¾4 Uhr

Die Sonne verläßt schon die unteren Felsen. Man friert nicht; der Brand wirkt herüber, Schnee tropft vom Gestein. Auch die rings aufgeschichteten Bretter stehen in Flammen. Die Entladungen dauern an. Oben am Gipfel ist man noch wachsam. Rehm glaubte nicht mehr an die Gefahr, ging versuchsweise eine Strecke der Front entgegen, erhielt Feuer, kehrte zurück, unverwundet. Über uns ist starre Klarheit; das Föhnige hat sich wieder aus der Luft verloren. Auf naher Birke wippt ein winziger grauer weißbauchiger Vogel; Schnee naschend von jedem Zweige, hüpft er unermüdlich auf und ab. Keiner der Genossen ist niedergedrückt. Ja, die gepreßte Stunde, wo Tod und Leben dicht beisammen sind, es ist, als festige und läutere sie den Grundstoff der Naturen, und wie eine schlechte Bleiglocke, getaucht in reinen Sauerstoff, auf einmal klingt wie eine silberne, so beginnt jeder in seinem eigensten Wesen zu tönen. Mancher erzählt von seiner Kindheit, und fast jeder will einen anderen beschenken. Von Kristl befürchtete ich sehr einen Rückfall in die Verstörung; aber er ist ganz gelassen. Den Lüttich hat er aufs beste verbunden, dann aus Brot einen drolligen kleinen Bären geknetet und ihm eine von seinen Goldmünzen ins Maul gesteckt. Wie eine Weihgabe stellt er das Figürchen in einer Felsennische auf, die will er mit Hölzern und Kieseln zubauen, einmal werde schon jemand das Bärlein finden, und es solle ihm gehören samt dem Goldstück, auch wenns ein Rußki wäre. Lüttich, unter Morphium gehalten, schläft. Mir aber vertreiben die Sprüche des Toten die Zeit. Um einigen Überblick zu bekommen, las ich sie einmal alle nacheinander herunter, zuerst leise für mich, bis ich merkte, daß die Kameraden zuhorchten, dann sagte ich ihnen, daß es ein Gedicht sei, das man bei dem gefallenen Glavina gefunden habe, und wiederholte mit lauter Stimme:

„Laßt uns den Hügel bauen am Berge Kishavas, ein Mal den Getöteten auf der bereiften Felsen- und Wacholderflur!

Dem Gesetze treu, ohne Klage, unbemerkt, bluten sie hin auf den fremden Steinen, wo kein Eichbaum grünt.

Wie das endet, wer schaut? Finster brüten Völker. Habet acht, o Freunde! Seht ihr einen Sterbenden, demütig bittet ihn, daß er heilsam sterbe, keine Flüche denke! Bald ist alles Vorspiel nur. Alle gehn wir morschen Weg. Tote Hände, bedeckt sie mit Wacholderzweigen bläulich düster!

Wer aber heimkehrt, halte Bereitschaft! Jeden mit anderer Stimme ruft Gott. Ein grader Wandel ist euer, ein langer Werktag, selten ein Fest, selten ein feiernd Lied. Schlummert wachsam wie die Gemse schläft!

Denkt grauer Wahrsagung! Feindseliger Schein traf die Länder. Kaum atmet noch der Glühende, der vom Pol her den Fluch-Engeln wehrt.

Unsern Schlaf überschleicht ein stummer Mut-Ermüder, Vogel von Antlitz, doch nicht beschwingt, unzeugerisch, ob auch elektrische Kräfte verströmend. Wollüstig alle beugt er, selbst unbeugbar.

Die strengen bindenden Worte fallen aus Kindes Gedächtnis. Raben tragen die goldnen Bücher aus dem Heiligtum.

Opfer, was frommen sie noch dem, der den Ruf überhörte? Der Dom stürzt ein über Altar und Beter, und abgesprengt, noch klingend vom Pilger-Bittgesang, ins Meer hinaus, verbrennend, schwimmt die Brücke.

Der Geist wird stehn vor der Tür seines eigenen Hauses und nicht heim finden. Gras wächst auf der Schwelle des Meisters und Herrn. Dessen Seele ist Eis geworden, klares, rundes, gediegenes Eis, und alle Lust wund und wirr wie der Fisch unterm Eise sich freut.

