Japan.

Wenn wir auf der langgestreckten Inselgruppe des japanischen Reiches, das sich von den nördlichen Kurilen bis zur Südspitze Formosas ausdehnt, Umschau halten, so treffen wir nicht nur auf eine große Verschiedenheit des Klimas, der Tier- und Pflanzenwelt, sowie der Lebensbedingungen, sondern auch auf solche der Bewohner; in der Hauptsache sitzen im Norden die Ainu, im Süden Chinesen und Malaien und auf den Inseln des eigentlichen Altjapan die Japaner, die allerdings auch wieder keinen reinen Typus mehr vorstellen, sondern ein Mischvolk sind, hervorgegangen aus den ursprünglich ziemlich über das ganze Reich ansässig gewesenen Ainu (vielleicht auch noch einer älteren Urschicht, den sogenannten Koro-pokguru), den aus Nordasien hinzugewanderten mongolischen (tatarischen) Völkern und den aus Indonesien über die Philippinen hinzugekommenen malaiischen. Trotz dieser grundverschiedenen Mischung treten uns die Japaner als eine ziemlich homogene Masse entgegen, in der sich höchstens zwei Typen unterscheiden lassen, die aber in ihrer extremen Ausprägung doch scharf gekennzeichnet sind: ein feinerer und ein plumperer; der Unterschied kann so auffällig sein, daß man manchmal denkt, es handelt sich um Personen ganz verschiedener Rassen. Der feinere Menschenschlag (Abb. 12), der sich fast ausschließlich auf die höheren Stände beschränkt, gleicht dem von uns bereits geschilderten mandschu-koreanischen Typus; er hat sich gleichsam durch geschlechtliche Zuchtwahl hier befestigt, denn die Vornehmen und Reichen in Japan bevorzugen als Frauen und auch als Nebenfrauen solche von schlankem Bau, mit langem, schmalem Gesicht, Adlernase, langem Hals, schmalen Schultern und Hüften, sowie zierlichen Armen und Füßen. Bälz nennt diesen Typus den Shoshutypus im Gegensatz zu dem Satsuma- oder groben Typus. Letzterer (Abb. 13 u. 15) ist gekennzeichnet durch kleinere Statur, plumpen, robusten Körperbau, rundes, breites Gesicht mit ausladenden Wangenbeinen, volle Backen, stark ausgeprägte Mongolenfalte, breite, gerade oder aufgestülpte Nase mit flachem, niederem Rücken, großlippigen, breiten Mund, vortretende Nasen-Mundpartie und volles Kinn.

Mit Genehmigung von Könyves Kálmán, Budapest.

Fächertanz in Nikko.

Nach dem Gemälde von G. Tornai.


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Abb. 12. Japanerin vom Shoshutypus.

Körperformen und Gesicht weisen edlere Züge auf.

Die Kleidung der Japaner besteht in einer Hose und einem Kittel, die beim Landvolke aus mit Indigo gefärbtem Hanf-, bei den Stadtbewohnern aus farbigem Baumwollgewebe (Abb. 17) und bei den Wohlhabenderen aus Seidenstoffen angefertigt sind. Vielfach hat bereits europäische Kleidung Eingang gefunden, die bei der Arbeit praktisch und sparsamer ist. In seinem Heim jedoch bevorzugt jeder Japaner, sei er Offizier, Beamter, Gelehrter oder Geschäftsmann, den bequemeren Kimono, der dem Träger etwas Würdevolles und, besonders bei weiblichen Wesen, recht Malerisches verleiht. Es ist dies ein aus einem Stück hergestelltes, schlafrockähnliches Gewand, das vom Hals bis zu den Füßen reicht, lange viereckige Ärmel besitzt und mit einem Gürtel, dem Obi, zusammengehalten wird. Der Schnitt ist für beide Geschlechter der gleiche. Jede Jahreszeit erfordert ihr besonderes Kleid, ebenso die Etikette bei den verschiedenen Anlässen; es geht in Japan geradeso zeremoniell zu wie in China. Im Winter trägt man wattierte Kimono; vielfach wird ein Kimono über den anderen gelegt, um sich vor Kälte zu schützen, denn da man in Japan in Holzhäusern wohnt, deren Räume nur durch Papierwände abgeschlossen sind, so herrscht in diesen bei kühlerer Witterung eine ziemlich niedrige Temperatur. Der Obi der Männer ist ein schmaler Gurt aus gerippter Seide oder Brokat bei festlichen Gelegenheiten und aus weißem Krepp oder Seide im Hause. Der der Frauen (Abb. 14) bildet den kostbarsten Teil des weiblichen Gewandes und wird für besonders feierliche Gelegenheiten aus prachtvollem Goldbrokat hergestellt. Er ist etwa dreißig Zentimeter breit und mißt vier bis viereinhalb Meter. Er wird in der Länge zusammengefaltet, um die Taille gelegt und an den Enden zu einer flachen Schleife auf dem Rücken zusammengebunden; infolge eingelegter Polsterung stehen diese dann vom Körper weit ab. Vorn wird der Gürtel noch durch eine goldene oder mit Edelsteinen verzierte Klammer gehalten. Bei den unverheirateten Mädchen wird der Obi so gebunden, daß die Enden bis an die Schulter in die Höhe stehen (geradeso wie ein „Pfeil“ in einem Köcher, weswegen die Mode auch ihren Namen erhalten hat). Das Kleid der Japanerin mutet recht schön und malerisch an, eignet sich aber nicht zur Arbeit und hindert die körperliche Bewegung. Die Männer ziehen sich stets noch einen Überzieher (Haori) an, der denselben Schnitt wie ein Kimono hat, aber nur bis zu den Knien reicht und mit einer weißseidenen Schnur geschlossen gehalten wird. Die zeremonielle Robe ist mitten auf dem Rücken, auf den Ärmeln und auf jeder Seite der Brust mit der Familienverzierung in Weiß versehen. Arbeiter, Zimmerleute, Jinrikschazieher und so weiter tragen einen baumwollenen Rock (Happi), der mit großen roten oder weißen Zeichen gemustert ist, die die Zunft oder den Stand des Trägers bezeichnen; der private Jinrikschazieher trägt das Familienwappen seines Herrn in Seide gestickt auf dem Rücken (Abb. 16). Die Fußbekleidung ist, sofern der Japaner nicht barfuß geht, eine Leinensocke (Tabi), bei der die große Zehe von den übrigen getrennt ist, um den Sandalenriemen durch die Lücke führen zu können. Die Kopfbedeckung fällt verschieden aus. Die kunstvolle Haarfrisur der Frauen erfordert das Schlafen auf einer Nackenstütze. Gegen den Regen hängt sich das Landvolk Strohmäntel um und trägt Regenschirme aus Ölpapier. Bei den Männern der niederen Klassen (Kuli, Pferdeknechten) ist das Tatauieren (Abb. 20) sehr beliebt; es soll bei ihnen, die wegen ihrer anstrengenden Arbeit leicht in Schweiß geraten und daher nur wenig bekleidet einhergehen, die Kleidung ersetzen. Tatsächlich werden vorzugsweise die Stellen am Körper tatauiert, die man sonst bedeckt trägt. Vögel, Drachen, Blumen und weibliche Schönheiten geben die Motive auf Rücken, Brust, Lenden und Schultern ab. Bei den Frauen ist Bemalen des Gesichtes und Halses mit einer weißen Paste (Abb. 22), Ausrupfen der Augenbrauen, Rotschminken der Lippen und Schwarzfärben der Zähne üblich. Die Japaner wohnen in niederen, nur einen bis zwei Stock hohen, aus Holz gebauten Häusern, die weder Keller noch Boden besitzen. Die Stelle von Fenstern vertreten Schiebetüren, deren Füllung aus Papier besteht. Feste Zimmer gibt es in ihnen nicht, die Innenräume werden nach Bedarf durch verschiebbare Wände aus Papier hergestellt. Den Boden bedecken Binsenmatten, zur Heizung dienen messingene Kohlenbecken. — Die Lagerstätten sind auf dem Boden ruhende Matratzen und eine wollene Zudecke. Die sonstige Ausstattung der Zimmer ist eine bescheidene; außer Schränken finden sich für gewöhnlich nur noch Wandschirme, Ständer für Blumen und einige wenige Rollbilder an der Wand.

Abb. 13. Japanerin vom Satsumatypus.

(Sammlung Bälz.)

Die Japaner genießen mit Vorliebe Reis, sehr wenig Fleischspeisen und als Getränke heißen Reiswein (Sake) und Tee (Abb. 19); Genußmittel ist ihnen der Tabak, den auch die Frauen gern rauchen (Abb. 18). — Ihre Ackerwirtschaft steht noch auf der Stufe des Gartenbaues.

Phot. Yei Ozaki.

Abb. 14. Japanerin beim Ankleiden.

Die Dienerin legt den Obi, den wichtigsten Teil der Frauenkleidung, an.


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Die Japaner genießen einen Ruf als tüchtige Handwerker, die eine Reihe von aus China überkommenen Fertigkeiten zu einer wahren Kunst weiterentwickelt haben. Es sei nur an die Seidenindustrie, die Email- und Tauschierarbeiten, den Bronzeguß, das Waffenschmiedehandwerk, die Lackierkunst, die Malerei, die feinere Keramik, die Kleinplastik in Elfenbein, Holz, Horn und so weiter erinnert. Stets erwiesen sich die Japaner weniger als Erfinder eigener Ideen, denn als Verarbeiter der ihnen von außen zugetragenen Gedanken, womit sie im geraden Gegensatz zu den Chinesen stehen, die an ihrer althergebrachten Kultur mit Zähigkeit festhalten. — Die Japanerinnen bekunden eine besondere Fertigkeit in dem künstlerischen Zusammenstellen von Blumensträußen, worin sie eine sorgfältige Ausbildung erfahren. Das Geheimnis der japanischen Blumenstraußkunst besteht in der Ausarbeitung scharfer Silhouetten, in der sorgfältigen Harmonie zwischen Strauß und Gefäß, die sich auf eine Übereinstimmung in der Linie sowie in der Farbe erstrecken muß, und in der Vermeidung jeder gleichmäßigen oder langweiligen Anordnung der Blumen, die leicht, graziös und originell zusammengestellt sein müssen.

Abb. 15. Zwei sehr jugendliche Mädchen vom Satsumatypus.

Die Japaner sind stets heiteren Charakters, und diese ihre Fröhlichkeit kommt unter anderem auch in ihren zahlreichen Festen und anmutigen Tänzen (siehe die Kunstbeilage) zum Ausdruck. Am bekanntesten sind das Kirschblütenfest und das Chrysanthemumfest; bei beiden herrscht große Lustigkeit. Beim Einsetzen der Kirschblüte strömen Tausende und aber Tausende hinaus, um sich an der Blütenpracht zu erfreuen und sich dem lustigen Spiel des Dichtens hinzugeben; man verfertigt kleine Gedichtchen, schreibt sie auf Zettel und hängt sie an den Zweigen auf. Beim Chrysanthemumfest finden großartige Ausstellungen dieser Pflanze, deren Kultur sich die Japaner besonders angelegen sein lassen, statt, und lebensgroße Figuren werden aus den Topfpflanzen in wirksamer Anordnung zusammengestellt. Im Herbst, wenn die Ernte gelungen ist, feiern die Bauern das Strohpuppenfest gleichsam als Erntedankfest für die Götter. Sie tanzen dabei unter Singen und Begleitung von Trommel und Flöte im Kreise umher. Die Tänzer sind mit einer eigenartigen Kopfmaske bekleidet, die einer Garbe gleicht, wie sie auf dem Felde aus Reishalmen, mit nach unten gerichtetem Fruchtständer, aufgestellt werden (siehe die Kunstbeilage). Sehr beliebt sind auch die Onotänze, eine Art dramatischer Aufführungen aus alter Zeit in jetzt schwer verständlicher, wenn auch schöner Sprache, bei der die Vorführenden besonders prächtig gekleidet sind (Abb. 27 und 28).

Bevor abendländische Ideen in Japan Eingang fanden, herrschte hier ein streng ausgesprochenes Kastenwesen. An der Spitze stand der Hochadel, dessen verschiedene Familien sich wieder im Range abstuften und aus deren vornehmsten der Mikado sich seine ebenbürtige Gattin holte. Den zweiten Stand bildeten die Krieger, deren wichtigste Klasse die Samurai (Abb. 29), die Ritterschaft, waren. Sie standen als Vasallen unter den Schogunen und Daimyo und hatten das Recht, das Schwert zu tragen. Traditionell und in hohem Grade entwickelt war bei ihnen der Ehrbegriff, das Bushido, unter dessen Einfluß die Ritter, sofern sie die Reinheit ihrer Ehre für angetastet hielten und keine Vergeltung üben konnten, Harakiri vornahmen, das heißt sich durch Aufschlitzen des Bauches selbst entleibten.

