Über die Abstammung der Siamesen haben wir uns im vorstehenden bereits ausgelassen. Ihr Äußeres wird gekennzeichnet durch eine mittelgroße Gestalt, olivbraune Hautfarbe, schwarzes glattes Haar, auffallend kurzen Kopf, rautenförmiges Gesicht, vorstehende Backenknochen, große Augen, flache, kurze Nase, aufgeworfene Lippen und kurzes Kinn. Dieser im allgemeinen unangenehme Eindruck wird beim männlichen Geschlecht noch durch die unschöne Haartracht (kurz abgeschnittene, bürstenartig hochstehende Haare) und die schwarz gefärbten Zähne verstärkt. Die Frauen dagegen tragen das Kopfhaar lang und halten sich ihre Zähne mehr oder weniger weiß. Wie alle Malaien wohnen die Siamesen meistens auch in Pfahlbauten. Auf den großen Flüssen bringen sie ihr Leben vielfach direkt auf Booten zu, so daß sozusagen schwimmende Dörfer hier entstehen (Abb. 389).
Phot. Gebr. Haeckel.
Abb. 387. Siamesisches Mädchen.
Die Nationaltracht der Männer ist der Panung, ein etwa ein Meter breites und zweieinhalb Meter langes Stück Tuch, das mit seiner Mitte um den Körper gelegt und vorn so befestigt wird, daß die beiden Enden herunterhängen, die dann wie ein Strick gedreht, zwischen den Beinen durchgeführt, hinten hochgehoben und in der Taille mitten auf dem Rücken zusammengerafft werden. Sieht man einen so bekleideten Mann von vorn, so hat man den Eindruck, als ob er in Kniehosen einherginge. Früher pflegten die Frauen ebenfalls mit einem Panung sich zu bekleiden, der als Rock eingerichtet war, und trugen dazu noch eine von der Schulter herabhängende kleine, die Brust bedeckende Schärpe (Abb. 387). Heutzutage wird dagegen noch eine Jacke und eine reich bestickte europäische Bluse getragen; Damen der besseren Gesellschaft gehen indessen vollständig nach der neuesten abendländischen Mode angezogen. Auch die Männer in den Städten tragen meistens unter dem Panung weiße Drillichhosen nach europäischem Schnitt, baumwollene Strümpfe, und Schuhe, die Beamten sämtlich Uniform. Kleine Kinder dagegen gehen für gewöhnlich nackt einher, wenn man nicht gerade eine herzförmige Scheibe aus Gold oder Silber, die die kleinen Mädchen umgehängt erhalten, als Kleidungsstück ansehen will. Auf dem Lande aber herrscht noch die alte Mode vor. Die Laosfrauen tragen noch heute einen Rock, die Männer einen Gürtel über dem Panung. Eine alte Bestimmung schreibt eine gewisse Farbe für die einzelnen Wochentage vor, für Sonntag rosa, für Montag silbergrau, Dienstag rot, Mittwoch grün, Donnerstag verschieden, Freitag hellblau, Sonnabend dunkelblau. — Die Karenfrauen pflegen ihre Gewänder mit hübschen Stickereien zu verzieren (Abb. 391).
Phot. R. Lenz.
Abb. 388. Ein Meaoweib mit eigenartigem Kopfputz,
der aus Bambusringen besteht, die mit Tuch aneinander befestigt und mit Perlen und Silberkörnern sowie Hahnenfedern reich verziert sind. Seine obere Partie gleicht einem Körbchen.
Die Leidenschaft der Siamesen für Schmuck ist groß. Mag eine Person sonst noch so arm sein, stets wird sie mit dem einen oder anderen Schmuckstück aus Edelmetall sich zieren. Selbst kleine Kinder behängt man bereits mit Ringen um Finger, Arme und Beine aus Gold oder Silber. Die Erwachsenen schmücken sich außerdem noch mit wertvollen Halsketten, Ohrringen, Gürteln und so weiter (Abb. 388). Ganz eigenartig ist das Tragen langer Fingernägel, das ebenso wie in China als ein Zeichen von Vornehmheit gilt, sowie das schon erwähnte Schwärzen der Zähne (bei den Männern).
Phot. Gebr. Haeckel.
Abb. 389. Schwimmendes siamesisches Dorf auf dem Menam.
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Ihrem Charakter nach kann man die Siamesen als große Kinder bezeichnen. Sie sind liebenswürdige, friedfertige, sorglose, nüchterne, besonders im Darreichen von Almosen freigebige, sehr zum Müßiggang neigende, leidenschaftslose Menschen, die an den althergebrachten Einrichtungen zähe festhalten und streng auf Etikette achten. Auch geben sie sich gern dem Vergnügen hin, besonders haben sie eine ausgesprochene Vorliebe für das Theater. Das „Lakon“, wie die Siamesen das Theater nennen, findet während der Zeit des Vollmonds statt, so daß die Teilnehmer nach der Vorstellung am späten Abend noch gut nach Hause finden können. Sie besuchen diese mit der ganzen Familie und nehmen sich auch Eßwaren dorthin mit. Die Bühne ist meistens oval, die Zuhörer sitzen rings herum, außer an dem einen Ende, an dem sich zwei Zugänge befinden. Kleine umherziehende Gesellschaften, deren es viele im Lande gibt, sind gewohnt, auch ohne Hintergrund fertig zu werden und ziehen sich nötigenfalls auch in Gegenwart der Zuhörer um. Im Gegensatz zu allen anderen orientalischen Völkern übernehmen die Frauen alle ernsten Männerrollen. Das Drama, das sich vor den Zuschauern abspielt, verrät keine Gedanken und zusammenhängenden Handlungen, sondern gibt einzelne Ereignisse aus der Mythologie der Brahmanen wieder, die durch die Tradition geheiligt sind. Die Trachten, die dabei getragen werden, sind ganz phantastische, mit bunten Steinen und flimmerndem Flitter besetzte Gewänder, welche die Überlieferung den Gottheiten und königlichen Personen von früher zuschreibt (Abb. 390). Durch Auftragen einer dicken weißen Paste auf das Gesicht als Schönheitsmittel wird den Darstellern die Möglichkeit genommen, Leidenschaften zum Ausdruck zu bringen; alle sind vielmehr von tiefem Ernst durchdrungen. Eine Ausnahme hiervon machen die Clowns, die ungeschminkt, einfach wie moderne Bauern gekleidet, die heiligsten und heldenhaftesten Stellen mit komischen Gesprächen unterbrechen, die auf Tagesereignisse anspielen. — Auch das Vorführen von Tänzen ist in Siam sehr beliebt. Alten Traditionen gemäß werden sie hier, wie überhaupt in Hinterindien, in ganz eigenartiger Weise ausgeführt. Sie bestehen nämlich in Posen mit gebeugten Knien, wobei die sich windenden Arme vorgestreckt werden und die Tänzerinnen sich langsam mit dem flachen Fuß vorwärtsschieben. Dazu kommen aber auch heftigere Kundgebungen, die sich in mächtigen Sprüngen, Aufschlagen der Absätze und Posieren in ausgebreiteter Adlerflügelstellung äußern. Auf den Fußspitzen zu tanzen oder zu pirouettieren, wie unsere Tänzerinnen es tun, ist in Siam ganz unbekannt. Die Beweglichkeit der siamesischen Tänzerinnen ist eine außerordentlich große; man könnte fast behaupten, daß diese ihre Geschmeidigkeit von doppelten Gelenken herrühre. Sie befähigt sie bei den Bühnenspielen mehr zum Ausdruck zu bringen als die Sprache.
