Nordindien.

Hindu und Mohammedaner.

Je weiter wir in Indien nach Norden vordringen, um so reiner treten uns die Hindu entgegen, reiner insofern, als sie in höherem Grade die charakteristischen Züge ihrer Vorfahren bewahrt haben, die im zweiten Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung aus Europa über Iran in das Fünfströmeland einwanderten und sich von da aus über ganz Indien ausbreiteten. Je weiter nach Süden, um so stärker wurde ihre Mischung mit den bereits vor ihnen hier ansässigen Drawida und Ureinwohnern. Die äußere Erscheinung der Hindu ist eine ansprechende; besonders sind beim weiblichen Geschlecht wirkliche Schönheiten keine Seltenheit. Die Hindu sind im allgemeinen ein mittelgroßer, schlank gewachsener Menschenschlag von geschmeidigen, aber verhältnismäßig langen Gliedmaßen, samtweicher, glänzender, ziemlich lichter Hautfarbe, die vielleicht der des Südeuropäers entspricht, üppigem, glänzendschwarzem, welligem oder lockigem Haupthaar und verhältnismäßig reichlichem Bartwuchs. Ihr Kopf ist klein, lang und schmal; das schmale, hohe (ovale) Gesicht mit wohlentwickelter Stirn und anliegenden Jochbogen zeigt regelmäßige, feine Züge, eine ebenfalls schmale, fein geschnittene Nase mit hohem, häufig konvexem Rücken, horizontal stehende, große Augen ohne Mongolenfalte, einen mittelgroßen Mund und ein kleines, rundes Kinn. Die reinsten Vertreter dieses dem europäischen nahekommenden Typus finden sich in den oberen Kasten des Fünfströmelandes, von Kaschmir und Radschputan, im besonderen unter den Brahmanen. Je niedriger eine Kaste in der sozialen Stufenordnung der Hindu steht, um so dunkler ist ihre Hautfarbe. Das Bestreben der arischen Einwanderer, die Rasse rein zu erhalten, hat im Laufe der Zeiten dazu geführt, daß sie sich in kleine Gemeinschaften absonderten, die unter gleichen Lebensbedingungen miteinander lebten und nur untereinander heirateten. Ein jeder, der außerhalb des so geschaffenen Ringes stand, galt als ein Fremder; mit ihm hörte eine soziale Gemeinschaft, im besonderen eine Heirat, auf. Auf diese Weise entstanden besondere Gesellschaftsklassen, die sogenannten Kasten — das Sanskritwort für Kaste, „Warna“, bedeutet direkt Farbe — deren es heutzutage eine ungeheure Menge gibt (im Jahre 1901 sollen deren nicht weniger als zweitausenddreihundertachtundsiebzig gezählt worden sein), zumal sie sich wieder in kleinere Unterkasten gliedern, die aber wieder häufig genug soziale Unterschiede, wenn auch nur geringfügige, unter sich machen. So ist zum Beispiel die Kaste der Brahmanen unter diesem Namen über ganz Indien verbreitet, aber in Wirklichkeit zerfällt sie wieder in eine Menge differenzierter Abstufungen — die nördlichen sollen ihrer allein vierhundertneunundsechzig zählen — die hinsichtlich des geselligen Verkehrs vollständig voneinander getrennt leben. Für einen Brahmanen aus Kaschmir, der wohl den ursprünglichen arischen Typus noch am reinsten vertritt, würde ein solcher aus Madras, wenngleich er nominell derselben Kaste angehört, nicht als gleichgestellt gelten, ebensowenig ein Brahmane aus Bombay einen aus Bengalen als einen solchen anerkennen. Über den Verkehr der indischen Kasten herrschen strenge Gesetze. Wer sich dagegen vergeht, ja etwas von einem Angehörigen einer niederen Kaste auch nur berührt, gilt als unrein. Daß ein Mensch aus einer niederen Kaste in eine höhere übergeht, tritt wohl sehr selten ein, dagegen aber häufig der umgekehrte Fall, daß er in eine niedere verstoßen wird. Ein solches soziales System hat notgedrungen dazu geführt, daß bestimmte Kasten sich einem besonderen Handwerk zugewandt haben; daher decken sich vielfach Kaste und bestimmte Handwerke. Ursprünglich gab es in Indien nur vier große Kasten: die Brahmanen oder Priester, die Kshatriya oder Krieger, aus der die regierenden Fürsten hervorgingen, die Vaishya oder Ackerbauer und Kaufleute, und die Sudra oder Handwerker. Die letzteren wurden von den unterworfenen Eingeborenen gestellt. Diese Kasten unterschieden sich auch äußerlich in ihrer Tracht, die sich bis auf unsere Tage erhalten hat. Die Angehörigen der Brahmanenkaste tragen um den Hals ein Band aus locker mit der Hand gedrehten Baumwollfäden, die der Kshatriya ein solches aus Hanf, die Vaishya aus Schafwolle. Paria heißen die keiner Kaste Angehörigen, sowie die Ausgestoßenen.

Phot. N. Edwards, Littlehampton.

Abb. 170. Verheiratete Bengalin.

Abb. 171. Fuß einer Hindufrau.

Phot. Sohanlal Bros.

Abb. 172. Eine Kohlenbrennersfrau der Dogra (Westhimalaya und Pendschab)

mit ihrem Kind.

Die Kleidung der Hindu besteht bei den niederen Klassen meistens nur in einem Hüfttuch, bei den höheren in weiten kurzen Beinkleidern und einem Obergewand, manchmal auch in einem mantelartig umgeschlungenen Tuch; um den Kopf wird ein Tuch nach Art eines Turbans, unter die Füße Sandalen gebunden. Für die Brahmanen ist vollständig weiße Kleidung vorgeschrieben. Die Frauen bekleiden sich mit einem mehrere Meter langen Schal aus Musselin oder bunter Seide, mit dem sie Kopf und Oberkörper leicht umhüllen und auch einen Teil des Unterkörpers umschlingen, einen trikotartigen, fest anliegenden Jäckchen, das eigentlich nur für die Einhüllung der Brüste bestimmt ist, denn von da an bis zum Nabel bleibt der Körper für gewöhnlich entblößt, und einem weiten, von den Hüften herabhängenden Rock aus Baumwolle oder Seide (Abb. 172). Die Mohammedanerinnen gehen vollkommen bekleidet und tragen noch eng anliegende Beinkleider. Besondere Vorliebe bekunden die Hindufrauen für Schmuck, der bei den wohlhabenderen auch sehr reichlich ausfällt: die entblößten Arme, die Handgelenke, der Hals, die Knöchel und selbst die Zehen (Abb. 171), ferner die Ohren und die Nase werden mit Ringen und Spangen, beziehungsweise Ketten, meistens aus Edelmetall mit wertvollen Steinen hergestellt, förmlich überladen. Ein Ring im linken Nasenflügel (Abb. 170) zeigt an, daß seine Trägerin verheiratet ist. Die Vornehmen beider Geschlechter salben sich mit wohlriechenden Ölen; die Frauen färben sich die Fußsohlen und Hände rosa, andere den ganzen Körper gelb, bemalen sich auch das Gesicht, schwärzen sich die Augenbrauen und tatauieren sich. Junge Mädchen tragen öfters ein kleines rundes Goldplättchen, Tica genannt, oberhalb der Nasenwurzel.

Phot. A. J. Combridge & Co.

Abb. 173. Ein Büßer der Urdhamukhi Sadhu oder Heiligensekte

in hängender Stellung mit dem Kopf nach unten, wodurch diese Fakire in den Ruf großer Heiligkeit gelangen.


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Abb. 174. Ein Brahmanenweib bei ihrer täglichen Andacht.

Die Frau sitzt auf einer Matte, hält eine Glocke in der Hand und hat vor sich einen Opferbecher, eine Muschel, einen kleinen Ständer oder Aufsatz mit Bildern und das Gebetbuch.

Die Beschaffenheit der Wohnungen hängt von dem Rohmaterial ab, das die Gegend liefert. Im allgemeinen wohnen die Vornehmen in Häusern aus Backsteinen oder aus Holz, die einfacheren Leute hausen in Hütten, die aus Bambus oder Lehm aufgebaut und mit Matten oder Palmblättern bedeckt sind. — Die Nahrungsweise der Hindu ist seit Zeiten ziemlich dieselbe geblieben; Pflanzenkost ist bevorzugt, für manche Kasten direkt vorgeschrieben. Daher machen Reis und Milch, in anderen Gegenden mehr Hirse und Weizen die Hauptnahrung aus.