Phot. Yei Ozaki.

Abb. 16. Wie man im Innern von Japan reist.

Man wird von zwei Leuten auf deren Schultern in einem „Kago“ getragen. Die Träger sind mit einer blauen, mit weißen oder roten Mustern bestickten Livree bekleidet. Sie laufen am Tage dreißig bis vierzig Kilometer.

Die Nationalreligion der Japaner ist der Shintoismus (Abb. 21 und 24), „der Pfad der (einheimischen) Götter“, ein Name, der diesen Kultus von dem im sechsten Jahrhundert nach Christus eingeführten Buddhismus (Butsu-do = „Weg des Buddha“) unterscheiden soll. Infolge der anderthalbtausend Jahre, während deren der Buddhismus (Abb. 23) mit dieser primitiven Naturreligion zusammen ausgeübt wird, hat er manches von dieser angenommen. Die Hunderte von Gottheiten umfassende Götterwelt des Shinto kannte nicht nur die Naturgötter der Bäume, Felsen, Berge, des Windes, des Meeres, der Sonne, des Mondes, des Donners und Feuers, sondern auch solche Gottheiten, die um das Wohl des Hausstandes besorgt sind, wie einen Gott des Brunnens, des großen Kessels, der Badestube und sogar der Bratpfanne; auch berühmte Helden und Vorfahren wurden in diese Götterwelt versetzt. Man nimmt an, daß der Shintoismus sich selbständig aus dem japanischen Gedanken entwickelt hat, den die Vorfahren bereits nach dem Insellande mitbrachten, und daß der Ahnenkultus, der jetzt seinen Grundzug vorstellt, aus den alten Begräbnisgebräuchen hervorgegangen ist. Nach der Shintolehre formten zwei hohe Wesen, Izanagi und Izanami, die japanischen Inseln und erzeugten eine Anzahl himmlischer und irdischer Gottheiten, deren bedeutendste die Sonnengöttin Amaterasu war. Einer ihrer Nachkommen wurde der erste Mikado, daher sind alle japanischen Kaiser göttlicher Abstammung und gleichzeitig Hohepriester des Volkes. Der Shintoismus hat niemals ein festes Glaubensbekenntnis formuliert, noch bestimmte Gebote aufgestellt. Er lehrte nur, daß der Mensch mit der Erkenntnis dessen, was gut und böse ist, im Herzen geboren werde und daß er, wenn er der Eingebung dieses seines himmlischen Gewissens folge, von dem „Pfad der Götter“ niemals abweichen könne. Er predigte auch den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele, ein Fortleben nach dem Tode in einer unsichtbaren Welt. Er unterscheidet sich ferner von anderen Glaubensbekenntnissen des Ostens durch die hohe Stellung, die er der Frau einräumt. Die in Ise, dem Hauptverehrungsorte, angebeteten Gottheiten sind weiblich, die Göttin der Sonne und die der Nahrung, und ein jeder Ortstempel hält sich jungfräuliche Priesterinnen, die zu Ehren der Gottheit tanzen (Abb. 25). Erst durch die Einführung des Konfuzianismus und Buddhismus ist die Stellung der Frau herabgesetzt worden.

Phot. Gebr. Haeckel.

Abb. 17. Junge Japanerin im Arbeitskostüm.

Phot. Gebr. Haeckel.

Abb. 18. Rauchende Japanerin.

Der Shintoismus kannte ursprünglich keine Tempel; diese sind erst ungefähr seit Beginn unserer Zeitrechnung aufgekommen und zählen jetzt zu Hunderttausenden. Es sind einfache Gebäude aus glattem weißem Holz, das notdürftig durch Bronze und Eisen zusammengehalten wird, mit einem Strohdach gedeckt. Vor ihnen steht ein Torii, ein Galgentor, das aus zwei Pfosten, die von einem dritten Balken überdeckt werden, besteht.

Phot. Underwood & Underwood.

Abb. 19. Japaner beim Essen.

Der Shintoismus ist voll von phallischen Vorstellungen; unter seinem Schutze konnte sich daher die Verehrung des männlichen Zeugungsgliedes ausgedehnter Verbreitung erfreuen. Man stellte Nachbildungen von ihm (Phalli) als Wahrzeichen ursprünglich an Wegen auf, die durch Wildnisse führten, und hoffte dadurch einem Unglück vorzubeugen, besonders gegen die bösen Geister den Wanderer zu schützen. Früher begegnete man in Japan ganz allgemein, jetzt noch vielfach in abgelegenen Gegenden der Nachbildung des männlichen Gliedes in Gestalt von hölzernen oder steinernen Phalli auf Landwegen, besonders an Kreuzungen, vor Brücken und Paßübergängen, an Wohnhäusern als Schutzgott für Reisende und die Bewohner; die Vorübergehenden brachten ihnen Opfer von Papierschnitzeln, Kleiderfetzen, Blumen und so weiter dar. Ja schon einfache Naturgebilde, wie Baumwurzeln, aufrechte Steine, die Ähnlichkeit mit einem männlichen Gliede hatten, genossen die gleiche Anbetung von seiten der Shintoanhänger. Man begnügte sich schon damit, die eigenen Geschlechtsteile zu entblößen oder die phallischen Zeichen an das Haus oder an den zu behütenden Gegenstand zu malen, um das Unheil der bösen Geister abzuwehren. Ursprünglich besaßen die phallischen Gottheiten der Japaner keine Tempel; man verehrte sie im Freien, teils offen dastehend, teils mit einem Schirmdach versehen. Das Volk wallfahrte zu ihnen und verrichtete hier seine Andacht. In neuerer Zeit flüchtete sich der Phalluskultus vor der Öffentlichkeit mehr in geschlossene Heiligtümer. In ihnen finden sich glänzendrot oder goldfarbig angestrichene Nachbildungen des Gliedes auf den Altären aufgestellt. Ihnen werden von den Frauen, die sich einen Gatten oder Kinder wünschen, oder von Personen, die von Geschlechtskrankheiten befreit sein wollen, Votivgaben in Gestalt kleiner hölzerner, bronzener oder steinerner Nachbildungen von Phalli dargebracht. Auch werden von den Altären solche Phalli von Kranken ausgeliehen, um als Amulett getragen zu werden. Nach erlangter Genesung bringen die Betreffenden sie wieder zurück und stiften einen neuen Phallus aus Dankbarkeit. Auch zu Geschenken, besonders zu Liebesamuletten, werden allerlei phallische Schnitzereien benutzt. Früher veranstaltete man auch Prozessionen, bei denen ein mächtiger Phallus umhergetragen oder auf einem Wagen mitgeführt wurde. — Neben dem männlichen Gliede war in Japan auch die weibliche Scham vielfach Gegenstand göttlicher Verehrung. Häufig waren es auch hier wieder natürliche Steingebilde, die Ähnlichkeit mit einem weiblichen Geschlechtsteil aufweisen und vom Volke angebetet wurden, in der Hoffnung, durch sie dasselbe zu erlangen wie durch Anbetung des Phallusgottes.

Der gebildete Japaner bekennt sich zur Lehre des Konfuzius, die ungefähr um dieselbe Zeit wie die Buddhas in Japan Eingang fand. Sie stimmt mit dem Shintoismus insofern überein, als auch sie predigt, daß das Wesen des Menschen ursprünglich ein vollkommenes sei, und die Wichtigkeit kindlicher Pietät und der Unterwerfung unter die Obrigkeit ihren Anhängern einschärft, weswegen sie auch gut zum japanischen Lehnsystem paßt und gerade bei den militärischen Klassen ihre Bekenner gefunden hat. Dagegen sind die religiösen Übungen, die im Kaiserpalast abgehalten werden, reiner Shintoismus; der oberste Leiter des Reiches ist auch sein oberster Priester. Der Neujahrstag ist der Hauptfeiertag; dann betet der Kaiser mit allen Prinzen und Beamten die Sonnengöttin an und bringt den Geistern seiner Vorfahren Opfer dar; er richtet seine Gebete gegen die vier Himmelsrichtungen hin für den Frieden und das Wohl seiner Untertanen. Außer dem Neujahrsfest kennt der Japaner noch eine ganze Reihe festlicher Tage, an denen Umzüge und Volksbelustigungen stattfinden (Abb. 26, 30 bis 33, 37 und die farbige Kunstbeilage). Um eine Gottheit zur Erfüllung eines Wunsches gleichsam zu zwingen, geht er viele Male um ihren Tempel herum (Abb. 38).

Der japanische Buddhismus, das Mahayana oder „größere Fahrzeug“, unterscheidet sich von dem indischen Buddhismus, dem Hinayana oder „kleineren Fahrzeug“, ganz bedeutend. Während letzterer, die ältere, einfachere Lehre, sich darauf beschränkt, die Gläubigen durch Entsagen von allem Weltlichen zu der Stufe eines Arhat hinaufzuführen und von zahlreichen Wiedergeburten absieht, legt ersterer gerade auf eine Unendlichkeit von ihnen Gewicht, vermöge deren es einem Menschen möglich gemacht wird, über die Stufe eines Arhat hinaus zum Bodhisatwa hinanzukommen, der in seiner nächsten Wiedergeburt dann Buddha selbst wird. Zahlreiche Tempel und Klöster finden sich in Japan, in denen eine Unmasse Götter von den einfachsten Stufen des Arhat bis zu den Bodhisatwa und zum Buddha selbst dargestellt sind. Zahlreiche Sekten, sowohl des Shintoismus wie des Buddhismus, haben sich im Laufe der Zeiten gebildet und auch ihre Anhänger gefunden. Die japanische Regierung übt nämlich die weitgehendste Toleranz auf dem Gebiete der Religionsübung aus.

Der Aberglaube treibt in Japan so viele Blüten wie wohl bei keinem Volke der Erde. Wollte man die Unmasse von Legenden und Gebräuchen aufzählen, die mit dem Aberglauben des japanischen Volkes zusammenhängen, dann würde dies ganze Bände füllen. Tierkunde und animistische Philosophie spielen eine große Rolle darin. Von gewissen Tieren glaubt man, daß sie die Boten bestimmter Götter seien, weswegen man ihnen kein Leid antut und beim Landvolke direkt mit Achtung begegnet. So zum Beispiel gibt der Schiffer, wenn er eine Schildkröte findet, die dem Gott des Meeres heilig ist, ihr zuvor Sake zu trinken, ehe er sie wieder freiläßt.

Phot. Yei Ozaki.

Abb. 20. Tatauierter Japaner beim Saketrinken.

Tatauieren ist bei den unteren Schichten Japans sehr verbreitet; besonders sind es die Kuli, die sich diese Körperverzierung anbringen lassen. Die Verzierungen gleichen meist denen eines Gewandes. Die japanischen Tatauierer gelten als die geschicktesten der Erde.