Der du heimkehrst, halte Bereitschaft! Wirf ab die kleinen Träume! Stifte klares Vergessen! Segne dich ein in ein eigenes Gebot, und bevor du umschritten dreimal das heilige Feuer, schlafe nicht bei deiner Braut!

Selig, wer Flügel regt mitten in Zeiten-Gruft! Heil schöpft er aus Unheil. O, und wenn Welt vergeht und neue erst unkenntlich gärt, immer dann schwebt eine tiefe blaue Stunde voll Freiheit und voll Hellgesicht, wo Rhythmus-Woge Geister hebt, bis die ganz neues Ufer schaun und nun erst recht sich freun des Flugs!

Sonne, die große Seele, weiß nichts von Auf- und Untergang, und brennt sie nicht in uns? Geschieht nicht stündlich fern und nah beherzte Liebestat? Das Innig-Ewige, wehts über Meere nicht von Stirn zu Stirn als wie ein Hauch? Und sinds die zarten Hauche nicht, aus denen Gott-Sturm wächst?

Kommet, Boten der Gnade! Wohnet nicht länger auf Bergen, besucht von toten Sehern, bei Adlern wolkenfeucht! Erscheinen herztrunken, wo bei verloschnen Herden Geschwister glühend harren! Wecket, weckt uns den Ruf!

Wie soll auferstehn, was nie begraben ward? Geht um in zwölften Stunden! Lest auf aus taubem Schutte das oft zerbrochne Menschenbild! Mauert es heimlich ein unter die neuen Gebäude! Ihr kündet keine neue Lehre; schon viel ist uns gelehrt. Auf schwebender Grenze von Licht und Urnacht naht ihr euch singend. Wen ihr grüßet, der ändert sein Leben. Euer himmlisches Lied geht über in jedes Gewissen.

Ihr wandelt harte Kette in leichten Zauberzügel. Der Gefesselte lenkt seinen Feßler, und beide erkennen die Freiheit.

Und wer, an Erbschaft gebunden, verwurzelt in Unterwelt, mit Milch und Korn sparsam genährt, sich als ein Bleibender wandelt, suchet am Sonntag ihn heim! Saget auch ihm Gefahr und Herrlichkeit unsers Lebens! Dann mag er dem Erdreich getrost vielfältige Frucht abgewinnen! Nur was ihm zukommt, behält er. Fromm wirft er den ersten Schnitt in die Säule des ewigen Brandes, die Nahrung der Geister zu mehren.

Auf Rinden und Gesteinen wie Wandrer alter Zeit hinterlasset ihr Zeichen einander, sogar in Sand und Schnee, und fällt euch der Tod an am Wege, vergehend lockt ihr noch mit Speise und sanfter Beschwörung wilde Vögel vom Himmel, schreibt auf weißen Fittich pupurne Liebesrunen.

Wir aber bauen ein Grabmal am Berge Kishavas, ein Mal unsern Toten auf der bereiften Felsen- und Wacholderflur!

Noch wintern Rumäniens Gipfel, am Himmel aber ist Frühling. Die Haut der Birke wird bräunlich und blättert ab, darunter schimmert silbern schon die neue. Wir wirbeln hin wie Laub in fremde Felder, – was quillt aus unserm Tod?

Glauben, sternhaft gesammelt, laßt ihn glühn mit beständigem Licht! Vielleicht nach Monden und Jahren trifft es den reinen Kristall der göttlich erstarrten Seele. Die zwar bleibt Eis, die schmilzt nicht mehr; aber wie eine Linse, unwissend, biegt sie vielfarbige Strahlen zu fernem Brennpunkt hinüber, da schlägt neue Flamme aus uraltem Boden.

Vermorscht sind schon die Leichen am Berge Kishavas, verrostet unsre Schwerter, vergessen unser Kranz, da freuen Menschen sich wieder unschuldig des Brotes und Weines, die uns verbittert sind. Aus wildem Ahnendrang ist lockere Krume bereitet, die Seele frei zu nie gewagtem Opfer. Aus erschüttertem Blut steigen kühne Beginner, und die Satzungen sind Gesang.“

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