Der Siamese huldigt auch sehr dem Glücksspiel; daher sind die Spielhäuser, besonders in der Hauptstadt Bangkok, Tag und Nacht über gefüllt. Die Spielregeln sind ganz einfache. Die Spieler sitzen um eine in vier Felder eingeteilte Matte herum und setzen auf dieser. Der Spielleiter wirft eine beliebige Anzahl Muscheln auf ihre Mitte und zählt von dieser Summe immer vier ab. Der Spieler, dessen Feld der Zahl der übrig gebliebenen Anzahl Muscheln entspricht, erhält das Doppelte seines Einsatzes, das übrige streicht der Croupier mit einer kleinen Harke ein. Auch wettet man noch, ob die Anzahl der übrig bleibenden Muscheln eine gerade oder ungerade sein wird. Die Leidenschaft der Siamesen für dieses Spiel ist eine so große, daß sich um die Spielhöllen herum gleichzeitig Pfandhäuser aufgetan haben, in denen ein blühendes Geschäft betrieben wird. Täglich kommen Landleute an, die infolge eines Traumes oder irgend einer anderen Vorbedeutung die Bank zu sprengen gedenken, aber recht bald nicht nur ihre gesamten Ersparnisse verloren gehen sehen, sondern auch die ihrer Freunde, unter Umständen die Ernteerträge eines ganzen Dorfes.
Phot. R. Lenz.
Abb. 390. Siamesische Ballettänzerinnen.
Ein großer Teil der Theatervorstellungen besteht nur in Schrittänzen, welche Liebe, Triumph, Zurückweisung versinnbildlichen, und in Balletten, welche die Schlachtordnung der Truppen oder, wie in obigem Bild, den Flug von Engeln darstellen.
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Eine sehr beliebte Unterhaltung ist auch das Ballspiel, wobei ein geflochtener leichter Ball mit dem Kopf oder irgend einem Körperteil, ausgenommen die Arme und Hände, aufgefangen wird, aber vorher die Erde nicht berühren darf. Ferner ist das Drachensteigenlassen ein viel betriebener Sport bei heißer Witterung; hierbei werden gleichsam Duelle ausgetragen, die Besitzer der Drachen suchen sich gegenseitig die Schnur zu zerreißen oder zu verwirren. Die Drachen haben die Form eines Sterns, besitzen aber keinen Schwanz. Auch Hahnenkämpfe in der schon beschriebenen Form und sogar Fischkämpfe sind ein beliebter Zeitvertreib. Bei letzteren werden in einem Bassin zwei kleine zornige rote Fische aufeinander losgelassen, und mit Interesse beobachtet man, wie sie sich gegenseitig zerfleischen.
Die Elefantenjagd ist ein königlicher Sport. Die wilden Elefanten, die die Steppe durchstreifen, werden zu diesem Zweck zu bestimmten Zeiten in einem großen Kraal zu Ayuthia, der alten Landeshauptstadt, zusammengetrieben. Viel Volks strömt bei dieser Gelegenheit zusammen, um sich die Vorgänge, die sich abspielen, mit anzusehen; auch der König und sein Hof beobachten sie von einer Loge aus. Von den eingetriebenen Elephanten werden dann diejenigen, die gezähmt werden sollen, ausgesucht. Leute, die auf zahmen Elefanten inmitten der Herde sitzen, legen den auserwählten Tieren sehr geschickt die Endschlinge eines langen Seils um ein hinteres Bein und befestigen es an einem Pfosten (Abb. 392). Die wilden Anstrengungen des so eingefangenen Tieres bereiten den Zuschauern eine große Freude, ebenfalls reizt es sie, wenn die wieder in Freiheit gelassenen übrigen Elefanten von der Menge geneckt werden und dabei ein etwas zu waghalsiger Mensch den Tieren zu nahe kommt, ergriffen und getötet wird.
Phot. R. Lenz.
Abb. 391. Eine Karenfrau.
Die Karen von Siam sind reine Geisteranbeter, deren Ritus in Opfern besteht mit den sie begleitenden Festen und Trinkgelagen. Die Wahrsagekunst wird bei ihnen viel ausgeübt, hauptsächlich mit Hilfe der Knochen von geschlachtetem Geflügel. Die Frauen schmücken ihre Gewänder mit Stickereien aus Grassamen, sie tragen silberne Ringe in den Ohren und, nachdem sie verheiratet sind, ein blaues Tuch um den Kopf.
Phot. R. Lenz.
Abb. 392. Das Einfangen wilder Elefanten.
