Nordasien.

Nordasien wird von einer Reihe Völkerstämme eingenommen, die verschiedenen Rassen angehören, aber unter den gleichen klimatischen Verhältnissen und Lebensbedingungen auch ziemlich dieselbe Kultur angenommen haben. Da sind zunächst die Altasiaten als die Urbevölkerung im Osten dieses Gebietes zu nennen; zu ihnen gehören die Tschuktschen oder Tschautschu (Abb. 299), die Korjäken, die Itälmen oder Kamtschadalen, die Aleuten (bereits auf der Verbindungsbrücke nach Amerika hin), die Inkagiren, Tschuvanen, Inuit oder Eskimo und die Jenissejer (Abb. 298). Von allen dürften als am meisten typische Vertreter noch die Tschuktschen gelten, Leute von mittlerer Größe, hellbrauner Hautfarbe, straffem, schwarzem Kopfhaar, breitem Gesicht mit vorstehenden Backenknochen, gerader Nase, horizontalstehenden großen Augen und geringem Bartwuchs. Die übrigen Stämme lassen schon mehr oder minder mongolischen Einschlag erkennen. Denn eigentliche Mongolen sind auch bis nach Sibirien vorgedrungen, die Tungusen (Abb. 305) mit der Untergruppe der Lamuten und Orotschonen (Abb. 307) und die Burjäten (Abb. 303), die in ihrem Äußern deutlich ihre Abstammung erkennen lassen. Eine dritte Gruppe bilden die Ainu (im Norden Sachalins und am Mündungsgebiet des Amur) mit den aus ihnen (mit Mandschumongolen?) hervorgegangenen Mischvölkern der Giljaken und Golde. Hierzu kommen dann noch Vertreter der türkischen Völkerfamilie, die Jakuten (Abb. 300, 302) und Tataren und schließlich solche der finnisch-ugrischen Völkergruppe, die Ostjaken, Samojeden (Abb. 297), Karagassen, Sojoten und so weiter. Die Völker dieser Abstammung sind gekennzeichnet durch Kleinwüchsigkeit, hellgelbe Haut, schlichtes, dunkles, seltener helles Haar, dunkle Augen mit schräg verlaufender Lidspalte, flaches Gesicht, kurze, an der Wurzel eingedrückte Nase, die nach vorn in eine runde Kuppe endigt und große Nasenflügel aufweist, großen Mund mit wulstiger, herabhängender Unterlippe, kleines rundes Kinn und spärlichen Bartwuchs.

Ihrem Charakter nach sind alle diese Völker gutmütig, bieder, verträglich, gastfrei, ehrlich und widerstandsfähig in dem Ertragen von Strapazen, andererseits aber auch selbstbewußt, großprahlerisch, unter Umständen streitsüchtig, wenn sie sich unterordnen sollen, faul und besonders stark dem Trunke ergeben.

Aus: Buschan, Völkerkunde.

Abb. 298. Jenissejerin.

Die soziale Gliederung geht bei einigen Stämmen (Tungusen, Burjäten, Jakuten) über die Familie hinaus; denn es lassen sich bei ihnen schon Geschlechter und Stämme mit Häuptlingen oder leitenden Personen (Fürsten) unterscheiden. Bei den übrigen Stämmen ist die höchste Gemeinschaft die Familie; gelegentlich finden sich wohl mehrere Familien für eine gewisse Zeit (Fischfang, Wandern) zusammen, unterstehen aber keinem gemeinsamen Häuptling.

Mit Erl. des American Museum of Natural History New York.

Abb. 299. Tschuktsche mit umgehängtem Tabaksbeutel.

Die Kleidung der Sibirier ist sehr einfach und der Umwelt angepaßt, daher auch bei allen Stämmen ziemlich übereinstimmend. Männer und Weiber kleiden sich ebenfalls gleich. Das Material besteht aus Fellen oder Leder vom Renntier — Renntiere sind für die Polarvölker von der größten Bedeutung; nicht mit Unrecht bezeichnen die Ostjaken sie als das „lebende Gold“ —, von den großen Wassersäugetieren, von Hunden und anderen Tieren mehr. Die Golde verstehen sich besonders darauf, Fischhaut in vorzüglicher Weise zu präparieren und sie zu Gewändern zu verarbeiten (namentlich die Haut der Lachse); die Haut wird zunächst getrocknet, sodann mittels hölzerner Hämmer geklopft und zu größeren Stücken zusammengenäht. Die aus ihr hergestellten Gewänder verziert man obendrein noch mit schönen Stickereien oder Malereien. — Die Kleidung (Abb. 305) setzt sich aus einer kurzen Hose und langen Stiefeln, einem langen, bis zu den Oberschenkeln reichenden Rock oder Hemd, das durch einen Ledergurt zusammengehalten wird, einer kapuzenartigen Kopfbedeckung und Fausthandschuhen zusammen; die Männer tragen im Sommer Mützen oder Hüte, die Frauen gehen entweder barhäuptig oder setzen sich ein Häubchen auf. Das Haar lassen sich beide Geschlechter lang wachsen, nur einige wenige Stämme schneiden es sich ab; die mongolischen Völker tragen es nach Chinesenart. Die Frauen flechten das Kopfhaar gewöhnlich in zwei Zöpfe und bringen daran allerlei Zierat, wie Münzen, Perlen, Korallen, Bernsteinstücke und dergleichen, an.

Die Tatauierung, die früher allgemein verbreitet war, ist neuerdings mehr in Abnahme gekommen; doch schmückt besonders das weibliche Geschlecht sich auch jetzt noch gern damit. Die Muster werden entweder mittels der sonst üblichen Methode des Stechens hervorgebracht oder mittels der des Nähens; bei diesem Verfahren zieht man durch die Haut einen mit Ruß oder Kohle geschwärzten Faden. Die eingestochenen Zeichnungen bestehen zumeist in einfachen Mustern, wie Kreisen, Halbkreisen oder Doppellinien, seltener in komplizierteren Mustern oder Tieren und Blumen. Bemalen des Körpers, sowie Durchbohren der Nasenscheidewand, der Unterlippe und der Ohren und Hineinstecken von allerlei Zierat, im besonderen von Knochenstiften, kommen auch verschiedentlich vor.

