Die romanischen Völker.

Unter den romanischen Völkern wird, ganz allgemein gesagt, die Bevölkerung der westlichen Mittelmeerländer verstanden, also die Franzosen — in einem großen Teile Nordfrankreichs überwiegt allerdings das nordeuropäische, germanische Blut —, die Spanier, Portugiesen und die Italiener. Rassenanthropologisch betrachtet, gehören zu ihnen die Vertreter des brünetten mediterranen Typus (Abb. 362 und 398), der, wie schon oben gezeigt wurde, vielfach Kreuzungen mit der nordischen und der alpinen Rasse eingegangen ist, sich aber immerhin verhältnismäßig rein in den südlichsten Gebieten der Mittelmeergestade erhalten hat. Unter den Romanen begegnet man vielfach recht schönen Gestalten und ansprechenden Gesichtern, besonders in der Frauenwelt. In Frankreich haben die Frauen von Arles wegen ihrer großen Schönheit eine gewisse Berühmtheit erlangt, deren sie sich übrigens schon zur Römerzeit erfreuten. Die Schönheit der romanischen Frauen wird vielfach noch durch ihre malerische Tracht erhöht, die man hier viel häufiger als in Nord- und Mitteleuropa noch zu tragen pflegt, besonders in ländlichen Bezirken.

Die einzelnen Trachten hier zu schildern, ist ganz unmöglich; es muß genügen, einige wenige im Bilde vorzuführen, denn es herrscht eine große Mannigfaltigkeit in dieser Hinsicht (Abb. 361, 363 und 365). Im allgemeinen sind bunte, leuchtende Farben in geschmackvoller Zusammenstellung für die südeuropäischen Trachten bezeichnend, neben denen in manchen anderen Gegenden aber auch weniger farbenfreudige Stoffe bevorzugt werden. Mit vielem Geschmack und vielem Geschick verstehen die Romaninnen sich darauf, ihre körperlichen Reize durch allerlei Beigaben, besonders in der Kleidung, zu erhöhen. Ein ständig wiederkehrendes Stück der Tracht, das seine größte Verbreitung unter den Spanierinnen (Abb. 366) hat und die anmutigen Gestalten außerordentlich vorteilhaft kleidet, ist das Spitzenschleiertuch (Mantille, Fichu).

Phot. Prof. Petrucci.

Abb. 361. Bretonische Frauen in Festtracht.

Bezeichnend sind die Hauben, die flügelähnlichen Besätze auf den Schultern und die reichgestickten Schürzen, oft alte, von Geschlecht zu Geschlecht vererbte Stücke.

Phot. Alinari.

Abb. 362. Italienische Ziegenhirten,

die im einsamen Gebirge die Herden hüten, sehr genügsam leben und in Strohhütten auf einer Streu übernachten. Ihr einziges Vergnügen besteht im Blasen auf dem „ciufolo“, einer Art Pfeife.

Da die Südeuropäerinnen, soweit sie zum Volke gehören, meistens ohne Kopfbedeckung auszugehen pflegen, so widmen sie der Pflege ihrer Haare große Sorgfalt. Es klingt kaum glaublich und ist doch tatsächlich wahr, daß man in Süditalien überall Volkshaarkünstlerinnen antrifft, die ihr Gewerbe für fünf Centesimi ausüben, und zwar nicht im Innern der Häuser, sondern unter freiem Himmel auf der Straße. In den Volksvierteln Neapels ist es am Sonnabendnachmittag keine Seltenheit, die dunkeläugigen Frauen eine neben der anderen auf der Straße sitzen und darauf warten zu sehen, daß die Haarkünstlerin ihr tiefschwarzes Kopfhaar in gefällige Formen bringe. Dagegen wird in der Bretagne der Pflege der Haare keine besondere Sorgfalt gewidmet. In den Augen der dortigen Bevölkerung sind Locken geradezu verpönt. Ein junges Mädchen, das durch die Schönheit seiner Haare in Versuchung kommen sollte, nur ein einziges Löckchen unter der festsitzenden kappenartigen Kopfbedeckung hervorsehen zu lassen, würde Gefahr laufen, der Aussicht auf einen Freier verlustig zu gehen; denn die jungen Burschen würden sie für leichtfertig und ihrer Zuneigung nicht würdig erachten. Diese Sitte hat offenbar dazu geführt, daß die bretonischen Frauen und Mädchen, da sie ihr Kopfhaar nicht recht zur Geltung bringen können, es an umherziehende Leute, die sich alljährlich zu den Festen einfinden, verkaufen (Abb. 364). Die Männer dagegen pflegen ihr Haar lang wachsen zu lassen, oft bis über die Schultern herab, eine Sitte, die übrigens schon dem griechischen Satiriker Luzian von den Bretonen bekannt war. Eine besondere Bewandtnis hat es mit den schwarzen Schlapphüten der Männer, wie sie nicht nur in der Bretagne, sondern auch sonst in Frankreich getragen werden. Sie werden nämlich so gebogen, daß sie auf der einen Seite eine in die Höhe stehende Spitze bilden, und unverheiratete junge Männer setzen den Hut nun so auf, daß seine Spitze über dem Ohr zu stehen kommt, während Verheiratete dieselbe nach hinten, Witwer sie nach vorn tragen. Wer diese Sitte kennt, kann daher aus der Art, wie jemand den Hut trägt, leicht erraten, wie es in ehelicher Hinsicht mit ihm bestellt ist.

Aus: Gallichan, Spain Revisited.

Abb. 363. Eine Frau aus der Provinz Galicien (nordwestliches Spanien)

in ihrer anmutigen Tracht.

In Toulouse besteht noch heutzutage der merkwürdige Brauch der Verunstaltung des Schädels durch das beständige Tragen einer festen Kappe von frühester Kindheit an; der Schädel wird dadurch in eine langgezogene Form gedrängt. Einen schädlichen Einfluß auf die geistigen Fähigkeiten übt diese Verunstaltung indessen nicht aus. Sehr verbreitet ist unter den Romanen auch die Unsitte des Tatauierens. In Süditalien herrscht sie besonders im Gebiete von Loreto, wo sich nach dem Volksglauben das von den Engeln dorthin gebrachte Haus der Jungfrau Maria befindet. Zu Ehren der Himmelskönigin lassen sich die Tausende von Besuchern dieses Wallfahrtortes deren Monogramm in die Haut „einschreiben“.

Ebenso wie in körperlicher Hinsicht unterscheiden sich Romanen und Germanen auch in geistiger streng voneinander. Während der Germane ein ernstes, nachsinnendes, gemessenes Wesen zur Schau trägt, viel überlegt, nachdenkt, sich nur langsam und erst durch Vernunftgründe überzeugen läßt und zur Innerlichkeit neigt, zeigt der Romane ein heiteres, leichtlebiges, leidenschaftliches Temperament, begeistert sich schnell für alle Neuerungen, ohne viel zu überlegen, ist sehr leicht bestimmbar und läßt sich gern durch Äußerlichkeiten und Förmlichkeiten beeinflussen. Seine durchschnittliche Bildung steht auf einer viel niedrigeren Stufe als die des Nordeuropäers; es gibt unter den Spaniern und Italienern noch ungemein viel Leute, die weder lesen noch schreiben können. Daher haben in Städten und Dörfern auf Plätzen, in Straßen und vor den Posthaltereien öffentliche Schreiber ihre Buden aufgeschlagen, die einen kleinen Tisch mit Papier, Tinte und Feder enthalten; hier wird der Briefwechsel der Schreibunkundigen erledigt, eingelaufene Briefe ihnen vorgelesen und die Antwort geschrieben. Lebhaften Zuspruch erhalten diese öffentlichen Schreiber auch von Liebenden; über deren Angelegenheiten bewahren sie tiefstes Amtsgeheimnis.

Mit der leichten Erregbarkeit der Südländer hängt auch ihre große Vorliebe für Duelle (Abb. 370) zusammen. Dies gilt schon von Frankreich, noch weit mehr aber von Spanien und Italien. In Frankreich kommt der Zweikampf hauptsächlich unter den oberen Zehntausend vor, besonders unter Offizieren, Leuten, die im öffentlichen Leben stehen, und Journalisten. Sie tragen ihre Streitigkeiten meistens mit dem Florett aus, und zwar sind die Anlässe in der Mehrzahl der Fälle ganz geringfügig, ja lächerlich. Sehr wenige dieser Zweikämpfe endigen mit gefährlichen Verletzungen für die Kämpfenden; ein kleiner Stich mit dem Degen oder ein paar in die Luft abgegebene Schüsse genügen meistens, um die verletzte Ehre wiederherzustellen. Viel häufiger und ernster sind dagegen die Duelle bei den Leuten aus dem Volk auf der italienischen und der spanischen Halbinsel. Hier werden sie meistens mit dem Messer ausgetragen. Nur zu leicht fühlen sich die Südländer in ihrer Ehre verletzt und greifen daher sogleich zum Messer oder zum Revolver. Zahlreiche Kreuze, denen man auf seinen Wanderungen in Italien begegnet, legen davon Zeugnis ab, daß hier ein Mord begangen wurde, und bilden eine stillschweigende Mahnung an die Gesetzlosigkeit, die noch immer im Lande herrscht. Auch Eifersucht spielt bei der Entstehung derartiger Duelle eine große Rolle. Nicht selten ist die Italienerin stolz auf die Wunden, die ein verschmähter Liebhaber ihr im Gesicht beibrachte, um es zu entstellen; sagen sie ihr doch, daß sie imstande ist, Leidenschaften unter den Männern zu einfachen.

Abb. 364.
Vom Haarmarkt in Saint-Jean in der Bretagne.

Die Frauen lassen sich das Haar von umherziehenden Haarschneidern kürzen und verkaufen es an diese.

