28. November

Das blaugraue Kätzchen ist heute verendet, und weil mir eine freie Stunde gegönnt ist, will ich mir die kurze Geschichte seines Leidens aufzeichnen; gehört sie doch auch zu meinem Tag. Früh weckte mich gestern leises Wimmern und Murren. In der großen Stube, mit ganz verschaudertem Gesicht, kauerte der junge Ungar am Boden und schob dem Tier bald ein Wasser-, bald ein Milchnäpfchen zu. Es hatte nachts Blut, morgens Galle gespien. Die Milch beachtete es gar nicht; auf das Wasser blickte es unverwandt. Als ich mich näherte, hob es langsam den Kopf wie ein müder, trauriger Mensch. Das Gesicht war viel kleiner geworden, das goldumrandete Bernsteingelb der Augen getrübt, die Nase sehr heiß. Es hatte gewiß Fieber und brennenden Durst. Bald weinend, bald brummend näherte es nun seine Schnauze dem Wasser, zitterte aber bei jeder Berührung mit einem zornigen Laut zurück; es war zu sehen, daß ihm der Trinkversuch Schmerz bereitete. Aber immer wieder trieb es rasende Begierde dem Wasser zu. Plötzlich tauchte es eine Vorderpfote ein, dann die andere; schließlich wollte es ganz in den Topf hineinsteigen, der aber viel zu klein war. Man füllte eine große Schüssel; da legte es sich hinein mit seinem ganzen inneren Brand und blieb eine Weile ruhig.

Indessen war die Bäuerin eingetreten; Kinder und Nachbarinnen kamen, ein Kreis von Neugier und Erbarmen zog sich um das arme Tier und seine Qual. Noch vorgestern hatte man es achtlos fortgeworfen; jetzt aber dachte niemand daran, es durch schnelle Tötung zu erlösen; jeder fand nur, daß es ein reizendes Kätzchen sei, und wußte einen Rat, ein Mittelchen, um es zu heilen. Als wäre es durch sein Leiden in göttliche Nähe gerückt, hatte man fast Ehrfurcht vor ihm, besonders die Kinder. Und wirklich war etwas Bewundernswertes in der Haltung der kleinen Katze, etwas kaum Beschreibliches, das sie über ihren Zustand erhöhte, eine Art Stolz, ein Bewußtsein ihrer eingebornen wilden Anmut, welche der Tod wohl nach und nach abtragen oder zertreten, aber keineswegs beugen konnte. Wie es, vom eigenen Elend wegblickend, sich bemühte, seinem Wesen treu zu bleiben, wie es, schon von der Vernichtung geschüttelt, seine Würde behielt und die feine Neigung des Köpfchens nicht aufgab, dies war es, was alle sicherlich viel stärker ergriff, als das Leiden selbst. Etwas Geistiges ist hier verbürgt, und die alten Ägypter haben wohl gewußt, warum sie dieses Tier heilig hielten und seine Mörder bestraften.

