18. Oktober

Im Uferwald verborgen

lag die Morgensonne.

Wir stießen vom Strand.

Sie sprang ins Wasser,

gab über den Strom uns

ein funkelnd Geleite.

Diese alten Verse fielen mir heute beim Erwachen ein, als wir eben über einen Fluß fuhren, wo die Sonne tiefgespiegelt neben uns mitreiste. Nachts war ich mehrmals munter geworden, während irgendwo der Zug stillstand; so glaubte ich, wir seien kaum weitergekommen und sprach den Fluß noch als die Donau an, es war aber die Theiß. Bald sahen wir in weiter Ebene Gehöfte mit haushohen Ziehbrunnen, Herden schwarzwollig behaarter Schweine, junge Feldarbeiterinnen mit weißen, blaugestreiften Kopftüchern, die am Rand eines Kukuruzackers Kürbisse sammelten. Als die Soldaten ihnen zuwinkten, kreuzte eine die Arme heftig über der Brust, um sie dann, mit fremdartigem Ungestüm, dem enteilenden Zuge nachzustrecken.

*

In Békéscsaba stieg ein himmelblaues Urlaubsoffizierchen zu uns herein, ungarischer Kavallerist, dessen knabenhafter Überschwang ein Weilchen wie Kolibrigeschwirr die ernsten deutschen Käuze unterhielt. Er duzte uns alle, wie es im verbündeten Heere üblich ist, verteilte seinen halben Zigarettenvorrat, ließ uns die Photographie seiner Braut bewundern und versicherte uns auf ewig seiner unbedingten Freundschaft, vergaß auch nicht, uns zu erinnern, es gäbe nur den Sieg oder den Tod für uns, kein drittes. Als wir uns Arad näherten, überreichte er jedem eine Postkarte mit seinem Bild und erbat sich Gegengaben. Vergeblich suchten wir lange in allen Taschen; doch fand sich endlich bei mir ein wunderschönes Lichtbildchen der Tänzerin Clotilde von Derp, von Meister Holdt wie ein Gemälde aufgenommen und nach Libermont gesandt; dies gab ich schließlich mit bösem Gewissen hin. „Deine Braut?“ schrie der Ungar und äußerte maßlos Dank und Entzücken. Ich überlegte, während er die Reize der zarten Gestalt wie ein Kenner hervorhob, ob ich eingestehen sollte, daß ich leider nie die herrliche Künstlerin von Angesicht zu Angesicht gesehen, sagte mir aber, daß dies albern wäre, und ließ mich getrost als den glücklichsten der Männer feiern und beneiden.

In Arad kaufte ich zwei Flaschen Tokaier und verwahrte die eine im Sanitätswagen; die andere teilte ich mit Raab, so daß wir bald in die Laune gerieten, den Befehl von gestern auszuführen. Eindringlich fragten wir vor jedem Wagen die guten Leute nach ihrem Befinden. Einige lächelten verlegen, andere erschraken sehr, da sie glaubten, wir hätten irgend etwas Niederträchtiges mit ihnen vor. Als ihnen aber klar wurde, daß die Frage ernst gemeint sei, da spürte der eine oder andere bald ein Ziehen, Drücken oder Schneiden; ja mancher brave Junge, der noch vor fünf Minuten seiner Gesundheit allerhand Proben zugetraut hätte, begann sich ein wenig lazarettreif zu fühlen. Ich begnügte mich für heute mit zwölf Krankmeldungen; es wären aber leicht vierzig oder fünfzig zu erreichen gewesen. Die Meldung, die ich nach dem Mittagessen im Bahnhof zu Arad erstattete, rief den erwarteten Schrecken hervor, und als ich nun ehrerbietig meine Gründe gegen das neue Verfahren vorbrachte, fand ich keinen Widerspruch. Besänftigend fügte ich übrigens hinzu, daß ich bisher noch keinen der Erkrankten in ein Lazarett überwiesen habe, sondern versuchen wolle, sie bei der Truppe zu behandeln. Gegen Abend fuhren wir zwischen Waldbergen einem neuen Fluß entlang, der uns seither nicht mehr verläßt; es ist die Maros.

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