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17. Oktober erwachte ich zum ersten Male wieder mit gesundem Blick, doch gab es zunächst nichts zu sehen als unendlichen Nebel, der sogar die Namen der Bahnhöfe verdeckte. Der Kompaß zeigte Zugrichtung Südost. Als es nach zwölf Uhr sich lichtete, glaubten wir uns großen Schilfgebieten zu nähern, die sich später als abgeerntete Maisfelder erklärten. Der Dunst stieg auf und wurde Gewölk, das gegen Abend in unzählige spitze Hütchen auseinanderfiel, als wäre fern im Raum ein Lager weißer Zelte aufgeschlagen. In großflächiger Landschaft mit Gebirgshintergründen kam die Donau näher, geschmückt mit herbstlichen Inseln, deren eine von Pappelsilberlaub wie blühend schimmerte. Auf rundem Hügel steht ein griechisches Tempelchen, in dessen Kuppelmessing sich der letzte Abendglanz verfängt. Von Kisgöd aus, das unter den roten Gefiedern alter Akazien halb verborgen liegt, fuhren wir immer schneller der ungarischen Hauptstadt zu. Küchenordonnanz Klingensteiner, Kerzen bringend, verrät uns, stotternd vor Entzücken, daß wir in Budapest Stadtquartiere beziehen werden. Einige umarmen einander vor Freude, Koffer werden aufgesperrt, leichte Stiefel und Urlaubsmützen hervorgeholt. Leutnant H. und ich beschlossen, ein Kaffeehaus in der Andrássystraße zu besuchen, einer wünschte vor allem das Parlamentsgebäude zu sehen, ein anderer die Burg; alle drängten wir zum Fenster. Nahe den ersten Vororten bog aber der Zug nach Süden ab und trug uns mit gewaltiger Eile von der türmeschimmernden Stadt hinweg in die Nacht hinein. Mützen und Stiefel wurden wieder eingepackt, wie immer die Kerzen angezündet und in leere Konservenbüchsen gestellt, ein Kartenspiel auf ausgespannter Zeltbahn begonnen. Klingensteiner, Tee, Brot und Wurst auf dem Brettchen tragend, wagt sich kaum herein, böser Worte gewärtig; nahezu weinend entschuldigt er sich, er müsse eine Äußerung des Adjutanten falsch verstanden haben. Spät kam noch der Major herüber, verdrießlichen Gesichts; es war, als ob er einem das bißchen Licht wegnähme. Seine Natur ist mehr agil als aktiv; ruhende Menschen zu sehen, macht ihm Pein. Er sah von einem zum andern; endlich erkundigte er sich bei mir nach der Gesundheit der Mannschaft. Ich war unbedacht genug, ohne viel Erörterung das Günstigste zu berichten. Er meinte, darüber ließe sich doch nicht so leichthin urteilen, das beste wäre, wenn ich von morgen an täglich bei größerem Aufenthalt mit meinem Unteroffizier den Zug entlangginge und von Wagen zu Wagen ausdrücklich fragte, ob niemand erkrankt sei. Die suggestive Wirkung solcher Fragen bedenkend, ließ ich mir ein unziemliches Lächeln zu schulden kommen, was der alte Herr schlimm vermerkte; er spitzte seinen Rat zum Befehl und verließ uns ohne Gruß. Wir sprachen vor dem Einschlafen noch eine Weile von ihm. Leutnant H., der Götter- und Sagenkundige, erinnerte, daß nach altem nordischen Glauben die bösesten Mächte sich in gute verwandeln, wenn es ein einziges Mal gelingt, sie zum Lachen oder auch nur zum Lächeln zu bringen; es wäre an der Zeit, meinte er, dieses Mittel bei unserem finstern Gebieter zu versuchen.

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