Die Lebensweise der Nordvölker Asiens ist im allgemeinen eine nomadisierende (siehe Kunstbeilage). Wenngleich einige Stämme, die vorzugsweise dem Fang der Fische und Seetiere obliegen, eine gewisse Seßhaftigkeit bekunden, so verlegen sie von Zeit zu Zeit doch ihren Wohnsitz an einen anderen Ort. Die Unwirtlichkeit des Klimas zwingt die Polarvölker, große Strecken umherziehend zurückzulegen; Renntier (Abb. 297) und Hund (Abb. 301) erleichtern ihnen ihr Fortkommen; Schlitten und Boot dienen als die hauptsächlichsten Beförderungsmittel. Die wichtigste Nahrungsquelle bildet die Jagd auf Bären, Wölfe, Hirsche und kleinere Pelztiere, an den Flüssen der Fischfang und an der Meeresküste die Jagd auf Seehunde, Walrosse, Walfische, Seelöwen und andere große Seesäugetiere. Als besondere Delikatesse gilt mit Zedernnüssen angefüllter und gerösteter Renntiermagen oder gefülltes Eichhörnchen. Die Mongolenstämme genießen mehr Schaf- und Pferdefleisch. Natürlich werden auch Pflanzenstoffe den Speisen beigegeben, im besonderen Zwiebeln, Beeren, Sauerampfer. Von Genußmitteln kennen die Sibirier Schnaps und Tabak. Die Korjäten und die ihnen verwandten Stämme stellen aus dem giftigen Fliegenpilz ein stark berauschendes Getränk her. — Von den üblichen Kochmethoden verdienen zwei ältere Verfahren der Itälmen und Aleuten Erwähnung, das Steinkochen (durch Hineinwerfen glühend gemachter Steine in ein mit Wasser gefülltes Gefäß) und das Rösten des Fleisches zwischen zwei ausgehöhlten und mittels Lehm zusammengefügten Steinen in der Feuersglut. Feuer wird allgemein durch Anschlagen von Stahl an Steinen erzeugt.

Die Behausung der Sibirier ist ihrer Lebensweise und dem Klima angepaßt. Wo sie schon eine gewisse Seßhaftigkeit erreicht haben, wie an den Küsten, wohnen sie in Erdhütten oder Schneehäusern; dagegen leben alle umherziehenden Völker, auch die sonst seßhaften, im Sommer in leicht gebauten kegelförmigen Zelten aus oben zusammengebundenen Stangen, die zur kalten Jahreszeit mit mehreren Fellen, zur wärmeren mit Birkenrinde bedeckt werden. Der Hausrat in diesen urwüchsigen Wohnungen (Abb. 304) ist sehr bescheiden; er besteht fast nur in einigen Gefäßen aus Birkenrinde oder Holz, Werkzeugen aus Knochen, Horn oder Eisen und eisernen Töpfen, die man durch Tauschhandel zu erlangen sucht, sowie in Ledersäcken. Besondere Fertigkeit bekunden die Männer in dem Schnitzen von allerlei Geräten aus Bein oder Horn, die Frauen in der Herstellung von Lederarbeiten und dem Benähen der Gewänder mit schönen Mustern aus bunten Fellstückchen, Perlen, Renntierhaaren und Ähnlichem.

Im allgemeinen läßt sich sagen, daß die Lebensweise aller nordasiatischen Völker teilweise schon durch den Verkehr mit den Russen beeinflußt ist; dies gilt von ihren Sitten, Gebräuchen und religiösen Vorstellungen.

Phot. A. Klett.

Samojedenfamilie in Winterkleidung.


GRÖSSERES BILD

Ihrem religiösen Bekenntnis nach sind die meisten der sibirischen Völker rechtgläubige Christen, aber in Wirklichkeit huldigen sie doch noch vielfach ihrer alten heidnischen Religion, dem Schamanismus, der wieder auf dem Animismus und dem Ahnenkult (Abb. 306) beruht. Einige Stämme bekennen sich zum Lamaismus, noch andere zum Islam. Vielfach haben sich die christlichen Gebräuche mit heidnischem Aberglauben verquickt, so daß daraus eine eigentümliche Form der offenbarten Religion hervorgegangen ist. Zunächst sind es die Furcht und Freude zugleich einflößenden Naturgewalten, die für die Sibirier zum Gegenstand der Verehrung werden, in erster Linie die Sonne, sodann Blitz, Donner, Regen, Wolken, Feuer, ferner der Wald, auffallend geformte Steine, Gebirge, Flüsse, Seen, das Meer und so weiter. Ihnen bringen sie Opfer in Gestalt von Fleisch, Blut, Fett, Häuten, Fellen und Schmucksachen dar. So werfen die Itälmen die Nase der Pelztiere ins Feuer, die Jakuten und Tungusen schütten beim Essen von jedem Gericht einen Löffel voll hinein, die Samojeden legen Felle, Perlen und Schmucksachen an den Fuß gewisser Bäume, bestreichen Steine mit Blut und Fett, die Ostjaken behängen Bäume mit Pferde- und Rinderhäuten oder Pelzwerk, die Tungusen gießen beim Überschreiten von Gebirgspässen einen Schluck Branntwein aus oder hängen Pferdehaare, Felle, Tuchfetzen an die dort stehenden Bäume oder Steine.

Phot. Fr. Alexander.

Abb. 300. Reiche Jakutenfrau.

Der animistischen Denkweise entsprechend werden auch Tiere als höhere Wesen behandelt; man verehrt sie hauptsächlich aus Furcht, daß sie sich rächen könnten, wenn man sie tötet. Besonders der Bär und der Walfisch erfreuen sich der größten Achtung. Dem ersten zu Ehren werden große Feste veranstaltet, an denen schließlich ein Bär getötet wird. Die Giljaken fangen zu diesem Zwecke ein junges Tier ein; jedem Dorfe, in dem dasselbe bei dem Transport Aufenthalt nimmt, widerfährt dadurch ein Glück; wird durch Versehen der Führer etwa ein Kind vom Bären getötet, so schätzen die Eltern dies als eine Auszeichnung. In dem Heimatdorfe angekommen, bringen die Giljaken den Bären in einen besonderen Behälter, wo er längere Zeit gefüttert und gut gepflegt wird. Zum Festtage strömen die Leute von weit und breit zusammen; es finden gleichzeitig Hundewettrennen statt. Darauf wird der Bär, der für die Festlichkeit vorgesehen ist, herumgeführt und zum heiligen Platze gebracht; hier bindet man ihn an einen Pfahl und tötet ihn durch Pfeilschüsse unter dem Geschrei und dem Gejubel der versammelten Menge. Darauf wird er zerlegt und sein Fleisch an die Zuschauer verteilt; die Veranstalter des Festes müssen sich mit der Suppe begnügen. Die Knochen des Tieres werden schließlich gesammelt und in einer besonderen Gruft beigesetzt. Die Ostjaken stimmen vor der an einem Baume aufgehängten Haut des Bären Bittgesänge an, auf daß das getötete Tier ihnen ihr Vorgehen vergebe, und erweisen ihm große Ehre, um seinen Geist zu versöhnen, damit er sich nicht räche. Ein ähnliches Fest begehen im Anfang des Frühjahrs die Itälmen. Hierbei ist der Walfisch Gegenstand der Verehrung. Sie schnitzen aus Holz ein solches Tier von etwa einem halben Meter Länge und zünden vor ihm eine Lampe an, die die ganze Fangzeit über, also bis zum Herbste brennen muß. Im nächsten Frühjahr, bevor die Walnetze ausgelegt werden, bringen sie den hölzernen Walfisch unter Trommelwirbel und allgemeinem Jubel in eine Erdjurte und schlachten ihm zu Ehren eine Anzahl Hunde. Schamanen verkünden darauf, daß das Tier ins Wasser entflohen sei.

Phot. A. Kett.

Abb. 301. Samojeden mit sibirischen Hunden.