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In Siam gilt die Person des Königs für ein übernatürliches Wesen und ist daher Gegenstand besonderer Heiligkeit und Verehrung. Der Volksmund behauptet, daß im Königspalaste zu Bangkok ein Dämon, Phra Deng oder der „Rote Herr“ genannt, der einst ein Halbgott war und zu Beginn der gegenwärtigen siamesischen Ära vom Himmel herabflog, mit Ketten gefangen gehalten würde und, solange er nicht entwische, dem Königshause und dem Volke Glück bringe. Bei allem, was mit dem Hofe zusammenhängt, wird eine strenge Etikette bewahrt. Die Zeremonien, die mit dem Thron in Verbindung stehen, zum Beispiel die Krönung, sind sämtlich religiöser Natur und stark mit brahmanischem Einfluß durchsetzt, allerdings hat der König Chulalongkorn bereits manchen der Riten, mit denen seine Vorgänger bedacht wurden, abgeschafft. Zu den althergebrachten Sinnbildern, wie dem Dreizack, dem Schirm und so weiter, gehört seit undenklichen Zeiten auch der weiße Elefant, ohne den, wie auch früher in Indochina, nach der Annahme des Volkes kein König echt sein könne. Es ist dies eigentlich kein direkt weißes Tier, sondern ein solches, dessen Hautfarbe pathologischen Ursprunges ist, ein Albino, denn es besitzt schmutzig graues Haar, weiße Nägel auf den Zehen und eine gelbe oder rosafarbene Regenbogenhaut. — Zweimal im Jahre schwören die Prinzenschaft, der Adel und der Beamtenstand im ganzen Lande dem König den Eid der Treue. Diese Zeremonie, die den Namen Teu Nam oder das „Wasserhalten“ führt, kann auf ein sehr hohes Alter zurückblicken, denn schon am Hofe der Könige von Brahmanisch-Indien wurde sie vor mehr als zweitausendfünfhundert Jahren abgehalten. In Bangkok findet sie in Gegenwart des Königs statt. In einem Tempel ganz dicht beim Palaste versammeln sich die Prinzen und führenden Staatsbeamten, während draußen auf den weiten Rasenflächen der äußeren Palastumgrenzung Soldaten aller Truppengattungen in blinkenden Uniformen und weiße Elefanten in glänzender Ausstaffierung Aufstellung nehmen. Unter Trommelschlag und Fanfarenklang wird der König auf einem goldenen Thron aus dem Innern des Palastes herausgetragen, Tausende von Bajonetten blitzen zum Gruße auf, Kanonen donnern und zahlreiche Militärkapellen verkünden die Nationalhymne, während Seine Majestät vor den Truppen entlang passiert und sich sodann niederläßt, um zu beobachten, wie der Hof und die Staatsbeamten zu zweien in den Palast hineingehen, vom Tische einen kleinen Becher Wasser nehmen, das besonders für diesen Zweck unter machtvollen brahmanischen Formeln geweiht wurde, ihn mit den Lippen berühren und sich durch eine Außentür wieder zurückziehen. In den Provinzen wird die gleiche Zeremonie vor den amtlichen Vertretern des Königs vollzogen.
Phot. Antonio.
Abb 393. Eine königliche Barke,
die jetzt nur noch bei Staatsangelegenheiten gebraucht wird. Früher benutzte der König häufig eine vergoldete Barke, die mit fünfzig und mehr rotgekleideten Ruderern bemannt war.
Höflichkeit und Achtung erfordern, daß bei einer Unterhaltung mit Personen königlichen Geblütes bestimmte Redensarten, gleichsam nur gewählte Ausdrücke angewendet werden, ein Brauch, der vielleicht mit dem allgemeinen Empfinden zusammenhängt, man könne, wenn man einen gewöhnlichen Gegenstand umschreibt oder ein Fremdwort für ihn sagt, seine Niedrigkeit gleichsam mildern. Diese sogenannte Palastsprache ist so fein durchgearbeitet, daß man nicht nur Hunde, Krähen und andere gewöhnliche und unreine Tiere mit besonderen Worten benennt, sondern auch die Tätigkeit der hohen Herrschaften, wie essen, schlafen, gehen, sprechen, baden und so weiter mit gewählteren Ausdrücken bezeichnet, als wenn man sie auf einfache Leute anwendet. Im übrigen ist der Siamese bestrebt, jedweder im Range höher stehenden Person die erforderliche Achtung zu zollen. So wagt zum Beispiel niemand, seinen Kopf so hoch wie sein Vorgesetzter zu tragen, niemand über eine Brücke zu gehen, wenn ein anderer von höherem Range sie in demselben Augenblicke überschreiten will und anderes mehr.
Phot. F. Chit.
Abb. 394. Überführung eines alten Buddhabildes in einen neuen Tempel,
das sich unter dem Baldachin auf dem festlichen Boot befindet; der König und sein Hof begleiten diese Überführung in Staatsbooten.
Die Siamesen sind Anhänger der Lehre Buddhas, indessen ist diese in vieler Hinsicht noch mit dem alten Geisterglauben durchsetzt. Sie halten das ganze Weltall von allen möglichen Geistern gleichsam überflutet: von den mächtigen Königen der Himmel und der Höllen, den Gottheiten der Lehre Brahmas, die sich in dieser Auffassung des Volkes noch widerspiegelt, an bis zu den kleinsten Elfen, die in der Dachrinne hausen, und den Kobolden, die in der Nacht die Kinder an den Fußsohlen kitzeln, herab. Jeder Fluß, jeder See, jeder Berg, jede Klippe, jeder Baum, jedes Feld, jeder Garten, jede Behausung wird als Sitz von Geistern, Waldnymphen und Gespenstern gedacht. Auf der Veranda oder auf dem Hofe eines jeden Hauses steht ein winziges Puppenhäuschen, in dem ein Spukgeist wohnt, der, falls man ihm fleißig Opfer darbringt, als Dank das Haus vor Unheil und anderen bösen Geistern beschirmt, wenn er aber vernachlässigt oder nicht beachtet wird, aus Rache es mit allem möglichen Bösen heimsucht. Alle Geister sind ihrer Veranlagung nach bösartig, die meisten von ihnen besitzen aber irgend eine Schwäche und lassen sich durch Gaben, die ihrem Geschmack zusagen, umstimmen. Manche wiederum sind schwer zu versöhnen oder leicht zu kränken; ihrem Zorn schreibt man beinahe alles Unglück zu, das den Menschen trifft, so die Stürme, Erdbeben, Überschwemmungen und andere folgenschwere Naturereignisse, die Unfälle und Krankheiten. Es gibt aber auch wachsame Geister, die sich angelegen sein lassen, Städte und Paläste zu schützen, die aus ihren Verstecken hervorkommen und den Kampf gegen die Einfälle böser Geister aufnehmen, sofern sie gut behandelt werden. Diese läßt der Aberglaube von gesunden, kräftigen Menschen herstammen, die vorzeiten man einfach köpfte und an den betreffenden Stellen unter der Mauer, an den Eingängen und so weiter begrub. So leicht öffentliche Gebäude auf diese Weise sich vor den bösen Geistern Schutz verschaffen können, so schwer wird dies dem einzelnen gemacht; er ist auf die Hilfe eines Vermittlers angewiesen, eines Zauberers, Wahrsagers oder ähnlichen Geschäftsmannes, der dann meistens eine Teufelaustreibung vornimmt. Auch die medizinische Wissenschaft der Siamesen greift auf solchen Hokuspokus zurück, wenngleich ihr auch eine ganze Reihe von Kräuterheilmitteln, die einen wirklichen Heilwert besitzen, zur Verfügung stehen. Aber die Ärzte schätzen sie nicht immer deswegen hoch, weil ihnen eine Heilkraft innewohnt, sondern weil sie glauben, daß diese gegen die Geister, Hexen und so weiter wirksam sind. Musik, Tanz, häufiges Baden sind allgemeine Rezepte für die meisten Krankheiten. Der behandelnde Arzt versucht auch oft, das Übel durch Pusten, Ausspeien, Pfeifen und Schwenken grüner Zweige auszutreiben. Der Verkauf von Zaubermitteln ist für den Apotheker eine gute Einnahmequelle, jedoch wird ihm viel Konkurrenz durch die Tätigkeit der Buddhamönche gemacht, die als Teufelaustreiber auftreten, obwohl ihnen diese Tätigkeit untersagt ist. Denn nach der Lehre Buddhas besteht die Macht der Geister nur in der Einbildung. Aber der Siamese läßt sich von seinem alten Aberglauben einmal nicht abbringen. — Die Abbildung 394 zeigt die Überführung einer Buddhastatue in einer festlich geschmückten Barke nach einem neuen Tempel, begleitet von dem König und seiner Familie. Die vergoldete königliche Barke (Abb. 393) wird jetzt nur noch bei besonderen Staatsangelegenheiten benutzt.