Die ursprüngliche Religion der arischen Einwanderer in Nordindien war der Animismus oder die Seelenanbetung, die in allem in der Natur eine Seele erblickte und im Dämonen- und Zauberglauben ihren Ausdruck fand. Erst später trat die Vorstellung an bestimmte höhere Wesen hinzu, an Naturgötter, wie Agni, Indra, Surya, Waruna und andere mehr, die uns in der ältesten indischen Religionsliteratur, den Veden, begegnen. Aus dieser Lehre entwickelte sich allmählich eine hochphilosophische Lebensauffassung, die mit der Ausbildung des Brahmanentums (Abb. 174), der alles beherrschenden Priesterkaste, Hand in Hand ging. Durch Spekulation entstand aus der Naturreligion die Idee des Brahma, des All-Einen, der Weltseele, und schließlich die konkrete Gestalt des höchsten Gottes Brahma selbst. Diese Lehre führte weiter zur Annahme des Dogmas vom Weltübel und von der Seelenwanderung. Daher müssen alle von der Weltseele ausgestrahlten Wesen in sie auch wieder zurückkehren, zuvor aber sich einem Reinigungsprozeß unterwerfen, der sie von der Materie schließlich gänzlich frei macht. Die Bestrebungen des Gläubigen gehen dementsprechend darauf hinaus, schon bei Lebzeiten die Seele vom Körper unabhängig zu machen, was nur durch selbstlosen Lebenswandel, Sichlossagen von allen Begierden und Vergnügungen, intensives Versenken in sein Inneres erreicht werden kann. Je mehr man alle Lebensäußerungen einschränkt, um so eher gelangt man zu seinem Ziele. Diese merkwürdige Lehre hat in ihrer extremen Auffassung ganz merkwürdige Heilige großgezogen, denen man gerade in Indien auf Schritt und Tritt begegnet; es sind dies die sogenannten Fakire, deren es wiederum verschiedene Klassen gibt, vom Yogi, der niedrigsten Stufe, an bis zum Mahatma, der höchsten, hinauf. Diese Fakire, die sich aus allen Lebensaltern zusammensetzen und durch Leute aller möglichen geistlichen Fähigkeiten vertreten werden, sind zumeist echte Fanatiker und Asketen, oft genug aber wohl auch schlaue, geriebene Schwindler, Taugenichtse und selbst Geisteskranke. Ein außergewöhnliches Äußere und absonderliche Gewohnheiten gehören zum Teil zu ihrem Handwerk; sie gehen nämlich fast unbekleidet einher, reiben sich den Körper ganz mit Asche ein, verstümmeln ihn, liegen beständig auf einer nagelgespickten Unterlage (Abb. 175) oder gehen barfuß darüber (siehe die Kunstbeilage), stehen jahrelang an einer und derselben Stelle, setzen sich dem Feuer aus (Abb. 178), leben ohne ein Wort zu sprechen und nehmen noch andere Selbstpeinigungen vor (Abb. 176 u. 177). Nebenbei betreiben sie noch allerlei übernatürliche Künste, hypnotisieren sich selbst, lassen sich, ohne Nahrung zu sich zu nehmen, monatelang begraben und anderes mehr.

Mit Genehmigung von Könyves Kálmán, Budapest.

Fakire in einem indischen Tempel über ein Brett mit aufrechtstehenden Nägeln schreitend.

Nach dem Gemälde von G. Tornai.


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Wenn wir auch von solchen Extravaganzen absehen, die der Brahmanismus gezeitigt hat, so leuchtet doch ein, daß ein auf so tief-philosophischer Spekulation aufgebautes Religionssystem, wie er es ursprünglich war, unmöglich eine volkstümliche Lehre abgeben konnte. Eine dem Geschmack des Volkes wirklich entsprechende Religion entstand erst, als diese Lehre sich mit dem Kult der von den Eingeborenen übernommenen volkstümlichen Götter zum Hinduismus vereinigte, der eine Dreieinigkeit von Göttern aufstellte: Brahma als den Schöpfer, Wischnu als den Erhalter und Schiwa als den Zerstörer des Weltalls. Dieser Hinduismus (Abb. 180) der Gegenwart kann als ein systematisierter Animismus im weitesten Sinne des Wortes angesehen werden; feste Dogmen kennt er nicht, wenngleich er doch wieder im allgemeinen sich gleichbleibende Grundsätze besitzt.

Phot. Underwood & Underwood.

Abb. 175. Ein Fakir und Bettler,

der seine Tage in der Erfüllung asketischer Gelübde durch Selbstpeinigung der verschiedensten Art verbringt und wohl in keiner Stadt Indiens fehlt.

Geradeso wie das indische Gesellschaftsleben in eine Unmasse sozialer Unterabteilungen zerfällt, zersplittert sich der Hinduismus der Gegenwart in unzählige kleinere oder größere religiöse Sekten, deren jede ihr eigenes System der Sittenlehre und heiligen Gebräuche aufweist. Eine seiner wichtigsten Sekten ist der Sikhismus, die Religion der Sikh des Pendschab (Abb. 179). Dieser stellte gleichsam eine Reform der bisherigen Lehre dar, insofern er die Götzenanbetung, das Kastenwesen, das Abschließen der Frauen, den Genuß von Berauschungsmitteln, im besonderen des Tabaks, die Pilgerfahrten und andere Sitten des Hinduismus verwarf. Unter so strenger Verneinung der alten Gebräuche vermochte sich der Sikhismus aber nicht zu halten, und daher neigt er bereits mehr dazu, langsam in die hindostanische Sittenlehre wieder zurückzufallen. Späterhin wurde er der Kultus einer einflußreichen militärischen Gesellschaft mit eigenartigen Zeremonien und Bräuchen. Das Merkwürdigste davon ist der Aufnahmeritus. Die Novizen müssen dabei eingemachtes Obst mit einem zweischneidigen Schwert in Wasser zerrühren und die Glaubensartikel in Gegenwart von fünf Eingeweihten hersagen, worauf sie mit diesem Wasser fünfmal besprengt werden und ebenso oft davon mit der hohlen Hand trinken müssen. Fortan haben sie die Pflicht, ihrem Personennamen den Titel „Singh“ hinzuzufügen und die fünf K zu tragen, nämlich „ungeschnittenes Haar“ am ganzen Körper, einen „Kamm“ zum Aufstecken der Haare, „kurze Hosen“, eine „eiserne Spange“ und einen „kleinen Stahldolch“. Die Worte für alle diese Gegenstände fangen mit dem Buchstaben K an, daher jene Bezeichnung. Es gibt unter den Anhängern der Sikhreligion auch eine Art von Sakrament oder Abendmahl aus geweihter Butter, Mehl und Zucker, an dem alle Getreuen teilnehmen müssen, und zwar ohne Unterschied der Kaste, um dadurch die ursprüngliche Verwerfung des Kastensystems zum Ausdruck zu bringen. — Eine zweite, vor sehr langer Zeit aus dem alten Brahmanentum hervorgegangene Sekte sind die Vertreter des Jainismus, der Religion der Jain (in Oberindien auch Saraogi genannt). Im Gegensatz zum Buddhismus, der eine Seele in Abrede stellt, betont der Jainismus ihr Vorhandensein und stattet alle Dinge im Leben damit aus. Daher legen seine Anhänger einer jeden Lebensform eine außerordentliche Heiligkeit bei, töten auch nicht die niedrigsten Lebewesen und bedecken ihren Mund sogar mit einem herabhängenden Schleier, damit sie nicht versehentlich ein Insekt hinunterschlucken (Abb. 181). Früher teilten sie sich in Nackte und Bekleidete ein, heutzutage aber beschränken die ersteren (die Digambar oder Himmelbekleideten) ihr Prinzip auf die Zeit der Mahlzeiten in ihrem eigenen Heim.

Phot. Vividhakala Mandir.

Abb. 176. Ein mohammedanischer Fakir.

Die Gurzmarfakire tragen einen kurzen eisernen Bolzen mit Ketten, die sie beim Betteln rasseln lassen.

Eine weitere große religiöse Macht in Indien ist der Islam, der in der Theorie der Lehre Mohammeds in anderen Weltgegenden gleicht, aber in der Praxis in Indien unter dem Volke stark mit hindostanischen Gebräuchen durchsetzt erscheint.

Phot. The S. P. G.

Abb. 177. Ein Hindubüßer

mit sehr langem Haar, das er sich noch niemals schneiden ließ.

Als letzter religiöser Gruppe müssen wir noch der Parsen Erwähnung tun, einer kleinen Schar — sie zählen höchstens neunzigtausend Seelen — von Anhängern der alten Lehre Zoroasters, die nach der Zerstörung des Perserreiches durch die Sassaniden nach Indien flüchteten und es hier dank ihrer auffälligen Befähigung und großen Energie zu einer wichtigen Gemeinde mit führendem Einflusse gebracht haben. Sie sind ihrem alten Glauben bis in die jüngsten Tage treu geblieben und daher noch Feueranbeter (Abb. 183), besitzen auch ihre eigenen Bräuche, obgleich sie sich in mancher Hinsicht auch schon den sie umgebenden Einflüssen angepaßt haben.

Phot. The S. P. G.

Abb. 178. Ein indischer Büßer zwischen fünf Agnifeuern.

Fromme Hindu setzen sich in den heißesten Monaten während dreier Stunden den Strahlen der Mittagsonne aus inmitten von fünf glühenden Feuern aus Kuhdung.