Ebenso wie die Rache getöteter Tiere wird auch die verstorbener Menschen von den Sibiriern gefürchtet; sie sind daher bestrebt, wie wir noch weiter unten sehen werden, den Verstorbenen ihre Habe mit ins Grab zu geben und durch allerlei Zeremonien sie an der Rückkehr zu verhindern. Außerdem lassen sie es sich angelegen sein, mit Hilfe der Schamanen der Seele der Abgeschiedenen den Weg ins Jenseits zu zeigen. Über das Aussehen der Geister und ihr Wesen herrschen unter den Sibiriern nur unklare Vorstellungen; man glaubt vielfach, daß sie zu Bären, Adlern, Eulen, Käfern und so weiter werden oder als Schatten umhergehen, und unterscheidet gute und böse Geister. Die ersteren gelten meistens für die Beschützer des Hauses und des Eigentums, während die bösen hingegen als Unholde den Menschen alles mögliche Böse zuzufügen suchen, im besonderen Krankheit und Tod. Nach dem Glauben der Burjäten essen sie die kleinen Kinder und trinken ihr Blut, aber nur bei solchen unter einem Jahre; die Erwachsenen belästigen sie dagegen durch allerlei Ränke. Früher scheint man bei diesem Volke durch Menschenopfer die bösen Geister versöhnlich gestimmt zu haben, wie sich aus alten Liedern und Sagen der Burjäten entnehmen läßt. Da man mit der Möglichkeit rechnen muß, daß die Geister der Verstorbenen trotz aller Vorsichtsmaßregeln doch zu ihren Angehörigen zurückkehren, fertigt man Ahnenbildnisse für sie an, in denen sie dann einen ihrem früheren Körper ähnlichen Aufenthalt nehmen können. Es sind dieses aus Holz roh geschnitzte, bald größere, bald kleinere menschliche Figuren, an denen eigentlich nur der Kopf, als der Sitz der Seele, ausgearbeitet zu werden pflegt. Man bringt sie entweder im Hause oder unter dem Dachfirst an, stellt sie auch wohl an abgelegenen Plätzen auf.

Phot. Fr. Alexander.

Abb. 302. Jakutenschnitter von der Arbeit ausruhend.

In der rechten Hand hält er einen Wedel gegen Insekten, in der linken eine Sense.

Allgemein nimmt man an, daß die Seelen der Verstorbenen nach längerer oder kürzerer Frist in eine andere Welt übergehen, wo sie ein dem irdischen ähnliches, aber weit glücklicheres Leben führen. Nach dem Glauben der Ostjaken geht die Seele zunächst in den Himmel ein und bleibt hier ebensolange, wie sie auf Erden weilte, sodann wandert sie in einen Käfer, der unter Steinen lebt, und schließlich geht sie in das Innere der Erde über. Die Eskimo kennen ein Totenreich, das unserem Fegfeuer entsprechen würde und für die bösen Geister als Aufenthalt dient, und ein Himmelreich, wo die Abgeschiedenen die wahre Seligkeit finden und wohin in erster Linie Männer gelangen, die im Leben viel erduldet und große Taten vollbracht haben, sowie die Frauen, die im Wochenbett starben. Zu diesen beiden Reichen ist indessen der Zugang nicht leicht; zu ersterem führt er über ein dünnes Seil oder über eine spiegelglatte Eisbrücke, an deren Ende zwei bissige Seehunde die Ankömmlinge erwarten, zu letzterem über den Regenbogen und einen bluttriefenden Berg. Wegen dieser mannigfachen Gefahren, die die Abgeschiedenen auf den Wegen ins Himmelreich erwarten, geben die Eskimo ihren Kindern Hundeköpfe ins Grab mit, die die schwachen Kinderseelen unterwegs leiten und beschirmen sollen. Bei den Jakuten sind die ursprünglichen Anschauungen von der Gottheit und dem Leben nach dem Tode bereits stark durch den Monotheismus der christlichen Religion beeinflußt worden. Gott ist nach ihrer heutigen Ansicht unsichtbar, er wohnt im siebenten Himmel und regiert von dort die Welt; zwischen ihm und der Erde bilden eine Reihe weniger bedeutender Götter die Vermittlung. Der Himmel hat sieben Firmamente übereinander, auf dem obersten thront Gott der Schöpfer, auf den niedriger gelegenen die übrigen Götter. An den Stufen des Himmels wohnen die guten Geister, in der Tiefe der Hölle die bösen, denn die Seelen der Verstorbenen werden je nach ihren Tugenden oder Lastern in jene oder in diese verwandelt. Der Fürst der Hölle wird auch als ein Gott angesehen. Die Erde ist dem Teufel zur Verfügung gestellt; er kann die auf ihr lebenden Menschen verführen; damit er diese ihm verliehene Macht nicht zu sehr mißbrauche, hat Gott die geringeren Götter auf die Erde gesandt; sie sollen die Menschen vor den Angriffen des Teufels schützen. Nach dem Tode nimmt der Teufel die Seele und führt sie an alle Stellen, wo der Lebende sündigte, und bestraft sie dort; darauf gelangt die Seele an den ihr zukommenden Platz.

Aus „Globus“.

Abb. 303. Burjätische Frau.

Auch während des Schlafes trennt sich die Seele zeitweilig von dem Körper des Menschen und kann umherschweifen. Fängt der Teufel dabei die Seele ein, so erkrankt der Mensch; hält er sie zu lange fest, dann muß er sterben. Ist ein Mensch krank geworden, so versucht man es bei den Tschuktschen mittels Suggestion (Abb. 313). Sonst wendet man sich an den Schamanen, da nur ein solcher imstande ist, die Seele zurückzuschaffen. Die Schamanen sind zumeist Männer (Abb. 308), seltener Frauen (Abb. 311), denen die Aufgabe zufällt, zwischen den Menschen und den überirdischen Geistern, im besonderen den bösen, dem Teufel, zu vermitteln. Ihr Beruf pflegt sich von Vater auf Sohn zu vererben, jedoch kann ihnen ihre Bestimmung auch von den Göttern im Traume verkündet werden; auf jeden Fall haben die angehenden Schamanen eine langdauernde Schule durchzumachen, in der sie in die Geheimnisse eingeweiht werden. Zumeist sind sie wohl von ihrer Kunst überzeugt, oft genug aber sind sie auch bewußte Betrüger, die durch ihre besondere Klugheit die übrigen zu betören vermögen; sie machen zur Erhöhung ihres Ansehens auch allerlei Taschenspielerkunststückchen, ähnlich unseren Spiritisten. Eine wesentliche Vorbedingung für den Schamanenberuf scheint eine gewisse Überempfindlichkeit des Nervensystems zu sein, eine Art Hysterie. Sie zeichnen sich äußerlich durch eine besondere Tracht aus, die durch auffälligen Zierat, wie allerlei Lederstreifen, Adlerklauen, Schlangenhäute, Federn, Ringe, Glöckchen, Amulette und so weiter, furchterregend auf die Zuschauer wirkt. In der Hand halten sie das wichtigste Werkzeug ihrer Kunst, eine Trommel von etwa fünfzig bis siebzig Zentimeter Durchmesser, die aus einem hölzernen Rahmen besteht, mit Renntier- oder Seesäugerhaut bespannt und mit kleinen Schellen behängt ist. Die Trommel wird mit einem kurzen Stock aus Holz geschlagen, der mit Fell überzogen ist und vorn meist in zwei Hörner ausläuft. Außerdem gehört zum Ausputz eines Schamanen eine runde Kupferscheibe, die zusammen mit Tigeridolen als Zeichen der Kraft und einigen Götterbildnissen an einem Lederriemen über seiner Brust hängt; in dieser Scheibe sollen sich die guten und bösen Taten der Menschen widerspiegeln, so daß sie der Schamane erkennen kann. Bevor der Schamane seine offizielle Kleidung anlegt, werden alle Gegenstände von seinem Gehilfen mit Branntwein bespritzt. Bei einer Krankenheilung setzt er sich bei den Golde noch eine Kopfbedeckung aus Hobelspänen auf, deren Enden ihm über den Nacken herabfallen, und befestigt solche auch an seinen Ellbogen und Knien. Der Zweck derselben soll der sein, daß die Krankheit während der Behandlung in diese Späne übergehe, die nach eingetretener Heilung dann fortgeworfen werden.