Phot. Antonio.
Abb. 395. Ein Buddhistenmönch bei der Predigt.
Diese Buddhistenmönche sind Menschen, die sich vor der Welt zurückgezogen haben, um die Sünde zu meiden und dadurch göttliche Belohnung zu erringen. Ihre Mission besteht etwa nicht darin, daß sie den Menschen dienen; wenn sie es tun, dann geschieht dies nur aus dem Grunde, um für sich dadurch einen Vorteil zu erreichen. Die sündigen Laien, die nicht genug Kraft in sich verspüren, der Welt zu entsagen, können aber doch für ihr eigenes Seelenheil Vorteil herausschlagen, wenn sie jene unterstützen. Ursprünglich waren die Buddhistenmönche Bettler, die in Lumpen gehüllt im Lande umherzogen und von den erbettelten Almosen lebten; jetzt aber kleiden sie sich in bessere Stoffe und leben in behaglichen Klöstern; dabei verschmähen sie oft genug die Brocken und die grobe Kost, die sie sich den Satzungen ihres Ordens gemäß eigentlich erbetteln müßten. Die Klöster stehen unter geregelter Aufsicht; in ihnen werden strenge Lebensregeln befolgt, die den Insassen ein Faulenzen nicht gestatten. Die Mönche sind bestrebt, ihren Sinn von weltlichen Dingen durch Nachdenken abzulenken; während der einsamen Stunden, die sie in ihren Zellen zubringen, werden ihnen verschiedene Themata zur Betrachtung zugewiesen, in die sie sich vertiefen müssen. Durch andauerndes Studium können sie sich verschiedene Grade von Gelehrsamkeit erwerben, die sie zu höheren Stellen in der Kirche befähigen. In der trockenen Jahreszeit aber wird das Klosterleben aufgehoben und an Stelle der Betrachtungen nehmen die Mönche das alte Bettlerleben wieder auf. Sie wandern von Ort zu Ort, legen dabei oft genug große Strecken zurück, ehe die einsetzende Regenzeit sie in ihre Klöster sich wieder zu flüchten zwingt. Sie führen auf ihren Reisen wenig mit sich außer einem großen weißen Schirm, der sie am Tage gegen die brennende Sonne schützt und ihnen in der Nacht als Zelt dient. Für alles, was sie sonst benötigen, rechnen sie auf die Almosen der Frommen. Sind die Mönche an einem Orte, dann halten sie zweimal täglich einen kurzen Gottesdienst in den Tempeln ab, die zum Kloster gehören; an Feiertagen predigt der höchste der Mönche oder der Abt von einem Platze zu Füßen des Buddhabildes aus (Abb. 395).
Phot. R. Lenz.
Abb. 396. Das Sandfest der Siamesen.
Im März jeden Jahres bringt man Sand auf die Vorplätze der Tempel und formt daraus kleine Haufen in Gestalt von Pagoden, die man mit Fähnchen und so weiter schmückt im Glauben, sich dadurch ein Verdienst zu erwerben.
Phot. T. A. Gerald Strickland.
Abb. 397. Aufzug beim Schaukelfest.
Die Männer im Vordergrund stellen Doktoren der alten Zeit dar. Alle Arten von Armen von der Vergangenheit bis auf den letzten Tag werden in dem Zuge gezeigt.
Gelangt ein Siamese zu Reichtum, so läßt er sich die Erbauung eines Klosters, eines Tempels oder einer Pagode angelegen sein und hofft dadurch einen wesentlichen Vorteil zugunsten seines Seelenheils zu erlangen. Um ein verfallenes kirchliches Gebäude wieder herzustellen, gibt er aber kein Geld aus, weil er fürchten muß, daß er, wenn er dieses für das Werk eines anderen verwendete, er nur zu dessen Heil beitragen würde. Überhaupt muß der Buddhist, wenn er zukünftiges Glück erlangen will, sich bereits in diesem Leben verdient machen. Die beliebteste Art und Weise, dies zu ermöglichen, wenn er nicht gerade in ein Kloster gehen will, besteht eben darin, den Mönchen Geschenke zu machen, die diese in jeder dargebotenen Form annehmen, sei es, daß es sich um ein wenig gekochten Reis oder um ein prachtvolles Kloster mit allem Zubehör handelt. Man hat auch bestimmte Tage und bestimmte Jahreszeiten, an denen man diese besondere Form, Gutes zu tun, zum Ausdruck bringt, dabei verbindet man aber auch mit diesen Pflichten allerhand Vergnügungen (Abb. 396). Vier Tage im Monat sind heilige Tage, an denen die Leute ihre besten Kleider anlegen und zum Tempel wandeln, um hier kleine Opfer darzubringen. Am Anfang und Ende der buddhistischen Fastenzeit bietet sich zu ähnlichen Gebräuchen Gelegenheit. Im April wird die Geburt des Buddha und sein Tod durch einen dreitägigen Gottesdienst im Tempel gefeiert, und am Abend finden Feuerwerk, festliche Beleuchtung und Theater statt. Im Oktober sind alle Menschen eifrig dabei, den Mönchen Kleider zu schenken; es ist dies das bedeutendste Fest der buddhistischen Religion, das Tot Krathin oder das „Niederlegen des heiligen Tuches“. Dieses Fest dauert ungefähr einen Monat und verschlingt eine Unmasse Geld, das für das gelbe Tuch der Mönche ausgegeben wird. Jeder von ihnen bekommt viel mehr davon als er irgend nur gebrauchen kann. Die Hauptsache aber dabei ist, daß das ganze Volk vom König abwärts sich dadurch sehr verdient macht und trefflich unterhält. Zum Prabahtfest, das in den Monat Oktober fällt, unternimmt das Volk Pilgerfahrten in die Berge bei Bangkok, um dort in einem Tempel zu beten, der auf den angeblichen Fußspuren Buddhas, allerdings auf solchen von mehr als einem Meter Länge, erbaut ist. Kurz vor Vollmond bringen Sonderzüge die Pilger zum geweihten Ort; während der nächsten Tage drängen sie sich auf den Stufen des Tempels, um Geschenke niederzulegen, Spielsachen, Bilder, Uhren und andere seltsame Gegenstände, die in Bangkok gekauft wurden, oder um Goldschaum auf jede nur erreichbare Stelle der Tempelmauer zu kleben. Die Nächte bringen sie mit Lesen der heiligen Schriften oder mit Unterhaltungen und Flirt bei hellem Mondschein zu.