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Besonders an den Fuchs knüpft sich eine Unmenge von Aberglauben und Sagen. Diese Vorstellungen scheinen von der ursprünglichen Annahme ausgegangen zu sein, daß Füchse, die in den Reisfeldern gesehen werden, den Reisgeist verkörpern. Allmählich verband sich dieser Aberglaube mit der Verehrung der Shintogöttin des Überflusses zu Ise, und so kommt es, daß heutzutage viele Leute aus dem Volke irrtümlicherweise den Fuchs anbeten, dem sie alle möglichen übernatürlichen Fähigkeiten zuschreiben. Im Winter werden ihm besonders Opfergaben gespendet; man bringt ihm außer seinen Lieblingsleckerbissen noch Fettkerzen und Seidenwatte dar, damit er sich erwärme. Ein weitverbreiteter Aberglaube ist, daß er sich in die Gestalt einer schönen Frau verwandeln könne, um junge Männer zu bezaubern und zu verführen; der Tod ist für diese stets der Ausgang des Liebesabenteuers. Daher gilt der Fuchs auch in gewissem Sinne als Schutzpatron der Teehäuser. Man meint auch, daß ein solcher verwandelter Fuchs eine große Freude daran verspüre, verspätete Wanderer auf falsche Wege oder in Gefahr zu bringen, sowie daß er imstande wäre, den Leuten Visionen von Häusern und Dienern vorzuzaubern und Prozessionen in dünne Luft aufgehen zu lassen. Man erzählt sich Geschichten von Männern, die jahrelang mit verwandelten Füchsen verheiratet waren, ohne dies zu wissen, und daß die Fuchsfrau so lange die Rolle einer liebenden und treuen Gattin spielte, bis sie durch die Geisteraustreibung eines Priesters gezwungen wurde, ihre richtige Gestalt wieder anzunehmen, oder durch den Angriff von Hunden entlarvt wurde, die imstande sind, solche verwandelte Füchse zu unterscheiden. — Der Dachs spielt im japanischen Aberglauben ebenfalls eine wichtige Rolle; er steht hier im Geruche eines listigen Betrügers, der gern auf Kosten des Landvolkes Possen und Schabernack spielt. Den Pferden schneidet er die Schwänze ab, macht, daß man bei der Bezahlung falsches Geld weiter gibt, läßt Fische aus der Bratpfanne verschwinden, Pferde aus verschlossenen Ställen entlaufen und anderes mehr. Der Dachs soll sogar Priester täuschen, indem er vor ihnen die Gestalt Buddhas entstehen läßt und sich in einen Mönch verwandelt, um mit ihnen die heiligen Bücher durchzustudieren. — Von alters her glauben die Japaner auch an die Macht zum Guten beim Hunde. Dieses Tier gilt als besonderer Beschützer der Frauen, kleinen Kinder und Häuser; das Zeichen für Hund wurde den Kindern mit roter Farbe auf die Stirn geschrieben, und heutigentags werden Hundebildnisse dem Kinde, wenn es sich im Tempel vorstellt, mitgegeben. Der Kaiser hielt sich eine besondere Leibwache, deren Pflicht es war, zu bestimmten Zeiten wie Hunde zu bellen, um böse Einflüsse und Teufel zu vertreiben. Schließlich sei noch der Katze gedacht, an die sich ebenfalls allerhand unheimliche Geschichten knüpfen. Von solchen Tieren mit langem Schwanz glaubt man, daß sie im Alter Kobolde werden, weswegen man jungen Kätzchen, die mit einem langen Schwanz zur Welt kommen, diesen kürzt. Der Katzenkobold soll den Menschen stillstehende Spinnräder drehen, ihnen im Schlafe die Decken entfernen, auf dem Fußboden und auf den Dächern nachts unheimliche Lichter tanzen lassen und manchmal sogar zu einem Vampyr werden, in diesem Falle alte Frauen anfallen, sie verschlingen und ihre Gestalt annehmen.

Abb. 21. Japanischer Shintopriester.

Auch alte Bäume sind vielfach von Aberglauben umgeben. Man umzäumt sie oft mit geweihten Strohseilen oder den weißen Papierstreifen des Shinto und stellt winzige Torii und Stein- oder Holzschreine an ihrer Wurzel auf, beziehungsweise legt solche in die Höhlung ihres Stammes. Solche alte ehrwürdige Bäume denkt man sich von Geistern bewohnt und meint, daß die Geister der Pflaumen-, Kirsch- und Weidenbäume die Gestalt lieblicher junger Frauen annähmen. Es gibt hierüber mancherlei Legenden, daß solche weibliche Wesen sich mit guten und heldenhaften Männern ehelich verbunden hätten, auch daß die Baumgeister, weil man ihnen Generationen hindurch Pflege angedeihen ließe, den Schutz über die Familie übernähmen, ihre Mitglieder vor Unheil warnten und ihnen verborgene Schätze offenbarten. Auch einigen Blumen, wie der Päonie, der Lotusblume und der Chrysantheme, spricht man Geister zu. Werden sie von einer Stelle, die ihnen lieb geworden ist, entfernt, dann welken sie und gehen ein; anderseits erweisen sie sich für liebevolle Pflege auch erkenntlich. So erzählt man sich, daß ein Päoniengeist einem alten Gelehrten, der die Pflanze mit großer Geduld und Sorgfalt gepflegt hatte, in seiner Einsamkeit als blühendes junges Mädchen erschienen sei, um ihn aufzuheitern.

Abb. 22. Geishas bei der Toilette.

Gespenster, die den Gegenstand vieler Erzählungen bilden, werden meistens als Wesen mit wirren und lose über die abgemagerten Gesichter fallenden Haaren, von durchsichtigem Körper, dessen unterer Teil wie ein Dunst ohne Füße entlang ziehe, geschildert. Allgemein glaubt man, daß die Geister der Verstorbenen aus dem Grabe zurückkehren, um die Angehörigen entweder zu trösten und ihnen Gutes zu erweisen, oder auch die, die ihnen bei Lebzeiten Unrecht zugefügt hatten, zu bestrafen. Man meint sogar, daß allzu starke Liebe oder Haß imstande seien, zu bewirken, daß der Geist eines lebenden Menschen sich vom Körper loslöse, um sich dem Gegenstand seiner Liebe oder seines Hasses zu nahen.

Auch das tägliche Leben des Japaners ist von unzähligen abergläubischen Gebräuchen durchsetzt. Ebenso wird den Vorbedeutungen ein großer Wert beigelegt und bestimmte Handlungen, wie Hochzeit, Umzug, Reise nicht unternommen, ohne einen Wahrsager vorher um Rat gefragt zu haben. Ganz besonders aber herrscht der Aberglaube auf dem Gebiete der Heilkunde. Unsere Abbildung 34 zeigt eine alte Japanerin, die sich vom Rheumatismus zu heilen sucht, indem sie den bronzenen Stier an der Stelle streicht, an der in ihrem eigenen Körper das Leiden sitzt. Von Kind auf ist ihr diese Heilmethode vertraut. Das bronzene Standbild ist ganz blank von dem jahrhundertelangen Darüberstreichen der Hände.

Phot. Yei Ozaki.

Abb. 23. Buddhistischer Priester.

Die japanische Form des Buddhismus unterscheidet sich wesentlich von der indischen. Gelehrte fanden bemerkenswerte Ähnlichkeiten ihres Ursprungs und ihrer frühen Geschichte mit dem Christentum.

Abergläubische Furcht setzt auch bereits bei dem werdenden Menschen im Mutterleibe ein. Eine Frau, die gern Kinder haben möchte, muß an der Stelle niederknien, wo eben vorher ein Kind geboren wurde. Um sich ihre schwere Stunde zu erleichtern, darf sie über keinen Bambusbesen schreiten, ebensowenig auf Eierschalen treten, die Kochpfanne, aus der man ihr zu essen gegeben hat, nicht abwaschen, sondern muß sie halb mit Wasser gefüllt stehen lassen, auch muß sie eine Kormoranfeder in den Händen halten, ein Stückchen Papier mit der Abbildung des Schutzpatrons der Gebärenden verschlucken, einen Absud von ungeborenen Hirschkälbern trinken und anderes mehr. Früher scheinen die Schwangeren allgemein in besonderen Hütten niedergekommen zu sein, was noch heute auf einzelnen kleinen Inseln üblich ist. Die Geburtshilfe lag vordem und jetzt noch auf dem Lande in den Händen weiser Frauen (Samba-san, das heißt verarmtes Frauenzimmer oder Toriage-baba, das heißt aufhebendes Mädchen genannt), die zur Beschleunigung der Geburt den Unterleib zu kneten (ambuk) pflegten. Der Nabelstrang, der niemals mit einem eisernen Messer abgeschnitten werden darf, sondern nur mit einem Bambusspan, einem Dornen oder Porzellanscherben, wobei siebenmal auf ihn gehaucht werden muß, wird in mehrere Bogen Papier eingewickelt, mit dem Namen der Eltern versehen und dem Familienarchiv übergeben. Stirbt das Kind, dann wird er mitbegraben, erreicht es das erwachsene Alter, dann bekommt es den Nabelstrang zurück und trägt ihn beständig bei sich. In wohlhabenderen Kreisen schneidet man ihn in zwölf Stücke und legt jedes Stückchen in ein aus Zedernholz angefertigtes, mit Kranichen, Schildkröten, Bambus, das heißt mit lauter glückbringenden Dingen bemaltes Tönnchen und vergräbt dieses zusammen mit Reis, Hanf, Stroh und Geld im Hofe in der Richtung der in zwölf Teile eingeteilten Windrose. Die Nachgeburt wird ebenfalls unter dem Hause an einer vom Priester näher bezeichneten Stelle tief vergraben, und zwar die von Knaben zusammen mit einem Schreibpinsel und einem Stückchen Tusche, von einem Mädchen mit einer Nadel und etwas Garn. Am Nabel des Neugeborenen wird eine sogenannte Moxe (Zunder) abgebrannt, was Bauchweh im späteren Leben verhüten soll.

Phot. Yei Ozaki.

Abb. 24. Einsegnung einer Feuerwehrstandarte durch einen Shintopriester,

die nach Neujahr zur Schau gestellt wird. Den Feuerwehrleuten ist ihre Standarte das, was den Soldaten ihre Fahne bedeutet.

Bei der großen Liebe, mit der die Japaner an Kindern hängen, wird die Geburt eines neuen Erdenbürgers mit Freuden begrüßt; besonders die eines männlichen Nachkommen, was schon in dem Sprichwort zum Ausdruck kommt: „Der Glanz des Mannes ist siebenfacher Glanz.“ Verwandte und Freunde eilen auf die Nachricht hin mit Gratulationsgaben herbei; sie schenken Eier, Obst, Kuchen und getrockneten Fisch, auch Krepp, Seide oder Kattun für das Kindchen.

Der wichtigste Tag im Leben des japanischen Kindes ist der Muja-Mairi, das ist der „Tag des Tempelbesuches“ (der einunddreißigste für die Knaben und der dreiunddreißigste für die Mädchen), an dem es aufs kostbarste geschmückt feierlich zum Altar des Schutzgottes der Gegend getragen und unter den Schirm desselben gestellt wird (Abb. 35). Innig betet hier die Mutter, daß das kleine Leben vor jeglichem Schaden und Krankheit bewahrt bleiben möge, und der Priester überreicht dem Kinde in liebevoller Weise ein Amulett in Gestalt einer kleinen Holztafel, die es fortan immer in einem gestickten Täschchen oder einem solchen aus Brokat um die Taille mit sich trägt. An diesem glückbringenden Tage werden rote Bohnen mit Reis gekocht und in Lackkästchen mit Deckeln (Jubako), die man hierfür besonders herstellt, getan; man schickt diese, mit besticktem Krepp oder Brokat bedeckt, an alle Verwandten und Freunde, die dem Kinde bei der Geburt Geschenke machten. Außerdem wird dieses ihnen zum erstenmal zu Besuch gebracht und erhält hier allerlei Spielzeug, von dem am beliebtesten ein Hund aus Papiermaché ist; dieser soll, am Kopfende des Bettes aufgestellt, die Teufel vertreiben. Ein zweites Fest, das ungefähr am hundertundneunten Tage nach der Geburt stattfindet, ist die Zeremonie des „ersten Essens“ des Kindes. In Anwesenheit der Freunde der Familie wird vor ihm ein Tablettchen mit Reis, Suppe und Fisch (der aber ganz sein und noch den Kopf haben muß) hingesetzt und seine Lippen mit dieser Speise befeuchtet. Auch hieran schließt sich ein fröhliches Zusammensein. Überhaupt hat das Leben des japanischen Kindes recht viele Festtage zu verzeichnen.

Phot. Yei Ozaki.

Abb. 25. Kaguratanz, ausgeführt von Tempelmädchen.

Phot. Yei Ozaki.

Abb. 26. Szene aus dem Gionfest zu Kyoto.

Einer der dreiundzwanzig mächtigen Dashi oder Wagen, die aufs prächtigste geschmückt durch die Straßen gefahren werden. Sie tragen die Bildnisse chinesischer Philosophen, berühmter Männer der Wissenschaft, Darstellungen des Mondes und anderes mehr.


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Da kommen zunächst die Oiwaifeste, an denen die kleinen Leute von drei (Abb. 36), fünf und sieben Jahren in eine neue Lebensphase eintreten, womit die Zeremonie der „Gurtentfernung“, des „Hakamatragens“ und der „Haarerhaltung“ verbunden ist. Das erstgenannte Fest hat seinen Namen davon erhalten, daß die Kinder beiderlei Geschlechtes den schmalen, bandartigen Gurt, an denen ihre Kleider hängen, fortan ablegen und dafür den Obi der Erwachsenen erhalten; das zweite Fest betrifft die Knaben allein, die zum erstenmal Hakama tragen, und das dritte bezieht sich darauf, daß von diesem Zeitpunkt an die Kinder, denen vordem der Kopf rasiert wurde, um einen möglichst starken Haarwuchs zu erzielen, ihr Kopfhaar lang wachsen lassen. Jedesmal, wenn die Kinder eine der bezeichneten Altersstufen erreichen, werden sie zum Altar ihrer Beschützer gebracht, um diesen davon Kenntnis zu geben.