Sobald ein Mord begangen ist, flüchtet der Mörder in den nächsten Wald oder ins Gebirge; seine Freunde sorgen dafür, daß er unentdeckt bleibt, und bringen ihm Nahrung. Dagegen machen die Verwandten und Freunde des Ermordeten die größten Anstrengungen, des Angreifers habhaft zu werden und ihn gleichfalls niederzustechen oder, falls ihnen dies nicht gelingt, an seinen nächsten Verwandten Rache zu üben. Es ist dies die bekannte Blutrache, die Vendetta, die oft genug immer weitere Kreise zieht und sich vielfach von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzt. Bisher konnte sie durch keine Macht ausgerottet werden. Die Obrigkeit in Italien hat nicht die Macht, diesem gefährlichen Treiben Einhalt zu tun; das Volk kümmert sich eben nicht um die Gesetze der Regierung und regelt das Unrecht nach ungeschriebenem Sittenkodex. In Süditalien ist es die Kamorra, auf Sizilien die Mafia, die diese Volksgerichtsbarkeit in die Hand genommen haben. Beide Geheimbünde erfreuen sich immer noch eines guten Gedeihens, wenngleich sie dem Namen nach unterdrückt sein sollen. Denn gerade die Polizei, die sie zu Fall bringen sollte, ist ihr bester Freund und Bundesgenosse. Eine einheitliche Organisation besitzen weder die Kamorristen noch die Mafiosen; es bestehen vielmehr in verschiedenen Gemeinden verschiedene Verbände der Kamorra beziehungsweise Mafia, die unabhängig voneinander ihr Gebiet bearbeiten, manchmal aber auch sich gegenseitig befehden. Die Tätigkeit der beiden Geheimbünde ist nach den Örtlichkeiten verschieden, meistens besteht sie in gegenseitiger Selbsthilfe und gelegentlich im Rächen von Unbilden nach dem Faustrecht, aber auch in der Unterstützung unterdrückter, dem Bunde fernstehender Personen. Sie reicht von den niedrigsten bis in die höchsten Schichten hinein, so daß ebensogut die Wahl eines Gemeindedieners wie die eines Parlamentsmitgliedes von diesen Geheimbünden abhängen können, und zwar erstreckt sich ihr Einfluß über mehr als die Hälfte des ganzen Landes. Der feste Glaube, daß sein besonderer Schutzheiliger, dessen Reliquie der Kamorrist oder Mafiose in einem kleinen Beutel um den Hals trägt, ihn vor jeder Kugel der Truppen, die zu seiner Verfolgung ausgesandt werden, behütet, verleiht ihm den zu seinem gefährlichen Handwerk erforderlichen Mut.

Phot. J. Laurent & Co.

Abb. 365. Tracht der Bevölkerung von Valencia.

Sowohl die männliche wie die weibliche Tracht ist reich, eigenartig und malerisch.

Aus: Gallichan, Spain Revisited.

Abb. 366. Spanierin mit der Mantille.

Dieses Kleidungstück aus zartem, weißem Spitzengewebe, das vielleicht die anmutigste Kopfbedeckung ist, die es gibt, wird noch viel in der Provinz Galicien und überhaupt in den Provinzstädten Spaniens getragen.

Der Südländer mit seinem lebhaften Temperament ist sehr für Spiel und Tanz eingenommen. In Spanien ruft kein Vergnügen größere Freude und Begeisterung hervor, als der Stierkampf, die Corrida. In den Augen des Spaniers ist dies der einzige wissenschaftliche, heldenmütige und gleichzeitig künstlerische Sport. Kein anderes Land der Welt hat einen Sport aufzuweisen, der eine ähnliche Stellung einnimmt oder eine ähnliche Anziehungskraft auf die Bevölkerung ausübt. Er ist in dem Grade dem gesamten Volk gleichsam in Fleisch und Blut übergegangen, daß jeder Bürger mit allen Förmlichkeiten, Gesetzen und Regeln des Spiels — und bei einer Corrida wird ganz planvoll verfahren — vertraut ist, die Fehler, die etwa begangen werden, sogleich erkennt, die Teilnehmer, ganz gleich ob Mensch oder Tier, in ihren Leistungen streng beurteilt und unerschöpflich ist, wenn es gilt, über diesen Gegenstand zu plaudern. Pünktlichkeit kennt der Spanier sonst nicht, aber in Sachen des Stierkampfes läßt er auch hierin nichts zu wünschen übrig; zur festgesetzten Stunde findet er sich zum Stierkampf ein mit einer Pünktlichkeit, die geradezu überrascht. Wenn sich die Uhrzeiger der für die Schaustellung festgesetzten Stunde langsam nähern, dann wird der Stimmenlärm, der bisher in der tausendköpfigen Menge herrschte, beinahe zum Schweigen gebracht; alles ist ganz Ohr und Auge. Mit dem ersten Glockenschlag erscheint der Präsident in Frack und hohem Hut, wie es die Sitte vorschreibt, auf seinem Platze — sollte er nicht zur Stelle sein, dann würde er die Wut der harrenden Menge heraufbeschwören —, setzt sich, wartet einen Augenblick und gibt durch Schwenken eines Tuches das Zeichen zum Anfang. Zunächst erfordert es die Sitte, daß der Chiquero in aller Form eröffnet werde. Zu diesem Zweck erscheinen in dem Bogengang unter dem Platz des Präsidenten zwei vollständig in schwarzen Samt gekleidete, mit Mänteln aus demselben Stoff und mit Federhüten geschmückte Alguaciles auf sich bäumenden Rossen, traben, der eine nach rechts, der andere nach links, im Halbkreise um die Arena herum, bis sie sich auf der entgegengesetzten Seite begegnen, galoppieren darauf wieder zurück und begrüßen den Präsidenten, worauf sie durch die Eingangspforte wieder verschwinden. Einen Augenblick ist die Arena leer, dann treten die Alguaciles am gegenüberliegenden Eingang wieder auf, und mit ihnen vollzieht sich der eindrucksvolle Einmarsch der Kämpfer (Abb. 368). Voran reiten die Alguaciles, dicht hinter ihnen marschieren die drei Matadores nebeneinander, und zwar strenger Vorschrift gemäß in der Rangordnung des Alters (links der älteste). Den rechten Arm haben sie frei; von der linken Schulter hängt ihnen der glänzende Parademantel herab, der rings um die Taille geschlungen wird und dessen Enden von der linken Hand des Trägers auf der Hüfte gehalten werden. Hierauf folgen die Bandilleras in glänzenden Gewändern aus Samt und Seide und dann wieder Berittene, die Picaderos. Hinter ihnen kommen noch die Ringwärter in ihren roten Hemden, die die Aufgabe haben, die Wunden der Pferde mit Werg auszustopfen; sie müssen aber auch die gefallenen Tiere durch Schläge auf die Beine bringen, wenn sie noch imstande sein sollten, einen weiteren Angriff des wütenden Stiers zu ertragen, auch ihre toten Körper an die mit Schellen versehenen Maultiere, die den Nachtrab bilden, anschirren, um sie durch diese hinausschleppen zu lassen. Das Ganze bietet ein recht würdevolles, dabei malerisches und prächtiges Schauspiel und verfehlt nie, die Bewunderung und den lauten Beifall der Zuschauer hervorzurufen. Alle Teilnehmer des Zuges stellen sich gleichfalls vor dem Präsidenten auf und begrüßen ihn durch Aufheben ihrer Gerätschaften. Dieser erwidert ihren Gruß durch Lüften seines Zylinders, worauf sich der Zug verteilt. Die Maultiere aber verschwinden, ebenso die Picaderos bis auf zwei, die gegen die Barriere gelehnt dastehen, in gewisser Entfernung von der Tür, aus der der Stier erscheinen soll. Die Bandilleras und Espadas vertauschen ihre Parademäntel mit ausgebleichten, blutbefleckten roten und gelben Umhängen; die ersteren vertrauen sie guten Freunden unter den Zuschauern an. Ein Trompetenstoß ruft dann einen der Alguaciles herbei, der den Schlüssel zum Tor, den der Präsident herabwirft, mit seinem federngeschmückten Hut auffängt und einem alten Wärter übergibt, während er sich selbst in Sicherheit bringt. Der alte Bediente öffnet das Toril und tritt zur Seite. Tiefes Schweigen tritt jetzt ein. Der Stier erscheint, galoppiert in die Arena, wittert die seiner wartenden Picaderos und stellt sich so, als wolle er einen jeden von ihnen beim Vorbeistürmen angreifen. Dabei versetzen ihm die Picaderos einen leichten Stoß. Der Stier wird dadurch wütend gemacht, schnauft ärgerlich, scharrt die Erde auf und geht schließlich mit gesenktem Kopf auf einen der Reiter zu. Erst wenn ihm mindestens zwei Pferde zum Opfer gefallen sind, treten die Bandilleras in Tätigkeit, um den Stier dadurch in noch größere Wut zu versetzen, daß sie ihm eine Reihe mit Widerhaken versehener Lanzen in den sehnigen Nacken stoßen. So geschmückt, tritt der Stier nun einem Espada oder Matador gegenüber (Abb. 369), der ihn dazu verleitet, wiederholt einen Anlauf auf ihn zu nehmen. Sodann hebt er das Heft seines Schwertes in gleiche Höhe mit seinem Auge und zielt vorsichtig auf eine bestimmte Stelle des Stieres, der auf ihn losstürmt und in das Schwert bis an das Heft hineinläuft. In demselben Augenblick springt der Espada zur Seite, der Stier taumelt und fällt mit einem Krach auf den Boden. Der tote Körper wird an das schon erwähnte Maultierpaar gespannt und im Galopp hinausbefördert. Frischer Sand wird über die Blutlache gestreut, und die Trompeten verkünden die Wiederholung des grauenerregenden Schauspiels. Dem Espada aber, der dem Stier den Garaus gemacht hat, wird mächtige Begeisterung gezollt; je mehr Erfolge er aufzuweisen hat, um so mehr steigt er in der Achtung aller, besonders aber der Frauen, die geradezu einen Kultus mit ihm treiben und ihn beinahe vergöttern. Für den Nordeuropäer aber ist es nicht faßlich, daß Kulturmenschen an einem so widerwärtigen Vorgang, wie die Corrida es ist, Gefallen finden können; doch sind die Stierkämpfe nun einmal eine althergebrachte Leidenschaft des ganzen spanischen Volkes und werden es auch immer bleiben.

Phot. J. Giletta. Mit Erl. von H. J. Shepstone.

Abb. 367. Aus dem Festzug des berühmten Karnevals zu Nizza.

Die Figur auf dem Heck des Bootes hält unter dem Arm eine Nachbildung der Mona Lisa, deren Original bekanntlich aus dem Louvre gestohlen wurde.

Phot. Diego Gonzalez.

Abb. 368. Szene vom Stierkampf.

Der Aufzug der Kämpfer (Matadores, Bandilleras, Picaderos und so weiter).

Phot. Diego Gonzalez.

Abb. 369. Szene vom Stierkampf.

Der bereits von den Speeren der Bandilleras getroffene Stier wird von dem Matador zum neuen und wohl letzten Angriff gereizt.

Auch Frankreich kennt Stierkämpfe; so finden solche in der Stadt Arles statt, aber hier sind es nicht wie bei der spanischen Corrida blutrünstige Metzeleien, an denen das Volk seine Freude hat, sondern die heiteren naiven Spiele, in denen die Gewandtheit des Menschen gegen die Stärke des Stiers zum Auftrag gebracht wird. Der Kämpfende muß nämlich dem Stier eine Kokarde, die er zwischen den Hörnern trägt, fortzureißen versuchen.