Phot. R. Lenz.
Abb. 398. Szene aus dem Schaukelfest.
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Phot. F. Ebit.
Abb. 399. Szene aus dem Fest des ersten Pflügens.
In Vertretung des Königs wird der Ackerbauminister zum Festplatze getragen.
Andere Feste religiöser Natur, die die Siamesen feiern, sind entweder aus dem Brahmakultus übernommen oder beruhen auf deutlicher Geisteranbetung. Im April findet das Songkranfest statt, nach einem brahmanischen Gott so benannt, der auf die Erde kommt, um das neue Jahr einzuweihen. Einige Tage vorher verkünden die Brahmanenpriester des Hofes die Anwesenheit dieses Gottes auf der Erde. Daraufhin macht sich das ganze Volk daran, die Erde mit Trankopfern zu begießen und damit auch Personen zu bedenken, denen ihre Ehrfurcht gilt. Mit besonderem Ernst wird diese Zeremonie im Königspalast vorgenommen, indem man die Erde und das Staatsoberhaupt feierlichst mit Weihwasser besprengt. Andernorts nimmt diese Zeremonie aber mehr die Form einer Belustigung an, bei der die weibliche Jugend die Führung hat und die sie so lange betätigt, bis sie und alle, die sich ihr nähern, ganz und gar durchnäßt sind. Die Verkündigung der Rückkehr des Gottes in den Himmel macht dem Spiel ein Ende. — Im Oktober wird die Versöhnung des Flußgeistes mit großartiger Feierlichkeit begangen; man nennt diese Zeremonie Loi Kratung oder das „Schwimmen der Körbe“, weil man auf dem Flusse Dankopfer in Körben aussetzt und diese hinabtreiben läßt. In Bangkok, wo man diese Festlichkeit in der Nacht vornimmt, wird ein jeder Korb noch beleuchtet, so daß der ganze Strom einem funkelnden Lichtmeer gleicht, und diese Wirkung wird noch durch Feuerwerk erhöht. — Das alljährlich stattfindende Schaukelfest, das eine althergebrachte Einrichtung ist, soll den Dank für die letzte Ernte und gleichzeitig die Fürbitte um einen reichlichen Ertrag im nächsten Jahre bedeuten (Abb. 397). Der Gott Indra, in Gestalt eines vornehmen Siamesen, überwacht die Feier und marschiert im Zuge, der sich von einem entfernt gelegenen Tempel bis zu dem Platze begibt, wo die große Schaukel steht, mit. Vier Männer, deren Tracht auf einen Zusammenhang mit Regengöttern hinweist, werden auf die Schaukel gehoben — diese selbst ist gegen dreißig Meter hoch und das Schaukelbrett befindet sich etwa fünf Meter über der Erde —, ergreifen die herabhängenden Seile und setzen sie in Bewegung. Sobald sie genügend in Schwung geraten ist, sucht einer einen kleinen Beutel zu erfassen, der an einer langen Bambusstange in der Nähe der Schaukel hängt und Münzen enthält (Abb. 398). Glückt es ihm, ihn zu erfassen, dann ruft die zahlreich versammelte Menge vor Freuden Beifall, verfehlt er ihn aber, dann erhebt sich Bedauern. Daß das Volk so lebhaften Anteil an dem Gelingen dieses Versuches nimmt, hängt mit dem Aberglauben zusammen, daß dadurch eine zwischen Indra und den Regengöttern abgeschlossene Wette ausgetragen werden soll. Wenn die Münzen ergriffen werden, so haben letztere gewonnen.
Phot. W. A. Graham.
Abb. 400. Das Fest des ersten Pflügens.
Zum Schluß sei noch das Rek Na-Fest oder das „erste Pflügen“ erwähnt, eine Zeremonie, um die Götter des Ackerbaues günstig zu stimmen und zu erfahren, wie voraussichtlich die nächste Ernte ausfallen wird. Mit ihm wird die Feldarbeit eröffnet. Ehemals führte der König selbst diese Zeremonie aus, jetzt vertritt ihn dabei ein hoher Beamter, meistens der Ackerbauminister (Abb. 399). Dieser lenkt einen vergoldeten Pflug, der von bunt angeschirrten Ochsen gezogen wird (Abbild. 400), dreimal um ein geweihtes Feld, auf das nachher Reis gestreut und sofort vom Volke wieder aufgelesen wird, in dem Glauben, daß, wenn man diese Körner unter die eigene Saat mischt, sie gute Ernte zeitigen werden. Außerdem werden zwei jungen Ochsen verschiedene Getreidesorten vorgelegt und aufgepaßt, von welcher sie am meisten fressen. Diese wird aber nicht angebaut, weil dann die Ernte schlecht ausfallen würde. Zum Schluß der Zeremonie werden die Ernteaussichten der bevorstehenden Jahreszeit verkündet.
Aus „Anthropos“.
Abb. 401. Siamesische Tafel, um das Horoskop zu stellen.
Der silberne Schirm zum Beispiel bedeutet: Ehren, Macht, Achtung; der Mann ohne Kopf: Verlust eines Prozesses, materiellen Verlust, auch gewaltsamen Tod; der königliche Palast: hohe Würden, Protektion, Einfluß auf andere und so weiter.
Phot. Antonio.
Abb. 402. Ein siamesischer Knabe, zur Zeremonie des Haarknotenabschneidens vorbereitet.
Er ist in schöne Gewänder gekleidet und mit den Familienkostbarkeiten geschmückt.
