Formosa.

Formosa, seit 1895 im Besitze der Japaner, wird von acht Wildstämmen bewohnt, die sich nicht nur in ihrer Sprache, sondern auch in der Kleidung, Bauart der Häuser, Tatauierung und sonstigen Sitten voneinander unterscheiden; gemeinsam ist ihnen allen das Äußere, kleine Statur, gelbbraune Hautfarbe und glattes, schwarzes Haar. Dieses ihr anthropologisches Verhalten, wie auch ihre Sprache und ethnographischen Verhältnisse lassen darauf schließen, daß sie malaiischer Herkunft sind, also von Völkern abstammen, die zu verschiedenen Zeiten von Süden, der indisch-australischen Inselwelt her nach Formosa einwanderten. Zu ihnen, den Sebenshin oder Wildstämmen, gesellten sich im fünfzehnten Jahrhundert Chinesen aus Südchina hinzu, die Hakka, später die Hoklo; diese machen die reiche Bevölkerung der großen Städte der Insel aus. Ihre Frauen verkrüppeln sich auch heute noch die Füße.

Die Wilden Formosas, die durch die Chinesen in die gebirgigen Teile des Landes zurückgedrängt wurden und hier in fast unzugänglichen Dschungeln hausen, sind Ackerbauer; ihre Dörfer bilden ungefähr ein halbes Dutzend leicht gebauter Hütten. Eine feste Stammesverfassung unter Häuptlingen kennen sie nicht. — Als Schmuck ist bei allen Stämmen Tatauierung beliebt; die einzelnen Stämme unterscheiden sich hierin deutlich voneinander. So sind die Männer der Atayalen an einer senkrecht von der Mitte der Haargrenze über die Stirn bis zu den Augenbrauen verlaufenden breiten blauen Linie, sowie an einer senkrechten am Kinn, ihre Frauen an einem breiten blauen Bande, das von einem Ohr zum anderen über den Mund sich hinzieht (Abb. 68), kenntlich, die Amifrauen an mehreren Bändern um die Handgelenke (Abb. 73) und so weiter. Die Atayalen tragen als weiteren Schmuck noch geschnitzte Stöcke in den Ohrläppchen, andere Stämme wieder Hals- und Kopfbinden aus einer Art Achat und anderes mehr. Bei einigen Stämmen besteht die Sitte des Zähneherausnehmens bei Eintritt der geschlechtlichen Reife.

Phot. J. W. Davidson.

Abb. 68. Atayalenfrauen mit Tatauierung.

Diese dient als Schmuck und auch als Zeichen von Rang oder Reife. Die letztere wird durch hellblaue Linienmuster zum Ausdruck gebracht, die sich vom Mundwinkel zum Ohr ziehen.


GRÖSSERES BILD

Die Wilden Formosas besitzen eine außerordentliche Gewandtheit; mit affenartiger Geschwindigkeit verstehen sie es, die Klippen zu erklimmen, von Baum zu Baum zu springen und durch das beinahe undurchdringliche Dickicht des Urwaldes hindurchzukriechen. Sie tragen beständig ein Schwert bei sich, dessen Griff bei den Ami, ebenso wie ihre Pfeifenköpfe, mit Silberstäbchen ausgelegt ist.

Phot. J. W. Davidson.

Abb. 69. Ein erbeuteter Kopf

auf einem Pfahl im Walde mit darüber aufgehängtem Muschelschmuck.

Die grausame Unsitte der Kopfjägerei haben die Wildstämme aus ihrer malaiischen Urheimat auch hierhin verpflanzt; sie beherrscht direkt ihr ganzes soziales Leben. Besonders die Atayalen sind die eifrigsten und gefürchtetsten Kopfjäger (Abb. 71). Ihre Sitte erfordert es, daß man sich Köpfe verschafft, um eine reiche Ernte zu erzielen — in diesem Falle werden die frisch abgeschnittenen Köpfe den Ahnen geopfert — oder um sich eine Frau, eine Stellung oder überhaupt Einfluß zu verschaffen, um sich für die Aufnahme in den Rat Erwachsener zu eignen, und um als tapferer Mann angesehen zu werden oder um bei Verfehlungen gegen die eigenen Stammesgenossen seinen Ruf wiederherzustellen. Es kommt sogar so weit, daß zwei Männer, die Streit miteinander bekommen haben, aber zu keinem Ausgleich gelangen können, verschwinden und sich gegenseitig zu Leibe gehen, bis der eine dem anderen den Kopf abhaut; wer mit dem Kopfe seines Gegners ins Dorf zurückkehrt, zu dessen Gunsten wird der Streit entschieden. Bei der Rückkehr der Tapferen mit den erbeuteten Köpfen (Abb. 69) wird ein großes Freudenfest veranstaltet, häufig mit Tanz und Reisweintrinken; die Helden genießen fortan großes Ansehen. Die Köpfe werden bei den Atayalen auf kleinen, schmalen, drei bis vier Fuß hohen Plattformen (Abb. 67), bei den Paiwan zwischen aufeinander gelegten Steinplatten aufbewahrt und verbleiben dort als eine Art Heiligtum unter Aufsicht des Dorfältesten, damit sie nicht gestohlen werden (Abb. 70). Manche Dörfer sind im Besitze von mehreren hundert Köpfen, selbst der kleinste Weiler hat in der Regel deren mindestens zehn aufzuweisen. In den Distrikten, die durch die Kopfjäger unsicher gemacht werden, haben die Japaner mit Wällen und Gräben befestigte Niederlassungen erbaut.