Das Sehnen und Streben jedes gläubigen Hindu geht darauf hinaus, wenigstens einmal im Leben eine Wallfahrt (Abb. 182) nach den heiligen Stätten (Tempeln oder Götterschreinen) zu unternehmen, um dort für das eigene Wohl und das der Vorfahren zu beten. Die religiösen Feierlichkeiten, deren es viele unter den Hindu gibt, weichen voneinander stark ab, aber ein bis zwei Feste können doch gleichsam als Nationalfeste gelten. Das eine von ihnen ist das Holifest (Abb. 184), das im Frühjahr unter starker Beteiligung aller unteren Volksschichten, auch Andersgläubiger, mit großem Lärm gefeiert wird. In der Hauptsache besteht es darin, daß unter vielen Gesängen und großer Freude die Holifeuer angezündet werden, wobei es ohne große Lustigkeit, meistens in schamloser und selbst roher Weise, nicht abgeht. Man pflegt sich gegenseitig mit rotem Safran zu bewerfen, durch das Feuer zu gehen oder darüber zu springen und anderes mehr. Das zweite der gemeinsamen Feste Nordindiens fällt in den Herbst; es ist das hübsche Diwali (Abb. 185) oder Lampenfest. Jeder muß dann sein Haus fein sauber machen und erleuchten, sowie draußen am Abend mindestens eine Lampe anzünden, damit, wenn die Geister der Verstorbenen kommen, um ihrem früheren Aufenthaltsorte einen Besuch abzustatten, sie alles nett und strahlend und zu ihrem Empfange vorbereitet finden. Hieran schließt sich in den Dörfern noch das Godhanfest an. Die Kuhhirten machen bei ihren Herren die Runde, tragen in halbbetrunkenem Zustande Lieder vor und erbetteln sich Geschenke, ganz wie es von unseren ländlichen Festen her bekannt ist.

Phot. R. Thiele.

Abb. 179. Ein Sikhpriester.

Vier Monate im Jahre besteht eine Art Fastenzeit, die den Schlaf eines Gottes, meistens des Wischnu, versinnbildlichen soll und von Juli bis Oktober dauert (Abb. 186). Während dieser Zeit muß man es vermeiden, Hochzeiten zu feiern, Dächer auszubessern, eine Bettstatt zu zimmern oder dergleichen, weil dies Unglück bringen würde. Wenn der Gott seine Ruhe antritt, wird allgemein gefastet, wenn er wieder erwacht, wird ein Freudenfest gefeiert; die ganze Bevölkerung auf dem Lande läßt dabei unter Festgelage und Tanz der Freudigkeit ihre Zügel schießen. Die öffentlichen Festlichkeiten, die mit dem Anfange und dem Ende dieser Fastenzeit verknüpft sind, führen in den verschiedensten Teilen Indiens ganz verschiedene Namen und schwanken je nach der Bedeutung, die man ihnen beilegt, in der Art und Weise wie sie gefeiert werden. In Oberindien nennt man sie im allgemeinen Dasahra, in Bengalen und im Osten der Halbinsel Durgapuja = Anbetung der Vernichtung, im Süden wieder Charakhpuja = Schwebekult, weil früher, wie bereits erwähnt (S. 108), die Festgenossen sich mittels eines Hakens, der in ihre Rückenmuskulatur eingriff, an einer Stange aufhängen und hin und her schwingen ließen. Dasahra bedeutet den „freisprechenden zehnten“ Tag, und zwar zweier bestimmter Monate (Juli und Oktober), an denen man die Sünden durch ein vorgeschriebenes Zeremoniell abwaschen kann. Das Fest im Juli spielt sich an einem einzigen Tage ab, gewöhnlich zu Ehren der Geburt der Ganga, das ist des zur Gottheit erhobenen großen priesterlichen Reinigers Ganges. Wer im Gangesflusse und in anderen heiligen Flüssen und Wasserflächen, die diesen Läuterer vorstellen, badet, wäscht sich von seiner Sünde rein. Das Fest im Oktober ist das Hauptdasahra und dauert zehn Tage oder vielmehr Nächte. Es findet seinen Abschluß in einem allgemeinen Feueropfer, sowie in dem Hineinwerfen der Bilder der Göttin in den nächsten Strom. Die letzte Nacht nimmt auf das Kriegswesen Bezug; sie wird daher als die „Nacht des Sieges“ besonders von Soldaten und Prinzen gefeiert: Kriegsmaterial und Kriegsgeräte werden angebetet und verehrt, sowie Festgelage und Spiele veranstaltet, die dem Andenken an die Schlachten dienen sollen, von denen uns die beiden bedeutenden indischen Heldenepen Ramayan und Mahabharata erzählen. Dramen, die auf diesen hindostanischen Heldenlegenden sich aufbauen und in langatmiger Folge alle ihre Einzelheiten wiedergeben, werden bei verschiedenen Gelegenheiten aufgeführt. Am beliebtesten ist bei allen das Ram-Li, das „Spiel des Ram“ (Abb. 188). Es stellt die Geschichte von Ram und Sita dar, ursprünglich eines Helden und einer Heldin des zuerst genannten Epos, die später in die Götterwelt versetzt wurden. — Ein ähnliches volkstümliches Schauspiel wird vielfach zu Ehren der alten Gottheit Krischna aufgeführt (Abb. 190).

Phot. Bourne & Shepherd.

Abb. 180. Ein Gyan-Bapi oder Teich der Erkenntnis.

Links ein bekränzter Saiwaschrein, der über einer Quelle erbaut ist, mit den Bildnissen des Gottes und seines Weibes Parbati; fromme Bettler bringen ihm Opfer dar. Der diensttuende Priester sitzt in dem Schrein. Rechts der Nandistier.


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Phot. Bividhakala Mandir.

Abb. 181. Ein Jainheiliger.

Die Anhänger dieser Sekte zünden nie Licht an, kochen nicht und töten auch nicht die niedrigsten Lebewesen.

Phot. W. Crooke.

Abb. 182. Die Bademesse zu Hardwar,

einer heiligen Stadt an der Stelle, wo der Ganges von den Bergen kommt. Alle elf Jahre, wenn der Planet Jupiter im Zeichen des Wassermanns steht, findet hier eine Messe statt, bei der annähernd zwei Millionen Pilger zum Baden zusammenströmen.

Phot. Fleet Agency.

Abb. 183. Eine Parsendame bei der Andacht vor der alles reinigenden Flamme.

Die Feste der Mohammedaner kennzeichnen sich sowohl in Indien wie auch anderwärts durch die Eigentümlichkeit, daß sie auf kein festes Datum nach unserer Zeitrechnung fallen, sondern, da die religiösen Übungen (Abb. 189) des Islam sich auf dem Mondjahr aufbauen, das um zehn Tage kürzer als unser Sonnenjahr ist, jedesmal früher stattfinden, so daß innerhalb sechsunddreißig Jahren sie allmählich alle Jahreszeiten durchlaufen haben. Das bedeutendste ist das Mohurrum (Abb. 191 bis 195) zur Erinnerung an den Tod oder, wie man lieber sagt, an das Martyrium der beiden Enkelsöhne Mohammeds, Hassan und Husain, die zwar zu verschiedenen Zeiten, aber unter auffallend tragischen Umständen ermordet wurden. Es dauert zehn Tage und ist in der Hauptsache ein Fest der Schiitensekte, wenngleich auch strenggläubige Sunniten sich am letzten Tage daran beteiligen, um die Schöpfung der Welt zu feiern. Dieses Fest gibt Anlaß zu mächtigen Volksansammlungen und großen Umzügen, bei denen allerlei Pferdespiele stattfinden. Im Vordergrunde des Ganzen steht für die strenggläubigen Islamanhänger das Einhertragen des Tabūt (Abb. 194) oder Tazia, des großartig illuminierten und verzierten Modells der Grabstätten der beiden Heiligen, in großer Prozession nach einem freien Platz unter Begleitung von Tänzern, die ihre kämpfenden, zu Märtyrern gemachten Verwandten vertreten, während die abergläubische Masse beider Religionen an den Mohurrumfeuern, die dabei angezündet werden, sein Hauptvergnügen hat. Sie brennen in Gruben während des ganzen Festes, sogar die Ärmsten leisten sie sich; Vorübergehende legen Gelübde bei ihnen ab, und die große Menge tanzt die Nächte um sie herum, springt durch die Flammen und streut brennende Scheite umher. Ein zweites Fest, das heutzutage zu allerhand Volksbelustigungen Anlaß gibt, im besonderen zum Abbrennen von Feuerwerk, ist das Shab-i-barat; es wurde als eine Nacht des Gebets begründet, in der die Gläubigen die ganze Nacht hindurch wachen sollten. — Das bekannteste mohammedanische Fest ist der Ramasan oder der „Fastenmonat“. Er dauert von Neumond bis zu Neumond und wird von den indischen Anhängern des Islam oft mit staunenswerter Treue innegehalten, auch in den Jahren, wo er in die heißeste Jahreszeit fällt, trotz der großen Entsagungen, die dann das tägliche Fasten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang mit sich bringt. Denn während dieser Zeit darf der Mohammedaner weder etwas essen noch trinken. Der Ramasan endigt mit dem „Fest des Fastenbrechens“ (Idu’l-fitr), bei dem alles wieder aufatmet und sich dem Vergnügen in vollen Zügen hingibt. Bestimmte Zeremonien werden dabei nicht beobachtet, die Familien putzen sich einfach festlich aus, amüsieren sich nach Kräften, besuchen einander und tun alles nur Erdenkliche hinsichtlich der Unterhaltung und Lustbarkeit. — Einen weiteren wichtigen Anlaß für eine allgemeine Freude gibt das Idu’l-Azha oder Bakrid ab, auch einfach nur Id, das heißt das Fest im besonderen genannt. Es wird zur Erinnerung an das Opfer gefeiert, das Abraham mit seinem Sohne Ismael darbrachte. (Die Mohammedaner haben die biblische Erzählung von Isaaks Opferung auf Ismael, den Sohn Abrahams von der Hagar, übertragen.) An Stelle des Menschen tritt bei diesem Fest natürlich Vieh (im besonderen Ziegen).