Allerlei Gebräuche knüpfen sich auch an die wichtigsten Augenblicke im Leben der Siamesen. Sobald ein Kind geboren ist, wird es von der weisen Frau sogleich auf Anzeichen hin untersucht, die dem Wahrsager als Unterlage dienen könnten, um ihm die Zukunft zu prophezeien, und dann sich selbst überlassen, während die Mutter, auf einem Plankenbett liegend, der Hitze eines großen Feuers ausgesetzt wird, das angeblich ihre Genesung beschleunigen soll. Ist das Kind einen Monat alt geworden, dann wird ihm feierlichst der Kopf glatt geschoren und vom Familienwahrsager das Horoskop gestellt. Um die Zeit herum, wenn es die ersten Schritte macht, wird der Wahrsager noch einmal herbeigerufen und, nachdem er von neuem das Horoskop und andere üble Vorbedeutungen in Betracht gezogen hat, ein Name für das Kind unter denen ausgewählt, die sich für das Jahr, den Monat, Tag und Augenblick am besten eignen. Um das Horoskop zu stellen, bedient man sich einer Tafel (Abb. 401), die um den Mittelpunkt angeordnet in zwölf Segmenten je eine Figur trägt (Buddhapyramide, Drache, Zauberin, Wahrsager, silberner und goldener Sonnenschirm, Mann ohne Kopf und so weiter). Jeder von ihnen kommt eine besondere glück- oder unglückbringende Bedeutung für die Begebenheiten des täglichen Lebens zu. Bei der Benutzung dieser Wahrsagetafel fängt man bei der Buddhapyramide an zu zählen und geht, wenn es sich um ein männliches Wesen handelt, nach links, wenn um ein weibliches, nach rechts herum. Zunächst zählt man die Wochentage, dann in gleicher Weise die Monattage und schließlich die Jahre, von denen jedes unter einem der zwölf Zeichen steht, von dem gleichen Ausgangspunkt aus ab, bis man zu seinem Datum kommt, und ermittelt auf diese Weise drei Figuren. Wenn alle drei unglückverheißend sind, dann steht zweifelsohne ein Mißerfolg zu erwarten; wenn man nur eine böse Figur unter den dreien erhält, dann ist die Vorhersage gut, sind alle drei aber günstige, dann kann das Unternehmen nur glücklich ausschlagen. — Das Siamesenbaby tyrannisiert gleichsam seine Hausgenossen. Alle seine Verwandten sind seine Sklaven und erfüllen ihm seine leisesten Wünsche; von allen wird es verwöhnt und verhätschelt. Der Kopf wird ihm bis ungefähr zum vierten Jahre beständig rasiert, von da ab beginnt die Mutter sein Kopfhaar zu pflegen; sie dreht es zu einem Büschel oben auf dem Scheitel und steckt eine bunte Nadel hindurch. Bald darauf bekommt das Kind auch Kleider und wird später in die Klosterschule des Dorfes gesandt. Von jetzt an nimmt der Lebenslauf der beiden Geschlechter eine verschiedene Richtung. Die Mädchen nämlich erhalten für gewöhnlich keinen Unterricht in der Schule, sondern werden in die Pflichten ihres späteren Hausfrauenberufes eingeführt. — Sobald bei den Kindern die Reife sich einzustellen beginnt, also um das zehnte bis dreizehnte Lebensjahr, wird den Knaben und Mädchen das Haarbüschel unter großer Feierlichkeit abgeschnitten; es ist dies der wichtigste Augenblick im ganzen Leben des Siamesen. An einem von dem Wahrsager festgesetzten Tage wird im Hause der Eltern ein Altar mit dem Buddhabildnis errichtet, und dieser mit Kerzen und Zieraten, soweit die Mittel es erlauben, geschmückt. Um den Altar herum verteilt man eine große Schere, eine Schale mit geweihtem Wasser, eine Seemuschel und andere Gegenstände, die zu der Zeremonie gehören, und stellt auf einen Ständer in der Nähe kleine Portionen Speise zur Erfrischung für die Familiengötter hin. Ein geweihter Faden wird sodann unter der Dachrinne rings um das Haus herumgeführt und seine beiden Enden werden ins Haus hinein zu den Händen der Mönche geleitet, deren Predigten an der Schnur entlang gleiten sollen, um die bösen Geister zu verhindern, störend in die heilige Handlung einzugreifen. Der Ahnen wird auch nicht vergessen, denn ihre Urnen mit der Asche finden sich auf einem kleineren Altar aufgestellt. Schließlich ist draußen vor dem Hause noch ein Gerüst mit einem Baldachin auf vier Pfosten erbaut, unter dem auf einem spitz zulaufenden Gestelle etwas Speise für den Gott Kedu, den Spender langen Lebens, gestellt wird. — Am Nachmittage des dem eigentlichen Feste vorausgehenden Tages finden sich zuerst die Familienfreunde, jeder mit einem Geschenk, sodann die Mönche ein, die bei ihrem Erscheinen mit Gongschlägen begrüßt und mit Tee bewirtet werden. Nach einer Pause tritt das Kind auf, vornehm angezogen und mit dem ganzen Familienschmuck behängt (Abb. 402). Die Mönche sprechen Gebete, in die die anwesenden Besucher einfallen; Musik spielt sodann auf; Tee, Zigarren, Speise und Betel werden herumgereicht, und alles widmet sich dem Vergnügen. Der nächste Tag vergeht in ähnlicher Weise und erst am dritten findet die Hauptzeremonie statt. Vorher wird größte Ruhe gewahrt, damit die bösen Geister, die sich vielleicht in der Nähe aufhalten, nicht merken, daß etwas im Gange ist. Kurz vor Sonnenaufgang erscheint das Kind wieder, den Kopf bis auf das Haarbüschel glatt rasiert. Das Haarbüschel wird in drei Strähnen geteilt, der Gast, dem von den Anwesenden die höchste Ehre gebührt, sowie zwei hochbetagte Anverwandte erfassen jeder eine Strähne und schneiden sie genau bei Sonnenaufgang ab. Ohrenbetäubender Trommelschlag und Musik setzen in diesem Augenblick ein. Die Speise für den Ketu wird von der Plattform draußen genommen und das Kind unter dem Baldachin an ihre Stelle gesetzt. Darauf treten die Verwandten und Freunde einer nach dem anderen heran und gießen Wasser aus einer Muschel auf den kahlen Kopf des Kindes, das bis auf die Haut durchnäßt wird (Abb. 404). Von neuem bekleidet, und diesesmal mit seinem schönsten Gewand, übernimmt das Kind die zeremonielle Speisung der Mönche; dieser Abschnitt der Feier vollzieht sich unter Musikbegleitung sowie unter Hersagen und Absingen heiliger Worte und endigt mit einer Predigt. — Der Prunk, mit dem die Zeremonie des Haarabschneidens vollzogen wird, richtet sich natürlich nach dem Reichtum und dem Stand der betreffenden Familie. Wird einem königlichen Prinzen das Haarbüschel abgeschnitten, dann gestaltet sich diese Zeremonie zu einem wahren Volksfest, bei dem es allenthalben hoch hergeht.