Phot. J. W. Davidson.

Abb. 70. Eine Schädelniederlage bei den Tsalisen

unter flachen Steinen. Die Tson verwenden dazu kleine Häuschen, die mit Fächern versehen sind.

Die Wilden Formosas sind reine Animisten; sie glauben an Geister, auch an Zauberbann und Zaubermittel. Eine Krankheit legen sie fast allgemein dem Zorne böser Geister zur Last; fast jedes Dorf hat eine alte Frau aufzuweisen, die sich damit abgibt, sie zu vertreiben. Zu diesem Zwecke hockt sie vor dem Kranken auf der Erde nieder und nimmt ein Bambusrohr zwischen die Knie, so daß es vorn etwas in die Höhe steht. Auf dem Ende dieses Rohres balanciert sie ein geweihtes Zaubermittel, einen durchlöcherten Stein, und bewegt die Hand darüber, indem sie gleichzeitig die Geister bittet, den Zauber fortzunehmen. Bleibt der Stein für einige Augenblicke liegen, dann erblickt man darin ein Anzeichen für eine günstige Wendung, fällt er aber sofort herunter, dann sind die Bemühungen aussichtslos. Die Ami schreiben Schmerzen einem schädlichen Stoffe im Fleische zu; ein Zauberer saugt daher kräftig an der schmerzhaften Stelle und holt dann plötzlich einen oder mehrere Gegenstände aus seinem Munde hervor, die er angeblich dem Kranken entnahm.

Phot. J. W. Davidson.

Abb. 71. Kopfjäger von Formosa.

Zum Zeichen seiner Tätigkeit trägt er eine Tatauierung auf seiner Brust, die er hier aber durch ein Kleidungsstück verdeckt hat, damit die Japaner, die Herren der Insel, ihm nicht ansehen können, wie viele Menschen er schon getötet hat.

Nach dem Einbringen der Ernte sowie bei der Aussaat pflegt man bei den meisten Stämmen an einem bestimmten Tage, an dem Vollmond sein muß, die Ahnen anzubeten, teils um ihnen für die reichliche Ernte zu danken, teils auch um ihre weitere Gunst für die kommende Saat zu erbitten. Eine jede Familie bringt Kuchen von dem eingeernteten Getreide (Hirse und Reis) in der Dunkelheit der Nacht in den Dschungel, wickelt sie in Blätter ein und hängt sie an Bäumen auf, damit die Geister der Vorfahren von ihnen genießen. Am nächsten Tage kommen die Dorfbewohner alle zusammen und lassen Frohsinn und Freude walten; die Frauen führen dem Hula-Hula (I. Band Seite 24) ähnliche Tänze auf. — Die Stämme der Tsougruppe weisen den Geistern ihrer Ahnen als Wohnsitze die Bäume an; am Eingange eines jeden Dorfes findet sich ein besonders wegen seiner Größe auffallender Baum, der sich besonderer Ehrung erfreut und nach Einbringen der Ernte aus Dankbarkeit gegen die Ahnen mit Wein besprengt wird. Eine besondere Orchideenart wird am Fuß des Baumes sowie bei den noch zu besprechenden Junggesellenhäusern als heilige Pflanze gezogen und darf nicht beschädigt oder gar abgeschnitten werden. Die Stämme der Paiwan glauben, daß die Geister ihrer Ahnen in den Schwertern sind, die ihre Eltern ihnen hinterlassen haben. Alle fünf Jahre führen sie an einem bestimmten heiligen Tage ein Wettspiel auf; sie versuchen ein auf der Spitze einer Bambuslanze sitzendes Bündel Borke aufzufangen, das die Form eines Menschenkopfes hat; wem es gelingt, dieses aufzuspießen, wird als Sieger gefeiert. Ursprünglich wurde dazu ein wirklicher Menschenkopf verwandt und am Schluß des Spieles den Geistern ein Opfer dargebracht. Die Puyuma fangen an dem Jahrestage des Festes einen Affen, binden ihn an einen Baum vor dem Schlafsaal der Knaben und töten ihn mit Pfeilen, worauf der Häuptling mit Wein dreimal das Tier und die Erde besprengt. Der Affe ist auch hier an Stelle eines Menschen getreten, der ursprünglich geopfert wurde.