Wird der Schamane zu einem Kranken gerufen, um die von einem bösen Geiste diesem geraubte Seele wieder einzufangen, so erscheint er im vollen Kostüm, was an und für sich schon Schaudern einzuflößen geeignet ist, und nimmt an dem Kranken seine Beschwörungen vor. Er beginnt zunächst einen Tanz, der anfänglich langsam und manchmal nicht ungraziös, dann immer schneller ausgeführt wird und schließlich in einen wirren Wirbel ausartet. Gleichzeitig schlägt er seine Trommel, singt, schreit, brüllt, verzerrt mehr und mehr sein Gesicht und gerät allmählich in einen Zustand von Ekstase, in der er den bösen Geist erkennt und zu dem Kranken zitiert. Sodann kämpft er mit ihm, bestürmt ihn anfänglich mit Bitten und Versprechungen, dann mit Drohungen. Dieses Spiel treibt er so lange, bis er vollständig erschöpft zu Boden sinkt. Darauf erteilt er dem harrenden Kranken — oft genug, indem er sich dazu der Sprache eines Bauchredners bedient — die Antwort des bösen Geistes, die meistens darin besteht, daß dieser zur Versöhnung eine Anzahl Schafe oder Pferde fordert. Oft verlangen die Schamanen von dem Kranken beziehungsweise seiner Umgebung noch ganz andere Dinge, so zum Beispiel, daß er die Kleider wechsle und in den Wald an eine bestimmte Stelle hinlege; oft geben sie dem Kranken auch allerlei Mittel ein, stellen ihm Idole an die Seite (Abb. 310), schwingen bei der Beschwörung eine Gerte mit einem Pferdehaarbüschel über dem Kranken und anderes mehr. Trifft die Voraussage des Schamanen zu und findet der Kranke Genesung, dann wird jener gut belohnt; mißglückt dagegen der Beschwörungsversuch und stirbt der Kranke, so ist der Schamane um eine Ausrede nicht verlegen: er meint dann, daß die Seele auf ihrer Wanderung sich verirrt habe, oder daß die bösen Geister mit dem Opfer nicht zufrieden gewesen seien.

Aus: Brehm, Vom Nordpol zum Äquator.

Abb. 304. Inneres einer ostjakischen Hütte (Tschum).

In der Mitte das Herdfeuer mit dem Kochkessel an einer Stange, die zum Aufhängen der Wäsche und der nassen Kleider dient. Links oben ein Hausgötze, links unten Lagerstätten (aus Riedgrasbündeln gefertigte Matten mit Renntierfellen).

Die Mitwirkung eines Schamanen pflegt meistens auch gefordert zu werden bei der Aufdeckung eines Diebstahls, beim Wahrsagen, beim Wetterzauber und bei der Herstellung von Amuletten. Schließlich fällt ihm noch die Aufgabe zu, die Seele eines Verstorbenen ins Jenseits zu begleiten.

Aus: Deniker, Races of Men.

Abb. 305. Tunguse in seiner typischen Tracht

mit Schneeschuh und Stock auf der Jagd.

Wenn eine Schwangere bei den Sibiriern merkt, daß ihre schwere Stunde naht, dann zieht sie sich für einige Zeit in eine besondere Jurte oder Schneehütte zurück oder begibt sich abseits vom Dorfe ins Dickicht, um niederzukommen. In dieser Zurückgezogenheit bringt sie nach der Geburt auch noch einige Wochen (bei den Samojeden bis zu zwei Monaten) zu; nach Abschluß dieser Zeit unterzieht sie sich einer Läuterung. Bereits während ihrer Schwangerschaft ist die junge Mutter mancherlei Verboten unterworfen. Bei den Ostjaken ist es ihr untersagt, sich einem Manne zu nähern oder über Gegenstände des Haushaltes zu steigen. Ist ein schwangeres Weib zufällig doch über ein Netz gestiegen, so wird dieses zerschnitten, dann aber wieder zusammengenäht. Bei den Inuk muß sie aus einem besonderen Gefäß trinken, darf ihre Nahrung nicht vor der Hütte zu sich nehmen und mehr dergleichen. Wenn bei den Golde eine Frau Mutter wird, dann pflegt sie den Schamanen über die Zukunft ihres Kindes um Rat zu fragen. Sie verschluckt die Regenbogenhaut eines Bärenauges, damit das Kind ein gutes Aussehen bekomme, sagt dies aber keinem anderen, sondern behauptet, daß sie das Auge versteckt habe; denn es würde ihr als Sünde ausgelegt werden, wenn sie sie etwa gegessen hätte. Nach dem Glauben dieses Volkes leben die menschlichen Seelen vor ihrer Geburt im Himmel, wo sie in der Gestalt eines kleinen Vögelchens in einem großen heiligen Baume wohnen. Steigt eine solche Seele zur Erde hinab, dann bildet sie sich im Leibe der Frau zu einem Menschen um. Stirbt das Kind innerhalb eines Jahres, dann kehrt seine Seele wieder zum Himmel zurück, behält aber die Fähigkeit, zum zweitenmal Mensch zu werden. — Die Geburt geht meistens unter Beihilfe einer alten Frau vor sich. Um ihre schwere Stunde zu erleichtern, muß die Gebärende bei den Ostjaken dieser ihre Sünden bekennen. Soviel Sünden sie beichtet, so viel Knoten macht die Alte in einen dünnen Strick. Gleichzeitig aber bekennt der Mann ebenfalls einer alten Frau, daß er in unerlaubtem Verkehr mit einem fremden Weibe gestanden oder daß er, was gar nicht so selten ist, Sodomiterei getrieben habe. Auch diese bindet für jedes Vergehen einen Knoten in einen Strick. Darauf werden beide Stricke miteinander verglichen, die überzähligen Knoten werden abgeschnitten, und der Rest wird der Kreißenden auf den Unterleib gelegt. Falls die Eheleute keine Sünde bei dieser Generalbeichte verheimlicht haben, steht der Gebärenden eine leichte Geburt bevor. Nach der Niederkunft muß die Frau sich gewissen Reinigungsgebräuchen unterziehen, die in der Hauptsache darin bestehen, daß sie sich täglich an dem Feuer in ihrer Hütte, in das sie wohlriechende Stoffe geworfen hat, durchräuchern läßt, auch wohl darüber hinwegspringt. Der Samojedin ist es zwei Monate lang verboten, frisches Fleisch zu essen, der Inukfrau sogar ein Jahr lang; auch darf diese das Fleisch eines durch Herzschuß getöteten Tieres nicht verzehren. Beim Wiederbetreten der gemeinsamen Wohnung legt sich die Ostjakin vor dem Eingang auf die Erde, worauf sämtliche Hausbewohner über sie wegschreiten; die Inukfrau betritt bei dem gleichen Anlaß das Haus nicht durch die Tür, sondern durch ein Loch in der Wand, die Tungusin ebenso durch ein Loch in der Decke; alles dieses hängt offenbar mit der Reinigung der Wöchnerin zusammen.