Phot. F. Chit.
Abb. 403. Der Kronprinz im Mönchskloster zur Ablegung des üblichen Ordensgelübdes.
Phot. F. Chit.
Abb. 404. Die Zeremonie des Haarknotenabschneidens am siamesischen königlichen Hofe.
Der König gießt einem seiner Söhne, an dem die Zeremonie soeben vollzogen wurde, geweihtes Wasser über das Haupt.
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Nachdem ihnen das Haarbüschel abgeschnitten ist, nehmen die Mädchen ihre häusliche Beschäftigung wieder auf, ebenso bilden sich die Knaben weiter aus, bis sie das zwanzigste Lebensjahr erreicht haben. Dann werden sie sozusagen konfirmiert und in den heiligen Orden der Mönche aufgenommen. Die Lehre Buddhas schreibt nämlich vor, daß jeder, der sich ernstlich zu ihr bekennt, dies dadurch betätigen muß, daß er vor der Welt flüchtet und in den Orden sich aufnehmen läßt, allerdings kann er dieses Gelübde jederzeit widerrufen. Daher legt jeder siamesische Jüngling, auch wenn er sich nicht den geistlichen Beruf erwählt hat, das Ordensgelübde ab, um dem Buchstaben des Gesetzes zu genügen (Abb. 403). Wer nicht die Absicht hat, ein Glied des Ordens zu bleiben, bittet nach einiger Zeit, für gewöhnlich nach drei Monaten, ihn von seinem Gelübde wieder zu entbinden, was anstandslos gewährt wird. Dann darf er aus der Abgeschlossenheit wieder in die Welt zurücktreten. Die Aufnahme in den Orden gestaltet sich für die Angehörigen zu einem großen Freudenfest. In kostbare Gewänder gekleidet, begibt sich der Kandidat mit seinen Verwandten, Freunden und allen Mädchen seiner Bekanntschaft in den Tempel, wirft sich dreimal vor den Mönchen demütig auf die Erde und wird in aller Form von den Angehörigen vorgestellt, die den Mönchen Geschenke anbieten. Sodann muß er ein Verhör, ob er sich geistig und körperlich auch eigne, über sich ergehen lassen, und wenn seine Antworten zur Zufriedenheit ausgefallen sind, wirft er sich von neuem auf die Erde und bittet flehentlich, aus der schnöden Welt befreit und in den Orden aufgenommen zu werden. Daraufhin wird er seiner vornehmen Gewänder entkleidet und mit dem gelben Gewande des Mönches angetan, bekommt einen Bettelnapf um die Schultern gehängt und einen Fächer in die Hand. So ausgestattet, wirft er sich noch einmal auf die Erde und legt sodann die zehn vorgeschriebenen Gelübde ab, nämlich niemals ein Leben zu vernichten, niemals zu stehlen oder zu lügen, stets ein züchtiges Leben zu führen, keine berauschenden Getränke zu trinken, nur zu der vorgeschriebenen Zeit zu essen, alle weltlichen Freuden zu meiden, keinen persönlichen Schmuck zu tragen, nie mit Geld etwas zu tun zu haben und auf der Erde zu schlafen. Der Abt macht nun öffentlich bekannt, daß der Kandidat in den Orden aufgenommen ist, und erinnert ihn noch einmal an die Pflichten, die er übernommen hat, und an die Sünden, die er meiden muß. Wie schon gesagt, kann der Jüngling jederzeit von seinem Eide auf seinen Wunsch befreit werden und in die Welt zurückkehren, wie es auch meistens geschieht.
Phot. R. Lenz.
Abb. 405. Aufbahrung der Leiche des Königs Chulalongkorn
für mehrere Monate in einer goldenen Urne auf der Spitze einer kunstvollen goldenen Pyramide im Palaste.
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Er tut dies, wenn er heiraten will. Etwa um das zwanzigste Lebensjahr herum pflegen die Jünglinge, zwischen vierzehn und siebzehn die jungen Mädchen die Ehe einzugehen. Sie verheiraten sich in Siam fast alle; alte Jungfrauen kommen daher in diesem glücklichen Lande kaum vor. — In den meisten Fällen ist die Ehe lediglich eine Abmachung zwischen den Familien, die ursprünglich eine ältere, diplomatisch sehr gewandte Frau zustande brachte, jetzt aber mehr und mehr von den Eltern direkt getroffen wird, die diese Dinge frei miteinander erörtern. Auch Neigungsheiraten kommen heutzutage mehr in Aufnahme. Einer Ehezeremonie legt der Siamese wenig Gewicht bei, daher verkürzt er sie vielfach oder läßt sie gänzlich fort; denn um einer Ehe die gesetzliche Gültigkeit zu verschaffen, bedarf es nur des Beisammenwohnens. Da aber manche Eltern natürlich das Verlangen haben, die Hochzeit ihres Kindes zu einem Ereignis zu machen, so spielt sie sich in sehr vielen Fällen wenigstens zum Teil mit Feierlichkeiten verknüpft ab. Wenn man die Zeremonie in ihrem vollen Umfange betrachtet, findet die Hochzeit im Hause der Braut statt und dauert zwei Tage. Freunde und eine bezahlte Musikbande geben dem Bräutigam das Geleite dorthin, wo die Freunde sich versammelt haben und sich in den Empfangsräumen an Essen, Trinken und Betelkauen gütlich tun, während die Eltern das von beiden Teilen beigesteuerte Kapital für das junge Paar nachzählen und prüfen. Sobald das Brautpaar erscheint, wird es mit einer geweihten Schnur zusammengebunden, kniet nieder, wird mit Reis beschüttet und von den Gästen aus einer Seemuschel mit Weihwasser begossen. Darauf werden beide getrennt; der Bräutigam bringt seiner Geliebten mit Hilfe einer Kapelle die Nacht über ein Ständchen. Am nächsten Morgen werden die amtierenden Mönche festlich bewirtet, und den ganzen Tag über herrscht eine ausgelassene Lustbarkeit. Am Abend endlich wird die Braut in aller Form zum Hochzeitsgemach geleitet. Das junge Paar lebt lange mit der Familie der Frau zusammen, oft bis zur Geburt des ersten Kindes.