Phot. Gebr. Haeckel.

Abb. 27. Onotänzerin.

Die wichtigsten Feste im Leben des japanischen Kindes, die sich einer ungemeinen Popularität bei alt und jung, sowie bei reich und arm erfreuen, sind das Puppenfest (Hina matsuri) und das Knabenfest (Tango-no-sekku); beide werden an bestimmten Tagen gefeiert. Das Puppenfest, das auf den dritten Tag des dritten Monats fällt, wird besonders in den Häusern der Vornehmen großartig begangen. Es spielen bei ihm, wie der Name besagt, Puppen eine große Rolle, aber nicht die alltäglichen Puppen, jene bekannten, aus Holz oder Ton angefertigten, einander sich ähnelnden Geschöpfe mit kahlem Schädel oder Haarschopf und buntem Kimono, mit denen zu spielen zu der Lieblingsbeschäftigung der kleinen Mädchen gehört, sondern es sind dies kostbare, von Generation auf Generation überkommene Erbstücke in prächtigen Gewändern, auf deren Herstellung wirkliche Künstler ihre ganze Geschicklichkeit verschwendet haben. Es gibt deren wohl in jedem Haushalte eine mehr oder minder große Anzahl, die an diesem festlichen Tage aus den Truhen hervorgeholt und für drei Tage in dem vornehmsten Zimmer des Hauses auf einen aus fünf bis sechs Stufen bestehenden, mit purpurrotem Krepp überzogenen Aufbau zur Schau gestellt werden. Auf dem obersten Brett sitzen der Kaiser und die Kaiserin in alter Hoftracht (Abb. 40), zu ihren Seiten die Minister; auf der zweiten Stufe stehen drei Hofdamen, die das Amt der Erzmundschenkinnen ausüben und daher neben sich Gefäße und Geräte zum Darreichen des Reisweines haben; dann folgen weiter unten die Hofmusikanten und andere Hofschranzen. Außerdem finden noch hervorragende Personen der japanischen Götter- und Heldenlehre Aufstellung, und schließlich allerhand kunstvoll aus Lack angefertigte Haus-, Küchen- und Toilettengegenstände, wie sie der Kaiserhof zum täglichen Leben nötig hat, in Miniaturausgabe. Da natürlich die fürstlichen Gäste auch bewirtet werden müssen, so stehen auf der untersten Stufe des Gestelles noch die erforderlichen Eß- und Trinkgefäße mit Wein und Kuchen aufgebaut; alle diese Gegenstände werden den Kleinen von ihren Verwandten und Freunden geschenkt und stellen mitunter recht kostbare Sachen dar. Je vornehmer die Familie, um so großartiger fällt die Ausstellung an Puppen aus. Die kleinen Mädchen stehen den ganzen Tag über bewundernd vor ihren Schätzen und laden ihre Freundinnen ein, damit diese auch Freude an dieser Pracht haben. Dabei spielen sie vorzüglich die Rolle der Gastgeberin, bewillkommnen die Freundinnen unter vielen zeremoniellen Verbeugungen und reichen ihnen allerhand Leckerbissen dar. Ärmere Leute begnügen sich mit einfachen, aus Papier geschnittenen oder auch auf ein Hängebild (Kakemono) aufgemalten Puppen. Heiratet die Tochter, so gehen die Puppen in ihren Besitz über und werden später wieder einmal auf ihre weiblichen Nachkommen vererbt.

Phot. K. Satamoto.

Strohpuppentanz in Japan.

Nach eingebrachter Ernte führen die Landleute einen Tanz auf, bei dem sie als Kopfputz eine Maske wie eine Reisgarbe tragen.


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Strohpuppentanz in Japan; linker Teil

Strohpuppentanz in Japan; rechter Teil

Phot. K. Satamoto.

Abb. 28. Onotänzer in reich gestickter Kleidung.

Das Puppenfest scheint aus einem alten shintoistischen Reinigungsfeste, das am 3. März, am Liomi, dem ersten Tage des Schlangenmonats, stattfand, hervorgegangen zu sein. Seine Bedeutung bestand darin, daß die Familienmitglieder sich an das Flußufer begaben, sich mit einem Stückchen Papier, dem der Priester durch Ausschneiden die rohe Form einer menschlichen Figur gegeben hatte, den Körper abrieben und damit ihre Sünden auf diese übertrugen; die Knaben warfen ihre Papierpuppen in den Fluß, die Mädchen aber bewahrten sie auf. Letztere scheinen späterhin eine plastische Form angenommen und sich zu den sogenannten „Himmelssöhnen“ entwickelt zu haben, das sind Puppen, die nach altem Volksglauben alles Unglück, das einer Frau während ihres Lebens, besonders auch in ihrer Ehe, zustoßen könnte, freiwillig auf sich nehmen. Ursprünglich stellten die beiden obersten Puppen überhaupt nur ein Ehepaar vor, um dadurch den jungen, in Abgeschlossenheit lebenden jungen Mädchen den Begriff der Ehe und Familie bildlich vor Augen zu führen, später aber erblickte man in diesen beiden das Kaiserpaar und pflanzte dadurch in das junge Mädchenherz frühzeitig die Liebe zum Herrscherhause ein.

Das Fest der Knaben wird am fünften Tage des fünften Monats gefeiert. Zu diesem Zeitpunkte sieht man neben jedem Hause, in dem ein Knabe im Laufe des vergangenen Jahres das Licht der Welt erblickte, eine mächtige Bambusstange, die mit vergoldeten Bällen und bunten Wimpeln geschmückt ist und an ihrem äußersten Ende einen oder mehrere mächtige Papier- oder Baumwollkarpfen (Abb. 39), die in Schwarz, Scharlachrot und Gelb recht realistisch angemalt sind, trägt. Wenn der Wind in die durch einen Ring offengehaltenen Mäuler dieser hohlen Fische hineinfährt, bläst er das Tier mächtig auf und setzt es in drehende Bewegung. Da an dem Knabenfeste Tausende und aber Tausende von bunten Karpfen über der Stadt flattern, so gleicht sie sozusagen einem Riesenaquarium. Daß man gerade dieses Tier als Festzeichen auswählte, hängt mit der volkstümlichen Auffassung des Karpfen als Symbol der Energie, des Mutes und der Standhaftigkeit zusammen. Man will damit andeuten, daß der Knabe in derselben Weise den Strom der Leidenschaften überwinden möge, wie der Karpfen imstande ist, nicht nur gegen den Strom zu schwimmen, sondern auch Wasserfälle zu überspringen, dank seiner großen Energie. Das Innere der Häuser wird mit Flaggen, auf denen sich die Helden der Götterlehre und der Geschichte dargestellt finden, sowie mit anderweitigen Bannern, Feldzeichen, Miniaturspeeren und Lanzen geschmückt, um dadurch in den Knaben bereits frühzeitig kriegerischen Sinn und Liebe zum Vaterlande zu erwecken. Auch die Knaben laden sich gegenseitig zu diesem ihrem Ehrentage ein und bewirten sich mit Leckerbissen. Außerdem flechten sie sich aus Kalmus Schwerter, mit denen sie in fröhlichem Spiel auf die Erde schlagen und dabei „zurück! du Teufelsauge“ ausrufen. Kalmus- und ebenso Beifußblätter gelten nämlich als Schutzmittel gegen allerhand schädliche Tiere und werden daher bei dem Knabenfeste auch in Bündeln am Vordache der Häuser aufgehängt.

Abb. 29. Japanischer Schauspieler in der Tracht eines Samurai.

Phot. Yei Ozaki.

Abb. 30. Tempelfest in Japan,

das einem Karneval gleichkommt. Der ganze Bezirk geht aus, um den Umzug des Gotteswagens zu feiern. Frauen und Töchter der Kaufleute sind prächtig in altertümlichem Stil gekleidet und beteiligen sich an der Prozession.


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Schon frühzeitig werden die japanischen Kinder in die Volksschule gebracht; der hier ihnen erteilte Unterricht erstreckt sich auf einen mindestens vierjährigen Kursus im Lesen, Rechnen (Rechenmaschine, Abb. 42), Satzlehre, Turnen und Sittenlehre. Besonderer Wert wird darauf gelegt, daß die Kleinen in die japanische Sittenlehre eingeführt werden, die in der Pflicht unbedingten Gehorsams gegen die Eltern gipfelt. Jeden Morgen haben die Kinder ihre Eltern in ehrfurchtvollster Weise zu begrüßen, indem sie vor ihnen ernst und würdig in knieender Stellung ihren Oberkörper und Kopf verbeugen und sich dabei mit ausgestreckten Händen auf die darunter liegende Matte stützen (Abb. 11). Außerdem haben sie ihren Eltern nach jeder Richtung hin bei ihren Arbeiten hilfreiche Hand zu leisten, so die Knaben im Geschäft, Rechnen und Schreiben, die Mädchen im Haushalte. Außerdem wird den Kindern frühzeitig eingeschärft, sich bei allen Seelenerregungen möglichst zu beherrschen, also äußerlich jedes Gefühl von Freude oder Schmerz zu unterdrücken. Zur Kräftigung ihres Körpers und zur Erlangung großer Geschmeidigkeit werden sie bereits sehr frühzeitig zu allerhand Leibesübungen herangezogen (Abb. 43). Der zweite Grundsatz der japanischen Morallehre bezweckt die Pflege der Treue gegen den Kaiser, der schon bei Lebzeiten göttliche Verehrung genießt, und gegen das Reich, wie überhaupt gegen jedweden Vorgesetzten. Diese unbedingte Gehorsamspflicht gegen höher Stehende führt zu merkwürdigen Konsequenzen. Die eine davon ist, daß die Tochter verarmter Leute zur öffentlichen Dirne wird, um durch das dabei verdiente Geld ihre Eltern vor der Schande vollständigen materiellen Unterganges zu bewahren. Die andere Folge äußert sich in der unbedingten Unterordnung des Mädchens unter den Willen seiner Eltern bei der Wahl des Gatten.

Phot. Yei Ozaki.

Abb. 31. Szene vom Setsubunfest,

das im Frühling (ungefähr am 2. Februar) gefeiert wird. Nach alter Sitte geht ein mit einem Hakama bekleideter Mann durch das Haus, ruft aus: „Teufel raus! Alles Gute zieh’ hinein!“ und streut getrocknete Erbsen nach allen vier Himmelsrichtungen aus.

Phot. Clark & Hyde.

Abb. 32. Japanischer Ringkampf.

Die japanischen Ringer sind große, äußerst muskulöse Männer. Junge kräftige Burschen vom Lande werden ausgesucht und zu Ringkämpfern ausgebildet. Der Ringkampf hat meist zum Ziel, den Gegner aus einem Kreis von etwa fünf Meter Durchmesser hinauszudrängen.

Mit Erl. von G. Newns Ltd.

Abb. 33. Szene vom Omitafest in Isobe,

das alljährlich von den jungen Leuten auf den Reisfeldern gefeiert wird. Man kämpft um eine geschmückte lange Bambusstange.

Sobald der älteste Sohn in einer Familie das heiratsfähige Alter erreicht hat, sieht sich sein Vater unter den Töchtern seiner Freunde nach einer passenden Lebensgefährtin um, und zwar bedient er sich hierzu eines Vermittlers. Dieser schlägt ihm dieses oder jenes junge Mädchen vor und veranlaßt, wenn eine Partei ihm geeignet erscheint, einen Mi-ai, das heißt eine „Sehbegegnung“ entweder im Hause der Eltern oder in einem Blumengarten, einem Restaurant oder im Theater. An einem solchen Orte, dessen Namen langes Leben, gutes Geschick und Glück versinnbildlicht, finden sich die jungen Leute in Begleitung ihrer Eltern zum ersten Stelldichein ein und lernen sich flüchtig kennen. Sind beide Parteien hiervon befriedigt, dann nehmen die weiteren Verhandlungen einen schnellen Verlauf. Der Vermittler hält jetzt in aller Form um die Hand des Mädchens an. Wird der Heirat zugestimmt, dann kommt es zum gegenseitigen Austausch von Geschenken, die bereits ebenso bindend sind, wie die Hochzeit. Der Bräutigam sendet seidene Kleider, einen Obi, Sake, getrockneten Fisch, Seetang, ein Weidenfaß und Flachsgarn, alles Gegenstände von guter Vorbedeutung; die Braut macht ihrem Bräutigam ebenfalls ein Geschenk; dabei ist es Vorschrift, daß die beiderseitigen Sendboten sich unterwegs treffen. Bevor die Hochzeit festgesetzt wird, wendet man sich noch an einen Wahrsager, damit er den günstigen Termin dazu auswähle.