In Italien huldigt man mit Vorliebe dem Glückspiel. Dieser Sport ist über die ganze Halbinsel verbreitet und bildet die Haupteinnahmequelle für den Staat. Jede Woche finden in allen bedeutenderen Städten Lotterieziehungen statt, so daß für die Italiener, die schon seit Jahrhunderten einem süßen Nichtstun ergeben sind, das Spiel das sicherste Mittel ist, um noch immer ärmer zu werden. Die Gewinnaussichten sind nämlich recht gering, da die Regierung den Löwenanteil an den Einnahmen nimmt, indem sie den Wert der Gewinne nie den dritten Teil der Summe übersteigen läßt, die sich nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung aus den Einnahmen ergibt; auf diese Weise bringt sie es fertig, sich eine dauernde, freiwillig gespeiste Geldquelle zu verschaffen. Denn das Volk ist auf das Spielen, wie gesagt, rein versessen. Bei der Auswahl der zu spielenden Nummern spricht der Aberglaube viel mit. Das in Italien am meisten gelesene Buch ist das Traumbuch, eine alte, alphabetisch angeordnete Liste von Wörtern, deren jedem eine aufs Geratewohl zwischen eins und neunzig ausgewählte Zahl zugeordnet ist. Irgendein Ereignis oder ein Traum, der auf eins der dort verzeichneten Wörter anspielt, gibt den Ausschlag für die damit verbundene Zahl, und diese wird zur Nummer des zu spielenden Lotterieloses. Auch die Mönche werden nicht selten um Nennung einer glückbringenden Nummer angesprochen. Da sie in großem Ansehen stehen und auch eine gewisse Bildung besitzen, so meint das abergläubische Volk, daß sie auch mit der Gabe ausgestattet seien, vorauszusehen, welches Schicksal einem bevorsteht, was ein Traum bedeutet, welche Nummern in der Lotterie Erfolg haben werden und so fort. Es kann unter Umständen auch geschehen, daß ein solcher „Onkel“ Mönch, wenn er sich weigert, Auskunft zu erteilen, unbarmherzig durchgeprügelt wird.

Phot. Clarke & Hyde.

Abb. 370. Duell mittels Stoßdegen,

wie es in Frankreich bei Beleidigungen üblich ist.

Unter keinem Himmelstrich Europas bringt das Volk dem Tanzen so lebhaftes Interesse entgegen wie in Italien und vor allem in Spanien. Hier ist wieder Andalusien, wo die Herzen am raschesten schlagen und die Liebe am wildesten auflodert, entschieden das Wiegenland der spanischen Tänze, denn an dieser Stätte sind eine ganze Reihe derselben entstanden, und von hier aus haben sie sich nicht nur Spanien, sondern einzelne die ganze Welt erobert. Der älteste spanische Tanz, der Fandango, ist ein urechtes Kind des sonnigen Andalusiens, in dem die ganze Liebessehnsucht und Leidenschaft der Tanzenden zum Ausdruck kommt. „Ein getanztes Bekenntnis der Liebe“ hat man einmal den Fandango treffend genannt. Der spanische Tanz, mag er nun Fandango oder Cachucha, Bolero, Malequeña, Seguidilla oder sonstwie heißen, ist nämlich fast immer eine anmutig durchgeführte Pantomime, in der die Liebessehnsucht, Werbung, Erhörung oder Ablehnung zum Ausdruck kommen. Die einschmeichelnden Töne, die den Saiten der Gitarre, des Nationalinstrumentes der Spanier, entlockt werden, und der melodische Gesang, der sie begleitet, verleihen den spanischen Tänzen erst den vollen Reiz; alle drei sind unzertrennbar miteinander verbunden zu einem harmonischen Ganzen.

Der Süditaliener hat seine Tarantella (Abb. 371), einen Tanz, der gleichfalls der Erotik nicht entbehrt, aber hinsichtlich der Inbrunst, mit der er getanzt wird, wohl kaum dem Fandango gleichkommen dürfte. Für gewöhnlich schlagen die Tanzenden mit einem Tamburin den Takt dazu, während Musikanten mit der Gitarre oder dem Dudelsack die Begleitung spielen. Das lebhafte Temperament der Südländer kommt so recht in ihrer ausgelassenen Karnevalfeier zum Ausdruck (Abb. 367).

Phot. Harlingue.

Abb. 371. Tarantellatänzer in Sorrent.

Alle Südeuropäer sind in hohem Grade strenge Anhänger der katholischen Kirche, der sie leidenschaftlich ergeben sind. Im besonderen gilt dies für die Spanier, unter denen sich der Katholizismus des allergrößten Ansehens erfreut. Nirgends in Europa begegnet man daher so viel Geistlichen, Ordensgesellschaften (Mönchen und Nonnen), Kirchen, Klöstern und Prozessionen, nirgends einem solchen Einfluß der alleinseligmachenden Kirche wie in Frankreich, Spanien und Italien. Der Reliquiendienst, desgleichen der Glaube an Wundertaten treibt hier besonders reiche Blüten. Mit großer Regelmäßigkeit wiederholen sich die Wunder in dieser oder jener Stadt. Die Grotte zu Lourdes ist bekannt. Sie hat dem Erscheinen der Jungfrau Maria ihr Entstehen zu verdanken; alljährlich pilgern viele Tausende von Kranken aus aller Herren Ländern nach dieser Wundergrotte, um Heilung von ihren Gebresten zu finden (Abb. 375 und 394). In Neapel fließt das geronnene Blut des heiligen Januarius alle Jahre an einem bestimmten Tage und zieht gleichfalls Hunderttausende von frommen Menschen an, die dieses Wunder mit eigenen Augen zu schauen begehren. Sankt Nikolaus in Bari besitzt ein Wunderknie, aus dem dauernd Wasser rieselt, das man in kleinen Gefäßen auffängt und im ganzen Lande als unfehlbares Mittel gegen alle möglichen Krankheiten, sogar gegen gebrochene Beine, verkauft. Und so ließen sich noch viele andere Stätten aufzählen, deren Besuch bei dem Gläubigen Wunder wirken soll.

Prozessionen (Abb. 374, 376, 378, 379 und 397) nach solchen Orten finden beständig statt. Aber nicht nur zu solchen Wunderstätten veranstaltet man feierliche Umzüge, sondern noch zu zahlreichen anderen heiligen Plätzen, Kirchen, Klöstern, Kreuzen und so weiter, die irgendwie mit einem der Heiligen in Beziehung stehen. Aus der Zahl der Heiligenbilder, die solche Stätten zieren, aus der Menge der Opfergaben, die dort hängen — sie bestehen aus verschiedenartigen Gegenständen, für gewöhnlich aus der Nachbildung eines einzelnen Körperteiles, der durch die wundertätige Vermittlung des besonderen Heiligen von seinem Schaden befreit wurde —, und aus der Anhäufung von Geldspenden kann man auf die Volkstümlichkeit eines Heiligen Schlüsse ziehen.

Phot. Alinari.

Abb. 372. Umherziehende Musikanten in Kalabrien,

die zu Weihnachten von den Apenninen herabkommen, um vor dem Presepio, einer rohen Darstellung der Krippe zu Bethlehem, auf ihren Pfeifen und Dudelsäcken zu spielen und dazu zu singen.

Phot. W. A. Mansell & Co.

Abb. 373. Teilnehmer am Fürbittefest von Sankt Anna

treffen in bannergeschmückten Segel- und Ruderbooten ein.

In der Bretagne wird an der Westküste, wo der Sardinenfang blüht, am Morgen des Sankt-Anna-Tages (26. Juli) die Fischerei gesegnet (Abb. 373). Zu diesem Zwecke begibt sich die Geistlichkeit unter Vorantragung von Kreuz und Heiligenbannern in feierlichem Zuge von der Kapelle Notre-Dame de L’Armor (Unsere liebe Frau zur See) zum Strand und schifft sich hier in Boote ein. Diese fahren etwa zwei bis drei Seemeilen hinaus, wo ihnen die Boote von L’Orient und anderen Küstenplätzen zu Hunderten entgegenkommen. Wenn alle Boote einen Kreis gebildet haben, dessen Mitte die Fahrzeuge der Priester einnehmen, wird von diesen der Segen gesprochen. — Gerade in der Bretagne haben sich noch zahlreiche andere fromme Gebräuche erhalten, die mit der Vergebung der Sünden in Verbindung stehen und Anlaß zu bemerkenswerten Volksfesten geben. Fast jede Kirche im Innern des Landes soll unter der Obhut eines Schutzpatrons stehen, der im Gegensatz zu den für den betreffenden Ort unwirksamen Heiligtümern der übrigen Kirchen nach dem Glauben des Volkes und den Lehren der Priester die Macht besitzt, Vergebung der Sünden zu erwirken. Manche dieser Heiligen sind berühmt wegen ihrer Fähigkeit, den Männern besonderen Schutz zu verleihen, andere wieder nehmen sich der Frauen und Kinder an, während einer von ihnen, Sankt Kornelius, das Vieh unter seine besondere Obhut genommen hat. Sein Vergebungsfest wird in der kleinen Kirche von Sankt Nicholas zusammen mit dem des heiligen Nikodemus gefeiert. Diese Vergebung findet alljährlich am ersten Sonnabend des Monats August statt; jeder Besitzer von Vieh bringt das seinige dorthin, so daß die Wiesen um die Kirche von Herden gleichsam übersät erscheinen. Die Segnung der Tiere geschieht in der Weise, daß der Priester mit verschiedenen Reliquien des Heiligen das Vieh berührt (Abb. 381). Darauf treibt jeder Eigentümer seine Tiere wieder nach Hause, in dem sicheren Glauben, daß sie im kommenden Jahre von Krankheit nicht heimgesucht werden können und reiche Nachkommenschaft haben werden. — In Italien ist der heilige Antonius Schutzpatron des Viehs. An seinem Festtage sucht der Geistliche alle Tiere in Haus und Hof auf, segnet sie und feit sie gegen Krankheiten und Unglücksfälle im kommenden Jahre. Bei derselben Gelegenheit werden auch Felder und Ernte gesegnet, um sie im besonderen gegen Hagelschlag und Heuschrecken zu schützen.

Phot. Clive Holland.

Abb. 374. Umzug am Morgen des Fürbittefestes

(Gegend von Quimper). Zahlreiche, zum Teil prächtige Banner werden im Zuge mitgeführt.

