Drei Uhr

In künftigen Kriegen, zu Wasser, zu Land und in der Luft, werden sich gewiß absonderliche Lagen genug ergeben. Ob aber eine wie die unsrige schon dagewesen ist? Seit halb drei Uhr hatten die Russen ihr Schießen eingestellt; bei tiefer Stille waren wir, in gehörigen Abständen, zurückmarschiert und etwa fünfhundert Schritt bis an das große Sägewerk herangelangt, als eine der preußischen Batterien, die nahe vor Sóstelek stehen, zu schießen begann. Sie muß dem Gegner etwas Arges angetan haben; denn auf dem Fuße, Schlag um Schlag, erfolgte maßlose Gegenwirkung, und bald konnten wir uns nicht mehr darüber täuschen, daß auch unser kleiner Zug aufs Korn genommen wurde. Ich erwog die Umkehr, doch schien sie fast bedenklicher als der Weitermarsch, und so liefen wir denn fort, auf das Gebäude zu. Viele Geschosse schon waren uns nachgerasselt, das letzte gerade noch fehlend, da kam eines, dem gleich nach dem Abschuß anzuhören war, daß es auf uns zuhielt. Funken flogen auf, und während ich mir mit beiden Händen den Hinterkopf zu schützen suchte, war ich niedergeworfen und von Erdklötzen halb eingegraben, dann trat Stille ein. Glieder und Gelenke prüfend, erkannte ich mich als unverwundet, stand auf und sah nach den übrigen. Rehm, behangen mit Erde und Eis, die Wangen leicht blutend, richtete sich eben empor und lächelte mich etwas betreten an; die andern standen seitlich, wie Statuen an die Felsen gestellt, und starrten auf den tiefen schwarzen Trichter, der nun in ganzer Breite die Straße unterbricht. Ernstlich verwundet war niemand. Jetzt schien sich die russische Wut von uns abzuwenden, und froh des glimpflichen Ausgangs wollten wir unsern Weg fortsetzen, da geschah etwas Neues. Eine Granate fuhr mitten in die Säge hinein, die wir nahezu erreicht hatten; eine Explosion erfolgte, dann eine zweite, dann fünf, dann unzählbare, und überall aus Dächern und Wänden zwängten sich die Flammen. Wären wir in diesem Augenblick mit aller Kraft weitergerannt, wir wären gewiß noch durchgekommen und säßen vielleicht beim Bärenschmaus in Sóstelek. Aber ohnedies noch leicht betäubt, sahen wir uns nur mit schauderndem Vergnügen das Ereignis an und versäumten die günstige Minute. Die Gegner ihrerseits begriffen schnell, was sie angerichtet hatten; übermütigen Knaben gleich, schossen sie wie rasend in den Brand hinein, und noch immer, in schrecklich langsamer Steigerung, entladen sich unaufhörlich die massenhaft aufgeschichteten Patronen, Handgranaten, Schrapnelle, Granaten und Minen. Wir brauchen uns nicht an die Wände der Schlucht zu schmiegen; die starken Luftwellen pressen uns an. In uns und um uns ist ein Summen und Beben, als würden Luft, Gestein und wir selber gleichmäßig elektrisiert. Die Sprengstücke fliegen weit. Dem Gefreiten Junker hat ein Splitterchen die Ohrspeicheldrüse durchschlagen; das Blut spritzt in langem dünnem Strahl in den Schnee, ist aber leicht zu stillen. Mir ist die linke Hand geritzt; es blutet wenig. An der Säge selbst, besonders nach der offenen Seite hin, mag es dichte Streuungen geben. So hat uns der Feind gewissermaßen eine Festung in den Weg gesetzt, an der wir nicht vorbeigelangen können. Immer noch zürnt er gewaltig; unsere fernversteckten Batterien fahren fort, ihn zu reizen, er findet sie nicht und rächt sich an den paar Leuten, die er sieht. Der kleine Lüttich, vielleicht von einer Art Platzangst erfaßt, kam auf den Einfall, aus der Schlucht herauszuklettern und das offene Gelände zu erkunden; er ist mit zerschmetterter Schulter zurückgekehrt. Die schlecht verwaltete Festung drüben fährt fort, zu verschwenden; bald wird sie sich ausgegeben haben. Schließt man die Augen, so hat man das Gesicht einer fürchterlichen, auf kleinsten Raum zusammengeballten Schlacht, von der nichts bleiben wird als Asche und Gebein. Wie langsam rückt die Sonne! Aber auch durch böse Stunden läuft der Zeiger. Um fünf Uhr muß es dunkeln. Um sieben Uhr können wir in Sóstelek sein.

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