Phot. Underwood & Underwood.

Abb. 34. Deygutfrau,

die einen bronzenen Bullen an der Körperstelle streicht, an der sie selbst vom Rheumatismus geplagt wird, in dem Glauben, dadurch Heilung zu finden.

Phot. Yei Ozaki.

Abb. 35. Zurschaustellung der Kinder im Alter von einem Monat, drei und fünf Jahren im Tempel durch die Anverwandten, damit der Priester sie segne.

Die japanische Hochzeit ist, da es die erste Pflicht eines jeden Japaners ist, für einen männlichen Nachkommen zu sorgen, der die vorgeschriebene Ahnenverehrung vornehmen kann, keine persönliche Angelegenheit, sondern eine solche der Familie. Wirkliche Liebe spielt dabei selten mit. Bei der Hochzeit geht es sehr zeremoniell zu; je höher die Beteiligten im Range stehen, um so strenger sind die konventionellen Formen und um so großartiger die Zeremonien, die sie begleiten. Drei Tage vor der Hochzeit wird die Aussteuer der Braut in einem Zuge in ihr künftiges Heim getragen (Abb. 41). Die Sitte erfordert, daß die Braut außer den Gegenständen zu ihrem persönlichen Bedarf alles Notwendige mitbringt, um das Heim für sich und den Gatten auszustatten, nämlich Betten (baumwollene Schlafdecken mit Seide und Krepp bezogen), Kommoden zur Aufbewahrung ihrer Kleider, Küchengeräte, Schreibtische, Schränke, Kohlenpfannen, lackierte Tablette, Porzellan und Toilettengegenstände. Ist der Hochzeitstag erschienen, dann stellt sich zunächst die Friseurin ein, sie kämmt das rabenschwarze Haar der Braut zum letztenmal in der gleichen kunstvollen Weise, wie es die jungen Mädchen tragen und schmückt es mit Nadeln aus Bernstein, Schildpatt und Korallen, sowie mit einem kleinen Kamm aus Goldlack, der den ganzen Aufbau krönt. Die Braut kleidet sich darauf in eine wundervolle Hochzeitsrobe (Abb. 46) mit langen Ärmeln, die beinahe bis auf die Erde reichen, in altmodischen Häuslichkeiten legt sie noch eine Hochzeitskapuze an, um ihr Erröten zu verdecken (Abb. 44). Das Brautkleid ist ganz in Weiß gehalten — der Farbe der Trauer —, wodurch der Austritt des Mädchens aus der Familie beziehungsweise Sippe angedeutet werden soll —; dagegen ist die Unterkleidung hellrot. Ehe das Mädchen ihr altes Heim verläßt, verabschiedet sie sich in aller Form von ihren Eltern; in diesem Augenblick überreicht ihr der Vater der Sitte gemäß ein kurzes Schwert (Abb. 45), wodurch er stillschweigend andeuten will, daß sie nicht vergessen soll, es im Notfalle, wenn ihre Ehre auf dem Spiele steht, zu gebrauchen. Von ihren Eltern begleitet, begibt sich die Braut, meistens am Abend, entweder in einer Jinrikscha oder in einer Kutsche, je nach den Geldmitteln der Familie, in ihr zukünftiges Heim. Die Eltern und Verwandten des Bräutigams, alle in knisternde Seide gekleidet, empfangen sie hier am Tore, der Bräutigam erwartet sie in dem Zimmer, wo die Heiratszeremonie stattfinden soll. An dieser dürfen außer dem zu trauenden Paar nur die beiderseitigen Eltern, der Vermittler und seine Frau, sowie zwei Bedienstete teilnehmen. In der Mitte des Zimmers befindet sich der Shima dai, ein weißer Tisch mit drei Beinen, auf dem das Land ewiger Jugend und Glückes dargestellt ist. Unter Kieferbäumen steht das alte Paar Takasago, das wegen seiner ehelichen Treue berühmt geworden ist, ihnen zu Füßen spielen Schildkröten mit langen grünen Schwänzen, deren Lebensspanne zehntausend Jahre beträgt; in der Höhe schweben Kraniche, ebenfalls Sinnbilder langen Lebens und Gedeihens, über einem Nest mit Jungen in den Fichtenbäumen, in deren Schatten Bambus und Pflaumenbäume stehen. Nachdem sich Braut und Bräutigam einander gegenüber gesetzt haben, findet das zeremonielle Trinken des San-san-ku-do („drei-drei-neunmal“) Bechers Sake statt. Dabei werden keine Versprechungen gemacht, keine Gelübde abgelegt, die ganze Zeremonie spielt sich schweigend ab. Zwischen das Paar wird ein viereckiger Ständer aus Lackarbeit gestellt, auf dem übereinander drei verschieden große zierliche Lackschalen für Sake stehen. Der Vermittler reicht zunächst die oberste Schale, mit diesem Stoff gefüllt, dem Bräutigam (Abb. 48), der sie in drei Zügen austrinkt, hierauf reicht er sie, neu gefüllt, der Braut, die sie ebenfalls leert. Dasselbe geschieht mit der mittleren und der unteren Schale. Hiermit ist die Ehe geschlossen. Das neuvermählte Paar wird sodann seinen zahlreichen Verwandten vorgestellt, die sich in einem Nebenraum versammelt haben und das frohe Ereignis durch ein Essen feiern. Ein Gang dieses Schmauses pflegt in einer Suppe aus Venusmuscheln zu bestehen, da die Schalen dieser Muschel eine glückliche und unzertrennliche Verbindung versinnbildlichen sollen; denn wie eine Schale nur mit der entsprechenden Partnerin ein Ganzes bilden kann, in die ihr Schloß hineinpaßt, so sollen auch Mann und Frau in der Ehe einander ergänzen. Auch ein Kranich wird serviert, indessen seltener, denn dieses Gericht können sich nur Wohlhabende leisten. Beim Festessen, währenddessen sich die Braut mehrere Male umkleidet, erhebt sich einer der männlichen Teilnehmer, der in klassischer Musik bewandert ist, und singt mit erhobenem offenen Fächer eine Ode, die dem feierlichen Augenblick angemessen ist.

Eine religiöse Zeremonie fehlt bei einer rein japanischen Hochzeit. Das Gesetz verlangt nur, daß die beiderseitigen Eltern die eingegangene Ehe eintragen lassen, und daß der Name der Frau aus dem Familienregister ihres Vaters gestrichen und in das ihres Gatten übergeschrieben wird, denn ohne solche Eintragung ist die Ehe ungültig. Neuerdings kommt auch die sogenannte Shintotrauung in Mode, die eine Nachahmung unserer kirchlichen Trauung ist. Zu dieser versammelt sich die Hochzeitsgesellschaft im Tempel der Sonnengöttin in Tokyo, der „drei-drei-neunmal“ Becher mit Sake wird in Gegenwart weiß gekleideter Priester getrunken, die Gebete an die Sonnengöttin sowie an Izanagi und Izanami (die schöpferischen Gottheiten) richten.

Phot. Yei Ozaki.

Abb. 36. Ein japanisches Kind wird im Alter von drei Jahren zum zweitenmal seiner Schutzgottheit zugeführt.

Die Kinderwärterin trägt eine Tasche für das Schwert und den Talisman, die das Kind vom Priester erhält.

Das „Gion“-Fest in Kyoto.

Dieses Tempelfest, das größte in Japan, wird vom 17. bis 24. Juli jeden Jahres durch einen prächtigen Umzug von dreiundzwanzig Dashi oder Festwagen gefeiert. Auf dem vorderen Wagen befindet sich zwischen zwei Gefährtinnen die Haupttänzerin in prächtigen Gewändern und reich geschmückt.


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Eine große Rolle spielen bei der japanischen Hochzeit die Geschenke, die das Brautpaar erhält (Abb. 47) und die oft genug einen großen Wert darstellen. Sie bestehen in allen Arten von Seide oder Krepp für die Kleidung des jungen Mannes und der jungen Frau. Meistens sind diese Stoffe in Weiß gehalten, damit die Empfänger sie nach eigenem Geschmack nachfärben lassen können. Von der Großartigkeit der Hochzeitsgeschenke und dem Luxus, der mit ihnen getrieben wird, kann man sich eine Vorstellung machen, wenn man hört, daß bestimmte Leute das Einwickeln von ihnen als besonderes Geschäft betreiben. Denn auch hierfür werden bestimmte Gewohnheiten beobachtet. Um jede Schachtel oder jedes Paket, das solche Glückwunschgaben enthält, werden zwei Stücke von extra schwerem weißen Papier gewickelt, und um das Ganze sodann noch in der Mitte ein rot und weißes zehnsträngiges Papierband, Mizuhiki genannt, das oft in Locken oder Ranken endigt, zu einer zierlichen Schmetterlingsschleife gebunden. Oft verwendet man dazu auch Gold- und Silberpapier und führt darin allerlei Muster und Phantasiegebilde aus; sehr beliebt sind Schleifen mit mehreren Schlingen in Form einer fünfblätterigen Pflaumenblüte, des Symbols der Lieblichkeit und Tugend der Frau, die sich im Unglück behauptet, geradeso wie die Pflaumenblüte mitten im Schnee zur Entwicklung gelangt. Auch ein Stück getrockneter Seeohrmuschel (Haliotis) pflegt jedes Geschenk zu begleiten. Da dieses Tier, das wie ein Stück getrockneten Pergaments aussieht, elastisch ist, so versinnbildlicht es Haltbarkeit und lange Lebensdauer, und seine Schale die Beständigkeit der Liebe. Die Geschenke aus Seide oder Krepp werden oft auch in Form großer Fächer arrangiert, um dadurch anzudeuten, daß sich im Leben des jungen Paares das Glück ebenso ausbreiten möge, wie der Fächer. Zu den genannten wertvollen Geschenken gesellen sich noch eine Menge getrockneten Fisches (Katsobushi genannt), der so hart ist, daß er wie Holz gehobelt werden muß und im Haushalte für alle möglichen Suppen und als Würze bei den meisten Gerichten Verwendung findet, sodann kleine Sträuße künstlicher Kiefer- und Bambuszweige, sowie Pflaumenblüten. In der romantischen Phantasie des Volkes stellt die Kiefer das Sinnbild der Ausdauer und Beständigkeit, der Bambus das der Aufrichtigkeit und die Pflaumenblüte das der weiblichen Tugend dar.

Phot. A. Petrocokino.

Abb. 37. Geishas in einem Zuge tanzend,

der die Reise eines alten japanischen Edlen oder Samurai mit seinem Gefolge zur Darstellung bringt.

Phot. Earl of Ronaldshay.

Abb. 38. Das Tempelumwandern der Japaner.

Um die Aufmerksamkeit der Götter behufs Erfüllung eines besonderen Wunsches auf sich zu lenken, wandern japanische Männer und Frauen, die dieses gelobt haben, viele Male um den Tempel des betreffenden Gottes herum.

Phot. Yei Ozaki.

Abb. 39. Knabenfest am 5. Mai jeden Jahres,

zu dem jedes Haus, in das während des vergangenen Jahres ein männlicher Weltbürger Einzug hielt, durch bunt bemalte Karpfen aus Papier geschmückt ist.

Bis in den Anfang des vorigen Jahrhunderts waren unter den Geschenken, die man der jungen Frau darbrachte, gewisse Bilderbücher sehr beliebt, die voll köstlichen Witzes in Karikaturen Beischlafszenen in phantastischer Mannigfaltigkeit den Frauen zur Veranschaulichung bringen, sie also darüber belehren sollten, was sie in der Ehe zu leisten hätten, und die oft von namhaften Künstlern angefertigt waren, ebenso die sogenannten Frühlingstäfelchen, Kästchen von der Form unserer Tuschkästen, deren Schubdeckel oben ein Bild zeigte, das ein männliches und ein weibliches Wesen in anständiger Unterhaltung darstellte, auf der Unterseite aber in farbiger Reliefdarstellung eine Beischlafszene in komischer Stellung darbot. Für unsere Moralauffassung erscheinen solche Dinge in hohem Grade unanständig und unverständlich, zumal man sie jungen Frauen darbrachte; der Japaner indessen findet daran absolut nichts Anstößiges. Für ihn gilt das alte Sprichwort, daß das Natürliche nichts Schimpfliches ist. Er erblickt in dem nackten Körper daher etwas ganz Natürliches, Selbstverständliches, sofern die Nacktheit im gegebenen Falle berechtigt ist. Er entledigt sich daher zu Hause möglichst aller ihn beengenden Kleidungsstücke und entblößt sich auch in der Öffentlichkeit, wenn ihn die Kleider am Arbeiten hindern. Er findet es auch keineswegs anstößig, daß beide Geschlechter zusammen baden, und ebenso ist für ihn der Geschlechtsakt etwas ganz Natürliches und das Preisgeben eines Mädchens nichts Entehrendes, wenn den Grund dazu die Unterstützung armer Eltern abgibt.