Der religiöse Zug, der die Mehrzahl der Feste bei den romanischen Völkern auszeichnet, beeinträchtigt keineswegs ihren Frohsinn; besonders die Spanier sind wahre Vergnügungskünstler. Von Januar bis Dezember werden überall im Lande zahlreiche Ferias oder Fiestas gefeiert; von Nationalfesten allein besitzen sie wohl einige Dutzend. Dem Neujahrstage wird nicht viel Bedeutung beigelegt; die erste große Festlichkeit im neuen Jahre fällt vielmehr auf den 6. Januar. Die höheren Kreise feiern diesen Tag nach althergebrachtem Brauch, indem ihre Mitglieder sich gegenseitig besuchen und Karten austauschen, während die Armen sich von den Anstrengungen des Vorabends erholen, an dem sie die Ankunft der heiligen drei Könige erwarteten und sich vergnügten. Der nationale Karneval erstreckt sich über mehrere Februartage; die Bevölkerung des ganzen Landes feiert ihn auf der Straße, läuft in Masken umher, hält in den Theatern glänzende Bälle ab, wirft auf den Straßen Papierschlangen und Konfetti in ungeheuren Mengen und vergnügt sich vom frühen Morgen bis in die Nacht hinein. — Der Sankt-José-Tag (19. März) ist immer ein wichtiges Ereignis, denn dieser Heilige erfreut sich in ganz Spanien einer ungewöhnlichen Volkstümlichkeit. Man schickt an diesem Tage Geschenke, die in Blumen, Süßigkeiten und Karten bestehen, an Personen beiderlei Geschlechts, die den Namen des Heiligen führen. In Valencia herrscht die Sitte, am Sankt-José-Tage inmitten der Straßen Katafalke aus Leinwand und Holz aufzubauen und auf diese Figuren zu stellen, die die wichtigsten politischen Ereignisse des Jahres in scherzhafter Weise zur Darstellung bringen (Abb. 382).

Phot. The Farringdon Photo Company.

Abb. 375. Pilger küssen die Wand der Grotte zu Lourdes.

Im Vordergrunde rechts stehen zahlreiche Krücken, die von solchen, die Heilung gefunden zu haben glaubten, zum Dank zurückgelassen wurden.

Der Palmsonntag (Abb. 377) gibt Veranlassung zu einer allgemeinen religiösen Feier, ebenso zeichnen sich alle übrigen Tage der Karwoche durch eindrucksvolle Gottesdienste und Feierlichkeiten (Abb. 384) aus. Alles trägt in diesen Tagen schwarze Gewänder. Jede geschäftliche Tätigkeit außer der allernotwendigsten unterbleibt am Karfreitag und auch am vorangehenden Donnerstag; der Handel in den Straßen der großen Städte ist unterbrochen und ein feierliches Schweigen liegt über dem ganzen Lande. Am Gründonnerstag wäscht die Königin zur Erinnerung an die Fußwaschung der Jünger durch den Heiland einigen Armen, die sich zu diesem Zwecke im Palast zu Madrid einfinden, die Füße und macht am Nachmittag einen feierlichen Rundgang durch die Kirchen der Stadt. Der Karfreitag ist in jeder spanischen Stadt der Tag großartiger Umzüge (Abb. 383) durch die Straßen. Vielleicht am berühmtesten von allen solchen Veranstaltungen in der ganzen Welt sind die Umzüge von Sevilla (Abb. 380) wegen der großartigen Pracht, die dabei entfaltet wird, und der Schönheit sowie Kostbarkeit der sogenannten Pasos, geschnitzter Bildwerkgruppen, durch die einzelne Ereignisse aus der Leidensgeschichte Christi dargestellt werden. Sie werden unter großer Beteiligung von seiten der Mitglieder zahlreicher Brüderschaften, Orden und Gilden, die in lange schwarze, braune oder auch weiße Büßergewänder gehüllt und mit hohen Spitzmützen bedeckt sind, durch die Straße getragen; jede Brüderschaft begleitet den ihr gehörigen Paso. Das volkstümlichste Schauspiel nach dieser Richtung bietet die Gilde der Zigarettenmacher, deren Mitglied der König ist, und die Macarenos, die sich am Ostersonntag auf dem Stierkampfplatz in ihrem profanen Berufe zeigen. Ihre Pasos, für gewöhnlich der eine den gekreuzigten Christus, der andere die Mutter Gottes darstellend, werden auf blumenbekränzten Sänften getragen; sie sind von terrassenförmig aufsteigenden Kerzenreihen beleuchtet und von einem kostbaren Baldachin aus schwarzem Samt überdacht.

Phot. Clive Holland.

Abb. 376. Das Fürbittefest von Saint-Jean-du-Doigt.

Der Heilige wird an seinem Fest durch ein kleines Kind dargestellt, das in Felle gekleidet ist und ein Kreuz sowie ein Lamm trägt. Vor der Kirche wird mit Raketen ein Freudenfeuer angezündet.

Auch Italien kennt solche Brüderschaften, die zusammen mit der Geistlichkeit, wenn irgendein heiliges Fest gefeiert wird, die Umzüge begleiten und die Standbilder der Heiligen in der Stadt umhertragen. Auch sie pflegen in ähnlicher Weise vom Kopf bis zu Fuß mit einem schwarzen Domino nebst Kappe bekleidet zu sein. Nebenbei betätigen sie sich meistens auch noch auf dem Gebiete der öffentlichen Wohltätigkeit, begleiten unter anderem die Begräbnisse oder nehmen sich, wie die Brüder der „Misericordia“ in Florenz, der auf der Straße Verunglückten an (Abb. 386).

Himmelfahrtstag und Fronleichnam (Korpus-Christi-Tag) werden in allen spanischen Städten gleichfalls aufs festlichste begangen. Der 1. und 2. November sind die Tage, an denen jeder Spanier dem Friedhof — bienenwabenähnlich angeordnete Nischen in hohen Mauern, die die Särge aufnehmen und dann zugemauert werden — seinen Jahresbesuch abstattet und Blumenschmuck sowie Totenkränze an den an der Außenwand dicht nebeneinander angebrachten Tafeln aufhängt. Heiligabend und Weihnachten bilden die letzten Festtage des an solchen überaus reichen spanischen Jahres. Den ersteren feiert man auf den Straßen, den Weihnachtstag selbst dagegen zu Hause. Am 24. Dezember begibt sich ganz Spanien auf den Markt; die Erwachsenen holen ihren Vorrat an Puten, Backwerk und Obst ein, der am anderen Tage zu Hause verzehrt wird, während die Kinder von Reichen und Armen sich einen Nacimiento kaufen, das ist eine Darstellung der Geburt Christi aus Pappe oder Terrakotta, die dann beleuchtet wird. Tannenbäume, Weihnachtskrippen und Geschenke sind dem spanischen Volke fremd. — Italien dagegen kennt Weihnachtskrippen. In Neapel kommen zur Weihnachtszeit ländliche Musikanten aus den benachbarten Bergen zusammen und spielen vor den Krippen (Abb. 372 und 389).

Abb. 377. Palmsonntag in den Sabiner Bergen.

Nach einem Gemälde von Cesare Tiratelli.

Phot. Braun & Co., Dornach.

Abb. 378. Osterkirchgang in der Bretagne.

Der Franzose kennt Weihnachtsbräuche im allgemeinen nicht; nur in den wohlhabenderen Familien von Paris bürgert sich die Sitte des deutschen Weihnachtsbaumes mit seinem Lichterglanz mehr und mehr ein. Das einzige, was von der Heiligkeit des Weihnachtsfestes Zeugnis ablegt, ist die Mitternachtsmesse, die man um zwölf Uhr nachts in der Kirche abhält. Familienfestlichkeiten gibt es gar nicht. Früher speiste man wohl gemeinsam zu Hause, ehe man sich zur Messe begab; jetzt aber wird dieser „Reveillon“ mehr in die Wirtshäuser verlegt und hat dadurch das in den Familien ihm etwa noch anhaftende Stimmungsvolle gänzlich verloren. — Auch in Frankreich kennt man bestimmte Gerichte für das Weihnachtsmahl: getrüffelte Pute auf der Tafel der Reichen, geröstete schwarze Blutwurst auf dem Tische der ärmeren Klassen. Man beschenkt nur die Kinder, aber diese Freude wird ihnen nicht am Heiligen Abend, wie es bei uns zumeist üblich ist, zuteil, sondern erst am anderen Morgen. Vor dem Schlafengehen stellen sie ihre Pantöffelchen in den Kamin und finden sie beim Erwachen mit allerlei Spielsachen und Süßigkeiten vom Weihnachtsengel (le petit Noël), der hier die Stelle unseres Weihnachtsmannes oder Knechts Ruprecht vertritt, angefüllt. Im übrigen verläuft Weihnachten für die Kleinen sang- und klanglos; dazu kommt, daß es für sie keine Weihnachtsferien gibt: am 24. nachmittags wird die Schule geschlossen, und am 26. haben sich die Kinder schon wieder zum Unterricht einzufinden, da die Franzosen einen zweiten Weihnachtsfeiertag nicht kennen.

Eine charakteristische Erscheinung in Frankreich ist der Weihnachts- beziehungsweise Neujahrsmarkt, der vom 20. Dezember bis zum 5. Januar abgehalten wird (les baraques genannt), eine Art Jahrmarktsrummel, auf dem wie bei uns aus ähnlichem Anlaß in marktschreierischer Weise alle möglichen Sachen, vor allem Kinderspielzeug, das in scherzhafter Weise auf die in- und ausländische Politik anspielt, ausgeboten wird und alle möglichen Dinge gegen Geld öffentlich zu sehen sind. Neujahr ist dann der Tag, an dem sich die Erwachsenen in Frankreich beschenken. Diese Etrennes bereiten den Franzosen sehr bedeutende Ausgaben, denn die Zahl derer, die auf sie Anspruch machen, ist eine recht beträchtliche. Nicht nur die Mitglieder der Familie, Verwandte und Freunde werden mit einem Geschenk bedacht, sondern auch das ganze Heer von Untergebenen und sonstigen Leuten, die im Hause zu tun haben, die man aber sonst überhaupt nicht zu sehen bekommt, also die Dienstboten, der Pförtner, der im Pariser Hause eine sehr wichtige Rolle spielt, Briefträger, Zeitungsjunge, Laufburschen, Wäscherinnen, Friseur und noch manche andere. Es leuchtet ein, daß diese Trinkgelder eine ganz stattliche Höhe erreichen müssen, denn ausschließen kann man sich von ihnen nicht gut, weil die Sitte sie einmal vorschreibt. — Während die Pariser Weihnacht unseren deutschen Silvesterabend an Straßenlärm wohl noch bedeutend übertrifft, insofern hier die wildeste Ausgelassenheit bis zum hellen Morgen herrscht, unterscheidet sich die Pariser Silvesternacht keineswegs von den übrigen Nächten des Jahres. Man kommt nicht zusammen, trinkt keinen Punsch, ißt keine Pfannkuchen, gießt kein Blei, bringt kein Hoch auf das neue Jahr aus und lärmt nicht auf der Straße; die Nacht verläuft vollständig ruhig, alles bereitet sich anscheinend auf den folgenden Tag vor, der große Anforderungen an den Geldbeutel stellt.

In Süditalien ist vielfach noch der Weihnachtsbrauch des Ceppo üblich. In der Heiligen Nacht legt man feierlich auf den Herd des Hauses einen großen Holzklotz, zündet ihn an und läßt ihn mehrere Nächte hindurch brennen. Offenbar ist diese Sitte gleichbedeutend mit dem nordischen Julblock und höchstwahrscheinlich in weit zurückliegenden Zeiten durch Einwanderer germanischer Herkunft hierhin verpflanzt worden. Das Volk bezeichnet Weihnachten häufiger mit Feste del Ceppo (Fest des Holzblockes) als mit Natale (Geburtsfest des Herrn).