Aus: Falkenhorst, Nordpolfahrten.

Abb. 306. Götzenhain am unteren Ob.

Das Neugeborene wird bei den Jakuten von einer alten Frau vor dem Läuterungsfeuer mit Wasser, das sie zuvor in den Mund nimmt, besprengt und gewaschen; darauf schmiert sie es mit frischer Sahne ein. Die Burjäten reiben das Kind mit schmutzigen Lappen ab und wickeln es in eine frisch abgezogene Schafhaut ein. Die Ostjaken sowie die Samojeden stecken das Neugeborene in den Schnee und reiben es damit tüchtig ab. Darauf legen sie es in eine Art Wiege, einen elliptischen Korb an einem Hängeband, den die Mutter aus Birkenrinde selbst angefertigt hat. Bei den Golde muß das Kind dreimal die Wiege wechseln, um zu gedeihen; eine leere Wiege darf nicht geschaukelt werden. Gestillt werden die Kinder wohl überall sehr lange; man hat beobachtet, daß fünfjährige Kinder noch neben den jüngeren Geschwistern die Brust dargereicht erhielten. Solange das Kind noch nicht sprechen gelernt hat, besteht bei den Jakuten der Aberglaube, daß es die Fähigkeit besitze, die Sprache der Tiere, im besonderen der Vögel, sowie des Feuers und der Geister zu verstehen. Die Burjäten glauben, daß böse Geister die kleinen Kinder aufessen; daher sind sie bestrebt, alles mögliche zu tun, um jene von diesen fernzuhalten. Sie beauftragen Schamanen, die Geister aus dem Hause zu verjagen. Auch geben sie keinem Fremden Zutritt zur Jurte, weil mit diesem zugleich ein böser Geist eintreten könnte; die Türe bleibt in solchem Falle beständig geschlossen. Wollen die Angehörigen in die Jurte, so müssen sie mit einem Schläger an einen Topf, der draußen hingestellt wird, schlagen; dadurch soll der böse Geist erschreckt und zur Flucht gezwungen werden. Manchmal ruft auch der Schamane den guten Geist an, auf daß er das Neugeborene vor dem bösen beschütze.

Die Namengebung erfolgt zumeist bald nach der Geburt. Die Jakuten geben dem Knaben erst einen Namen, wenn er sich aufzusetzen beginnt; einen zweiten erhält er, wenn er den Bogen zu spannen gelernt hat. Die Mädchen erhalten für gewöhnlich keinen Namen, sie werden entweder einfach mit „Weib“ oder „Frau“ oder „Tochter des Soundso“ angeredet. Die Ostjaken benennen ihre Kinder nach irgendeinem zufälligen Merkmal aus der Umgebung; die Korjäken hängen ein in Haut eingewickeltes Steinchen an einem Faden zwischen zwei Stäben auf und nennen darauf eine Reihe Namen; derjenige Name, bei dem der Stein sich bewegt, wird dem Kinde gegeben. Bei den Golde ändert man den Namen, sobald man erfährt, daß einer Person, die den gleichen Namen trägt, ein Unglück zugestoßen ist. — Wenn bei den Golde ein Weib mehrere Male tote Kinder zur Welt gebracht hat, dann fertigt der Schamane bei einer neuen Schwangerschaft ein Säckchen an, in das er die neue Seele des Kindes legt, und trägt dieses beständig an seinem Gürtel mit sich; dadurch hofft er das Kind am Leben zu erhalten. — Die jungen Mädchen werden bei den Burjäten bis zu ihrem siebenten Lebensjahre auf dem Kopf rasiert; erst dann läßt man ihr Haar wachsen und ordnet es in Flechten an.

Aus: Hawes, Im äußersten Osten.

Abb. 307. Orotschonenfrau.

Verschiedentlich begegnen wir unter den sibirischen Völkerschaften den bekannten Kinderverlöbnissen. Bei den Giljaken zum Beispiel zahlt der Vater eines vier- bis fünfjährigen Knaben an die Eltern eines entsprechend alten Mädchens den Brautpreis, und dieses bleibt entweder im Hause ihrer Eltern oder siedelt in die Hütte ihrer zukünftigen Schwiegereltern über, wo es mit ihrem „Manne“ zusammen aufwächst und auch seine Frau genannt wird. Besondere Hochzeitszeremonien finden nicht statt, nur ein Schmaus wird gegeben, der sich manchmal durch Wochen hinzieht und bei dem der Branntwein in Strömen fließt. Auch bei den Golde wird das Mädchen in noch ganz jugendlichem Alter ihrem Zukünftigen versprochen. — Im übrigen ist das Heiratsalter für alle diese nordischen Völkerschaften ein ziemlich frühes. Bei den Samojeden und Ostjaken werden die Mädchen bereits mit zehn Jahren verheiratet und im elften oder zwölften Jahre Mutter, und bei den Tungusen gehen sie mit zwölf Jahren die Ehe ein. Die Braut wird durchweg durch Kauf erworben; dieser Kalym wird entweder in Renntieren oder in Kleidern, Gerätschaften, Pelzwerk, neuerdings jedoch mehr und mehr in barem Gelde (Rubeln) erlegt. Ist der Bräutigam arm, dann darf er nicht eher heiraten, als bis er alles, was ausgemacht wurde, abgezahlt hat. Oft genug geben die Eltern der Braut dieser auch eine Mitgift, die dem Kalym an Wert meistens gleichzukommen pflegt. Das Werben geschieht bei den Ostjaken durch Frauen, die sich in die Jurte, wo das Mädchen sich aufhält, begeben und hier ohne ein Wort zu sagen seinen Eltern Geschenke darbringen; nehmen diese sie an, dann bekunden sie hierdurch ihr Einverständnis. Darauf treten die Eltern des Bräutigams mit ihnen wegen Festsetzung des Brautpreises in Verbindung. Bei den Jukagiren sind auch wirkliche Neigungen mit im Spiele. Hier ritzen die jungen Mädchen in ihrer Freizeit in Birkenrinde, die das Papier vorstellt, mit einem Messer Zeichnungen (Abb. 309) ein, in denen sie ihrer Liebe zu einem bestimmten Jüngling oder auch ihrem Kummer darüber, daß er sie verlassen hat, Ausdruck geben. Es besteht hier nämlich die Sitte, daß nur die jungen Männer ihre Liebe in Worte fassen dürfen, weswegen die Mädchen ihre Zuflucht zu einem solchen Mittel nehmen, um die ihrige bekannt zu geben. — Während der Brautzeit wird bei den Burjäten die Anzahl der Zöpfe, die die jungen Mädchen tragen, bis auf zweiundzwanzig erhöht.

