit endet in Norddeutschland mit dem sogenannten Kehraus, einer Polonäse, bei der die mit allen möglichen Wirtschaftsgegenständen bewaffneten Gäste nach einer bekannten Melodie durch das ganze Haus und auch durch die Ställe ziehen, wonach sie in frühern Zeiten schließlich mit einem Besen tatsächlich ausgekehrt wurden.
Abb. 350. Hessische Bauernhochzeit.
Nach einer Originalzeichnung von A. v. Roeßler.
Den Neuvermählten wird auf dem Wege nach ihrem neuen Heim der Weg versperrt; erst nachdem der Bräutigam sich durch ein Trinkgeld losgekauft hat, kann der Zug seinen Weg fortsetzen.
Mit Erlaubnis des Schlesischen Museums für Kunstgewerbe und Altertümer in Breslau.
Bauernhochzeit in Oberschlesien.
Nach einem Gemälde von Wilhelm Voigt.
An den letzten Abschnitt des menschlichen Lebens, den Tod, knüpfen sich bei den Kulturvölkern wohl noch die meisten abergläubischen Vorstellungen. Die geheimnisvollen Mittel und Wege, den Schleier der Zukunft zu lüften und zu erfahren, ob etwa einem ein baldiges Lebensende bevorstehe, sind ziemlich zahlreich. Das Volk läßt manche Menschen mit der besonderen Gabe des „zweiten Gesichts“ ausgestattet sein, das heißt mit der Fähigkeit, im Geiste vorauszusehen, wer demnächst im Sarge liegen oder aus welchem Hause ein Leichenzug sich in Bewegung setzen werde. Es nennt solche Leute „Totenkieker“ oder „Schichtige“. Aber nicht nur sie vermögen den Tod vorauszuschauen, sondern auch jeder andere ist zu bestimmten geheimnisvollen Tagen und Stunden des Jahres dazu in der Lage; wie schon gezeigt wurde, sind solche Tage der Johannistag, der Sankt-Thomas-Abend, der Silvesterabend und andere. Der Volksglaube kennt auch noch zahlreiche andere Anzeichen eines bevorstehenden Todesfalls in manchen Erscheinungen der Tier- und Pflanzenwelt sowie des täglichen Lebens. Ein zu nächtlicher Stunde mit gesenktem Kopf bellender oder viele Löcher in die Erde scharrender Hund, ein an einem Hause nur mit großen Schwierigkeiten vorbeizubringendes Pferd, die Begegnung mit einem Schimmel bei Antritt einer Reise, das Entstehen von Maulwurfshaufen in der Diele des Hauses, das Komm-mit-Rufen des Käuzchens (oder Totenvogels), das ängstliche Flattern einer Schar Raben um ein Haus, das Hinauswerfen toter Jungen aus dem Nest von Störchen oder Hausschwalben, das Ticken oder „Dengeln“ des Holzkäfers (oder der Totenuhr) im Gebälk, das Erscheinen weißer Blätter und Stengel an Pflanzen des Gemüsegartens oder des Ackers, das plötzliche Eingehen von Obstbäumen, das Aufblühen einer einsamen Rose im Spätherbst, ein Strohhalm auf einem Hühnerschwanz (Hebriden), auffällige Geräusche unbekannten Ursprungs im Hause, wie Klopfen, Hämmern, Knallen und so weiter, das grundlose Stillstehen der Uhr, das Herabfallen von Wandbildern, das Selbstaufgehen von Türen und manches Ähnliche wird als eine Todesbotschaft für die Hausbewohner oder die Familienmitglieder angesehen.
Phot. Gebr. Haeckel, Berlin.
Abb. 351. Szene von einer Hochzeit im Harz.
Auf dem Schornstein des Hauses der Braut ist ein Sägbock aufgestellt, den der Bräutigam vor der Trauung herunterholen muß. Nach der Rückkehr aus der Kirche muß das Paar auf dem Bock Holz sägen (siehe nächstes Bild).
Phot. Gebr. Haeckel, Berlin.
Abb. 352. Szene von einer Hochzeit im Harz.
Nach der Trauung muß das junge Paar einen Kloben Holz auf einem Bock zersägen. Aus dem Grade der Geschicklichkeit, mit der es diese Arbeit vollführt, zieht man Schlüsse auf günstigen oder ungünstigen Verlauf der Ehe.