Phot. J. Brocherel.

Abb. 379. Blumengeschmückte Straßen

bei einer Prozession zu Genzano. Die Blumen werden in kunstvollen Mustern auf dem Boden angeordnet. — Die Zuschauer auf den Balkonen bewerfen die Prozession, während sie sich durch die Straßen bewegt, mit Blumen.

Phot. The London Electrotype Agency.

Abb. 380. Spanische Jünglinge in mittelalterlicher Tracht führen einen religiösen Tanz auf,

dessen Schauplatz der Raum vor dem Hochaltar einer Kirche Sevillas ist. Die Bewegungen der Tänzer zeichnen sich durch große Anmut aus.

Die Karwoche und Ostern werden in Italien in ähnlicher Weise gefeiert wie überall in den südeuropäischen Ländern (Abbildung 385 und 395). Am Vorabend vor Ostern spielt sich in Florenz ein ganz eigenartiger Vorgang ab. Auf dem Platz vor der Kirche wird ein aufgeputzter Wagen aufgestellt und mit dem Hochaltar der Kirche durch einen Draht verbunden. An diesem Draht läßt man eine hölzerne Taube mit einer Rakete entlangfliegen, die der Geistliche am Hochaltar anzündet. Diese hat die Aufgabe, das auf dem Wagen befindliche Feuerwerk in Brand zu setzen. Gelingt dies beim ersten Versuch, dann bricht die versammelte Menge, die meistens aus Landleuten besteht, in laute Jubelrufe aus, weil sie darin einen göttlichen Hinweis erblickt, daß eine gute Ernte zu erwarten stehe; verfehlt die Taube aber ihr Ziel und ist sie nicht imstande, das Feuerwerk anzuzünden, dann verlassen die Zuschauer niedergeschlagen und enttäuscht den Platz, in dem Glauben, daß die Ernte dieses Jahres schlecht ausfallen werde.

Phot. Underwood & Underwood.

Abb. 381. Einsegnung des Viehs

die durch den Geistlichen in der Kirche vorgenommen wird.

Auf Sizilien, besonders in dem Städtchen Prizzi, finden am Palmsonntag Aufzüge statt, die den Einzug Christi in Jerusalem zur Darstellung bringen. Einer der Geistlichen stellt Christus vor; er reitet auf einer reich mit Blumen geschmückten Eselin, neben der ein Füllen einhertrabt, wie die Überlieferung es berichtet. Ihm folgen als die zwölf Apostel ebensoviel Geistliche mit Palmzweigen in den Händen; einer von ihnen stellt Judas dar und ist an einer Laterne als solcher kenntlich, die er in der Hand hält. An die Priester schließt sich eine große Volksmenge an; alles trägt Palm- oder Ölzweige. Am Tor der Stadt begrüßt der Bürgermeister den Zug und führt das Reittier Christi am Zügel weiter bis zum Altar der Kirche. Hier wird der Zug von dem Hosianna des Chors empfangen, worauf Christus absteigt und das Zeichen zur Palmenweihe gibt. Die gesegneten Zweige nimmt man nach Hause mit und befestigt sie hier als Abwehrmittel gegen alle möglichen bösen Einflüsse. — Die Stadt San Remo in Norditalien hat das Vorrecht, am Palmsonntag Palmzweige nach Rom zu senden.

Abb. 382. Das Fest der „Fallas“ von Sankt Joseph zu Valencia in Spanien.

Der große aus Leinwand und Holz in der Straße aufgebaute Katafalk trägt Figuren, die auf die wichtigsten auf der Iberischen Halbinsel sich abspielenden Ereignisse Bezug nehmen, zum Beispiel das auf einen Bienenschwarm losschlagende Portugal (oben), das schlafende Spanien, das von einem Riffkabylen geneckt wird (Mitte), eine portugiesische Familie, die sich zum Auswandern anschickt.

In Neapel bietet Pfingsten (Pentecoste oder vom Volke lieber L’altra Pasqua, das zweite Ostern, oder auch Pasqua dei fiori, Blumenostern, genannt) Anlaß zu einem großartigen Pilgerzug, der sich am Pfingstnachmittag vom Monte Vergine zur Stadt ergießt. Schon am vorangehenden Donnerstag sind die Pilger zum Berge hinaufgestiegen, haben hier zu der braunen Madonna gebetet, reichlich der Kirche geopfert und sind in jeder Weise fromm gewesen. Nach drei Tagen kehren sie zurück, machen aber keineswegs den Eindruck von Büßenden im Pilgergewand und mit Pilgerstab, sondern von überaus lustigen Gesellen. Unter Gesang, Evvivarufen und Schreien, begleitet von den Tönen der Mandoline und Gitarre sowie dem Schall von Pfeifen, Trommeln und anderen Lärminstrumenten, bekränzt mit Blumengirlanden, die einen auf Karren, die anderen im Ein- oder Zweispänner oder auch in vornehmen Vierspännern, andere wieder hoch zu Roß — so erscheinen sie am Pfingstnachmittage in der Stadt, wo die zurückgebliebenen Neapolitaner, aufs festlichste geschmückt, sie mit Jubel begrüßen.

Phot. The London Electrotype Agency.

Abb. 383. Karfreitagsprozession in Sevilla zu Ehren der heiligen Jungfrau.

Die Teilnehmer, sämtliche Ordensgesellschaften, sind teils schwarz, teils braun oder weiß gekleidet und tragen schwarze Kapuzen. Auf ihren Standarten steht die bekannte Inschrift der alten Römer (SPQR = Senatus populusque Romanus). Die Polizisten, die den Zug begleiten, halten die linke Hand auf die Brust.

Phot. Underwood & Underwood.

Abb. 384. Karfreitagsprozession der Frauen zu Kergornet.

Im Vordergrund ist Reisig zu einem der dabei üblichen Freudenfeuer aufgestapelt; ein alter Überrest aus der Druidenzeit.

In Neapel, wie überhaupt in den Städten unter der Sonne Süditaliens, wo das Leben sich leidenschaftlicher und lauter abspielt, kennt man zur Sommerszeit eine ganze Reihe von Festen, die im Juni beginnen und fast ununterbrochen bis in den September hinein andauern. Jede der hundert Kirchen Neapels feiert in dieser Zeit ihr besonderes Fest. Dann verwandeln sich die Straßen in der nächsten Umgebung der betreffenden Kirche für einige Tage gleichsam in Festsäle mit Fahnen, Girlanden, Teppichen, Lampions, Kandelabern und bunten Lämpchen; Musikbanden lassen ihre Weisen ertönen, und am Abend knallt und sprüht das Feuerwerk; natürlich wird dabei auch dem Wein tüchtig zugesprochen. Ebenso ist es in anderen Städten. Das großartigste aller dieser Feste ist das des heiligen Paulinus oder der tanzenden Türme zu Nola, das zur Erinnerung an weit zurückliegende Zeiten begangen wird, als der Vandalenkönig Geiserich mit seinen Scharen Italien überflutete und der Bischof Paulinus im Jahre 460 aus der Gefangenschaft dieses Fürsten mit seinen Nolanern in die Heimat zurückkehrte. Schon Tags zuvor strömen die Pilger zu Tausenden zusammen und harren auf den Straßen, den Balkonen und den Dächern des eigenartigen Schauspiels. Auf dem Markte hat man nämlich auf einer festen Unterlage Türme aus Fachwerk errichtet, die die größten Häuser überragen; sie bestehen aus mehreren Stockwerken, von denen die unteren mit Teppichen und Gemälden (Szenen aus dem Leben des Heiligen) geschmückt sind, auch eine Rampe für Musikanten tragen, die übrigen bis oben hinauf mit Säulen, Standbildern und allerlei Zierat aus farbigem Stuck bekleidet sind; das Ganze wird von der lebensgroßen Figur eines Engels oder des Heiligen gekrönt (Abb. 387). Diese Türme sollen die „Lilien“ und andere Blumen des Sankt Paulinus bedeuten, die man in früheren Jahrhunderten bei den Prozessionen trug, mit der Zeit aber ins Ungeheure vergrößerte, indem einer mit dem anderen wetteiferte, die Pyramiden immer reicher auszuschmücken. Zu diesen „Giglii“ (Lilien) tritt nun noch des weiteren in der Mitte des Platzes ein mächtiges, bewimpeltes Schiff mit schwellenden Segeln, das ebenfalls auf einem Balkenwerk ruht und das Fahrzeug vorstellen soll, auf dem Paulinus der Heimat zueilte. An Stelle des Bischofs trägt es aber an Bord einen pechschwarzen, orientalisch gekleideten Mohrenkönig. Die Hauptsache bei der Feier des Paulinusfestes ist aber der Tanz dieser Türme. Zahlreiche kräftige Leute kommen mit Hebebäumen heran und heben die schwere Last samt dem ganzen Aufbau und der darauf sitzenden Musikbande hoch. Das eine Turmpaar bewegt sich auf das gegenüberstehende zu, dann wieder zurück; dasselbe tut das andere Paar, darauf gehen beide gleichzeitig aufeinander zu, drehen sich nach rechts und links, ziehen aneinander vorbei und kehren wieder auf ihren Stand zurück, alles geradeso wie bei unserem Kontertanz. Nachdem das Schiff schließlich noch einige Male um den Marktplatz gezogen worden ist, wiederholt sich das ganze Schauspiel noch verschiedene Male, wohl zwei Stunden lang; dabei sind die Beteiligten unermüdlich, denn Ermattung kennt der Italiener nicht, zumal wenn der tobende Beifall der Menge seinen Mut und Ehrgeiz immer von neuem anspornt. Hieran schließt sich dann eine Prozession rings um den Marktplatz unter einem Regen von Blumen und Konfetti. Ist diese Feierlichkeit vorüber, dann bedeckt sich der ganze Platz mit allerhand Buden, in denen man Heiligenbilder, Zuckerwerk, Obst und besonders Schnüre von gerösteten Kastanien und Haselnüssen feilbietet. Den Abschluß bilden, wie gewöhnlich, ein prächtiges Feuerwerk, Tanz und Musik. Auch fehlt an einem solchen Abend eine dem italienischen Volke eigentümliche Art von Stegreifgesängen, die Canti a figliuole, nicht; es sind dies Rezitative, die mit einem hohen Tone einsetzen und sich durch ein bis zwei Oktaven chromatisch hindurchwinden, um in einem langgehaltenen Grundton auszuklingen. Für gewöhnlich singen die jungen Burschen solche Canti, um ihren Mädchen aus der Ferne allerlei Liebes mitzuteilen, weswegen sie auch die Bezeichnung Canti a figliuole (Mädchenlieder) führen. Am Paulinusabend nun teilen sich die Sänger in zwei Parteien und besingen in edlem Wettstreit die Taten der Heiligen oder die Ereignisse des Tages in dieser Form, wobei sie sich in freien Erfindungen und kühnen Witzen zu überbieten suchen.