Phot. Sohanlal Bros.

Abb. 184. Ausgeputzte Teilnehmer am Holifest.

Der auf einem Löwen reitende Knabe in der Mitte soll die große Göttin Dewi vorstellen, deren Kult mit dem Feste verquickt ist.

Mit Genehmigung von Könyves Kálmán, Budapest.

Indische Bajadere im Tempel tanzend.

Nach dem Gemälde von G. Tornai.


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Neben diesen regelmäßigen Wallfahrten und Messen, die die Ausübung ihres besonderen Glaubens den Strenggläubigen vorschreibt, gibt es noch eine unregelmäßige und abergläubische Form der Religionsübung, die aber ebenso im ganzen indischen Volke wie jene verbreitet ist und aus der Verehrung übernatürlicher Mächte hervorging. Diese zeigt sich hauptsächlich in der Andachtverrichtung vor den Grabmälern und Schreinen früherer Volkshelden und selbst an den Wohnstätten noch lebender, heilig gesprochener Persönlichkeiten (Abb. 196). Eine Anbetung dieser lebenden oder toten Heiligen vermag ihren Anhängern die Wünsche zu erfüllen, Krankheit zu heilen und hervorzurufen, an den Orten der Verehrung Wundertaten zu verrichten, Lästerern und Ungläubigen auf unheimliche Art Schaden zuzufügen und auf der anderen Seite auch wieder ergebene Gläubige mit vollem Segen zu überschütten. Die Bezeichnungen für solche Gottheiten zweiten Grades, um sie kurzweg so zu benennen, fallen je nach der Religion verschieden aus — die Mohammedaner heißen sie zum Beispiel Heilige, die Hindu kleine Götter oder einfach Teufel — aber immer schreibt das Volk ihnen die gleichen übernatürlichen Kräfte und Fähigkeiten zu und verehrt sie in derselben Weise. Wie schon erwähnt, sind diese kleinen Gottheiten als Kulturüberbleibsel des Uranimismus oder der Geisteranbetung der Völker anzusehen, die vor alten Zeiten in Indien ansässig waren und ihre religiöse Richtung den Einwanderern aufzwangen. Die Diener dieser heiligen Personen und Stätten sind wandernde Barden, die in Scharen das Land durchziehen, Städte und Dörfer heimsuchen, Lieder und epische Gedichte, oft in sehr poetische Sprache gekleidet, vortragen und die Wundertaten und geistigen Fähigkeiten ihrer besonderen Herren, denen sie dienen, preisen. Als ein verdienstvolles Werk wird das Füttern von Affen betrachtet (Abb. 197).

Phot. W. Crooke.

Abb. 185. Szene vom Diwalifest,

die eine Art Volksdrama wiedergibt. Die männlichen Teilnehmer sind mit weißen Streifen oder Flecken gezeichnet, um Tiger vorzustellen; die Weiber tragen einen festlichen Kopfputz.

Eine aufdringliche Erscheinung im täglichen Leben Indiens sind die allerwärts anzutreffenden Bettelmönche der verschiedenen Religionen und ihrer überaus zahlreichen Sekten, die zwar unter mannigfaltigen Namen auftreten, aber sich überall darin ähneln, daß sie ihren Lebensunterhalt sich ausschließlich durch Ausbeutung der Leichtgläubigkeit ihrer Mitmenschen verschaffen. Denn alle gelten insofern als „heilig“, als sie in dem Rufe stehen, Wünsche und Hoffnungen auf irgendeine übernatürliche Art und Weise zu erfüllen. Allgemein segeln sie unter der Bezeichnung der Fakire (Abb. 169 u. 173). Sehr zustatten kommt ihnen die weitgehende Wohltätigkeit und große Freigebigkeit, die die verschiedenen Glaubensbekenntnisse ihren Anhängern beständig als höchste Tugend predigen, und zwar gerade in der Form des Almosengebens. Unter Almosen wird aber ein Geschenk an Geld oder an Naturalien an Priester, heilige Männer und an alle solche, die ein uraltes Anrecht auf Gewohnheitsgeschenke besitzen, verstanden. Jedwede Handlung, die Religion, Aberglaube und Sitte vorschreiben, jede Zeremonie bei Geburten, Hochzeiten, Todesfällen oder anderen häuslichen Vorfällen, die eine konventionelle Handlung erfordern, jeder Besuch eines Fakirs, Priesters, Sängers, Schlangenbändigers (Abb. 199) oder ähnlicher Persönlichkeiten, jede Wallfahrt nach einer heiligen Stätte, jeder Besuch einer Messe, alles dies bedingt die unvermeidliche Almosenspende oder das Pflichtgeschenk (Abb. 198).

Eine eigentümliche Erscheinung bei den Bewohnern Indiens ist noch die, daß sie wohl Musik und Tanz sehr lieben, aber diese Künste niemals selbst ausüben, wie unsere Dilettanten dies tun, sondern sie berufsmäßigen Musikern und Tänzern überlassen, deren Ausführungen sie sich gern anhören und ansehen. Die meisten Festlichkeiten werden von Musik und Tanz begleitet. Eine besondere Stellung nehmen unter den Berufstänzern die Nautsch oder Tempelmädchen, auch Bajaderen genannt, ein, die eine besondere angesehene Kaste bilden (Abb. 206 und die Kunstbeilage). Sie werden bereits als kleine Kinder mit der Gottheit eines Tempels vermählt, wohnen in diesem ihr ganzes Leben lang und dürfen niemanden anders heiraten; von klein auf werden sie für ihren späteren Beruf vorbereitet und im Tanzen und Singen ausgebildet. Sobald diese Mädchen die Reife erlangt haben, werden sie vom Brahmanen oder auch von einer fremden angesehenen Person entjungfert und stehen fortan gegen Entgelt jedermann der gleichen oder einer höheren Kaste zur geschlechtlichen Benutzung zur Verfügung. Trotz dieses ihres Berufes erfreuen sich die Tempelmädchen großer Gunst und großen Ansehens, zumal sich früher zu dieser Stellung Mädchen aus angesehenen Kasten drängten. Sie führen auch, wie ihr Name besagt, bei religiösen Festen Tänze auf, die durch ihre Geschmeidigkeit und Ästhetik die Zuschauer entzücken. Jedoch beschränkt sich ihre Tätigkeit nicht auf den Tempeldienst, sondern die Nautsch treten sehr häufig auch bei festlichen Gelegenheiten in den Häusern, besonders bei Hochzeiten, großen Festlichkeiten und dergleichen auf. Es ist allgemeine Sitte, sie aus solchen Anlässen einzuladen und dafür reichlich zu beschenken.

Phot. Sohanlal Bros.

Abb. 186. Szene vom Janamashthami

(einer Zeremonie am achten Tage nach der Geburt); ein alter Familienbrauch, der bei Beginn des indischen Fastens zur Erinnerung an die Geburt Krischnas abgehalten wird.

Phot. Bourne & Spepherd.

Abb. 187. Opferbrauch zu Bindhachal, Mirzapur (Nordindien).

Zu Zeiten der Cholera, einer Hungersnot oder bei schweren Unglücksfällen werden der Göttin Kali Schafe als Opfer dargebracht und mit dem Blut ihr Schrein beschmiert.


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Phot. S. P. G.

Abb. 188. Die moderne Form des Ram-Lila oder Ram-Schauspieles.

