Középlak, 29. November, abends

Auf 29 Automobilen wurde nachts das Regiment über den Gyimespaß nach dem Hidegségtal herübergebracht. Es sind offene plumpe Lastwagen, die Räder bereits wie drinnen im Land ohne Gummireifen; immer gefährlicher schwankte der unsrige auf dem holprigen Boden, und plötzlich fuhren wir schräg in einen Straßengraben, gerade noch, ohne zu stürzen. Umsonst war jeder Versuch, das Gefährt wieder heraufzuziehen. Von den Wagen, die, glücklicher gelenkt, in großen Abständen nachfuhren, überholten uns fünf; jeden riefen wir um Beistand an, jeden vergeblich. In dumpfer Wut harrte die Besatzung; nur da und dort lachte einer, als böte das Ungemach des Augenblicks vor dem großen Schicksal einen Schlupf. War Hilfe hier nicht erbittlich, so war sie vielleicht erzwingbar; ich riet den Leuten, sich in ganzer Straßenbreite aufzustellen und dem nächsten Wagen eine drohende Haltung zu zeigen. Das höchst verfängliche Mittel wirkte: der Führer, als er die entschlossene Gruppe bemerkte, stoppte sofort. Nun ward in Minuten unser Fahrzeug dem andern angekettet und auf die Straße gezerrt.

So fuhren wir weiter, mit frierenden Augen, durch die sternenlose Nacht, immer nur auf den grellen Lichtkegel blickend, den wir vor uns herjagten. Ich saß vorne beim Lenker, einem sehr jungen Polen, dessen ungeübte und ängstliche Hand uns noch öfters dicht an Abgründe brachte. Mahnungen und Einreden konnten da wenig frommen; gewiß war es das beste, ihn gewähren zu lassen und ihm heimlich alle guten Kräfte zuzubeten. Als die Paßhöhe erreicht war, graute der Morgen. Ein vereisender Wind pfiff aus Nordosten; die Wolken standen hoch. Öde Landschaft erschien, greises Gebirge, stark abgetragen, die kahlen Hänge voll kleiner Buckel und grauer Steinwürfel, dazwischen Hütten, die den Steinen glichen, in der Tiefe ein halbverkiester Fluß mit angelagerten Häusern. Beim Hellerwerden erkannte man auf Tal- und Bergstraßen unübersehbare, gegen Osten marschierende Kolonnen. Düster, schicksalshaft anzuschauen ist solch ein Dahinziehen Tausender, die wie auf Speichen des nämlichen Rades einer unsichtbaren glühenden Achse zustreben. Gäbe es doch ein groß vorleuchtendes Zeichen, das allen ihre Mühsal süß macht! Aber ihr Bestes ist verwahrt in einem Traum der Menschheit, den sie vielleicht nie erfahren, und nur manchmal mag es einen gemahnen, daß er einem unbekannten Herrn der Zukunft dient.

Um acht Uhr morgens erreichten wir das Dorf Középlak, dessen Gebäude sehr weit auseinander liegen. Ein großes gelbes Haus, nah bei der Kirche, wurde mir als Stabsquartier bezeichnet. Es besteht aus zwei kleinen Zimmern und einem geräumigen Saal, den ein brüchiger Ofen mit Rauch erfüllt. Der Assistenzarzt lag schlafend in Mantel und Stiefeln am Boden; das abgemagerte verstaubte Gesicht glich vor übermäßiger Ermüdung dem eines Toten. In einer Ecke, gebeugt über Karten, saßen flüsternd Major und Adjutant; gegenüber sprach ein rotbärtiger österreichischer Hauptmann unter vielen Verbeugungen in ein Telephon hinein. Ich spürte zwischen drüben und hüben eine Verstimmung ziehen, die mir später erklärt wurde. Der Österreicher, zugleich Munitionsoffizier und Ortskommandant, hatte unserem Major vorgestellt, es gebe kein unbesetztes Haus mehr in ganz Középlak, und ihn höflich eingeladen, sein eigenes bequemes Quartier mit ihm und seinen Offizieren zu teilen, worauf unser Gebieter ihn gleichwohl bündig ersuchte, das Gebäude zu räumen. Dies Ansinnen wurde zurückgewiesen, und der Major brach die Unterhaltung mit einigen allgemeinen Ausfällen gegen die österreichische Armee ab. Der Rotbart zog sich weltmännisch-gelassen zurück, nicht ohne zu bemerken, er habe zwar bereits angeordnet, daß in seiner Küche für die deutschen Herren mit gekocht werde, müsse dies aber, auf soviel Unfreundlichkeit hin, leider zurücknehmen und sich auf den bloßen Dienstverkehr beschränken.