Bei vielen Stämmen gibt es ein besonderes Haus, in dem die unverheirateten Jünglinge wohnen, bis sie die Berechtigung erlangen, zu heiraten. Es ist mit Absicht so gebaut, daß es seinen Bewohnern wenig Behaglichkeit bietet, unter anderem den kalten und regnerischen Winden Eintritt gewährt, damit die jungen Leute abgehärtet und an das rauhe Kriegerleben gewöhnt werden. Sie dürfen auch nicht ein Haus, in dem Frauen leben, betreten, noch irgend einen Gegenstand besitzen, der einer Frau gehörte oder für eine Frau gedacht war. Für die Heirat besteht die Voraussetzung, daß der Jüngling (Abb. 72) in aller Form vom Stamme als Erwachsener anerkannt worden ist, was erst geschehen kann, wenn er von der großen Versammlung der Tapferen aufgenommen wurde, nachdem er einen Fremden getötet und dessen Kopf mitgebracht hat.

Phot. J. W. Davidson.

Abb. 72. Ein Häuptlingssohn vom Tainanstamme.

Seine Jacke ist aus Leopardenfell angefertigt, der Kopfputz besteht in einer Krone aus Leopardenzähnen, das Band über der linken Schulter aus Muschelscheiben.

Phot. J. W. Davidson.

Abb. 73. Amileute in Festtracht.


GRÖSSERES BILD

Für die Hochzeit muß bei den Tsalisen zuvor die Einwilligung der Eltern eingeholt werden, wofür man sich eines Vermittlers bedient. Ist dies geschehen, dann muß erst noch ein Monat verstreichen, um beiden Teilen Gelegenheit zu geben, sich kennen zu lernen und sich zu besinnen. Am verabredeten Tage besucht der Bewerber dann das Haus seiner Zukünftigen, und eine einfache Zeremonie berechtigt darauf das Paar, fortan zusammenzuleben. Die Frau bleibt aber bei ihrer Mutter, bis ein Kind geboren worden ist; erst dann siedelt sie in das Heim ihres Gatten über. Bleibt die Ehe aber kinderlos, dann hören die Besuche ihres Bewerbers und alle Vertraulichkeiten zwischen beiden Teilen auf, und ein jeder kann sich einen neuen Ehegefährten suchen. — Bei manchen Stämmen erfordert die Ehezeremonie einen vorgegebenen Brautraub. Manchmal kommt es auch zwischen den beiderseitigen Verwandten zu Scheinkämpfen; falls etwas Blut dabei vergossen wird, gilt dies als eine gute Vorbedeutung. — Bei den Paiwan geht der junge Mann nach dem Hause seiner Geliebten und stellt Wasser und Brennmaterial vor ihre Tür; benutzt sie beides, so bekundet sie damit, daß sie ihn annimmt. Daraufhin schlägt der Jüngling seinen Wohnsitz in der Familie seiner Schwiegereltern auf, bis er imstande ist, seiner Frau ein eigenes Heim zu bieten. Bei dem Puyumastamm verbleibt der Gatte dauernd in der Familie seiner Frau, seine eigene Familie entsagt sich fortan jeglichen Anspruchs auf ihn. Als Sohn des neuen Heims nimmt er an allem teil, was das Haus darbietet; er besitzt aber keine gesetzmäßige Macht über die Familie, auch fallen ihm erst das Haus und sonstiger Besitz nach dem Tode seiner Schwiegereltern zu; er teilt das Erbe dann mit seiner Frau. Das Brennmaterial, das bei den Ami der junge Mann seiner Angebeteten als Werbung darbringt, wird ihr ratenweise — jeden Tag ein Bündel, bis die Zahl zwanzig voll geworden ist — zugesandt. Um im gegebenen Augenblick genügend Material zur Hand zu haben, pflanzen die jungen Knaben bereits Bäume, die, wenn sie eineinhalb bis zwei Meter groß geworden sind, gerade für ein derartiges Verlobungsgeschenk ausreichen.

Phot. Gebr. Haeckel.

Abb. 74. Eingeborene von Nordformosa in Festtracht.

Über die Totenzeremonien der Formosawilden ist wenig zu sagen. Die Atayalen ziehen dem Verstorbenen neue Kleider an und hüllen ihn noch in ein Rehfell oder in Ermangelung eines solchen in ein großes Tuch. Das Grab für ihn wird unter dem Schlafraum gegraben, den er bis zu seinem Tode bewohnte. Die Familientrauer hält zehn bis dreißig Tage an; darauf verlassen die Angehörigen für immer das Haus, welches dadurch in Wirklichkeit zu einem Grab für den Toten wird. — Die Tsoustämme graben das Grab beim Eingange des Hauses aus und wälzen über den Toten einen möglichst großen Stein, um ihn zu schützen, füllen die Grube ganz mit Erde aus und machen die Oberfläche dem Erdboden gleich, so daß die Stelle unkenntlich bleibt und wieder anderweitig verwertet werden kann.

Phot. Platé & Co.

Abb. 75. Peraharaprozession in den Straßen von Kandy.

Der Tempelelefant in der Mitte des Zuges trägt auf seinem Rücken einen Pavillon, der die Zahnreliquie des Buddha birgt.

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