Abergläubische Vorstellungen (Abb. 200) beeinflussen die wichtigsten Augenblicke im Leben des Hindu; besonderes Gewicht legt er darauf, den bösen Blick abzuwenden. Um den etwaigen Einfluß der Planeten unschädlich zu machen, werden bestimmte Dinge als Almosen verteilt, so bei ungünstiger Konstellation des Saturn sieben verschiedene Getreidearten oder etwas Schwarzes, wie Eisen oder ein schwarzer Büffel, oder bei der des Mondes weiße Gegenstände, wie Silber, Reis, eine weiße Kuh, ein weißes Gewand und anderes mehr. Zahlreiche Gebräuche knüpfen sich aus dem gleichen Grunde an die Geburt eines Kindes, die je nach den verschiedenen Gegenden ganz verschieden und auch ziemlich kompliziert ausfallen. Sie dauern ungefähr so lange, bis die Mutter ihre Reinigung durchgemacht hat, was im Durchschnitt etwa vierzehn Tage dauert, aber sich auch bis zu vierzig Tagen ausdehnen kann; für bestimmte Tage sind meistens auch bestimmte Zeremonien vorgeschrieben. So wird das Hindukind nach seiner Geburt mit Staub von Backsteinen eingerieben, die in der Sonne getrocknet wurden, darauf aber sofort in lauem Wasser gebadet. Es wird auch von der Hebamme fünfmal in die Luft geworfen. Öl wird auf den Fußboden der Stube und unter das Bett der Wöchnerin gegossen oder der Handgriff eines Pfluges unter ihr Bett gelegt; in dasselbe kommt grünes Gras zu liegen, Senf- und Dillkörner werden über ihren Kopf ausgestreut und sodann in einen irdenen Topf zusammen mit Feuer getan, das sie mit dem Fuße austreten muß. In den nächsten Tagen werden der Mutter die Nägel beschnitten und so weiter. Eine ganz sonderbare Zeremonie wird mit der Wöchnerin am sechsten Tage im Staate Jindh und in seiner Umgebung vorgenommen. Man errichtet auf der einen Seite des Hauses neben der Tür sieben konzentrische Kreise aus Kuhdung, legt in den innersten Haufen ein Vierannastück und steckt sieben Zweige vom Besenginster hinein, ebenso trägt man auf der anderen Seite der Haustür einen Haufen aus dem gleichen Material auf, auf das aber eine Rupie gelegt und ebenfalls sieben Ginsterzweige gesteckt werden, und breitet schließlich noch in der Mitte vor der Türschwelle auf einer Platte fünfeinhalb Sers Weizen, sowie ein weibliches Gewand aus. Darauf kommt die Mutter heraus, läßt sich nieder und betet diese Dinge an. Der Weizen, die Kleider und die beiden Münzen werden schließlich dem Sohne von des Vaters Schwester überlassen. Merkwürdigerweise spielt Kuhdung bei der Geburt der Hindu verschiedentlich eine große Rolle. — Wird ein Kind bereits im achten Monat geboren, dann behauptet man, daß es entweder am achten Tage, im achten Monat, achten oder achtzehnten Jahre sterben wird. Einem totgeborenen oder unmittelbar nach der Geburt gestorbenen Kinde wird durch die Nase ein goldener Ring gezogen, damit es nicht der Familie Unglück bringe. — Die Nachgeburt und die Nabelschnur werden für gewöhnlich verbrannt.

Bei der Namensgebung findet eine besondere Zeremonie statt. Ein rohes Viereck mit Diagonalen wird mittels Kuhdung auf die Wand gemalt, in jede Ecke und Kreuzung von ihm ein Stück Muschelgeld eingelassen und das Ganze mit Zinnober bestrichen; davor werden Kuchen gestellt. Das Kind wird ganz mit Öl eingerieben, um die Augen herum mit Augensalbe bemalt und in neue Gewänder gekleidet; gleichzeitig erhält es zum ersten Male Ringe um Arme und Knöchel gelegt und Geld in die Hand gesteckt. Darauf bekommt es seinen Namen. Dieser wird ihm meistens von dem ältesten Familienmitgliede gegeben; für seine Auswahl ist entweder das Urteil des Astrologen oder das Los ausschlaggebend.

Phot. Underwood & Underwood.

Abb. 189. Mohammedanische Indier in Gebetstellung.

Bei den mohammedanischen Indiern bestehen ziemlich die gleichen Gewohnheiten, natürlich erhalten sie ihre besondere Eigenart durch die abweichenden religiösen Ansichten. Es ist im allgemeinen üblich, daß im siebenten Monat der Schwangerschaft die Eltern der angehenden Mutter allerlei Geschenke ins Haus senden, wie süße, getrocknete Früchte (sieben Arten), oder Reis, wohlriechende Öle, Parfüm, Hennah, Kleider, Schmucksachen und anderes mehr; die Eßwaren werden sogleich von den Anverwandten des Mannes verzehrt. Manchmal findet bei dieser Gelegenheit auch eine Festlichkeit statt, bei der die Schwangere, nachdem sie ein Bad genommen hat, festlich eingekleidet wird, „geradeso wie eine Braut“, und die Glückwünsche der Gäste empfängt. Das Geschlecht des zukünftigen Kindes glaubt man aus der Beschaffenheit der Milch der Schwangeren bestimmen zu können; ist sie dünnflüssig, dann steht ein Knabe zu erwarten, im anderen Falle ein Mädchen. — Sobald die Nabelschnur durchschnitten ist, weihen Männer auf dem Hofe eingemachte Früchte, und das Kind erhält in einer Muschel die Milch einer „guten“ Frau gereicht, während die Nachbarn durch den Klang einer mittels eines Stockes geschlagenen Schüssel zum Gebet aufgefordert werden. — Die übrigen Gebräuche sind mit geringen Abweichungen ziemlich dieselben wie bei den Hindu.

Phot. Bourne & Shepherd.

Abb. 190. Szene aus dem Krischnaspiel, einem ähnlichen Volksepos wie das Rama.

Phot. Wiele & Klein.

Abb. 191. Die Volksmassen nach einer Predigt in dem mächtigen Hofe der Jama-Mashid-Moschee zu Delhi.


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Den Hindumädchen wird Keuschheit vor der Ehe zur strengen Pflicht gemacht; wird eines unehelich geschwängert, dann ist es dem Tode verfallen; man sagt, daß die Mutter selbst das Amt des Henkers ausübe. Bei den Parsen erdrosselt sie die Tochter in Anwesenheit der Priester mit den Händen. Die Gefahr eines vorehelichen Verkehrs ist in Indien bei weitem nicht so groß wie anderwärts, denn gerade hier sind die Kinderehen unter allen Kasten und Klassen (weniger allerdings bei der mohammedanischen Bevölkerung) ungemein verbreitet. Noch ganz unentwickelte Mädchen, selbst unter fünf Jahren, werden von ihren Eltern an Männer verheiratet und dürfen auch bereits zum Geschlechtsakt herangezogen werden. Die gesundheitschädlichen Folgen solcher vorzeitigen Ehen sind meistens recht traurig; nach einer Zusammenstellung über zweihundertfünf Fälle starben fünf dieser kindlichen Ehegattinnen direkt infolge der ehelichen Beiwohnung und achtunddreißig erlitten schwere Verletzungen. Im allgemeinen pflegt man daher noch einige Jahre mit der Ausübung der Ehe zu warten, bis das Mädchen seine gehörige körperliche Entwicklung erreicht hat, und dann erst durch eine besondere Zeremonie (Muklawa oder Gaunâ genannt) sie zu den ehelichen Pflichten zuzulassen. Aber trotzdem sind Mütter von neun Jahren in Bengalen keine Seltenheit. Man zählt in ganz Indien Millionen von Mädchen, die mit dreizehn Jahren Mutter und mit fünfundzwanzig Großmutter wurden. Von der großen Verbreitung der Kinderehen in Indien kann man sich einen Begriff aus der von Risley und Gait über das Jahr 1901 gegebenen Statistik machen. Unter je tausend Personen waren im Alter unter fünf Jahren sieben männliche und dreizehn weibliche verheiratet, eine weibliche sogar schon verwitwet, im Alter von fünf bis zehn Jahren sechsunddreißig männliche und hundertzwei weibliche verheiratet und zwei männliche und fünf weibliche verwitwet, und im Alter von zehn bis fünfzehn Jahren hundertvierunddreißig männliche und vierhundertdreiundzwanzig weibliche verheiratet, beziehungsweise sechs und achtzehn verwitwet. Im Jahre 1911 gab es in Indien zweihundertfünfzigtausend kleine Mädchen unter fünf Jahren, die bereits die Ehe eingegangen waren, zwei Millionen im Alter unter zehn und sechs Millionen von zehn bis fünfzehn Jahren. Alle Versuche von philanthropischer Seite, in dieser Unsitte Wandel zu schaffen, haben bisher leider nur ganz wenig Erfolg gehabt.

Phot. Underwood & Underwood.

Abb. 192. Szene vom Mohurrumfest.

Ein Mullah oder Priester treibt die bösen Geister aus den Kindern aus. Für gewöhnlich begleitet ihn ein Diener, um in einem Gefäß dafür eine Belohnung einzusammeln.