Ich legte mich neben den Assistenzarzt und schlief bis elf Uhr. Dann ging ich nach kurzem Dienst zum Hidegség hinab. Wird einem doch, als habe man teil an allen Gütern und Geistern der Länder, sobald man ein Ufer betritt. Einwohner kamen des Weges, zuerst alte Männer, dann junge Frauen und Mädchen. Diese sind ein stattlicher Schlag mit leichtem, freiem, brüstestolzem Gang, gesunde Rundgesichter, vom Geist der Rasse schön beherrscht, so daß immer eins das andere bestätigt. Man denkt zuerst an Italien; aber es ist noch etwas anderes darin, etwas tierhaft Geschmeidiges, dazu etwas Verschlossenes, nach innen Horchendes, wilder alter Adel, der nach Asien weist. Die unechten städtischen Kostüme, die wir noch gestern sahen, sind verschwunden; die Weiber scheinen hier nur am Leibe zu tragen, was sie selber hergestellt haben, statt des Rockes ein dunkles buntgestreiftes Tuch, das einfach übereinandergeschlagen wird, so daß man beim Gehen die Beine sieht, die in engen, weißwollenen Hosen stecken, um die Brust Pelzwesten, das Fell einwärts, das weiße, kunstreich bestickte Leder nach außen gewendet, schwarzes Kopftuch, spitze Schnabelschuhe. Wenn Truppen vorbeimarschieren, bleibt keine stehen, um zu gaffen, wie sonstwo Landleute tun; man spürt eine Gegend beginnen, wo die Menschen hart und sich selber genug sind, und wo sich Schicksale schnell und klar erfüllen.

Das Ufer sieht seltsam aus. Vor wenigen Tagen muß es noch überschwemmt gewesen sein; dann kam plötzlich die Kälte, eine dünne Eisdecke bildete sich, unter der aber das Wasser bald wieder sank. Nun haftet noch das Eis als brüchiger Glasring an Stamm und Strunk, als Brücke, mit Glöckchen behangen, überbaut es den Spiegel oder umschließt als muschelhaft geschweifte reifbefranste Schale die großen schwarzen Ufersteine.

Mittags, während wir Deutschen, feindselig abgesondert, bei bitterem Kaffee sehr hartes Brot und überdrüssiges Büchsenfleisch aßen, erklang im gleichen Saal an der Tafel der Verbündeten der Wein, und österreichische Ordonnanzen, die Blicke mit vorgeschriebener Starrheit auf uns gerichtet, schleppten schöne Braten und Pfannkuchen von der Küche herein an uns vorüber. Wir jüngeren, Geringeren verschmerzten aber die entgehenden Genüsse um so leichter, als unserm sonst so mäßigen Befehlshaber gerade diesmal Entsagung unerträglich wurde. Allen Stolz vergessend, suchte er unsern Koch zu bereden, daß er sich mit den österreichischen Küchensoldaten anfreunde und wenigstens etliche Kuchen für uns erschmeichle. Der aber schnitt jede Hoffnung ab: „Die Österreicher verkehren nicht mit uns“, sagte er.

Am Nachmittag war von Osten her scharfes Geschützfeuer zu hören. Der Adjutant blieb an das Telephon gebunden. Gegen fünf Uhr wurde Marschbereitschaft befohlen, um sechs Uhr der Befehl wieder aufgehoben.

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