In Siena findet an zwei Tagen im Jahre, Mariä Heimsuchung und Mariä Himmelfahrt, auf dem Marktplatz zwischen den Vertretern von zehn Stadtbezirken ein sonderbares Wettrennen, der Palio, statt, bei dem der Siegespreis in einem seidenen, mit dem Bilde der Madonna geschmückten Banner besteht. Natürlich strömt zu diesem Schauspiel, bei dem die Abgeordneten der einzelnen Bezirke die Tracht des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts in hellleuchtenden Farben tragen, eine vieltausendköpfige Menge zusammen. Unter Glockengeläute ziehen diese Vertreter zunächst in ihre Bezirkskirchen, um dort den Jockei und sein Pferd — es sind keineswegs Rennpferde an dem Wettrennen beteiligt, sondern gewöhnliche Arbeitspferde — vor dem Altar durch den Priester weihen zu lassen. Aus dem Verhalten der Rosinante wird vielfach schon der Erfolg vorausgesagt; wenn das Tier bei der Weihe scheu zurückfährt, was wohl meistens der Fall sein dürfte, sobald der Priester ihm plötzlich mit dem Weihwedel vors Gesicht fährt, dann sieht die Menge dies als gutes Vorzeichen an und bricht in endlosen Jubel aus. Von den Kirchen ziehen die Vertreter der Bezirke durch die Stadt auf den Festplatz; der heißersehnte Siegespreis, das Madonnenbanner, wird unter Trompetenschall auf einem von vier Pferden gezogenen altertümlichen Karren dorthin gefahren; den Schluß des Zuges bildet ein bunter Schwarm mittelalterlich gekleideter Gestalten. Das farbenprächtige Bild, das die Zuschauer in vergangene Zeiten versetzt, zumal Siena selbst mit seinen gut erhaltenen alten Bauten diese Vorstellung noch verstärkt, ruft den Jubel der Menge hervor, die an den Straßen, auf den mit Teppichen und Blumen geschmückten Balkonen und Tribünen sich angestaut hat. Der Beifall steigt aufs höchste, wenn der Zug auf dem Markt angekommen ist, die Jockeis im Rathause verschwinden, um ihre malerische Tracht mit einem einfachen Leinenkittel zu vertauschen, und bald darauf ein Kanonenschuß den Beginn der wilden Jagd (Abb. 393) anzeigt. Denn eine solche ist es in der Tat, die auf einer schmalen Rennbahn zwischen Tribünen und Häusern anhebt. Sie enthält eine Reihe von Hindernissen, das größte an der Ecke von San Martino ganz nahe beim Turm des Rathauses. Hier hat man an Stelle der Tribünen Matratzen aufgestellt, um die herabstürzenden Reiter nach Möglichkeit vor lebensgefährlichen Unfällen zu bewahren. Denn bei dem dreimaligen Durchreiten der Bahn auf ungesatteltem Pferde pflegt regelmäßig der eine oder andere Reiter oder auch eines der Pferde hinzustürzen. Dessenungeachtet rast man dahin und sucht die armen Gäule durch Knüttel noch anzuspornen. Mit stürmischem Evvivarufen und Hutschwenken wird der Sieger begrüßt und auf Händen im Triumph zu den Preisrichtern getragen, um den Siegespreis in Empfang zu nehmen und mit ihm in die Kirche zu ziehen, wo er der Madonna dafür zu danken hat. Die Mitglieder des betreffenden Bezirks aber feiern dieses frohe Ereignis noch ein bis zwei Wochen lang.

Phot. The London Electrotype Agency.

Abb. 385. Beginn der Karwoche in Rom.

Ein Geistlicher klopft mit dem Stabe des in violettes Tuch gehüllten heiligen Kreuzes an die Tür der Basilika. Diese wird darauf geöffnet, und die Priester, die Palmen in der Hand halten, treten ein.

Phot. Alinari.

Abb. 386. Die Brüderschaft der „Misericordia“ in Florenz,

die es sich, wie viele andere Laiengenossenschaften, zur Aufgabe gemacht haben, bei Begräbnissen mitzuwirken. Die „Misericordia“ leistet außerdem bei Straßenunfällen hilfreiche Hand (wie im Bilde). Die Mitglieder sind bei Ausübung ihrer Tätigkeit von Kopf zu Fuß vermummt.

In Venedig bildet das Erlöserfest ein gleichfalls großartiges Schauspiel. Schon wochenlang vorher beginnt das Volk in freudiger Erwartung eifrig mit seinen Vorbereitungen. Am dritten Sonnabend des Juli nimmt das Fest dann seinen Anfang. Nachdem Glockengeläute seinen Beginn angekündigt hat, setzt sich die Bevölkerung von ganz Venedig nach der Insel Giudecca in Bewegung, wo sich die Kirche mit der Statue des Redemtore befindet, um hier zu beten und zu feiern. Das zweite scheint dabei die Hauptsache zu sein; denn um die Basilika herum sind viele Buden aufgeschlagen, und unter dem Sternendach der Julinacht entwickelt sich hier ein wirkliches Jahrmarkttreiben mit Musik, Tanz, Osterien, Garküchen, Seiltänzern, Menagerien und vielen anderen Lustbarkeiten. Zahllose Barken nähern sich aus den vielen Seitenkanälen dem Festplatze und fahren vor ihm auf und ab oder legen sich vor Anker; es sind dies aber nicht jene schwarzen, unheimlichen Gondeln, wie sie Venedig sonst nur kennt, sondern schwimmende Baldachine, Lauben aus Lorbeer- und Myrtenzweigen oder auch Weinranken, ferner Zelte aus bunter Seide und Musselin, alles lebhaft prangend im Schmuck der purpurnen Granat- und safranfarbigen Oleanderblüten und phantastisch beleuchtet von farbigen Glaslampions. In ihnen sitzen die vornehmen Patrizier der Lagunenstadt um kristallgedeckte Tische beim leckeren Mahl und perlenden Schaumwein. In bescheideneren, mit armseligen Papierlaternen geschmückten Gondeln erfreuen sich die Ärmeren aus dem Volke an einem Laib Polenta, aber alles ist ausgelassen lustig und singt unter Begleitung zahlreicher Musikbanden, die ihre Weisen auf dem Wasser ertönen lassen. Die Stimmung wächst um Mitternacht und erreicht ihren Höhepunkt in den ersten Morgenstunden, bis die Glocke die dritte Stunde verkündigt. Wie mit einem Schlage verstummen jetzt Musik, Singen, Lachen, Becherklang und Lärm. Die Fröhlichkeit ist verflogen und an ihre Stelle die graue Nüchternheit und tiefe Buße getreten. Sowie der letzte Glockenschlag verhallt ist, setzen die Boote sich schleunigst nach der Düne des Lido zu in Bewegung, wo bereits Tausende von Menschen, die soeben noch der ausgelassensten Fröhlichkeit hingegeben waren, in ernster Stimmung darauf warten, daß die Sonne sich goldig aus der Meeresflut erhebe. Ein Jubelschrei entringt sich allen Lippen bei ihrem Erscheinen, und die zahllose Menge sinkt andächtig in die Knie, um sich vor der majestätischen Naturerscheinung zu beugen und zu beten.

Phot. J. Brocherel.

Abb. 387. Vom Fest des heiligen Paulinus,

des angeblichen Erfinders der Glocken, zu Nola. Mächtige Türme, die von Statuen, auf Ereignisse im Leben des Heiligen anspielend, gekrönt sind, werden dabei durch die Straßen getragen.

Daß eine religiöse Feier für die Romanen ohne gleichzeitige Lustbarkeit kaum denkbar ist, wie die angeführten Beispiele zur Genüge zeigen, liegt in dem Charakter dieser Völker. Ihre Religiosität ist auch keine tiefgehende, innerliche, sondern trotz sorgsamer Pflege durch die Kirche und ihre Diener meist eine nur äußerliche. Dafür spricht auch der Umstand, daß alle diese Nationen trotz ihrer Frömmigkeit noch tief im Aberglauben stecken; in Frankreich und Spanien sind vorgeschichtliche Steindenkmäler verschiedentlich noch Gegenstand abergläubischer Verehrung (Abb. 388). Die Furcht vor bösen Geistern, Hexen und anderen mißgünstigen Wesen ist überall in Stadt und Land verbreitet. In Italien ist es bekanntlich vor allem die Furcht vor dem bösen Blick, von dessen Einfluß das Volk in allen seinen Schichten fest überzeugt ist. Es dürfte in den romanischen Ländern wohl kaum einen Menschen geben, und zwar nicht allein unter dem niederen Volke, der nicht irgendein Amulett, sei es das Bildnis eines Heiligen oder irgendein anderer Gegenstand, bei sich trägt oder gegen eine ihm drohende Gefahr schnell die sogenannte Fica oder Feige macht, das heißt seine Hand nach der Seite, von woher ihm ein vermeintliches Unglück naht, oder nach der betreffenden Person ausstreckt und dabei den kleinen und den Zeigefinger vorhält, während die übrigen Finger eingeschlagen bleiben.

Phot. The Exclusive News Agency.

Abb. 388. Ein Dolmen (vorgeschichtliches Grabmal) zu Barroza

(Provinz Minho), den jede Braut zehn Meilen im Umkreis aufsucht, weil dies Glück bringen und die frommen Wünsche, die im Schatten dieses Steines vorgebracht werden, in Erfüllung gehen sollen.

Besonders Kinder glaubt das Volk am leichtesten dem Einfluß der bösen Mächte ausgesetzt; um diesen abzuwehren oder wieder unschädlich zu machen, kennt es zahlreiche Mittel. Am beliebtesten ist das schon geschilderte Entgegenhalten der Hand, das übrigens schon von den alten Römern als Abwehrmaßregel geübt wurde; ferner kommen als solche Mittel noch in Betracht das Umhängen von Amuletten (kleine Nachbildungen der „Feige“ in Gold, Silber, Blei oder, was besonders wirksam sein soll, in roter Koralle, aus denselben Stoffen hergestellte figürliche Darstellungen von Sirenen, das sind Weiber mit Fischschwanz, kleine Hörner, Phalli, Türkise, Perlen und manches andere der Art) um den Hals der Kleinen, das Anbringen von großen Kuhhörnern an der Tür oder vor dem Hause, das Anspeien der Kinder in dem Augenblick, wo man annimmt, daß sie vom bösen Blick betroffen worden sind, und dergleichen (Abb. 391). Auch die sonst besonders bei den slawischen Völkern sehr verbreitete Furcht vor bösen Hexen, Zauberern, Druden und anderen dämonischen Wesen, die dem Kinde ein Leid antun, es wohl auch gegen einen sogenannten Wechselbalg eintauschen, spukt im italienischen Volke. Allgemein ist der Aberglaube, daß eine solche Hexe von dem Kinde Besitz ergreifen könne, wenn man seine Wäsche in der Nacht zum Trocknen draußen hängen läßt. Daher pflegt die italienische Mutter diese sorgsam vor Einbrechen der Dunkelheit hereinzuholen. Unterläßt sie diese Vorsichtsmaßregel, dann kann sie den Zauber dadurch wieder lösen, daß sie die Wäsche erst am anderen Tage hereinnimmt, nachdem sie tüchtig der Sonne ausgesetzt worden ist. Auch die kleinen Kinder, die über das Ave-Maria-Läuten hinaus im Freien bleiben, fallen nach dem Volksglauben den Hexen leicht zum Opfer. — In der Bretagne hängt man den Neugeborenen, um sie gegen Zauberei zu schützen, geweihtes Brot um den Hals oder steckt ihnen solches in den Ärmel, muß aber jeden Tag neues Brot dazu nehmen.