Eine merkwürdige Form der Kinderehe treffen wir bei den Newâr in Nepal an. Hier wird ein jedes junge Mädchen bereits als Kind mit einer Betelfrucht verheiratet und diese dann in den heiligen Fluß geworfen. Nach erlangter Geschlechtsreife wird dann ein wirklicher Gatte für dasselbe ausgewählt. Fällt die Ehe unglücklich aus, dann kann die junge Frau in ganz leichter Weise sich von ihrem Manne trennen; sie braucht ihm nur eine Betelnuß unter sein Kopfkissen zu legen und dann davonzugehen. Nicht minder sonderbar ist die Sitte der Kalva Kunbis in Gujarât: ein heiratsfähiges Mädchen, das aber keinen Freier gefunden hat, mit einem Blumenstrauß zu vermählen und am nächsten Tage die verwelkten Blumen in den Brunnen zu werfen. Das Mädchen gilt dann für eine Witwe, darf sich aber später, wenn sich der richtige Gatte findet, wirklich verheiraten. Überhaupt begegnen wir der Sitte des Verheiratens mit einer Pflanze, einem Tier und selbst einem Gegenstand mehrfach in Indien. Eine Braut der Kangra, die ihre Verpflichtung zur Heirat gern aufheben möchte, kann sich ihrer dadurch entledigen, daß sie in den Wald geht und sich hier mit irgendeinem wilden Gewächs verheiratet, indem sie rings um dasselbe ein Feuer anzündet. Damit ist ihre Verlobung gelöst. Reiche Hindu, die keine Kinder besitzen, pflegen manchmal eine Tulasipflanze mit einem Brahmanen zu verheiraten und betrachten diesen dann als ihren Schwiegersohn. Hat ein Mann zwei oder drei Frauen bereits verloren, dann läßt er durch eine Frau einen Vogel einfangen und diesen von ihr als Tochter adoptieren. Er heiratet dann den Vogel, zahlt auch den Brautpreis an die Adoptivmutter, läßt sich aber von ihm sogleich wieder scheiden und verheiratet sich schließlich mit einer wirklichen Gattin, die ihm dann als Folge der Zeremonie am Leben erhalten bleiben soll.

Phot. Wiele & Klein.

Abb. 193. Mohurrumfest in Mylapore,

bei dem ein verziertes Gebilde, Tabut genannt, welches das Grab des Märtyrers Husain aus Karbela darstellen soll, nach einem offenen Platz, einem Wasserbassin oder einem Flußufer getragen wird.

Eine Werbung gibt es im gewöhnlichen indischen Haushalte nicht; die Heirat wird von der Familie des Mädchens dadurch meistens in die Wege geleitet, daß sie einem Heiratsvermittler den Auftrag gibt, einen passenden Jüngling auszusuchen, eine keineswegs für jenen leichte Sache in Anbetracht der vielen Kasten und sonstigen üblichen Einschränkungen hinsichtlich der Auswahl. Sind die Verhandlungen zum Abschluß gelangt und die Mitgiftfrage geregelt, dann findet eine formelle Verlobung statt. Damit setzt bereits die große Zahl der Hochzeitszeremonien ein, die sich sehr in die Länge ziehen und in ihren Einzelheiten nach Kaste, Religion und Lebensstellung verschieden ausfallen. Daher lassen sie sich auch nur ganz im allgemeinen schildern. Natürlich bedarf ein so wichtiges Ereignis, wie es die Hochzeit vorstellt, eingehender Prüfung durch den Astrologen, ob der Stand der Gestirne auch ein günstiger ist. Ist die Hochzeit beschlossene Sache, dann finden Tag um Tag in den beiden elterlichen Häusern etwa eine Woche lang verschiedene konventionelle Handlungen statt, bevor der Zug des Bräutigams zum Hause der Braut aufbricht. Zu diesen gehören unter anderem das Bauen eines Hochzeitsschutzdaches, sowie das Salben des Paares. An manchen Orten besteht auch die seltsame Zeremonie des Verschluckens einer Mangoblattrippe. Der Bruder der Mutter steckt ihr ein Geschenk in Gestalt von Geld und Schmuck in die linke Hand, während die Frau des Barbiers ihm das Mittelstück eines in der Hochzeitshütte aufgehängten Mangoblattes gibt, das er der Mutter an den Mund hält. Diese beißt ein Stück davon ab, legt es sich in die hohle rechte Hand und gießt ein wenig Wasser hinzu. Darauf hält die Mutter das Blatt über den Kopf ihrer Tochter und schluckt es.

Phot. Wiele & Klein.

Abb. 194. Mohurrumfest in Madras.

Mohammedanische Truppen im Umzug mit dem Tabut oder Grabmodell der beiden Märtyrer Hassan und Husain. Im Vordergrunde Tänzer.

Phot. Newton & Co.

Abb. 195. Mohurrumfest in Firozpur.

Vor dem Schrein, der das Grab Hassans und Husains darstellt, steht ein beschwingtes Wundertier, das Mohammed aus Jerusalem in den Himmel getragen haben soll.


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Der Hochzeitszug spielt sich unter allem nur möglichen Aufwand ab (Abb. 201, 203205); Bedingung ist dabei, daß etwas von dem Wasser, in dem der Bräutigam sich vor dem Aufbruch gebadet hat, mitgenommen wird, damit es dem Bade für die Braut zugeschüttet werde. Vor der Haustüre wird Reis über den Bräutigam ausgeschüttet, der Stempel der Familiencurrystampfe ihm auf die Wangen gedrückt und die Stirn mit gelblichem Sandelholz gezeichnet. Nach der Ankunft findet die wichtige heilige Handlung der Armbandanfertigung und -umlegung statt; ein paar Reiskörner werden in Mangoblätter eingewickelt und eines um das rechte Handgelenk des Bräutigams und das andere um das linke der Braut gelegt; man verehrt auch der Braut Süßigkeiten und Schmuckgegenstände als Geschenke. Sodann wird sie in ihrem Kopfputz aus Dattelblättern der Mutter auf den Schoß gesetzt, damit an ihr von der Frau des Familienbarbiers die Zeremonie der Nägelbeschneidung an Händen und Füßen vorgenommen werden kann. Sodann setzt sich das Brautpaar in die Hochzeitshütte. Die Trauung, die durch den Brahmanen vollzogen wird, wobei die Braut dem Vater auf dem Schoße sitzt, besteht in dem Hersagen von Sanskritsprüchen und verschiedenen Anbetungsakten, sowie in dem Räuchern mit Weihrauch und Umherstreuen von Reis. Ihren Abschluß findet diese Zeremonie in dem Zusammenknoten der Kleider von Braut und Bräutigam und in dem Herumgehen um das Opferfeuer; die Braut geht zuerst, und zwar fünfmal rechts herum. Beide tragen dabei ein Kornsieb in der Hand und streuen daraus Reis umher. Damit sind jedoch die Zeremonien des Hochzeitstages noch nicht erschöpft. Der Bräutigam drückt der Braut noch das scharlachrote Hochzeitsmal auf die Stirn; die Schwestern der Braut vertreten ihm an der Haustüre den Weg, geben ihm Rätsel auf, die er beantworten muß; außerdem werden ihm die Schuhe fortgenommen, die er sich wieder fordern muß, und anderes mehr. Am Abend beten die Neuvermählten den Familienschutzgeist an; der Bräutigam begibt sich dann zu seinen Angehörigen zurück, während die Braut bei den ihren bleibt. Nach vier Tagen werden beide gebadet und die Hochzeitsarmbänder ihnen wieder abgenommen. Damit sind die langatmigen Feierlichkeiten beendet. Bei einigen Hindukasten ist zu den Hochzeitsfeierlichkeiten noch ein hübsch geschmückter Ochsenwagen im Gebrauch, an dem geschnitzte mythologische Figuren angebracht sind (siehe die farbige Kunstbeilage).

Phot. W. Crooke.

Abb. 196. Die berühmte Felsenwohnung zu Hardwár,

die seit undenklichen Zeiten von frommen Büßern eingenommen wird und als Wallfahrtsort für Pilger dient. Der fromme Einsiedler flüstert ihnen Worte ins Ohr, die ihnen als Führer durchs Leben dienen sollen.

Phot. The Baptist M. S.

Abb. 197. Ein verdienstvolles Hinduwerk.

Die Fütterung von Affen aus der Umgegend von Simla durch einen frommen Hindu. Die Religion schreibt den Hindu vor, kein Tier zu töten, sondern im Gegenteil für seine Erhaltung Sorge zu tragen.


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Abb. 198. Bettelnde Yogi,

die gelegentlich der Bademessen sowie an heiligen Plätzen mit ihren reichgeschmückten Ochsenwagen herumziehen, unter Musikbegleitung religiöse Gesänge vortragen und dafür Almosen einsammeln.