Phot. Yei Ozaki.

Abb. 40. Japanisches Puppenfest.

Ganz zu oberst finden sich der Kaiser und die Kaiserin mit Opfergaben in Wein und süßen Kuchen aufgestellt, darunter die Minister, Hofmusikanten, Palastdamen und Palastwächter. Ganz unten stehen schöne Miniaturgegenstände für den Puppenhaushalt.


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Phot. Yei Ozaki.

Abb. 41. Ein Hochzeitsbrauch bei den Japanern.

Die Brautausstattung wird drei Tage vor der Hochzeit in langen Kisten und großen Kästen nach dem zukünftigen Heim getragen. Sie sind mit grün bemalten, besonders für diesen Zweck gefärbten und mit dem Familienwappen gekennzeichneten Stoffen überzogen.

Die Ehe des Japaners wird eigentlich auf Zeit geschlossen, die bei den besseren Ständen fünf Jahre, bei den niederen weniger beträgt. Trotzdem kommt es höchst selten bei offenkundigem Unglück und fast nie bei vorhandenen gesunden Kindern vor, daß die Ehegatten auseinander gehen. Der Ehemann hat allerdings das Recht, sich ohne besonderen Grund von seiner Frau zu trennen und eine andere zu heiraten, nur darf dies nicht eine leibliche Schwester seiner Frau oder einer früheren Frau sein. Auch braucht er nicht die eheliche Treue zu halten, kann sich daher mehrere Frauen nehmen, soviel als ihm sein Geldbeutel erlaubt. Neuerdings jedoch machen sich in den besseren Kreisen Japans europäische Anschauungen auch über die Ehe geltend.

Der Japaner scheint ein starkes Geschlechtsbedürfnis zu besitzen; diesem wird dadurch Rechnung getragen, daß nicht nur jede größere Stadt und jeder Seehafen, sondern beinahe jedes Dorf öffentliche Lusthäuser besitzt. Es sind dies jedoch keineswegs Stätten unanständiger Orgien und Liederlichkeit, sondern, wenn man von dem nach unserer Ansicht unmoralischen Zwecke absieht, dem sie dienen, durchaus anständige Institute, über die der Staat nach jeder Hinsicht eine strenge Kontrolle ausübt.

Abb. 42. Japanische Rechenmaschine.

Phot. Yei Ozaki.

Abb. 43. Japanische Kinder, die mit Schwertern fechten.

Solche gymnastischen Übungen werden von ihnen von frühester Zeit an betrieben.

In Japan ist das Prostitutionswesen in solchem Grade wie wohl nirgends auf der Welt verbreitet. Ein anonymer englischer Schriftsteller schätzt die Zahl der in etwa zwanzigtausend Freudenhäusern untergebrachten Mädchen auf vier- bis fünfhunderttausend, zu denen ungefähr die gleiche Anzahl Frauen kommen soll, die heimlich diesem Berufe nachgehen. Die Prostituierten bilden in Japan eine besondere Kaste, deren Entstehung schon um mehrere Jahrhunderte zurückreicht und die durch Gesetz und Sitte geschützt ist. Der Staat kauft die jungen Mädchen auf, läßt sie in allerlei Künsten ausbilden und so für ihren zukünftigen Beruf vorbereiten. Es sind dies meistens Mädchen armer Eltern oder Waisen, die zur Prostitution herangezogen werden. Die älteren Kurtisanen unterrichten sie in allerlei weiblichen Fertigkeiten, wie Schreiben, Lesen, Singen, Samisaspielen, vornehmen Manieren und anderem mehr. Dafür haben diese jenen kleine Handleistungen zu machen, sie gleichsam als ihre Zofen zu bedienen. Oft genug kommen die jungen Mädchen schon im zartesten Kindesalter in diese Häuser, aber erst mit vierzehn Jahren dürfen sie preisgegeben werden. Mit dem siebenundzwanzigsten Jahre erhalten sie ihre Freiheit wieder, falls sie nicht schon früher durch Freikauf in privaten Besitz übergehen oder sich verheiraten. Denn die wenigsten Leute nehmen an solchem Gewerbe einen Anstoß, im Gegenteil, die Mehrzahl der ärmeren Japaner bezieht aus den Freudenhäusern ihre Ehefrauen; denn der schon erwähnten allgemeinen Anschauung entsprechend wird die Schuld ihres früheren Lebenswandels nicht den Mädchen, sondern ihren Eltern zugeschoben; nur sie waren es, die zumeist unter dem Drucke der Not ihre Töchter solchem Lebenswandel zuführten, und diese taten nur ihre Pflicht, indem sie den Eltern gehorchten. Daher verachtet auch die bessere Gesellschaft diese Mädchen nicht, sondern bemitleidet sie nur. Die Bezeichnung für eine Prostituierte in Japan ist auch keineswegs eine herabwürdigende, sondern eine höchst dezente; man nennt sie „Zeitweib“ oder „Stundenehefrau“. Früher war es nämlich Sitte, daß diese Mädchen dem Fremden auf eine kurze Zeit gleichsam angetraut wurden. Die Zeremonie, die sich dabei abspielte, glich der bei wirklichen Hochzeiten, wie wir sie oben kennen gelernt haben; der Fremde heiratete aber nur auf Zeit.

Phot. Yei Ozaki.

Abb. 44. Eine Hochzeit der Mittelklasse in Japan.

Die Braut trägt eine weiße Kopfbedeckung während der „Drei-drei-neunmal“-Zeremonie.

Phot. Yei Ozaki.

Abb. 45. Bevor die Braut den Eltern Lebewohl sagt,

überreicht ihr der Vater ein kurzes Schwert.

Das Bordellviertel von Tokio hat eine gewisse Berühmtheit erlangt; es ist dies das Yoshiwara. Das Zugangstor zu ihm trägt die poetische Inschrift: „Ein Frühlingstraum, wenn die Straßen voll von Kirschblüten sind, eine Herbststimmung, wenn die Straßen auf beiden Seiten mit hellen Laternen umsäumt sind.“ Das Yoshiwara (Abb. 49) ist durch regelmäßig verlaufende Straßen eingeteilt, in denen es des Abends ein wirkliches Schauspiel gewährt, umherzuwandern. Geschmückt mit farbenprächtigen Gewändern sitzen die Mädchen in Reihen vor goldenen Schirmen in käfigartigen Räumen — denn von der Außenwelt sind sie durch wirkliche Holzstäbe abgesperrt — und stellen sich zur Schau (Abb. 50). Die Prostituierten kennzeichnen sich durch zahlreiche Nadeln, die sie im Kopfhaar tragen; auch pflegen sie sich als Abzeichen ihres Gewerbes die Schleife des Obi, die sonst über dem Gesäß sitzt, nach vorn zu drehen, so daß sie über den Schoß zu liegen kommt. In größeren Städten sind an den Häusern Laternen ausgehängt, die mit dem Wappen des betreffenden Mädchens geschmückt sind. Es gibt sogar Bücher, in denen sich Laternen und Wappen, sowie der Schirm, der vornehmen Prostituierten auf ihren Ausgängen vorangetragen wird, nach Art eines Verzeichnisses aufgeführt finden. Künstler von Bedeutung wie Yoshitoshi oder Kitagawa Utamaro haben es nicht für unter ihrer Würde erachtet, Darstellungen aus dem Leben des Yoshiwara mit ihrem Stifte wiederzugeben, und japanische Bücher bringen die Lebensbeschreibungen einiger berühmter Prostituierter sowie ihre Porträts (Abb. 51). — Da das ganze Yoshiwaraviertel besonderer polizeilicher Aufsicht unterstellt ist, so herrscht hier vollkommene Ordnung, musterhafte Ruhe und absolute Sicherheit; die öffentliche Scham wird durch das sich hier abspielende Treiben keineswegs verletzt. — Die gleichgeschlechtliche Liebe unter Männern hat in Japan, besonders in seinen südlichen Teilen, weite Kreise des Volkes durchseucht; hier werden ebenso wie in China Knaben von frühester Jugend auf zu einem solchen Berufe systematisch vorbereitet. Auch Bordellwesen existiert nach dieser Richtung.

Phot. Yei Ozaki.

Abb. 46. Daimiotochter im Brautkleid.

Der Kimono ist in scharlachrotem Krepp gehalten und prächtig gestickt, darüber hängt ein weißer Damastmantel. Im Gürtel steckt ein gesticktes Notizbuch.


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Phot. Yei Ozaki.

Abb. 47. Japanische Hochzeitsgeschenke,

darunter Pinienzapfen, Bambus- und Pflaumenblüten, alles Sinnbilder langen Lebens und des Glücks.

Phot. Yei Ozaki.

Abb. 48. Szene aus einer modernen Hochzeit nach dem Shintoritus.

Neben dem Hausaltar mit den Gaben für die japanischen Götter der Fruchtbarkeit sitzt je ein weißgekleideter Priester; an den Wänden hängen Gohei, Papierstreifen, um das Unglück abzuwenden und die Anwesenden zu reinigen. Der Bräutigam erhält soeben geweihten Reiswein in eine dünne Porzellantasse gegossen.


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Zu den vielen schönen und ergreifenden Eigenarten des japanischen Lebens gehört auch die Verehrung der Toten und die peinliche Sorgfalt, die auf die feierlichen Gebräuche der Anbetung und Erinnerung an die Seelen der Heimgegangenen im Hause verwendet wird.

Hat der Sterbende den letzten Hauch getan, dann versuchen die, welche ihm am nächsten standen, ihn noch einmal ins Leben zurückzurufen, indem sie ihm seinen Namen ins Ohr schreien, denn sie glauben, die Seele könne es hören und noch einmal Rückkehr halten; besonders rührend ist, wenn zuerst das jüngste Kind die Mutter ruft, denn man erwartet, daß sie dieses am allermeisten liebe. Nützt dies nichts, dann befeuchtet man die Lippen des Toten mit Wasser, bedeckt sein Gesicht mit einem weißen Tuch und kehrt alles im Zimmer um. Auf einen niedern Tisch stellt man sodann die Tafel mit dem Namen des Verstorbenen, der ihm nach seinem Tode gegeben wird. Die Totentafel der Buddhisten ist kunstvoll gearbeitet und reich vergoldet; sie trägt als Namen eine langtönende Zusammenfassung vieler Tugenden; die Tafel der Shintoisten dagegen ist einfach, aus weißem Holz angefertigt und hat als Aufschrift nur den Lebensnamen des Verblichenen mit dem Zusatz „Mi-tama“, das ist Erhabener Geist. Vor dieser Tafel nun stellt man ein Weihrauchbecken mit einem dauernd brennenden Weihrauchstock, eine Tasse Wasser, ein ganz bescheidenes Licht — in einer irdenen Untertasse mit Rübsenöl brennt ein Docht —, weiter einen Behälter mit einigen Aniszweigen, ein paar Klöße aus weißen Bohnen auf einem Teller, eine Schüssel mit Reis, über den Bohnensuppe gegossen ist, und ein Speisestäbchen auf; in die Nähe der Leiche legt man öfters noch quer über die Kniee ein Schwert, um die bösen Geister abzuwenden.

Phot. Gebr. Haeckel.

Abb. 49. Bordellstraße im Yoshiwara.

In den Sarg gibt man dem Toten einen Bambusstab und einen Beutel mit buddhistischen Amuletten, Gebetssprüchen und einer Münze (für die Überfahrt) mit und bestreut das Ganze mit Weihrauchpulver und getrockneten Anisblättern. Stirbt ein Ehemann, so pflegt die Frau ihr Haar abzuschneiden und es ebenfalls in den Sarg zu legen; sie will damit bekunden, daß sie nie wieder heiraten wird; übereinstimmend mit diesem Entschlusse bestellt sie zu gleicher Zeit ihre eigene Totentafel, die mit der ihres verstorbenen Gatten gemeinsam auf dem Hausaltar und im Familientempel Aufstellung findet. Indessen beschränkt sich dieser Brauch nur auf die Ehefrauen der oberen Klassen, die dadurch fortan ihre Keuschheit anzeigen wollen.