Phot. Fr. Alexander.

Abb. 308. Jakutenschamane.

Aus „Globus“.

Abb. 309. Zeichnung eines jukagirischen Mädchens auf Birkenrinde, um ihre Liebe zu einem jungen Manne zu bekunden.

Figur abcdef stellt eine Hütte vor, die Figuren oj einen jungen Mann, kh ein junges Mädchen (durch größere Breite in der Hüfte xz und den Zopf tv gekennzeichnet), xt und zt die Arme. Die Verbindungslinien rs, tu und r′t′ sollen andeuten, daß die beiden Personen sich lieben, die Linie ji, die bei dem Kopf der männlichen Figur beginnt und über den der weiblichen hinübergeht, ebenso die Linie hg, die in entgegengesetzter Richtung geht, drücken die Umarmung aus. Also ein Liebesbrief des Inhalts: „Ich liebe dich mit meiner ganzen Seele.“

Abb. 310. Idole der Golde.

Die Hochzeitszeremonien sind bald ziemlich komplizierte, wie bei den Golde und den Jakuten, bald wieder ganz bescheidene wie bei den Tschuktschen, Giljaken und Ostjaken. Bei letzteren wird die reich geschmückte Braut im Schlitten von den Werberinnen abgeholt und nach der Behausung der Eltern ihres Bräutigams gefahren, wo diese sie empfangen und von ihr Geschenke, die meistens in Tüchern bestehen, erhalten; bevor der Schlitten sich in Bewegung setzt, tritt einer der Jurtenbewohner hervor und verlangt ein Lösegeld. — Bei den Tschuktschen wachsen die Kinder, die später als Mann und Weib leben sollen, schon von früher Jugend an miteinander auf; sobald der Jüngling imstande ist, sich selbst zu ernähren, tun beide sich als Ehepaar zusammen. — Bei den Golde erwartet der Bräutigam im reichen Jagdkostüm (Abb. 312) seine mit dem Boot eintreffende Zukünftige. Sobald er ihrer sichtbar wird, springt er schnell in ihr Boot und kämpft um sie ungefähr eine halbe Stunde lang, bis Friede zwischen den Parteien geschlossen wird. Hierbei haben wir es offenbar mit einem Überrest des Brautraubes zu tun. Darauf begibt sich der Bräutigam mit dem Schwiegervater ins Haus, während die Braut und ihre Mutter mit ihren nächsten Angehörigen am Strande warten und erst auf eindringliche Einladung von seiten der Mutter und Schwestern des Bräutigams das Haus betreten. Hier wird die Braut sogleich auf ihren Ehrenplatz geführt und sodann in die neue Hausgenossenschaft aufgenommen. Der Vater breitet einen neuen Teppich auf der Erde aus, läßt das Brautpaar niederknien und reicht seinem Sohne ein Glas Branntwein, das dieser wieder seiner Braut darbietet und sodann die Runde unter den Gästen machen läßt. Hierauf begrüßt die nunmehrige junge Frau den Hausgott und verteilt Tabak an die Teilnehmer, während diese sie beschenken. Den Schluß bildet der Hochzeitschmaus, bei dem der Branntwein wiederum eine große Rolle spielt. Die junge Frau wechselt hierbei ihren Hochzeitstaat mit einem Arbeitsanzug und geht Wasser holen. Damit erreicht das Fest sein Ende. — Sehr zeremoniell geht es bei einer Jakutenhochzeit zu. Hier erscheint der Bräutigam hoch zu Roß in Begleitung seiner Angehörigen im Hause der Braut und bringt viel Fleisch für das Hochzeitsmahl mit. Beim Empfang im Hofe hält ihm der Schwiegervater den Steigbügel. Während nun alle Gäste sich im Hause versammeln, bleibt der Bräutigam vorläufig allein draußen, verbeugt sich nach Osten und begrüßt die aufgehende Sonne, bis er von seinem Vetter mit einer Peitsche ins Haus hineingetrieben wird. Die Schwiegereltern gehen ihm hier mit Heiligenbildern entgegen und segnen ihn; gleichzeitig erfaßt sein eigener Vater ihn von hinten und zwingt ihn, dreimal vor deren Füßen sich niederzulassen. Darauf wird das Fleisch hineingebracht und vom Bräutigam ausgewickelt; er selbst nimmt von einem bereits gekochten Pferdekopf drei Stückchen Fett unter den Augen heraus und wirft sie ins Feuer. Sodann wird er in die rechte Ecke des Raumes geführt und muß sich hier mit dem Gesicht nach der Wand zu niedersetzen. In entsprechender Weise nimmt seine Braut in der linken Ecke Platz. So verharren beide eine bestimmte Zeit, bis das Festmahl beginnt. Bei diesem werden ein Ochse und ein Pferd geschlachtet und vor sämtlichen Gästen gekocht; diese selbst nehmen auf der frisch abgezogenen Haut der Tiere Platz. Dabei werden Trinksprüche ausgebracht und auf die neue Verwandtschaft mit den Worten getrunken: „Wir sind jetzt miteinander verwandt geworden und wollen daher in Freundschaft und Eintracht leben.“ Die gleiche Szene wiederholt sich an den folgenden Tagen. Die Weiber werden zur Tafel nicht zugelassen; sie nehmen ihre Mahlzeit in den Ecken des Zimmers ein. Am vierten Tage endlich besteigen die fremden Gäste wieder ihre Pferde und machen sich auf den Heimweg; zuvor aber wird ihnen das übrig gebliebene Fleisch zugesteckt, damit sie es ihren Angehörigen, die nicht an dem Mahle teilnehmen konnten, mitbringen.

Einer eigenartigen Erinnerung an den Brautraub begegnen wir bei den Burjäten. Hier schließt sich die Braut am Hochzeitstage mit ihren Freundinnen in einer Jurte ein. Diese machen ihre Zöpfe auf und verflechten sie mit denen der Braut, so daß die Haare aller zusammen gleichsam ein Ganzes bilden. Aufgabe des hinzukommenden Bräutigams ist es nun, die Gefährtinnen von seiner Auserkorenen zu trennen und letztere zu veranlassen, daß sie ihm in sein Haus folgt.

Phot. Fr. Alexander.

Abb. 311. Sojotenschamanin.

