Hinterindien, der zwischen dem Bengalischen Meerbusen und der chinesischen Südsee liegende Abschnitt des südöstlichen asiatischen Festlandes (abgesehen von der malaiischen Halbinsel) zerfiel vor dem Eingreifen der Engländer und Franzosen in mehrere Staaten: Birma, Siam, Annam, Tonking, Kotschinchina und Kambodscha. Mit Ausnahme von Siam, das ein eigenes, selbständiges Reich geblieben ist, haben alle andern die europäische Oberherrschaft anerkannt, jedoch hat sich in ihnen eine herrschende Oberschicht erhalten, die wir als Birmanen, Siamesen, Annamiten und so weiter bezeichnen. In ihrem Äußeren machen diese Völker einen ziemlich einheitlichen Eindruck; ihr Rassenverhältnis ist im übrigen aber noch nicht aufgeklärt. Es scheint jedoch so viel festzustehen, daß sich zu einer bodenständigen Urbevölkerung, die wahrscheinlich der indoaustralischen Grundrasse angehörte, also den Senoi, Kubu, Toala und so weiter verwandt war, im Laufe der Zeiten von Westen her sich nordindische (Tibet) und von Norden her chinesische Elemente hinzugesellten, die teils die einheimische Bevölkerung allmählich aufsogen, teils in die unzugänglichen Landesteile verdrängten. Die aus diesem Mischungsprozeß, an dem übrigens auch die Malaien Anteil nahmen, hervorgegangene Bevölkerung bezeichnet man als Thaivölker (= freie Männer). Diese Thai haben sich wieder in vier große Stämme gegliedert, in die Thosmuong im Nordosten (Tonking und Annam), die Schan mit den Khamti, Sing-po und Katschin im Nordwesten (Oberbirma), die Laotier im Südosten (Französisch-Laos) und die Siamesen im Südwesten (Siam).
In kultureller Hinsicht stehen die Thaivölker den Chinesen und Tibetern näher, in gesellschaftlicher aber schließen sie sich mehr an die Malaien an. Im allgemeinen sind die Kulturverhältnisse Hinterindiens recht verschiedene. Die in die Berge zurückgedrängten Stämme haben zumeist ihren ursprünglichen Zustand noch bewahrt, hingegen die genannten herrschenden Stämme der fruchtbaren Ebenen sich eine gewisse Halbkultur angeeignet, die teils indischem, teils chinesischem Einflusse ihre Entstehung verdankt. Überreste der ersteren sind die großartigen zahlreichen, von Birma bis nach Kotschinchina hin vorkommenden Tempelruinen, die mit ihren reichen Skulpturen und Sanskritinschriften von der ehemaligen Herrschaft des Brahmanentums Zeugnis ablegen; es sei unter anderem nur an die prächtigen Tempelreste von Angkor-Wat (erbaut 825 vor Christi) und Nakhon-Thom erinnert. Beschäftigen wir uns nunmehr mit den Sitten und Gebräuchen in den einzelnen Ländern Hinterindiens.