In der Nacht vor einem Begräbnis (Abb. 54 und 55) halten die Hausangehörigen Wache, die Priester sagen dabei Gebete her. Auf die Nachricht von dem Tode machen die Freunde und Bekannten sofort ihren Beileidsbesuch; sie senden gleichzeitig oder bringen ein Geschenk in Form von Geld als Beitrag zu den Begräbniskosten mit, die in Japan ungewöhnlich hohe sind und auch nicht gespart werden, wenn es gilt, einen Toten zu ehren. Das Geld wird in weißes Papier gewickelt, mit der Bezeichnung „koden“ (Weihrauchgeld) versehen und mit einem schwarz und weißen Bande zugeschnürt. Die Familie macht zum Zeichen ihres Dankes innerhalb fünf Wochen nach dem Begräbnis ein Gegengeschenk in Form von Klößen aus grünen und weißen Bohnen, sowie von Blechdosen mit Tee. Auch sendet man Kuchen, und zwar merkwürdigerweise bei solchem traurigen Anlaß in gerader Zahl, hingegen bei freudigen Ereignissen in ungerader Zahl.

Phot. Gebr. Haeckel.

Abb. 50. Öffentliches Haus im Yoshiwara.

Die Geishas mit abrasierten und schwarz aufgemalten Augenbrauen, weißgepudertem Gesicht und bronzierten Lippen sitzen in farbenprächtige Gewänder gekleidet hinter Holzgittern.

Der vertrauteste Gegenstand in einem japanischen Haushalte ist der Familienaltar, auf dem die Tafeln, welche den Toten geweiht sind, die Ihai, aufbewahrt werden. Der buddhistische Altar ist vornehmer ausgestattet, meistens lackiert, sein Inneres vergoldet. Der Shintoaltar dagegen besteht nur aus einfachem weißen Holz in der Form des archaistischen Shintotempels. Sind die Leute Anhänger des Buddhismus, so wird jeden Morgen von dem ersten Reis und Tee eine Opfergabe den Ihai auf dem Altar entrichtet; jeden Monat wird den Geistern am Todestage ein winziges Gemüsemahl serviert, dazu werden Blumen in kleinen Vasen hingestellt und Weihrauch verbrannt. Die Shintoanhänger ihrerseits opfern alle zehn Tage und am wiederkehrenden Todestage im Monat Sake, ungekochten Reis, rohes Fleisch, Obst und Gemüse dem „Erhabenen Geiste“. Weihrauchverbrennen gestattet jedoch die shintoistische Religion nicht, läßt dafür aber bei feierlichen Gelegenheiten und auch beim Begräbnisgottesdienst Zweige der Cleyera japonica darbringen (Abb. 55). Auch die Shintoisten betrachten alles, was mit dem Tode zusammenhängt, als unrein. Bei eintretendem Todesfall wird daher der Altar mit weißem Papier zugedeckt, um das Eindringen verunreinigter Luft zu verhindern; nach dem Begräbnis vollziehen die Priester eine feierliche Reinigung, indem sie Salz über das ganze Haus streuen und am Grabe geweihte Stäbe über die Trauernden schwenken.

Aus dem Handb. d. Sexualwissenschaften.

Abb. 51. Japanische Halbweltdame

(Oiran = Stundenehefrau) in prächtig gesticktem seidenem Gewand.

Phot. Yei Ozaki.

Abb. 52. Japanisches Allerseelenfest,

an dem Laternen vor die Häuser gehängt und Hanffeuer in der Vorhalle angezündet werden, um die Geister der Verstorbenen zu bewillkommnen, während im Hause für sie ein Altar mit besonders zugerichteten Speisen und Kuchen errichtet wird.

Die Buddhisten feiern ein Allerseelenfest, das wunderbare Bon-matsuri, vom 13. bis 16. August, denn um diesen Zeitpunkt, so glaubt man, suchen die Seelen der Toten ihre Hinterbliebenen auf. Von einem Ende des Reiches bis zum anderen werden freudige Vorbereitungen getroffen, um diese geisterhaften Besucher zu bewillkommnen. Die Kirchhöfe werden aufgesucht, die Grabsteine (Abb. 53) gewaschen und mit Blumen geschmückt, vor den Hügeln wird Weihrauch verbrannt, und vor den Häusern sowie den Altären werden Laternen aufgehängt, die von leuchtender, durchscheinender Schönheit sind, manchmal die Form von zart abgetönten Lotusblumen aufweisen und durchweg mit rosa und weißen Lotusblumen, sowie mit Fransen und langen Bändern aus feingeschnittenem Papier verziert sind. Auf den „Geisteraltar“, eine auf vier mit Fadennudelgewinden verzierten Bambuspfählen ruhende, mit einer Kryptomerienumzäunung versehene Strohmatte, werden „Willkommenkuchen“ und „glückbringende Klöße“, in Lotusblätter eingehüllt, sowie verschiedene Früchte und Beeren den Geistern als Speise hingesetzt, desgleichen für sie Gefährte in Gestalt kleiner Ochsen und Pferde, entweder aus Stroh geflochten oder aus Eierpflaumen und Melonen zugeschnitten, aufgestellt. Auf dem Lande geht die ganze Familie mit brennenden Laternen in den Händen zu den Gräbern, den ankommenden Seelen entgegen, zündet draußen vor dem Hause überall Hanfstockfeuer an (Abb. 52), um sie zu begrüßen, und stellt bei den Toren Schüsseln mit Wasser auf, damit sie sich die Füße waschen können. Am 14. August kommen die Priester, um vor dem Altar Gebete zu sprechen, und am nächsten Tage werden alle Feuer wieder angezündet, um die scheidenden Geister hinauszugeleiten. Altmodische Leute zünden sich an solchem Feuer ihre Pfeifen an und treten über dasselbe, um sich bestimmte Krankheiten fernzuhalten. — An der Küste besteht in manchen Gegenden der Brauch, kleine Boote aus Stroh mit Papiersegeln und winzigen Gefäßen für Wasser und Weihrauch für die wiederkehrenden Geister auszusetzen; auf dem Segel dieser Boote steht der buddhistische Name des Toten geschrieben. An manchen Orten schmückt man die Boote abends auch mit kleinen Laternen, an anderen setzt man nur schwimmende Laternen aus.

Die Ainu. Im nördlichen Japan (Jesso) sowie auf der Südspitze Sacchalins und auf den Kurilen wohnen die Ainu, ein Volk, das ehemals die ganze ostasiatische Inselkette, von den Kurilen angefangen bis Liu Kiu, sowie das Amurgebiet auf dem Festlande bewohnt haben muß und höchstwahrscheinlich von hier aus zur Steinzeit nach Japan einwanderte. Anscheinend trafen die Ainu hierbei auf eine einheimische Urbevölkerung, die die Bezeichnung Koro-pok-guru führte und mit ihnen zusammen, sowie mit hinzugewanderten mongolischen und malaiischen Elementen die heutige Bevölkerung Japans hervorbrachte.

Die Ainu sind klein, stehen in der Größe sogar noch den Japanern nach, sind aber von kräftigem, gedrungenem Körperbau. Ihr Kopf ist länger als bei den Mongolen, ihr kurzes, rundes Gesicht besitzt tiefliegende, rundliche, gerade stehende Augen (meistens ohne Mongolenfalte), die von buschigen Augenbrauen überschattet werden, und etwas vorstehende Jochbeine. Die Nase ist kurz, an der Wurzel schmal, nach unten hin aber ausladend. Der große Mund besitzt wulstige Lippen, das Kinn ist breit. Die Hautfarbe gleicht im allgemeinen der der Japaner, zeigt aber einen Stich ins Rötliche. Das Haar ist ebenfalls straff und tiefschwarz. Eine auffällige Erscheinung ist die besonders starke Behaarung der Ainu, die um so wunderbarer erscheint, als sie mitten unter Völkern leben, die im Gegensatz dazu besonders spärlich behaart sind. An den Männern fällt der üppige Bart auf, der bis an die Ohren und ziemlich an die Augen heranreicht, desgleichen der Reichtum an Haaren am ganzen übrigen Körper, die ihn wie ein Pelz bedecken. Im großen und ganzen weisen die Ainu in ihren Gesichtszügen mehr Ähnlichkeit mit den kaukasischen, als mit den mongolischen Völkern auf; Bälz stellt sie geradezu mit den russischen Bauern in Parallele. Die Ainu sind von Charakter gutmütige, höfliche, man kann beinahe sagen, unnatürlich kriechende, unterwürfige, dabei aber träge und arbeitscheue, sowie dem Trunke und dem Tabakgenuß sehr ergebene Leute.

Phot. Gebr. Haeckel.

Abb. 53. Japanisches Grab,

mit allen möglichen Gebrauchsgegenständen bedeckt, um dem Toten die Reise in das Jenseits zu erleichtern.

Im wesentlichen sind sie Jäger und vor allem Fischer; Ackerbau erlaubt das kalte Klima ihnen kaum. Sie graben sich auch Wurzeln mittels Grabstöcken aus. Auf der See bedienen sie sich zum Fange der Harpunen (Abb. 56); früher betrieben sie die Jagd mittels (mit Akonit) vergifteter Pfeile. Ihr einziges Haustier ist der Hund, der ihnen ihre Schlitten zieht (Abb. 57). — Sie wohnen in Holzhütten mit Binsenbedeckung (Abb. 60 bis 62), die teils direkt auf dem Boden, teils auf Gerüsten stehen, teilweise auch in Erdwohnungen.

Die Kleidung der Ainu besteht aus Fellen und Stoffen aus Ulmenbast (Abb. 58); beide Geschlechter tragen enge Beinkleider, Jacke, langen Rock und Schuhe, dazu Schmuck in Gestalt von großen Ohrringen aus bunten Stoffstreifen oder Metall, silbernen Halsbändern und Kopfbinden. Ganz eigenartig ist die Tatauierung der Frauen, künstlerisch verschlungene Linien auf Armen und Händen sowie schnurrbartähnliche Muster an der Ober- und Unterlippe, wodurch sie ein ganz männliches Aussehen bekommen (Abb. 62). Bereits im siebenten Lebensjahre beginnt man bei den kleinen Mädchen an der Oberlippe damit und fügt alljährlich ein Stück des blauschwarzen „Schnurrbartes“ mehr hinzu, so daß mit etwa zwanzig Jahren die Tatauierung vollendet ist.

Phot. Clark & Hyde.

Abb. 54. Leichenbegängnis an einem buddhistischen Tempel.

Die Buddhisten glauben, daß der Geist des Toten neunundvierzig Tage in der Nähe seines alten Heims umherirrt; strenge Trauer wird während dieser Zeit beobachtet. Am neunundvierzigsten Tage wird ein Tempeldienst abgehalten und am hundertundersten Tage nach dem Tode ein Erinnerungsfest gefeiert.

Die Ainu leben in kleinen Horden in Dörfern unter einer Art Häuptlingen, die bei festlichen Gelegenheiten eine mit einem roh aus Holz geschnitzten Bärenkopfe geschmückte Krone aus Weidenholzspänen und Seegras, ein besonderes Kleid aus bunten Stoffstreifen und ein großes Schwert tragen.

Die Ainu sind ihrer religiösen Anschauung nach reine Animisten; sie halten die ganze lebende und tote Natur von Geistern und Göttern belebt, beten diese an und huldigen ihnen durch Opfer, im besonderen durch Darbringen von Reiswein. Ihre Hauptgottheit ist heutzutage (wohl von Japan aus eingeführt) der Gott der Sonne; dieser gebietet allen übrigen Gottheiten. Außer diesem hohen Gott gibt es noch eine ganze Reihe Götter zweiten Grades, die zahllosen Geister, die in dem Feuer, den Bergen, Flüssen, Tälern, Wäldern, selbst in den Tieren (Walfisch, Seebär, Walroß, Otter und vor allem dem Bären) leben oder die Seelen der Vorfahren vorstellen und insgesamt unter der Bezeichnung der Kamui zusammengefaßt werden. Alle diese Geister sind ihnen gutgesinnt und fördern ihr Wohlbefinden. Daneben aber kennen die Ainu auch solche Wesen, die sich angelegen sein lassen, sie zu schädigen, ihnen Unglück und besonders Krankheit und Tod zu bringen; diese verehren sie nicht, sie beten sie ebensowenig an oder opfern ihnen, sondern bekämpfen sie nur; den Kampf übernehmen die Schamanen.