Abb. 389. Adventsfeier in Neapel.

Ländliche Musikanten spielen vor der Weihnachtskrippe.
Nach einer Originalzeichnung von J. Matania.

Phot. Giles & Co.

Abb. 390. Hochzeitspaare in Plougastel.

In Plougastel ist es üblich, daß eine größere Anzahl Brautpaare an einem und demselben Tage heiraten und dabei gemeinsam durch die Straßen ziehen.

In Frankreich pflegen sich Schwangere einen Gürtel um den Leib zu binden, der von derselben Länge (zwei Meter) sein muß, wie ihn die Jungfrau Maria getragen haben soll, als sie sich in gesegneten Leibesumständen befand. In Quintin schenken, wie berichtet wird, die Ursulinerinnen ihren verheirateten ehemaligen Schülerinnen, wenn diese in andere Umstände gekommen sind, solche Gürtel mit frommen Inschriften zur Erleichterung der Geburt, und in der Kirche zu Saint-Germain-des-Prés soll es seit langem Brauch sein, den dort befindlichen Gürtel der heiligen Margarete zu dem gleichen Zweck an Frauen, die Mutterfreuden entgegensehen, auszuleihen. — In Spanien sind ziemlich dieselben Abwehrmaßregeln wie in Italien üblich.

Abb. 391. Allerlei Amulette gegen den bösen Blick.

1. Prähistorische steinerne Pfeilspitze in Silberfassung (Italien). 2. Stein mit natürlichem Loch (Irland). 3. Korallenarmband (Türkei). 4. Drei Alaunstücke in Perlengeflecht (Ägypten). 5. Ring mit Türkis (Orient). 6. Perlenamulett mit Samen von Zizyphus und Mirabilis Jalapa (Türkei). 7. Schnur mit Samen vom Seifennußbaum (Sapindus trifoliatus) (Zentralindien). 8. Elefant aus Koralle (Italien). 9. Fisch aus Perlmutter (Italien). 10. „Tempelmünze“ mit Drachen (China). 11. Dachspfote in Silberfassung (Spanien). 12. Dachshaare in Silberfassung (Italien). 13. Hörnchen aus Koralle (Italien). 14. Hörnchen aus Hirschhorn (Österreich). 15. Krebsschere in Silberfassung (Griechenland). 16. Eberzahn in Silberfassung (Italien). 17. Menschlicher Schädel aus Perlmutter (Italien). 18. Buckliger aus Perlmutter (Korfu). 19. Auge aus blauem Glas (Palästina). 20. Silbernes Medaillon mit Auge (Korfu). 21. „Horusauge“ (Ägypten). 22. Doppeltes Auge aus Silber (Portugal). 23. Hand aus Gold mit dem hebräischen Gottesnamen „Schadai“ (Lyon). 24. „Hand der Fatme“ aus Silber (Tunis). 25. Hand aus blauem Glas (Türkei). 26. Faust aus Perlmutter (Italien). 27. „Figa“ (Feige) aus Knochen (Portugal). 28. „Mano cornuta“ aus Koralle (Italien). 29. Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger aus Silber (Tunis). 30. Phallusamulett aus Bronze (antik-römisch). 31. Kaurimuschel (Türkei). 32. Glöckchen aus Silber (Italien). 33. Halbmond aus rotem Glas (Portugal). 34. Kreis mit Stern aus Knochen (Portugal). 35. Blaue Glasperle (Palästina). 36. Pentagramm aus Zinn (Portugal). 37. Kranz mit Christus am Kreuz aus „Einhorn“ (Korfu). 38. Amulett aus blauem Glas mit Inschrift „Maschallah“ (Türkei). 39. Bleimedaille mit hebräischer Inschrift (London).

Phot. Clive Holland.

Abb. 392. Szene von einer bretonischen Hochzeit in Pont-Aven.

Nach der Trauung tanzt das junge Paar nebst Brautführern und Brautjungfern auf einem öffentlichen Platze.

Die Hochzeitsgebräuche sind in den großen Städten ziemlich die gleichen wie anderwärts in solchen Nordeuropas, aber in der „Provinz“ zeigen sie noch manche anziehende Besonderheiten. In Paris kommt wohl nur noch ganz vereinzelt die Sitte vor, daß beim Hochzeitsmahl ein Junge unter den Tisch kriecht und der jungen Frau heimlich das Strumpfband löst, das dann zerschnitten und unter die Gäste verteilt wird. Die Regel dürfte es heutzutage bilden, daß die Neuvermählte dem Knaben eine Anzahl bereits zugeschnittener Strumpfbänder in die Hand drückt. Am meisten haben sich noch in der Bretagne von den Vätern überkommene Sitten und Gewohnheiten erhalten, darunter auch verschiedentlich solche, die die Hochzeit betreffen. Ein solcher Brauch ist das „Suchen der Braut“. Wenn der Bräutigam sich in der Wohnung seiner Auserwählten einfindet, um sie in die Kirche zu führen, findet er zunächst das Haus verschlossen. Ist es ihm durch vieles Bitten gelungen, endlich Eintritt zu erhalten, dann führt man ihm nacheinander verschiedene junge Mädchen vor und gibt diese als seine Braut aus. Darauf beginnt er im Hause die richtige zu suchen, indem er alle Winkel durchstöbert; die jungen Burschen unter den Gästen sind ihm dabei behilflich. Derjenige, der sie erhascht, raubt ihr für gewöhnlich einen Kuß und erhält noch eine Tasse Kaffee oder eine andere Gabe zum Lohn. Nach der Trauung findet von neuem eine Trennung der jungen Eheleute statt; der Bräutigam geht mit seinen Angehörigen, die Braut mit den ihrigen nach Hause, und beide Parteien speisen für sich. Erst nach dem Mahl kommen sie wieder zusammen und tanzen bis zum Abend. Bevor die jungen Eheleute sich nun zurückziehen, überreichen die Burschen der jungen Frau einen Blumenstrauß nebst einem Kuchen und singen dabei ein Lied, das ihr ihre Pflichten als Hausfrau und Mutter vorhält. Nach jeder Strophe trinkt man auf ihr Wohl; alle Anwesenden tun Bescheid, indem sie gleichzeitig ein Bein und einen Arm heben. Ein diesem Brautsuchen ähnlicher Brauch besteht im Bourdonnais. Auch hier kommen der Bräutigam und seine Burschen zunächst vor verschlossenen Türen an. Sie preisen in Versen die schönen Geschenke, die sie mitbringen, finden aber seitens der Braut und der Brautjungfern vorläufig keine Erhörung. Erst wenn die jungen Leute draußen singen: „Einen jungen Burschen bringen wir euch auch“, öffnet sich das Tor. Aber die Mädchen haben sich inzwischen unter ein Tuch versteckt, und es ist nun Sache des Bräutigams, seine Braut zu erraten und die Hand auf sie zu legen, sonst wird sie den ganzen Abend von ihm ferngehalten. Am nächsten Tage wartet man auf die Neuvermählten, bis sie aus der Kirche kommen, und überreicht ihnen eine Schüssel Suppe, von der sie zum Zeichen ihrer nunmehrigen Gemeinschaft mit demselben Löffel kosten müssen; boshafte Gesellen sollen manchmal Pfeffer hineintun. Am Tage nach der Hochzeit „wird der Kohl gepflanzt“. Die jungen Leute setzen einen mit Blumen geschmückten Kohlkopf auf den Dachgiebel; die eine Hälfte von ihnen läuft mit einem langen Strick, dessen anderes Ende an den Kohlkopf gebunden ist, den unter den Hochzeitsgästen befindlichen Mädchen nach und sucht sie, soweit die Länge des Strickes es erlaubt, einzufangen. Wer nicht beizeiten davonlaufen kann, wird unter das Dach geführt und von den Kohlwächtern auf dem Dache mit Wasser begossen.

Im südlichen Teil der Bretagne, wo sich noch manche alte Hochzeitsbräuche erhalten haben (Abb. 392), wird vor dem Hochzeitshause ein Maibaum gepflanzt, sein Stamm mit dürrem Reisig umgeben und das Ganze angezündet, wenn das Brautpaar aus der Kirche kommt. Sobald die Flamme zu erlöschen droht, schießen die jungen Burschen hinein. Setzt die Flamme daraufhin aus, dann will dies besagen, daß die junge Frau es an Geduld und Pünktlichkeit in ihrer Wirtschaft fehlen lassen wird. Der Maibaum bleibt bis zur Taufe des Erstgeborenen stehen. Zu Plougastel pflegen sich mehrere Brautpaare zusammenzutun, um an einem Tage gemeinsam die Hochzeit zu feiern (Abb. 390). — Im Departement Orne besteht der sonderbare Brauch, daß der junge Mann nicht an der Festmahlzeit teilnimmt, sondern die Gesellschaft zu bedienen hat, während man alle Ehren nur der Frau erweist. Vielleicht ist dies ein Überrest des Matriarchats der Vorzeit.

Abb. 393. Wettrennen zu Ehren der Madonna (Palio) zu Siena.

Natürlich geht es überall auf Hochzeiten lustig zu. Fiedel und Dudelsack begleiten den Zug der Gäste nach und von der Kirche und spielen bei dem Mahle, das meistens recht reichlich ausfällt, und dem darauffolgenden Tanze auf. In der Normandie vereinigt man sich sogar am Sonntag nach der Hochzeit wieder, um noch einmal mit den Neuvermählten lustig zu sein. Im Departement Orne nennt man dies „die Katze peitschen“ oder „das Bettstroh der Schwiegertochter essen“. — In Arles pflegen sich die Hochzeitsgäste zu Pferde einzufinden, und zwar für gewöhnlich ein junges Paar auf einem und demselben Pferd; vorn reitet der junge Mann und hinter ihm sitzt, ihn fest umklammernd, sein Mädchen auf einer Art Sattelkissen (Abb. 360).