Naht die Todesstunde, dann wird der Geistliche geholt, um bei den Evangelischen dem Sterbenden das Heilige Abendmahl darzureichen, bei den Katholischen ihn mit der Letzten Ölung zu „versehen“; die Familie und auch wohl die Freunde versammeln sich hinterher in dem Sterbezimmer. Bei schwerem Todeskampf öffnet man das Fenster oder hebt einen Ziegel vom Dach ab, damit die Seele nicht „hängen bleibe“, sondern frei zum Himmel fliegen könne. In Yorkshire legt man den Sterbenden auf den Boden, damit die Seele freien Ausgang habe. — Ist der Tod eingetreten, dann wird zunächst das Fenster geöffnet, darauf wieder geschlossen und dieses selbst sowie die Spiegel im Zimmer verhängt, das Uhrpendel angehalten, die Stühle umgekehrt, alles Wasser im Hause ausgegossen und dergleichen. In manchen Gegenden ist es Sitte, ein lautes Wehklagen anzuheben. In Böhmen, teilweise auch in Schwaben stellt man neben die Leiche ein Glas Wasser, ein Handtuch und ein brennendes Licht, damit die Seele sich reinigen könne, bevor sie vor ihren himmlischen Richter tritt; in Schwaben spricht man dabei von Seelenbad. Vielfach trifft man auch auf dem Lande die Sitte an, daß der Todesfall des Hausherrn den Tieren im Stalle sowie den Bienen mitgeteilt wird; wo in England die Bienenstöcke nicht auf so förmliche Weise davon benachrichtigt werden, hebt man doch die Körbe in dem Augenblick hoch, wo man die Leiche aus dem Hause zu Grabe trägt. Die Sitte beruht auf der Anschauung, daß die Haustiere gleichsam mit zur Familie gehören und daher in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Hausvater stehen; um also dieses zu lösen und damit zu verhüten, daß der Abgeschiedene das eine oder das andere Familienmitglied nach sich ziehe, wird den Tieren der Tod eigens mitgeteilt. Aus demselben Grunde wird auch sämtliches Hausgerät, desgleichen das Getreide, das Obst, die Kartoffeln, die Mehlsäcke und dergleichen von seinem Platze bewegt, verrückt oder geschüttelt. Vielfach wird der Tote auch „ausgeläutet“ oder „heimgeläutet“.
Phot. R. Welch.
Abb. 353. Eine Hochzeitstanzmaske (Mayo, Westirland).
Hier besteht die Sitte, daß sich bei Hochzeiten Männer als Frauen verkleiden, Strohmasken und wohl auch Strohröcke anlegen und so am Tanz teilnehmen. Man wird dadurch an die Maskentänze der Naturvölker erinnert.
Der Todesfall wird auch im Dorfe bekanntgegeben, entweder durch die Angehörigen selbst oder in manchen Gegenden auch durch einen Leichenbitter oder Leichenlader; wie bei der Hochzeit sind bei diesen Ansagen noch mancherlei stehende Formeln üblich. Die Leichenansager sind durch besondere Abzeichen, wie über der Brust gekreuzte Arme, weiße Stirnbinde, umflorten Stock und Dreimaster, kenntlich gemacht. Auch in Holland sind sie, unter der Bezeichnung „Anspreker“ eine bekannte Erscheinung. Sie sind hier von Kopf bis zu Fuß schwarz gekleidet und tragen ebenfalls besondere Abzeichen: je nachdem es sich um die Mitteilung von dem Tode eines Kindes, eines Junggesellen, einer Jungfrau und so fort handelt, werden verschiedenfarbige Rosetten von ihnen angelegt. Sie gehen von Haus zu Haus und sprechen bei allen, selbst solchen, die nur in weitläufiger Verwandtschaft zu dem Verstorbenen stehen, vor, um den Tod anzuzeigen, oft genug mit Worten, die einen komischen Beigeschmack haben. So sagt der Anspreker zum Beispiel: „Ich muß euch die Grüße des Schlächters (oder Schusters und so weiter) X. überbringen, und er ist tot.“ Früher und gelegentlich noch jetzt an abgelegenen Orten begleitet den Anspreker noch der Heilebolk, dem die Pflicht obliegt, in Tränen auszubrechen, nachdem von jenem der Tod gemeldet worden ist. In Irland verbrennt man ein kleines Strohkissen, auf dem der Tote seine Seele aushauchte, auf der Spitze des nächsten Hügels, um die Nachbarschaft in Kenntnis zu setzen. An manchen Orten Englands zeigt man den Todesfall durch feierliches Läuten an; man verbindet damit auf dem Lande noch den Aberglauben, daß der Ton der Glocke die bösen Geister vertreiben soll. Für gewöhnlich wird nur eine Glocke geläutet; wenn man aber glaubt, daß mehrere Glocken von größerem Erfolg sein könnten, läßt man mehrere ertönen. Auch das Verkünden des Todes von der Kanzel herab ist hier, wie auch in Deutschland, vielfach üblich.