Die gebildeten Kreise der Mohammedaner kennen weiter keine Hochzeitszeremonien außer denen, die das islamitische Gesetz vorschreibt. Beachtenswert ist dabei nur, daß der Bräutigam seiner Braut ein Ausstattungsgeschenk von auffallend hohem Wert machen muß; dieses kommt ihr sehr zugute, im Falle ihr Mann sich später etwa von ihr scheiden lassen sollte. Dagegen gibt es unter den niedrigen Klassen der Islamanhänger Indiens eine ganze Reihe von Hochzeitszeremonien, von denen wir nur die wichtigsten hier wiedergeben können. Gemeinsam ist wohl allen die Verwendung von rotem oder rot gesprenkeltem Papier für die Dokumente und Briefe, das Trinken von Sorbet und das Verschenken von Süßigkeiten und kleineren Gaben an gewisse privilegierte Personen. Nach Abschluß der Vorverhandlungen und Austausch der üblichen Geschenke erfolgt die offizielle Verlobung; hierbei ist von Wichtigkeit, daß die Braut ihrem Erwählten einen glatten Ring, ein rotes Tuch, Süßigkeiten sowie einen Versprechungsbrief überreicht, in dem der Hochzeitstag festgesetzt wird. Hieran schließen sich zu bestimmten Zeiten verschiedene Zeremonien, wie die des Mehlmahlens, des Zuschneidens der Brautkleider und der Nachtwache. Diese letztere besteht darin, daß Frauen die ganze Nacht hindurch, ehe der Hochzeitsbaldachin angefertigt wird, vor einem besonders hergerichteten Wassergefäß sich hinsetzen, um „Gott wach zu erhalten“. In derselben Nacht wird noch ein verziertes Wassergefäß aufgestellt, um darin Sturm, Regen, Schlangen, Skorpione, Würmer und andere schädliche Dinge aufzufangen, und von frommen Bettelmönchen die Feuerlöschzeremonie, eine Art Durchsfeuergehen mit nackten Füßen, vollzogen. Am nächsten Abend wird den verstorbenen Vorfahren ein feierliches Opfer dargebracht und das Brautpaar von sieben verheirateten Frauen gesalbt. Nach allen diesen Vorarbeiten findet erst der Hochzeitszug statt, der sich in der schon geschilderten Weise abspielt. Dann erst bekommt der Bräutigam seine Braut zum ersten Male von Angesicht zu Angesicht zu sehen; denn bis dahin war sie ihm eine Unbekannte. Es folgen noch einige seltsame Zeremonien, wobei darauf geachtet wird, daß die Braut die ganze Zeit über die Augen geschlossen hält und keinen Fuß auf die Erde setzt; um dies zu vermeiden, wird sie auf den Armen einer Dienerin umhergetragen, sogar in das Haus ihres Gatten am Tage nach der Hochzeit. Hier finden während zwei bis drei Tagen weitere Zeremonien statt, worauf der Bräutigam für weitere zehn Tage mit ihr in das Heim ihrer Eltern zurückkehrt. Hier ist ein Raum für die jungen Leute hergerichtet, den die Braut zum ersten Male wieder mit den Füßen betreten muß; hier erwartet sie ihr Gatte. Denn damit ist erst die wirkliche Ehe geschlossen.

Phot. F. B. Bradley-Birt.

Abb. 199. Ein Schlangenbeschwörer am Chaibassa Mela.


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Phot. S. P. G.

Abb. 200. Ein Hinduweib,

damit beschäftigt, vor ihrem Eintritt in das Haus die bösen Geister zu bannen.

Phot. Johnston & Hoffmann.

Abb. 201. Hochzeitsfestzug. Die Braut wird heimgetragen.

Hochzeitswagen der Hindu,

geschmückt mit geschnitzten Figuren und mythologischen Tiergestalten und von zwei weißen Brahmanenbullen gezogen.


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Die Stellung der Frau in Indien ist eine recht tiefe. Der Hindu erblickt in ihr nur ein niedrigstehendes Geschöpf, was schon darin zum Ausdruck kommt, daß die Mädchen bei der Geburt mit einem Fluch begrüßt werden und früher in großen Massen sofort getötet wurden. Das indische Weib verbringt den größten Teil ihres Lebens in der Zenana, das ist dem Frauengemach, das sie nur mit der Genehmigung ihres Gatten, und dann auch nur verschleiert oder in einem verhängten Wagen (Abb. 202) verlassen darf. Sie ist in jeder Hinsicht seine Sklavin und ebenso die ihrer Schwiegermutter; denn die junge Frau siedelt nicht in ein eigenes Heim über, sondern in das der Eltern ihres Gatten, wo dem jungen Paar ein paar Räume überlassen werden. Hier fordert die Schwiegermutter die ihr gebührende Ehrfurcht und blinden Gehorsam. In gleicher Weise aber muß die junge Frau ihrem Ehemann in jeder Hinsicht untertänig sein. Das alte Gesetz des Manu schreibt hierüber: „Ihrem Manne soll ein tugendsames Weib mit Achtung ihr Leben lang dienen und ihm auch nach seinem Tode noch anhängen ... wenn auch der Mann sich tadelnswert betrüge und anderer Liebe sich zuwendete und guter Eigenschaften ledig wäre, so soll ein gutes Weib ihn dennoch wie einen Gott verehren; sie darf nichts tun, was ihm mißfällt, weder bei seinem Leben noch nach seinem Tode ... In dem Maße, wie eine Frau ihren Gebieter ehrt, wird sie im Himmel angesehen sein.“ Bleibt eine Ehe kinderlos, so wird das als ein großes Unglück angesehen; auch wenn die Frau ihrem Gatten nur Mädchen zur Welt bringt, wird ihr dies sehr verübelt; erst wenn sie einen männlichen Erben ihm schenkt, steigt sie etwas in seinem Ansehen.

Phot.  N. P. Edwards.

Abb. 202. Ein indischer verschlossener Frauenwagen.

Phot. Johnston & Hoffmann.

Abb. 203. Festzug bei der Hochzeit eines Radscha.

Polygamie ist den Indiern erlaubt; das Gesetz gestattet den Hindu eine unbestimmte Zahl von Frauen, der Islam seinen Anhängern deren höchstens vier. Die zuerst geheiratete Frau gilt für die rechtmäßige Gattin und nur die Kinder aus ihrer Ehe für legitim. Im allgemeinen wird von dieser Vergünstigung aber wenig Gebrauch gemacht. Man pflegt eine zweite Frau nur dann zu nehmen, wenn der ersten Kinder versagt bleiben, vorausgesetzt aber, daß der Mann die Mittel für eine nochmalige Ehe besitzt. Verarmte Brahmanen sollen sich diese Erlaubnis zur Aufbesserung ihrer Finanzen zunutze machen, indem sie eine wohlhabende Frau aus niederen Kasten heiraten; früher soll mancher von ihnen mehr als hundert Frauen nacheinander geheiratet haben. — Ehescheidung ist in Indien leicht, da der Gatte keine Gründe vorzubringen braucht. Er führt seine Frau, wenn er ihrer überdrüssig geworden ist, an den vier Wänden des Frauengemaches entlang und erklärt ihr, daß er sie nicht länger ausstehen könne. Damit ist sie entlassen. — Die Stellung der Hindufrau ist eine recht niedrige; ein weibliches Wesen gilt in den Augen der Hindu für ein niedriges, unwürdiges Geschöpf, das auch im Jenseits keine ehrenvolle Stelle einnehme. Daher ist Töten der Mädchengeburten in Indien gleichsam an der Tagesordnung, was zur weiteren Folge hat, daß in manchen Gebieten kein einziges Mädchen anzutreffen ist. Ein Aussterben der betreffenden Stämme ist daher nur eine Frage der Zeit.

Phot. Johnston & Hoffmann.

Abb. 204. Musikbande eines Hochzeitszuges der Hindu.

Phot. Johnston & Hoffmann.

Abb. 205. Hochzeit eines Radscha.

Die Braut, in vollem Hochzeitsstaat und mit der Brautkrone geschmückt, von der ein langer Schleier als Schutz gegen den „bösen Blick“ der sie umgebenden Menge niederwallt, ruht in einem festlich geschmückten Palantin. In diesem wird sie von den Dienern des Bräutigams nach dessen Hause getragen.


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Phot. Lady Eardley-Wilmot.

Abb. 206. Indisches Tanzmädchen.