Bald hatten übrigens die Leutchen von Kézdi-Almás all ihren guten Rat erschöpft und sahen schließlich voll Erwartung auf mich. Dehm, der gerade dazu kam, riet zu Morphium, ich gab Atropin dazu. Wir ließen das Kätzchen aus dem Bade heben und spritzten ihm eine winzige Menge der Lösung in den Schenkel, worüber ein kleines Mädchen laut aufschrie. Matschka jedoch zuckte bei dem Einstich nicht einmal, so ganz war sie von der Pein ihrer Eingeweide erfüllt. Nach drei Minuten ging sie auf ein Fleckchen Sonnenschein zu, das auf der Diele leuchtete, streckte sich behaglich aus, legte den Kopf auf die Vorderpfoten und schlief ein, zuweilen im Traum leise knurrend. So fanden wir sie noch spät, als längst keine Sonne mehr schien, da begann wieder das vergebliche Wandern zum Wasser. Wir wiederholten die Einspritzung in dreifacher Stärke. Daraufhin wurde sie zunächst sehr munter, fast ausgelassen und machte sonderbar schelmische Gebärden, als verändere ein beginnender Wahnsinn ihre Natur, doch blieb sie immer schön im Einklang ihrer Bewegungen. Plötzlich sprang sie zu mir herauf und umschnupperte mein Gesicht. Ich hob sie weg zu meinen Füßen hinunter; sie ließ es brummend geschehen und schlief auf einmal ein. Um zwei Uhr erwacht, beleuchtete ich sie mit der Taschenlampe; sie schlief unter leichten Zuckungen. Den Schweif hatte sie bequem um sich herumgelegt, der Kopf ruhte auf meinem linken Fuß. Die Lage war lästig, und ich wollte den Fuß wegziehen, da erhob sie aber ein sehr ärgerliches Geknurr und tat gar, als wolle sie mich in die Zehen beißen. So faßte ich mich denn in Höflichkeit, die wir einem sterbenden Wesen wohl schuldig sind, und rührte mich nicht weiter. Durch das kleine Tier zur Ruhe gezwungen, bemerkte ich übrigens bald eine Veränderung an mir, eine seltsame innere Stille und Gesammeltheit, wie sie, glaub ich, die Mönche als Einkehr bezeichnen. Der Körper empfand sich leichter, das Denken geschah freier und sicherer als sonst. Lebhafte Vorstellungen vom Wesen gewisser Krankheiten drängten sich als erstes auf; ich wußte plötzlich, daß man sie weit einfacher behandeln könnte als bisher. Dabei blieb mir immer bewußt, daß es Matschka war, der ich den gesteigerten Zustand verdankte, und nie vielleicht bin ich mehr davon überzeugt gewesen, daß wir nicht nur von Menschen, Geistern und Sternen, sondern oft auch von Tieren, Pflanzen, ja sogar von unbelebten Stoffen unmerklich zu uns selber geführt werden, worauf am Ende doch alles hinausgeht, was wir Gnade nennen. Und nun flog mir geschwind und klar alles durch den Kopf, was ich jemals über Katzen Gutes gehört und gelesen, zuletzt auch die rührende Mythe von jener sintflutartigen Überschwemmung, welche die Mutter so oft erzählt hatte. Ein Knäblein schwamm in seiner Wiege mitten auf dem unendlichen windbewegten Gewässer. Bei ihm befand sich eine Katze, und jedesmal, wenn die Wiege umzukippen drohte, sprang das behende Tier auf die andere Seite, um das Gleichgewicht herzustellen, bis endlich das kleine Boot in der Krone einer hohen Eiche hängen blieb. Die Flut verlief sich, man holte die Wiege herunter und fand Kind und Katze lebend und unversehrt. Da man des Knäbleins Eltern nicht kannte, so nannte man es Dold, was soviel heißt als Wipfel, und es wurde der Stammvater eines großen berühmten Geschlechts.

Von solchen Erinnerungen aus lief das Denken weiter durch manches Gebiet, um endlich in das nächste, nüchternste, für den Augenblick erwünschteste heimzukehren. Mit einem Male wußte ich nämlich genau, daß in einer der großen Ledertaschen, zwischen Verbandpäckchen und Instrumenten, der Schlüssel zum Sanitätswagen liegen müsse; vermutlich hab ich ihn selber dorthin verräumt. Dieser Sorge ledig, nickte ich fast wider Willen ein und schlief, bis mich Rehm, Tee bringend, weckte. Sogleich ließ ich den Schlüssel suchen; wirklich fand er sich an der gedachten Stelle. Matschka aber erwachte nicht mehr. Während ich aufstand, setzte ihr Atem aus, dann kam ein schnelles hartes Gestöhn, endlich noch ein tiefer, fast behaglicher Atemzug.

Eben bringt eine Ordonnanz den Alarmbefehl. Die Truppenbesichtigung bei Lemhény ist abgebrochen worden. Wir packen ein. Welch Glück, daß der Schlüssel gefunden ist! Die schönen Uniformen werden abgestreift, die Bilder verschwinden von den Tischen. Der junge Ungar kniet vor der toten Katze und streichelt sie weinend. Schön ist es immer anzuschauen, wenn den rohen Menschen das Ewige anfällt, – ehren wir jede Erleuchtung, jeden verwandelnden Schrecken! – ich möchte dafür einstehen, daß der Knabe nie wieder seine Hand gegen die Kreatur erheben wird, – gebe Gott jedem sein Tier und seine Sünde, die ihn erwecken! Es muß aber noch andere Erleuchtungen geben, wo aus noch viel reinerem Schrecken eine Tat aufsteigt wie ein Stern.

Der Himmel hängt voll Schneewolken. Frost ist eingetreten, Reif liegt auf der alten Sonnenblume. Die Samenkerne sind nun festgefroren, der Abendvogel wird Mühe haben, sie herauszupicken. Der Osten dröhnt von Geschützen. Es ist vier Uhr. Wir marschieren gegen Kézdi-Vásárhely ab.

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