In Berry werden am Schluß des Hochzeitsfestes alle Frauen nebeneinander gestellt; man zieht ihnen Schuh und Strümpfe aus und bedeckt alle mit einem großen Tuche, das nur die Beine unverhüllt läßt. Darauf muß der junge Ehemann, dem sie den Rücken zukehren, unter ihnen seine Frau heraussuchen.

Phot. The Farringdon Photo Company.

Abb. 394. Pilgerzug zu der heiligen Grotte in Lourdes,

wo die Jungfrau Maria erschienen sein soll.

Zum Schluß wollen wir noch des Heiratsmarktes zu Ecaussines-Lélaing in Südfrankreich gedenken. Früher war es hier Sitte, daß die jungen Burschen dem von ihnen verehrten Mädchen in der Walpurgisnacht eine grüne Birke, den Maibaum, mitunter mit der Inschrift „Honneur à la jeunesse“ (Ehre der Jugend), vor das Haus pflanzten, um dadurch ihre Zuneigung zu erkennen zu geben. Zum Zeichen, daß der Jüngling ihm genehm sei, lud das Mädchen ihn nebst seinen Freunden dann zu Kaffee und Kuchen ein. Dieser schöne Brauch geriet allmählich in Vergessenheit, und damit nahm auch die Heiratslust der jungen Männer ab. Um diesem Übelstande abzuhelfen, hat man seit einer Reihe von Jahren einen Heiratsmarkt eingerichtet, der am zweiten Pfingstfeiertage abgehalten wird. Die jungen Burschen kommen dazu in großen Scharen zusammen und werden von den Mädchen bewirtet; man plaudert, scherzt, schäkert, singt und tanzt, und die dabei angeknüpften Bekanntschaften pflegen sich auch meistens zur Heirat zu verdichten.

Phot. The London Electrotype Agency.

Abb. 395. Ein eigenartiger Karfreitagsbrauch in Belleguardo.

Die Bürger wählen einen aus ihrer Mitte, der Christus darzustellen und als solcher den ganzen Tag mit seitlich erhobenen Armen auf dem Altar zu stehen hat, wobei er ein großes, von seinem Halse vorn herabhängendes Kreuz trägt. Die Andächtigen knien vor ihm nieder, singen geistliche Lieder und legen Geld in die vor dem Altar aufgestellten Opferschalen. Das auf diese Weise zusammenkommende Geld verteilt der „Christus“ zu Ostern an Kranke und Arme.

In Spanien, im besonderen in Valencia und Andalusien, ist als Werbeversuch noch die Serenade sehr beliebt. Der Liebhaber erscheint spät abends in Begleitung zweier Musikanten unter dem Balkon seiner Angebeteten und bekennt ihr seine Liebe durch den Mund eines Trovador, der sehr geschickt darin ist, Liebeslieder aus dem Stegreif abzufassen und vorzutragen. Nach vielem Bitten läßt sich das junge Mädchen endlich bewegen, anscheinend widerwillig auf dem Balkon zu erscheinen, um dem Bewerber eine Blume aus ihrem Haar hinabzuwerfen, als Zeichen, daß sie ihm gewogen sei. Dies alles ist aber nur Spiel, denn der Liebhaber hat bereits lange vor dieser öffentlichen Werbung die Zusage der Eltern und des Mädchens erhalten. — Wenn die Eltern der Auserwählten dem Freier ihre Einwilligung etwa hartnäckig verweigern sollten, dann wählt dieser ein durchgreifendes Mittel, indem er die Hilfe der Obrigkeit anruft. Der Alkalde in seiner Staatsuniform fährt bei den Eltern vor und fragt den Vater in seiner amtlichen Eigenschaft, ob er gewillt sei, seine Tochter dem Betreffenden zur Frau zu geben, vorausgesetzt, daß keine Gründe ernsterer Natur dagegen vorliegen. Beharrt der Vater trotzdem noch weiter auf seiner Weigerung, dann nimmt der Alkalde die Tochter einfach mit sich und bringt sie bis zur Hochzeit in einer angesehenen Familie unter. — In Kastilien trägt die Braut bei der Hochzeit eine weiße Blume an der Brust, in Andalusien einen Kranz von Nelken und roten Rosen im Haar. In Cadix kennt man keine Trauringe, die verheiratete Frau unterscheidet man dadurch von den unverheirateten Mädchen, daß jene rechts im Haar stets eine Blume trägt. — In der Umgebung von Madrid besteht ein ganz eigentümlicher Hochzeitsbrauch. Am Tage der Hochzeit stellen sich zwei Burschen vor der Haustüre der angehenden Frau auf und fangen, wenn sich genügend Volk versammelt hat, einen Wortwechsel über die Fehler und Mängel der Braut auf der einen Seite, ihre Tugenden und Vorzüge auf der anderen an; sie können dabei unter Umständen so in Erregung geraten, daß sie schließlich einander beschimpfen und selbst handgemein werden.

Abb. 396. Allerseelenfeier in der Bretagne.

In Italien zeichnet sich das Liebesleben noch heute wie schon einst im alten Rom (siehe die Kunstbeilage) durch große Leidenschaftlichkeit aus. Die Werbung wird entweder von dem Jüngling persönlich vorgebracht oder der Vater tut dies für ihn. In der Regel müssen daraufhin die jungen Leute sich erst einige Zeit lang näher kennen lernen, ehe die Verlobung gefeiert wird, um zu erfahren, ob sie zueinander passen. Der Bräutigam pflegt seine Auserwählte mit allerlei Schmucksachen, Süßigkeiten und anderen Gegenständen zu beschenken. Eine Schere darf aber nie darunter sein, weil darin eine Anspielung auf eine scharfe Zunge erblickt werden könnte (nicht, wie bei uns, eine Hindeutung auf das „zerschnittene Tischtuch“ = Abbruch der Beziehungen), ebensowenig ein Kamm, weil Kämme gern von Hexen benutzt werden. In Toskana verlangt der gute Ruf des Mädchens, daß es niemals vor der Hochzeit das Haus des Bräutigams betritt, nicht einmal in dessen Nähe kommt und auf seinen Spaziergängen sogar einen Umweg um dasselbe macht. In Venedig ist es kostspielig, die Rolle des Brautführers zu übernehmen, und nur ein wohlhabender Bursche kann sich diese Ehre leisten. Er muß nämlich bereits am Tage vor der Hochzeit der Braut eine Schachtel mit Süßigkeiten senden, auf deren Deckel ein Wickelkind in Zucker angebracht ist, dazu zwei Blumensträuße, einen natürlichen und einen künstlichen, und Schmucksachen (Brosche oder Ohrringe). Am Hochzeitstage muß er für die Getränke beim Mahle sorgen, vier Kerzen für die Hochzeitsmesse anschaffen, vier Gondeln mieten, auf denen die Teilnehmer zum Gasthause gefahren werden, schließlich unter die Kinder und Bettler, die beim Austritt aus der Kirche Hochrufe auf die Neuvermählten ausbringen, Münzen verteilen; seine eine Hand ist beständig in der Tasche.

Phot. J. Brocherel.

Abb. 397. Vom Fest der heiligen Rosalia,

der Schutzpatronin Palermos. Das Standbild der Heiligen wird auf einem mächtigen Wagen durch die Straßen der Stadt gezogen.

In den verschiedensten Gegenden Italiens wird der Brautzug von den jungen Burschen des Dorfes aufgehalten, meistens durch ein Band, das die Braut mit einer Schere durchschneiden muß, oft aber auch durch einen ordentlichen Verhau, den die das Paar begleitenden jungen Leute dann wegräumen müssen. Das Brautpaar zahlt den es aufhaltenden Jünglingen ein Sühnegeld, wofür diese es manchmal auch freihalten. — In Sardinien wird der Bräutigam, wenn er zur Verlobungsfeier eintrifft, in ein Zimmer geführt, wo möglichst viele Mädchen in einer Reihe nebeneinander sitzen, alle schweigsam und gemessen, ohne seinen Gruß zu erwidern. Der Brautvater führt ihn von einer der Schönen zur anderen und fragt ihn vor jeder: „Ist das etwa Euer Schaf?“ — der für den jungen Mann werbende Vater hat nämlich vorher erklärt, er suche das schönste und beste Schäfchen, das ihm aus der Herde verloren gegangen sei —, bis man zu der richtigen kommt und der Bewerber hier schließlich die Antwort gibt: „Ja, das ist es.“ In einigen Teilen der Insel gießt die Schwiegermutter ein Glas Wasser vor dem jungen Paar aus, wenn es die Schwelle der Hochzeitskammer überschreitet; offenbar soll damit ein Hindernis für böse Geister geschaffen werden, die in der Nacht die jungen Leute stören könnten.

Die Begräbnisgebräuche der südeuropäischen Völker weichen von denen der nordeuropäischen Länder wenig ab; im allgemeinen pflegt aber mehr Pomp entfaltet zu werden als bei uns; besonders in ländlichen Gegenden sind die Begräbnisse in dieser Hinsicht anziehend und malerisch. Die Kränze und Kreuze, die man den Toten aufs Grab legt, werden in Frankreich mit Vorliebe aus galvanisiertem Draht hergestellt, schwarz, weiß oder malvenfarbig angestrichen und mit Blumen aus gleichfalls angemaltem Blech oder mit Perlen geschmückt (Abb. 396). Eine besondere Eigentümlichkeit in französischen Gegenden ist die Sitte, in dem Grabstein eine kleine Vertiefung ausmeißeln, darin das Bild des Verstorbenen in verschiedener Ausführung, manchmal sogar in feinster Miniaturmalerei auf Elfenbein, anbringen und das Ganze mit einem Glasdeckel überdecken zu lassen. Schließlich sei noch auf den in Frankreich herrschenden Brauch hingewiesen, die Grabstätten nicht für lange Zeiten an die Angehörigen zu verkaufen, wie dies bei uns der Fall ist, sondern sie für ganz kurze Fristen nur zu verpachten. Wenn dann die Pacht abgelaufen ist, werden die Leichen ausgegraben und die Stätte von neuem verpachtet, damit andere auf ihr beerdigt werden können. Oft pflegt man nach solcher Ausgrabung die Särge mit den Gebeinen in einer Ecke des Friedhofes aufzuhäufen; vielfach aber schichtet man auch Schädel und Gebeine in sogenannten Beinhäusern zu vielen Tausenden übereinander, zündet vor ihnen heilige Kerzen an und läßt Seelenmessen abhalten.

Phot. J. Brocherel.

Abb. 398. Sizilianischer Eselskarren,

der, wie es vielfach geschieht, mit künstlerisch ausgeführten Holzschnitzereien verziert ist.

Phot. J. Dazario.

Abb. 399. Szene von einer ländlichen Verlobung in Rußland.

Der Bräutigam bringt der Braut Brot, Salz und Mandelgebäck. Die Freunde des Hauses werden bewirtet, und hieran schließt sich ein Tanz an.

Share on Twitter Share on Facebook