20. November

Der trübe Tag vergeht ohne größere Gefechte. Regen hat alle Toten aus dem Schnee hervorgewaschen; einer nach dem andern wird nun begraben. Viele Leute melden sich krank; eine trockene, schmerzhafte Augenentzündung befällt uns fast alle. Manche fiebern, und wieder sind einigen die Zehen erfroren. Dazu fallen immer wieder Unvorsichtige den feindlichen Scharfschützen zum Opfer, die sich auf Bäumen versteckt halten. Halbe Tage lauern sie voll Tiergeduld, ob keiner der Unsrigen sich einmal vergißt und seine Deckung verläßt, ein katziges Kriegführen, zu dem gewiß kein Soldat der Erde weniger taugt als der deutsche. Wer noch leidlich gesund ist, sieht übrigens nicht ohne Genugtuung die sogenannte Gefechtsstärke dem Minimum entgegensinken, das Ablösung bedeutet, und nachsichtig schweigt sogar der Major, wenn ich mich beim Überweisen in die Lazarette ziemlich liberal verhalte. Leutnant Leverenz behauptet freilich, daß ich ärger als der Feind den Bestand an Gewehren vermindere, gibt aber zu, daß auch dem Tüchtigsten hier nicht mehr als drei Tage und Nächte zugemutet werden können. Es gibt keine Unterstände auf dem Berg; hinter Steinen und Bäumen liegt der Soldat im nassen Schnee, er darf kein Feuer anzünden und, solang es hell ist, den Kopf nicht erheben. Die größte Pein aber ist für uns alle der Durst, der mit ungeheurem Ekel vor dem Trinken verbunden ist. Im Schmelzwasser, das von den blutüberstrudelten Hängen heruntersickert, ist beginnende Verwesung so reichlich gelöst, daß wir es nicht einmal zum Teekochen, noch weniger zum Trinken gebrauchen mögen.

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