Abb. 354. Szene von einer Hochzeit bei den Wenden.
Verwandte bringen der Braut Butter als Geschenk.
Die Leiche wird gewaschen und in ein neues Hemd (Sterbehemd) sowie in den besten Anzug, oft das Hochzeitskleid, gesteckt und aufgebahrt, nachdem sie in katholischen Gegenden vorher noch mit Weihwasser besprengt worden ist. In Hindeloopen in Holland befinden sich in der Kirche eine ganze Reihe Bahren, eine neben der anderen aufgestellt; je nach dem Beruf des Verstorbenen wird von diesen Bahren eine bestimmte benutzt, also die eine etwa, wenn es sich um einen Schuhmacher handelt, während beim Tode eines Schneiders, Bäckers, Schmiedes und so fort je wieder eine andere Bahre in Gebrauch genommen wird. — Früher waren noch Leichenwachen Sitte, an denen sich vorzugsweise junge Mädchen beteiligten; auch jetzt begegnet man ihnen noch hier und dort. Stets aber pflegt man nachts wohl noch Kerzen bei den Toten brennen zu lassen. In England müssen es deren fünf sein, die man um die Leiche stellt; in Wales bleibt eine davon unangezündet. An anderen Orten zündet man nur drei Kerzen an, was wieder zu dem Aberglauben geführt hat, daß es Unglück bedeutet, wenn drei Kerzen in einem Zimmer brennen. Wenn in gewissen Gegenden Schottlands die Leiche aufgebahrt worden ist, zündet die älteste Frau die Totenkerze an, die von einer angeblichen Hexe oder von einer „unglücklichen Person“ herstammen muß, und schwenkt sie dreimal um die Leiche, worauf sie drei Hände voll Salz auf einen Teller häuft und diesen auf die Brust des Toten setzt; schließlich stellt sie noch drei leere Schüsseln ans Feuer. Jeder der Anwesenden verläßt nun das Zimmer, kommt dann aber rückwärtsgehend unter Aufsagung von Segensprüchen wieder herein.
Abb. 355. Zweitritt auf der Stelle
nach der Trauung in einem wendischen Dorfe.
Abb. 356. Festtafel auf einer Hochzeit bei den Wenden.
Solange sich die Leiche im Hause befindet, herrscht allgemeine Ruhe und Stille, auch unterbleiben Haus- und Feldarbeiten. Jedoch ist es in manchen Gegenden noch Sitte, daß die Bekannten abends zusammenkommen und Gebete sprechen oder fromme Lieder singen.
Sehr verbreitet ist die Angst, daß der Tote wiederkommen oder auch ein anderes Familienmitglied holen könnte. Um dies zu verhindern, kennt man eine ganze Reihe Abwehrmaßregeln. So darf auf den Toten oder seine Gewänder keine Träne fallen, das Totenhemd darf nicht an einem Sonntage angefertigt werden, in dem Faden, mit dem es gemacht wird, darf sich kein Knoten finden, die Nadeln, die dazu benutzt werden, müssen entweder im Hemd stecken gelassen oder ins Feuer geworfen werden; keins der Bekleidungstücke, die man der Leiche anzieht, darf einen Namen aufweisen, etwa vorhandene Buchstaben oder Namen müssen herausgeschnitten werden, alle Leib- und Bettwäsche, die der Tote bei seinem Ableben benutzte, muß gewaschen, seine Kleider gereinigt werden, dem Toten darf kein Gegenstand, der einem Lebenden gehört, mit ins Grab gegeben werden und so weiter. Dagegen folgen häufig dem Toten mit ins Grab (oder aufs Grab; Abb. 357) seine Gebrauchs- und Lieblingsgegenstände, wie die Tabakspfeife, die Schnupftabaksdose, bei Kindern Spielsachen und so fort; vielfach wird ihm auch ein Zehrpfennig auf den Weg gegeben. Unter das Kopfkissen kommt für gewöhnlich ein Gesangbuch oder das Neue Testament zu liegen, auf die Brust ein Kruzifix oder ein Kreuz aus Blumen.