Für gewöhnlich begnügen sich die Sibirier mit einer Frau, jedoch ist es keine Seltenheit, daß Männer, die es sich leisten können, mehrere nehmen.

Die Stellung des Weibes ist überall eine recht niedrige; besonders untergeordnet erscheint sein Los bei den Burjäten, Ostjaken und Samojeden. Hier ist die Frau gleichsam das Lasttier des Mannes; es wird ihr nicht nur alle Arbeit im Haushalte auferlegt, sondern sie muß auch noch bei einem Wechsel des Aufenthalts die Hütte abbrechen, die ganze Last auf den Schlitten verstauen und am neuen Ort die Hütte wieder aufbauen.

Bei den Samojeden gilt alles, was ein Weib anfaßt, für unrein. Wenn eine Frau das Zelt aufgeschlagen hat, dann erhält sie nicht eher Zutritt zu ihm, als bis sie nicht nur ihre eigene Person, sondern alle Stücke, auf denen sie saß, einschließlich des Schlittens, sowie jeden Gegenstand, den sie in den Händen getragen, über einem kleinen Feuer mittels Renntierhaaren ausgeräuchert hat. Bei den Tungusen wird die eine Hälfte des Zeltes ausschließlich von den Männern, die andere von den Weibern eingenommen.

Eines etwas besseren Schicksals erfreut sich die Frau bei den Giljaken, was wohl daher kommen mag, daß unter diesen Völkern das weibliche Geschlecht in der Minderzahl und darum sehr gesucht und geschätzt ist. Bei ihnen kann eine Frau sogar Schamanin werden. Eine besondere Liebesbezeigung der Giljakeneheleute besteht darin, daß sie sich gegenseitig die Läuse vom Kopfe suchen und sich in den Mund stecken, sowie daß sie einander mit ihrem Speichel das Gesicht waschen. Die Giljaken behandeln ihre Frauen im allgemeinen gut; wenn dies nicht der Fall ist, dann verläßt die Gattin einfach ihren Mann und wird die Frau eines anderen, der den Brautpreis für sie erlegt.

Da die Frau durch den Kalym Eigentum des Mannes wird, so kann er mit ihr machen, was er will. Er kann sie auch züchtigen, sowie weiter verhandeln, vertauschen und verschenken. Gegenseitiger Austausch der Ehefrau war unter den Aleuten, Jakuten und Itälmen üblich. Ebenso kann ein Korjäke seine Frau einem Freunde, selbst wenn dieser schon verheiratet ist, für längere Zeit durch Vertrag überlassen. Sehr verbreitet ist unter den Sibiriern (Tschuktschen, Tungusen, Korjäken, Samojeden und so weiter) die Sitte, einem Gastfreunde, um ihn besonders zu ehren, Frau, Tochter oder Schwiegertochter für die Nacht zu überlassen. Als Zeichen einer solchen Annäherung von seiten der Frau gilt bei den Tschuktschen ein Kitzeln der Fußsohle des Gastes.

Abb. 312. Junger Golde auf der Brautschau.

Eine Scheidung der Ehe geht leicht vor sich. Ist ein Mann mit seiner Frau nicht zufrieden oder ist er ihrer überdrüssig geworden, dann sendet er sie einfach ihren Eltern zurück; er ist dann allerdings verpflichtet, den Kalym zurückzuerstatten. Einer Witwe ist es erlaubt, wieder zu heiraten; falls sie es aber nicht tut, steigt sie bei den Giljaken in der Achtung. Bei den Ostjaken siedelt die Witwe nach dem Tode ihres Mannes zu den Eltern des Verstorbenen über, die sie dann wieder wie ihre eigene Tochter verheiraten können; sind die Schwiegereltern schon gestorben, dann kehrt die Frau zu ihren eigenen Eltern zurück.

Mit der Sittlichkeit der Sibirier ist es im allgemeinen nicht sonderlich gut bestellt. Die unverheirateten Mädchen haben in geschlechtlicher Hinsicht vollständige Freiheit; niemand nimmt daran Anstoß, wenn sie vor der Ehe Verkehr haben, wohl aber wird es für entehrend gehalten, wenn dieser von Folgen begleitet ist. Daher ist der Kindsmord keine ungewöhnliche Erscheinung.

Bei Erkrankungen eines Menschen pflegt man den Schamanen zu rufen, der durch Beschwörung (wie wir oben schilderten) versucht, die entwichene Seele wieder einzufangen und zurückzubringen. Ist seine Kunst vergeblich und steht der Tod des Kranken zu erwarten, dann schrecken die Tschuktschen nicht davor zurück, ihn auf gewaltsame Weise aus dem Wege zu räumen. Wenn der Kranke in Schlummer verfallen ist, legen sie um seinen Hals einen Riemen und schnüren ihm damit die Kehle zu (Abb. 314). Nach Eintritt des Todes wird die Brust geöffnet und die Luftröhre durchschnitten. Es kommt auch vor, daß alte Leute, die des Lebens überdrüssig geworden sind, ihre Angehörigen angehen, sie ins Jenseits zu befördern; diesem ihrem Wunsche wird dann auch entsprochen. An demselben Tage noch wird der Leichnam in Felle eingehüllt und auf einem Renntierschlitten auf eine Hochebene oder in die Wildnis gefahren, wo man ihn vollkommen nackt mit nach Nordosten gerichtetem Kopfe einfach auf den Boden hinlegt und den Tieren zum Fraße überläßt (Abb. 315). Der Schlitten, der ihn dorthin brachte, wird zerhackt, die Renntiere, die ihn zogen, werden getötet und einige Streifen ihres Fleisches über den Toten gelegt. Meistens umgibt man den Toten noch mit einer Steinumwallung in Form eines Rechtecks und setzt einen kleinen Napf mit etwas Wegzehrung für die Reise ins Jenseits neben ihn, ferner einige Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, wie seine Pfeife und sein Messer, damit er sich ihrer auch dort bediene, wie hier auf Erden. Nie wieder wird die Begräbnisstätte von den Angehörigen betreten.

Mit Erl. des American Museum of Natural History, New York.

Abb. 313. Heidnische Krankenheilung bei den Tschuktschen durch Suggestion (Auflegen eines Stabes auf den Kopf).

Nach dem Tode eines Ostjaken zündet man im Tschum um die Leiche ein Feuer an und läßt den Schamanen kommen, damit er den Toten frage, auf welchem Friedhofe er beerdigt sein will. Dies geschieht in der Weise, daß man den Ort nennt und den Kopf der Leiche zu erheben sucht. Das Einverständnis erkennt man daran, daß der Tote dieses zuläßt; im anderen Falle würden drei Männer nicht imstande sein, seinen Kopf zu heben. Die Frage muß solange wiederholt werden, bis der Tote einwilligt. Darauf wird die festlich gekleidete Leiche entweder in einen Sarg oder in ein Boot gelegt; das letztere zerschneiden sie zu diesem Zwecke in zwei Hälften, in die eine kommt die Leiche zu liegen, mit der anderen wird sie zugedeckt. Sodann wird sie in einer Grube beigesetzt, wobei der Sarg erst mit Birkenrinde und dann mit Erde bedeckt wird.