Abb. 55. Ein Shintoleichenbegängnis.

Die Priester, die Leichenträger und weiblichen Leidtragenden sind alle in Weiß, die Trauerfarbe der Shintoanhänger Japans, gekleidet. Zweige der Cleyera japonica nehmen die Stelle von Kränzen ein. Beachtenswert ist die einer Arche gleichende Totenbahre.

Aus: Weule, Leitfaden d. Völkerkunde.

Abb. 56. Ainu auf der Seehundjagd mittels Harpunen.

(Nach einem japanischen Holzschnitt.)

Aus: Weule, Leitfaden d. Völkerkunde.

Abb. 57. Hundeschlitten der Ainu.

(Nach einem japanischen Holzschnitt.)

Aus: Weule, Leitfaden d. Völkerkunde.

Abb. 58. Herstellung von Rindenstoff aus Ulmenbast durch die Ainu.

(Nach einem japanischen Holzschnitt.)

Die Opfer, die die Ainu ihren Göttern darbringen, bestehen in Speise und Trank (Abb. 59); außerdem stellen sie ihnen zu Ehren überall, wo es nur möglich ist, eigenartige Gegenstände auf, die sie Inau nennen. Es sind dies für gewöhnlich Ästchen aus Weiden-, seltener aus Erlen- und Ebereschenholz, an denen stellenweise kurze Streifen abgespalten sind, so daß diese wie Locken herabhängen. Sie sollen menschliche Figuren darstellen, was man mit einiger Phantasie auch wohl erkennen kann. Daneben werden aber auch große Inaue in Gestalt hoher Stangen oder Bäume errichtet, die oft ganz verwickelte Gestalten wiedergeben; so zum Beispiel stellt ein kleiner Tannenbaum, an dem die Äste quirlähnlich stehen gelassen sind, den Sonnengott dar. Auch Bündelchen mit abgespaltenen Holzstückchen werden als Inau bezeichnet; das Bezeichnende für alle die so benannten Gegenstände scheint das Vorhandensein von Holzspänen zu sein. Man trifft die Inaue überall, entweder einzeln oder in Gruppen zusammen an, in und vor dem Hause, auf Bergen, am Meeres- und Flußufer, im Walde, auf Wegen, Grabstätten und sonst noch. Sie spielen eine überaus wichtige Rolle im Leben der Ainu, die sehr viel Zeit auf ihre Herstellung verwenden. Über die Bedeutung der Inaue sind die verschiedensten Meinungen aufgestellt worden. Die eine davon besagt, daß die Inaufigur an Stelle früherer Menschenopfer getreten sei und das Einkerben den Ausdruck des Bauchaufschneidens bedeute; eine andere behauptet, daß die Inaue aus dem Shintokultus herstammten, das heißt auf die mit farbigem Papier behängten Opferstäbchen der Japaner als Vorbild zurückgehen und ebenso wie diese aus dem Opfergegenstand zum direkten Gegenstand der Verehrung, das heißt zur Gottheit geworden seien. Indessen befriedigen auch diese Erklärungen nicht. Am wahrscheinlichsten erscheint mir die Annahme, daß die Inaue die Rolle eines Vermittlers zwischen Menschen und Göttern zu spielen haben, daß die „hölzernen Menschen“ gleichsam die Gabe besitzen, diesen die Wünsche und Bedürfnisse der lebenden Menschen zu überbringen, und daß die Späne an ihnen Zungen darstellen. Im Augenblick großer Gefahr, zum Beispiel bei Sturm auf dem Meere, holt der Ainu ein Holzstäbchen, das er stets bei sich trägt, hervor, kerbt es in der bekannten Weise ein und wirft es, sobald die Figur fertiggestellt ist, ins Meer mit den Worten: „Gehe zum Geist des Meeres und sage ihm, daß er gehörig acht gebe“ und so weiter. — Eine besondere Verehrung zollen die Ainu dem Bären, der auch ihre wichtigste Nahrungsquelle abgibt. Sie fangen im Beginn des Frühjahres junge Tiere ein und ziehen sie in Käfigen (Abb. 61 und 63), die im Hause der Häuptlinge stehen, angeblich an der Brust der Weiber, auf. Wenn sie erwachsen sind, werden diese Bären unter gewissen Zeremonien getötet und verzehrt. Die Schädel aber werden auf Pfählen aufgesteckt und dienen zur Anbetung (Abb. 64).

Phot. Admiral Holland.

Abb. 59. Ainu beim Trankopfer

für die Götter des Feuers, des Wassers, der Berge und der See.

Phot. Admiral Holland.

Abb. 60. Ainudorf

mit zwei einander mittels aufgehobener Handflächen sich begrüßenden Männern.

Die Stellung der Ainufrau ist eine verhältnismäßig hohe, insofern sie nicht gekauft wird. Nach ihrer Heirat bleibt sie auch ihrem Stamme erhalten, denn die verwandtschaftlichen Beziehungen mütterlicherseits gelten für engere als die väterlicherseits. Demgemäß beeilt sich die Jungverheiratete nicht, in das Haus ihres Gatten überzusiedeln, sondern verbleibt in dem ihrer Eltern noch einige Jahre; in der Regel macht sie hier auch ihr erstes Wochenbett durch. Diese Erinnerungen an ein früheres Matriarchat machen sich auch in verschiedenen abergläubischen Vorstellungen bemerkbar. Frauenblut auf die Brust gerieben, bewirkt, daß alle, die mit Geldangelegenheiten zu tun haben, stets ihren Vorteil daraus ziehen, ein Stückchen der Menstruationsschürze ist ein mächtiger Talisman in allen Lagen des Lebens.

Phot. Admiral Holland.

Abb. 61. Ainudorf mit einem Bärenkäfig in der Mitte.

Die beiden Hütten zur Rechten sind Vorratshäuser.

Während ihrer Schwangerschaft erfreut sich die Ainufrau ebenfalls einer gewissen Pflege und Aufmerksamkeit. Merkwürdigerweise muß sie sich, besonders gegen Ende der Schwangerschaft, recht viel Bewegung verschaffen, damit das Kind recht klein bleibe und die Entbindung leicht und schnell vonstatten gehe. Die Schwangere darf kein Hammelfleisch essen, weil sonst das Kind eine Hasenscharte erhalten, auch kein Geflügel, weil es sonst mit schielenden Augen zur Welt kommen würde. Zwei Monate vor ihrer Niederkunft darf sie nicht spinnen, Seile drehen oder Wolle wickeln, weil sonst die Eingeweide des werdenden Kindes wie die Fäden durcheinander geraten könnten, und anderes mehr. — Während der Geburt bleibt die Kreißende allein, weil eine größere Anzahl von Zuschauern ihre Wehen verstärken würde, jedoch steht ihr eine erfahrene Frau, meistens eine nahe Verwandte, bei. Diese wendet sich auch mit Gebeten an die Geister der verstorbenen Vorfahren, die allgemein für die Beschützer der Frauen gelten, um ihr dadurch eine leichte Geburt zu verschaffen. Bei Eintritt der Geburtswehen wird ein Inau in der Ecke des Herdes aus dem gleichen Grunde aufgestellt, als Opfer für die Göttin des Feuers. Ein auf einer Matte sitzender Greis sendet leise zu ihr ein für diesen Fall improvisiertes Gebet; fällt das glimmende Stäbchen in der Richtung nach ihm zu, so gilt dies als ein Anzeichen dafür, daß das Gebet erhört werden wird. Daneben kommen noch allerlei Mittel zur Erleichterung der Geburt in Anwendung, wie Umlegen einer aus Weidenspänen gedrehten langen Schnur oder eines getrockneten Bärendarms um den Unterleib, sein Einreiben mit einer in ebensolche Späne gewickelten, getrockneten Fledermaus oder mit den Bauchhaaren einer Hündin und so weiter. — Sobald das Kind geboren ist, hebt die Geburtshelferin es in die Höhe und ruft dabei aus: „Neuer Greis (bei Mädchen: Neue Greisin) sei gesund.“ Die Ainu glauben nämlich, daß ihnen die Kinder von verstorbenen Verwandten aus dem Jenseits gesandt werden, die dort unter den gleichen Verhältnissen wie hier auf Erden wohnen.

Phot. Underwood & Underwood.

Abb. 62. Ainufamilie vor ihrer Hütte.

Die Frau zur Linken zeigt den üblichen auftatauierten Schnurrbart, der ihr ein männliches Aussehen verleiht.

Von Zwillingen wird der eine für teuflischer Herkunft angesehen und getötet. Frauen, die solche zur Welt brachten, werden von ihren Geschlechtsgenossinnen gemieden, aus Furcht, sie könnten dadurch angesteckt werden. Dieser Aberglaube, daß erwachsene Menschen ihre Eigenschaften auf andere übertragen können, führt zum Beispiel dazu, daß eine unfruchtbare Frau von einem kinderreichen Weibe Geräte kauft und sich ihrer beständig bedient oder sie mit sich trägt.

Abtreibung der Leibesfrucht kommt recht häufig vor, um das Ergebnis eines Verkehrs mit fremden Männern zu verheimlichen. Binden des Bauches, starkes Einschnüren der Taille, Herabspringen von großer Höhe sind die üblichen Methoden. Der Wöchnerin läßt man ebenso wie der Schwangeren große Pflege angedeihen.

Bei dem aus Anlaß der Geburt veranstalteten Feste wird wilder Knoblauch als Lieblingsspeise der Götter ins Feuer geworfen, um sie dadurch zu zwingen, an der Feier teilzunehmen. Die Nachbarn finden sich zum Schmause ein, dessen Hauptgericht mit Knoblauch gekochter Reis bildet.

Phot. J. Revilliod.

Abb. 63. Bärenfest der Ainu.

Ein jung eingefangener Bär wird von den Ainu gefüttert und gepflegt, um später unter großer Festlichkeit getötet und verspeist zu werden. Die Bärenjagd gilt bei den Ainu als vornehmste Beschäftigung und das Bärenfleisch als größter Leckerbissen. Vor der Jagd werden Gebete abgehalten.

Die Toten der Ainu werden gewaschen und mit ihren Waffen und sonstigen Habseligkeiten wie auch Schmuck entweder in Matten gewickelt oder in Bretterkisten gelegt; gleichzeitig opfert man den Geistern der Verstorbenen Speise und Trank. Stirbt jemand unnatürlichen oder gewaltsamen Todes, so bringen sich die Angehörigen mit einem Messer leichte Wunden an der Stirn bei und opfern das herausquellende Blut dem Toten. Die Beerdigung findet für gewöhnlich in der Nacht im Walde statt. Die Stätte, wo der Tote beigesetzt wurde, bezeichnet man durch einen mittels roher Rindeneinschnitte verzierten Pfahl oder Baumstamm, der, wenn es sich um eine Person männlichen Geschlechts handelt, in halber Höhe einen phallusartig zugestutzten Ast trägt (Abbild. 65) oder, wenn um eine weibliche, an seinem oberen Ende mit einem oder zwei länglichen Löchern versehen ist (Abbild. 66). An Beigaben legt man an diesen Grabstätten die Kleider, die Angelhaken, Pfeile oder Pfeilspitzen und Glasperlen entweder in Täschchen oder direkt auf der Erde nieder. Die Trauer dauert je nach dem Grade der Verwandtschaft ein bis drei Jahre; als Zeichen für dieselbe trägt man eine eigenartige Mütze. Nach einem Jahr vom Todestage an kommen sämtliche Verwandte zusammen, vermeiden aber, etwas über den Toten zu sprechen, aus Furcht, es könnten die Geister der Verschiedenen zurückkommen und sie ängstigen.

Phot. J. Revilliod.

Abb. 64. Bärenschädel, zur Anbetung von den Ainu auf Pfählen aufgesteckt.

Aus: „Zeitschr. f. Anthropologie, Ethnogr. u. Urgeschichte d. Menschen“.

Abb. 65. Männliches Ainugrab.

Aus: „Zeitschr. f. Anthropologie, Ethnogr. u. Urgeschichte d. Menschen“.

Abb. 66. Weibliches Ainugrab.

Phot. J. W. Davidson.

Abb. 67. Eine Sammlung von erbeuteten und aufgestellten Schädeln bei den Atayalen.

Die Wilden stellen einen frisch abgeschlagenen Kopf auf einen Pfosten in das Dschungel und legen manchmal Körner in dessen Mund, um die Vögel anzuziehen. Wenn sein Fleisch entfernt ist, wird der Schädel auf das Brettergestell, das jede Familie besitzt, gelegt.

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