Phot. R. Welch.
Abb. 357. Ein Kirchhof, auf dessen Gräbern Tabakspfeifen niedergelegt sind.
In Westmayo, Westgalway und Leitrim besteht die Sitte, den Trauernden, soweit sie im Sterbehause nicht bewirtet werden können, Tabakspfeifen zu verehren. Diese werden auf dem Grabe des Verstorbenen zurückgelassen, bisweilen noch gestopft, um die Seele des Abgeschiedenen zum Bleiben zu veranlassen.
In manchen Gegenden wird der Tote nicht in den Sarg, sondern auf ein Brett gelegt, das in Bayern Rebrett genannt wird. Diese Bretter pflegt man mit dem Todesdatum und einigen Kreuzen, auch wohl mit frommen Sprüchen zu versehen und nach dem Begräbnis entweder in der Nähe des Hauses oder an einem viel begangenen Wege oder Platze aufzustellen, damit die Vorübergehenden, dadurch aufmerksam gemacht, für das Seelenheil des Verstorbenen beten (Abb. 358).
Das Begräbnis bietet hinsichtlich der Beteiligung, der Zusammensetzung und Anordnung des Trauergefolges, des Weges, den der Zug zum Friedhofe nimmt, sowie der verschiedenen Zeremonien, die unterwegs und am Grabe vorgenommen werden, mancherlei Verschiedenheiten. Beim Aufheben und Hinaustragen des Sarges werden auch wieder Abwehrmaßnahmen vorgenommen. In dem Augenblick, wo er das Haus verläßt, muß die Uhr wieder gerückt oder aufgezogen werden; der Tote darf nicht eine Treppe hinaufgetragen werden; er darf das Haus nur mit den Füßen voran verlassen; auf der Türschwelle muß er in Kreuzstellung zu dieser eine Zeitlang abgesetzt werden. Sobald die Leiche das Zimmer verlassen hat, wird dieses gekehrt und mit Kümmel und Wacholderstengeln, die über glühenden Kohlen verbrannt werden, ausgeräuchert; Fenster und Türen werden geschlossen. Stühle und Bänke, auf denen der Sarg gestanden hat, werden umgekehrt, der Weg von der Hausschwelle bis zur Hofgrenze, den der Leichenzug genommen hat, gefegt. Wenn der Sarg diese überschritten hat, wird Wasser über den Weg ausgeschüttet. Alles dieses und manches andere der Art geschieht, um zu verhindern, daß der Verstorbene wiederkomme und etwa noch ein anderes Familienmitglied nach sich ziehe. Aus eben diesem Grunde bewegt sich der Leichenzug möglichst schnell vorwärts, müssen die Teilnehmer in dicht geschlossenen Reihen gehen, dürfen sie sich auf dem Wege nicht umsehen und dergleichen.
Der Sarg wird auf dem Friedhof ins Grab gesenkt. Dieses darf nicht auf einmal hergestellt, sondern muß in drei Absätzen von ein und demselben Totengräber ausgeschaufelt worden sein; in Irland darf dies an keinem Montag geschehen. Bevor der Totengräber das Grab zudeckt, wirft jeder der Leidtragenden drei Hände voll Erde, auch wohl Blumen als Abschiedsgrüße hinein. In Westpreußen tut man dies auch mit dem Tischlermaß, mit dem die Größe des Sarges genommen wurde. Auf gewissen Inseln Irlands wirft man Münzen mit ins Grab hinein, um der Erde ihren Zoll zu entrichten. In anderen Gegenden sammelt man das Geld lieber als Gabe für den Priester oder als Bezahlung der Totenmessen für den Verstorbenen. Das Gegenstück dazu ist der Pastorenpfennig in Wales.