Phot. Antonio.
Abb. 406. Leichenzeremonie im Hause eines reichen Siamesen.
Der Sarg pflegt auf einem hohen, reich verzierten Unterbau, umgeben von Leuchtern, für längere Zeit aufgestellt zu werden.
Phot. R. Lenz.
Abb. 407. Der künstlerische Gerüstaufbau für die Einäscherung der Leiche des verstorbenen Königs Chulalongkorn.
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Da die Vielweiberei von Buddha nicht ausdrücklich verboten ist, so gilt sie für erlaubt, und ein Mann kann daher so viele eheliche Verbindungen eingehen, als er sich Frauen zu leisten vermag. Die erste Frau behält aber immer das Vorrecht und bleibt das anerkannte Oberhaupt aller auf sie noch folgenden. Altert eine Frau, dann hält sie es für ratsam, ihrem Manne Nebenfrauen zu verschaffen, einmal weil sie dadurch das Heim für diesen noch weiter anziehend zu gestalten hofft und zum anderen, weil sie sich dann als Oberhaupt einer großen Häuslichkeit aufspielen kann. — Scheidung erfolgt mit beiderseitiger Zustimmung und hat die Teilung des Besitztums zur Folge, ausgenommen, wenn es sich um Nebenfrauen handelt, die auf Wunsch des Mannes einfach beiseite geschoben werden können ohne jedwede Vergütung. Alle Kinder sind erbberechtigt, aber die von der ersten Frau erhalten den größten Anteil.
Phot. R. Lenz.
Abb. 408. Einäscherungszeremonie für einen vornehmen Siamesen.
Der Vorgang spielt sich hinter dem Schirm in einem Tempel ab.
Die Eigenart der buddhistischen Lehre nimmt dem Siamesen, wenn es mit ihm zum Sterben geht, viel von der Todesfurcht; er beschäftigt sich in diesen Augenblicken mehr mit seiner Wiedergeburt als mit dem Schrecken der bevorstehenden Auflösung und verspürt bei seinem nahen Ende den Trost einer gütigen Philosophie, die vielfach dazu beigetragen hat, bereits sein Leben zu einem ruhigen zu gestalten. Nach dem Tode wird der Körper gewaschen, in ein sauberes weißes Tuch gehüllt und mit einer Münze im Munde, um damit den Zoll zum Paradiese zu zahlen, in den Sarg gelegt. Um diesen, der mit schwarzem Tuch bedeckt und mit Zierat aus Silberpapier geschmückt zusammen mit Kerzen und anderen Dingen, die dem Verstorbenen wert waren, im Prunkzimmer des Hauses steht (Abb. 406), halten Freunde ein bis zwei Tage und Nächte Wache. Dazu lesen eingeladene Mönche am Abend Totenmessen. Währenddessen empfangen die Angehörigen die Beileidsbesuche ihrer Bekannten, denen sie eine kleine Erfrischung vorsetzen. Außerdem wird sogleich nach dem Tode eine Musikkapelle geholt, die ihre Weisen ertönen lassen muß, einmal um die Trauernden aufzuheitern, zum andern aber auch, um die bösen Geister fernzuhalten. Manchmal müssen auch Klageweiber ein möglichst lautes Geheul anstimmen. Ist die Totenwache vorüber, dann wird der Sarg in den Tempel gebracht, bisweilen jedoch, vor allem am Hofe und in wohlhabenden Familien, behält man ihn noch längere Zeit, selbst Monate hindurch, im Hause aufgebahrt (Abb. 405). Wird der Sarg herausgetragen, dann tut man dies durch ein Loch in der Wand und führt ihn mehrere Male um das Haus herum, bevor man ihn in den Tempel bringt (Abb. 386), wo er auf einem Scheiterhaufen verbrannt wird (Abb. 407 und 408). Vorher trägt man ihn auch hier noch dreimal um diesen herum. Man will dadurch den Geist im unklaren über die eingeschlagene Richtung lassen, damit er den Weg nach Hause nicht wiederfindet. — In Bangkok gibt es eine regelrechte Saison für Verbrennungen derer, die im vergangenen Jahre starben (Abb. 409). Es wird dann eine große Pracht entfaltet, das Feuer des Scheiterhaufens wird von wohlriechenden Kerzen unterhalten, Musik, Tanz und Schmaus begleiten die Feier und der Armen wird durch reichliche Spenden gedacht. Es ist gleichsam Ehrensache, so viel Geld wie möglich dafür auszugeben, und es kommt oft vor, daß die ganze Hinterlassenschaft eines Menschen von den Erben vergeudet wird, um ihm einen geziemenden Abschied aus diesem Leben zu bereiten.
Phot. F. Chit.
Abb. 409. Krematorium zu Bangkok,
in dem die Einäscherung derjenigen Personen, die im vergangenen Jahre starben, festlich begangen wird.
Die Verbrennung von Königen und Prinzen ist ein höchst wichtiges Ereignis und gestaltet sich fast zu einem Volksfest, das sich nicht selten auf die Dauer eines Monats erstreckt; während dieser Zeit werden Tausende von Menschen täglich auf königliche Kosten gespeist und bewirtet. Die Leichen des Königshauses kommen nicht in Särge, sondern zusammengekauert in kupferne, stark vergoldete Urnen. Jedes Stadium einer königlichen Verbrennung, der Leichenzug, die Übergabe auf den Scheiterhaufen, das Anzünden des Feuers und das Einsammeln der Aschenreste, jede dieser Handlungen ist eine Feier für sich, die manchmal einen ganzen Tag in Anspruch nimmt. Jedesmal ist der Hof vollzählig zugegen, die Damen ganz in Weiß gekleidet und das Haar geschoren. Die Asche wird in kleinen goldenen Urnen im Palast aufbewahrt und ist von Zeit zu Zeit Gegenstand ehrfürchtiger Zeremonien. Von den Gebeinen der Könige werden Teile unter die Mitglieder der königlichen Familie und an Günstlinge aus dem Adel verteilt. — Die Angehörigen einfacher Leute bewahren ebenfalls die Asche ihrer Verstorbenen in kleinen Urnen auf, die in ihren Häusern Platz finden.
Abb. 410. Gebrauch der Ruder bei den Eingeborenen der südlichen Schanstaaten Birmas.
Anstatt mit der Hand rudern sie mit den Füßen und vermögen dies stundenlang fortzusetzen.