Aus „Globus“.

Abb. 314. Kamitok bei den Tschuktschen.

Das Grab wird überdacht nach Art eines Hauses oder einer Jurte, doch bleibt in dem Dache eine Öffnung, um dem bösen Geist einen Ausweg zu lassen. Durch die gleiche Öffnung reicht man dem Verstorbenen Speise und Branntwein. Auf das Dach werden allerlei Gegenstände gelegt, ein Schlitten, ein Stein, Körbe, ein kleines Täschchen, ein Ruder und anderes mehr, unter das Dach stellt man auf das Grab eine Schale und einen Löffel, um den Verstorbenen bei Gelegenheit seines Gedächtnismahles zu speisen. Ein solches wird nämlich fünf Tage nach dem Tode eines Mannes und vier nach dem eines Weibes abgehalten; dabei werden Renntiere geopfert und verspeist, sowie Branntwein dazu getrunken. Nach dem Leichenmahle spießt man die Schädel der Opfertiere auf Pfähle (Abb. 316) und behängt letztere mit deren Geschirr, sowie mit kleinen Glocken. Der Schlitten, der die Leiche nach dem Friedhof brachte, wird zerschlagen. Zum Zeichen der Trauer tragen die Weiber einige Tage ihre Zöpfe aufgelöst. Eine Ostjakenehefrau zerkratzt sich beim Tode ihres Gatten das Gesicht mit den Nägeln, reißt sich die Haare aus und wirft sie auf die Leiche. Außerdem zieht sie einem hölzernen Block, dem man annähernd die Gestalt ihres Mannes gegeben hat, die Kleider ihres Gatten an, stellt ihn an den Ort, wo er zu sitzen pflegte, nimmt ihn nachts mit auf ihr Lager und küßt ihn; so treibt sie es ein volles Jahr lang, worauf sie den Klotz unter Tränen begräbt.

Bei den Jakuten wird der Verstorbene am dritten Tage in einem mit einem weißen Tuche vollständig bedeckten Sarge auf einem von Ochsen (niemals von Pferden) gezogenen Schlitten zur Grabstätte hinausgebracht. Niemand begleitet ihn außer den Trägern und Totengräbern; die letzteren schaufeln in größter Hast das Grab aus und eilen dann schnell nach Hause, bei der Heimkehr dürfen sie sich aber auf keinen Fall umsehen. Zu Hause führen sie dann die Tiere, die die Leiche zogen, durch ein Feuer, das sie aus den Abfällen des Sarges und dem Stroh, auf dem der Tote lag, entzünden. Die Spaten und auch die sonstigen Werkzeuge, mit denen sie beim Grabe hantierten, werden an diesem zurückgelassen; bei einem Kinde dagegen legt man dessen Spielzeug auf das Grab und hängt seine Wiege nebenan an einem Baume auf. Ist ein Schamane beerdigt worden, dann werden seine Zaubertrommel und sein Kostüm ebenfalls am Grabe aufgehängt. Man begräbt diese Leute bei Nacht oder wenigstens am Abend in großer Eile und meidet späterhin ihre Stätte ängstlich.

Mit Erl. des American Museum of Natural History, New York.

Abb. 315. Begräbnisplatz der Tschuktschen auf einer Hochebene in den Tschannbergen.

Die Frau eines Golde legt sich des Nachts neben den verstorbenen Ehemann und deckt sich mit dem gleichen Tuche wie die Leiche zu; sie glaubt nämlich, daß seine Seele noch nicht fortgegangen sei, sondern so lange im Hause weile, bis der Schamane sie ins Jenseits geführt hat. Auch nach dem Begräbnis geht die Witwe von Zeit zu Zeit nach dem Grabe des Gatten und legt sich hier nieder. Am nächsten Tage nach dem Tode wird die Leiche durch das Fenster gehoben und auf der Straße in den Zedernholzsarg gelegt; unter ihren Kopf legen die Frauen aus Papier geschnittene Tierfiguren und unter die Füße einen Stein; dies ist nötig, um ins Jenseits zu gelangen. Auf dem Wege zur Grabstätte wird mehrere Male haltgemacht und der Sarg jedesmal mit Branntwein begossen; dabei ruft man dem Toten noch die Worte zu: „Trinke, gute Reise in das Land der Seelen; komm nicht wieder und nimm keines deiner Kinder und Tiere mit.“ Der Sarg wird in einer Grube beigesetzt und über ihm eine Hütte errichtet, in die man die Jagdgeräte und Lieblingsgegenstände des Toten legt. Währenddessen zünden die Frauen neben der Grabstätte ein großes Feuer an und bitten den Toten noch einmal, daß er nicht wieder kommen und niemand nach sich ziehen möge. Hierauf wird ein Hund getötet, an einem Baume aufgehängt und mit Hirschfell bedeckt. Zu Hause wäscht sich die Witwe Hände und Gesicht und verbrennt wohlriechende Kräuter. Sodann werden die Vorratsräume, die, solange der Tote noch im Hause lag, geschlossen waren, wieder geöffnet und ein Totenmahl abgehalten.

Aus: Brehm, Vom Nordpol zum Äquator.

Abb. 316. Ein Begräbnis bei den Ostjaken.

Nach einigen Monaten findet sich ein Schamane ein, um die Seele des Verstorbenen mit Hilfe des Vogels Koori (eines aus Holz geschnitzten, mit rotem Rehfell überzogenen Vogels von der Gestalt eines Kranichs) und des Schutzgeistes Butschtschu (einer gleichfalls mit Rehfell überzogenen geflügelten menschlichen Figur mit krummen Beinen) auf ihrem Wege ins Jenseits zu begleiten, zu dem sie nicht allein den Weg kennt, sondern auch die Namen der Orte, die die Seele zu passieren hat — es sind achtzehn Stationen — und die Gefahren, die sich ihr auf dem Wege entgegenstellen. Der Schamane macht im Geiste bei seiner Beschwörung alle die furchtbaren Qualen angeblich mit durch und kehrt nach dem Erwachen aus seinem Dämmerzustand völlig erschöpft auf dem Vogel Koori und im Gefolge des Geistes Butschtschu wieder heim. Bis der Schamane ihre Führung übernimmt, hält sich die Seele des Abgeschiedenen in einem kleinen viereckigen Kissen auf, das man zu diesem Zwecke anfertigt. Man behandelt dasselbe wie eine lebende Person; man spricht mit ihm, gibt ihm zu essen und zu trinken und bedeckt es von Zeit zu Zeit mit den neuen Kleidern des Verstorbenen. Sobald aber die Seele ins Jenseits hinüber befördert worden ist, wird das Kissen zerrissen und ins Feuer geworfen. Damit sind alle Beziehungen zu dem Toten für immer aufgehoben, und die Witwe kann jetzt wieder heiraten.

Phot. Major P. M. Sykes.

Abb. 317. Persische Tänzer, wie sie sich zu Hochzeiten und anderen Festlichkeiten einfinden.

Ihre Tänze bestehen in Stellungen und Wendungen unter Musikbegleitung.

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