Phot. Kester & Co., München.
Abb. 358. Totenbretter, sogenannte Rebretter, am Rand eines Getreidefeldes.
In Bayern besteht vielfach die Sitte, die Toten auf einem Brett aufzubahren und diese Bretter späterhin am Rande der Landstraßen aufzustellen, damit die Vorübergehenden veranlaßt werden, für das Seelenheil der Verstorbenen zu beten.
Ihren Abschluß finden die Begräbnisfeierlichkeiten in einem Leichenschmause oder Leichentrunk, entweder im Hause des Verstorbenen oder im Wirtshause; früher ging es dabei nicht selten hoch her, jetzt aber pflegen dazu nur die Verwandten oder nächsten Bekannten zusammenzukommen; da sich zu Leichenbegängnissen auch entfernter Wohnende einzufinden pflegen, so wird die seltene Gelegenheit gern benutzt, um die Familienbande enger zu knüpfen. Die Bewirtung dabei besteht aus Kaffee und Kuchen oder Brot (Sterbewecklein), auch wohl noch Wein.
Für die Trauer, die sich meistens auch noch entsprechend der seit dem Tode verflossenen Zeit abstuft, ist in vielen Gegenden, wo noch die Volkstrachten getragen werden, eine bestimmte Tracht vorgeschrieben (Abb. 359).
Phot. C. S. Burne.
Abb. 359. Trauerhaube (Staffs),
wie sie beim Begräbnis von Mädchen oder kleinen Kindern getragen wird; dabei hält man in der Hand Rosmarin als Sinnbild des Gedenkens.
Die Grabhügel pflegt man mit Efeu oder mit Singrün zu bepflanzen und mit Zypressen oder Taxushecken, auch wohl mit Trauereschen einzufassen. Als Gräberschmuck dient in erster Linie die Rose, ferner die Lilie, die Ringelblume und der Rosmarin, eine den alten heidnischen Göttern Fro und seiner Gattin Holda geweihte Pflanze. Von Zeit zu Zeit, namentlich aber an bestimmten Tagen (Allerseelen, Totenfest, Karfreitag und anderen) schmückt man die Grabstätten mit frischen Blumen. In Schottland kennt man merkwürdigerweise keinen Gräberschmuck. Nebenbei bemerkt, sollen hier auch amputierte Gliedmaßen in aller Form beerdigt werden.
Der Aberglaube, daß der Tote nicht für immer seiner Familie entrückt sei, sondern noch längere Zeit, wenigstens solange er noch nicht verwest ist, mit ihr in Verbindung stehe und zurückkehre, ist fest eingewurzelt bei allen europäischen Völkern, offenbar ein altes Überbleibsel aus altheidnischer Zeit. Auf der einen Seite fürchtet man dieses Wiedererscheinen und sucht es durch allerlei Abwehrmaßregeln zu verhindern, wie schon mehrfach gezeigt wurde, anderseits aber wünscht man auch wieder, daß der Verstorbene möglichst lange in der Nähe weile. Man nimmt an, daß er unter anderem darum nach Hause zurückzukehren suche, um nachzusehen, ob alles in Ordnung sei und seinen alten Gang gehe. In Thüringen hängt man in der Wohnstube zu diesem Zweck ein Handtuch auf, hinter das der Verstorbene treten soll; man läßt für ihn bei Tisch einen Stuhl frei und stellt ihm Brot und Wasser hin. Einer im Wochenbett Verstorbenen setzt man an das Lager ihres Kindes nachts Wasser und einen Schwamm, damit sie ihren Liebling wasche und pflege, und was dergleichen Gebräuche mehr sind.
Phot. C. Chusseau-Flaviens.
Abb. 360. Vom Fest der Jugend zu Arles.
Zu Arles, das ebenso wie die ganze Gegend durch die Schönheit seiner Frauen berühmt ist, kommen die jungen Mädchen vom Lande jährlich einmal zusammen. Sie reiten dabei auf den Pferden ihrer Liebhaber auf einem hinter diesen aufgelegten eigenen Sattelkissen.