Die Bestattungsweise bei den Indiern ist keine einheitliche. Zwar behauptet man allgemein, daß sie ihre Toten verbrennen, aber dies ist durchaus nicht die Regel, denn viele Kasten und Stämme beerdigen sie auch. — Ist ein gewöhnlicher Hindu gestorben, dann schafft man die Leiche sogleich aus dem Hause, das sofort durch frisches Tünchen gereinigt wird, und legt sie außerhalb des Dorfes auf eine Bahre, am liebsten sogleich in der Nähe eines Flusses. Hier wird sie gebadet, ihr auch der Mund innen gewaschen, dann wird die Leiche in ein neues Lendentuch sowie in ein großes Laken eingehüllt und auf den Scheiterhaufen getragen. Der Hauptleidtragende, gewöhnlich der Erbe, der sich inzwischen Kopf und Gesicht hat rasieren lassen, zündet den Scheiterhaufen mit einer langen Fackel an und geht fünfmal um ihn herum, indem er gleichzeitig jedesmal die Lippen der Leiche mit der Fackel berührt. Bevor der Körper gänzlich verbrannt ist, wirft jeder Anwesende fünf Stöcke ins Feuer und hilft sodann beim Auslöschen. Was unverbrannt bleibt, wird den Fischen im Flusse zugeworfen. Sodann waschen die Teilnehmer die Brandstätte, baden sich sämtlich im Flusse, aber an einer anderen Stelle, und gehen dann nach Hause. In der Nähe der gleichen Stätte wird ein geweihter Basilikumstrauch gepflanzt. Am nächsten Tage schüttet der Hauptleidtragende ein wenig frische Milch auf die Brandstätte und hängt zu Hause einen Topf mit solcher an einem Baume auf; dieser hat eine kleine Öffnung, so daß sein Inhalt herabtropfen kann. Er selbst geht dreimal um diesen Baum herum und gibt sodann seinen Verwandten einen Leichenschmaus. An den folgenden zehn Abenden zündet er zu Ehren des Verstorbenen eine Lampe an, und zwar an verschiedenen Stellen auf dem Weg vom Hause bis zum Scheiterhaufen. Noch weitere Zeremonien folgen an bestimmten Tagen. An dem letzten davon legt die Witwe ihre Trauerkleidung an, die sie fortan lebenslänglich trägt; bei den oberen Hinduklassen ist sie weiß, bei den übrigen wechselt ihre Farbe. — In Benares und anderen großen Städten gibt es bestimmte heilige Plätze für die Einäscherung (Abb. 207). Wenn man die Hinduleichen begräbt, dann geschieht dies für gewöhnlich in ganzer Kleidung mit gekreuzten Beinen in sitzender Stellung (Abb. 209); das Gesicht ist dabei nach Norden gewendet, in die Hände erhalten die Toten Kuchen mitgegeben.

Phot. Underwood & Underwood.

Abb. 207. Einäscherungsplatz in Benares.


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Phot. Lady Eardley-Wilmot.

Abb. 208. Szene von einem mohammedanischen Begräbnis.

Die Angehörigen und Freunde sitzen um das Grab, während es zugeschaufelt wird.

Auch die Mohammedaner Indiens begraben ihre Toten (Abb. 208 und 211). Sie werden ebenfalls erst gründlich gebadet, mit einem Lendentuch umhüllt und in ein großes Laken gewickelt, der Kopf wird durch ein Loch der Umhüllung gesteckt. In Sindh kommen die Frauen der Verwandten und der befreundeten Häuser in das Trauerhaus und erheben vor der Tür für mehrere Stunden ein Trauergeheul (Abb. 210). Auf dem Friedhof wird die Leiche, nachdem dann weiter Gebete gesprochen worden sind, mit dem Kopf nach Norden ins Grab gelegt. Einen Sarg kennen die Mohammedaner nicht, dafür aber befestigen sie den Körper mit Bambusstäben oder Brettern, überdecken ihn mit Gras und bestreichen das Ganze mit Lehm. Beim Zuschaufeln der Gruft beteiligen sich die anwesenden Familienmitglieder. Frommen Bettlern werden die üblichen Geschenke verabreicht. Zu Hause kocht man während der nächsten Tage nichts; Verwandte versorgen die Leidtragenden mit Speise. Am dritten Tage endlich findet die Totenfeier ihren Abschluß mit einer merkwürdigen Zeremonie. Alle männlichen Familienangehörigen versammeln sich auf einem freien Platz, wo Getreide, Blumen, Betelblätter und Sorbet zusammengetragen sind. Jeder Anwesende nimmt ein Korn auf, segnet es mit einem feierlichen Spruch und läßt es auf ein Tuch fallen, bis der ganze Haufe verbraucht ist. Die Getreidekörner verteilt man sodann an Bettelmönche, den Sorbet aber trinkt man selbst; dabei wird ein bestimmtes Kapitel aus dem Koran vorgelesen.

Phot. Wiele & Klein.

Abb. 209. Szene von der Bestattung eines Hinduhandwerkers.

Der Leichnam, der mit gekreuzten Beinen auf einer Tragbahre sitzt, wird zur Grabstätte getragen und in dieser Haltung auch beigesetzt.

Phot. The C. E. Z. M. S.

Abb. 210. Mohammedanische Klageweiber in Sindh.

Es bleiben noch ein paar Worte über die Witwenverbrennung in Indien zu sagen. Wenngleich diese nicht direkt durch die Religion vorgeschrieben ist, so verlangte doch die Volkssitte, daß die Witwen ihrem Gatten auf dem Scheiterhaufen im Tode folgen. Diese Unsitte scheint auf eine Legende zurückzugehen, wonach Sati, die Gemahlin des Gottes Schiwa, sich beim Opfer ihres Vaters Dakscha aus Gram darüber, daß ihr Gatte von Brahma dazu nicht eingeladen war, ins heilige Feuer stürzte. Daher heißt jede Ehefrau, die ihrem verstorbenen Gatten auf den Holzstoß folgt, um gleich ihm zu Asche verbrannt zu werden, Sati; der Gebrauch selbst, den man bereits aus dem sechsten Jahrhundert nach Christo kennt, wird Sahagrama, das ist „das Mitgehen mit dem Tode“ genannt. Bis zum Jahre 1829 war die „Selbstopferung“ der indischen Witwen gang und gäbe, dann hat die englische Regierung sie verboten, aber manche Witwe hat sich seitdem noch weiter geopfert, und selbst heute dürfte die Witwenverbrennung gelegentlich ganz im geheimen noch vorkommen. Man brachte auf den Scheiterhaufen ein Bett, und die Witwe legte sich in schöne Gewänder gekleidet darauf. Während die Flammen um sie emporzüngelten, machte Musik einen ohrenbetäubenden Lärm, aber nicht etwa, um ein etwaiges Jammergeschrei der Verbrennenden zu übertönen, sondern vielmehr um ihre Weissagungen nicht zu Gehör zu bringen, die vielleicht manchem Anwesenden hätten unangenehm sein können; denn nach dem Volksglauben besaßen solche Witwen die Fähigkeit, in die Zukunft zu schauen. Heutzutage wird die sogenannte „kalte Witwenverbrennung“ geübt. Die Witwe wird nach dem Tode ihres Mannes ihrer Schmucksachen beraubt, muß ihre Gewänder ablegen und erhält dafür minderwertige Kleider, sie muß fortan ihre Mahlzeiten einschränken, gelegentlich auch fasten und verschiedene Kasteiungen sich auferlegen. Ihr schon bei Lebzeiten ihres Gatten trauriges Schicksal wird dadurch noch menschenunwürdiger. Auf jeden Fall ist es der Hinduwitwe verboten, sich wieder zu verheiraten. Vielfach werden die Hinduwitwen Tempeltänzerinnen (Abb. 206). Es gibt in Indien sechsundzwanzig Millionen Witwen, von denen zehntausend das Alter von kaum fünf Jahren, fünftausend noch nicht das von zehn und zweihundertfünfundsiebzigtausend das von höchstens fünfzehn Jahren erreicht haben. Allerdings kommen bei einigen nordindischen Stämmen auch Ausnahmen hiervon vor; hier ist die Leviratsehe gestattet, aber nur mit dem jüngeren Bruder des Verstorbenen. Dieser kann aber seinerseits auf dieses Recht Verzicht leisten.

Phot. Lady Eardley-Wilmot.

Abb. 211. Ein Friedhof zu Kaschmir.

Die Irispflanzen im Vordergrund zeigen an, daß es sich um einen mohammedanischen Begräbnisplatz handelt. Ihre flachen, scharfen Blätter stellen die Speere vor, die die bösen Geister von der Ruhestätte forttreiben sollen.

Wenn wir das im vorstehenden über die Eingeborenen Nordindiens Gesagte uns noch einmal vergegenwärtigen, so ergibt sich uns als das am meisten hervorspringende Merkmal dieser Völker, daß bei all ihrem Tun und Denken, in ihren Sitten und Bräuchen, sowie überall in ihren sozialen Einrichtungen religiöse Anschauungen ausschlaggebend sind. Von der Wiege bis zur Bahre beeinflussen den Indier, mag er nun strenggläubiger Hindu oder Mohammedaner sein oder einer der zahllosen sektierenden Religionsgemeinschaften angehören, in geradezu bedenklicher Weise beengende religiöse Vorschriften, hemmen seine freie Entfaltung und machen einen gesunden Fortschritt bei ihm fast zur Unmöglichkeit. Religiöse Engherzigkeit ist es denn auch, die im Verein mit dem ausgeprägtesten Kastenwesen jeden kräftigen politischen Aufschwung verhindert und die Indier ohne fremde Hilfe niemals aus dem Druck der englischen Knechtschaft herausläßt.

Phot. F. B. Bradley-Birt.

Abb. 212. Badeszene vom Snanfest zu Nangalbandh,

zu dem mindestens eine halbe Million Pilger zusammenströmen, um ihre Sünden abzuwaschen.

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