Ich fahre fort.
Am nächsten Morgen erwachte ich spät, nachdem ich ungewöhnlich fest und traumlos geschlafen hatte, was mich eigentlich wunderte; und so fühlte ich mich denn beim Aufstehen geistig wieder ausnehmend frisch und mutig, ganz als wäre der gestrige Tag gar nicht gewesen. Bei Mama wollte ich zunächst nicht vorsprechen, sondern mich geradeswegs in die Friedhofskirche begeben, um von dort nach der Trauerfeier mit Mama nach Hause zu fahren und dann den ganzen Tag bei ihr zu bleiben. Ich war fest überzeugt, daß ich ihn heute bei Mama treffen würde, früher oder später, aber jedenfalls ganz bestimmt!
Alphonsinka und mein Wirt hatten das Haus schon längst verlassen. Meine Wirtin wollte ich nach nichts fragen, und überhaupt nahm ich mir vor, alle Beziehungen zu ihnen abzubrechen und sogar sobald wie möglich auszuziehen; deshalb verriegelte ich auch wieder meine Tür, als man mir meinen Kaffee gebracht hatte. Doch plötzlich klopfte es: zu meinem Erstaunen war es nicht jemand von meinen Hausgenossen, sondern Trischatoff. Ich öffnete ihm sogleich und bat ihn erfreut, doch hereinzutreten, aber das wollte er nicht.
„Nein, besten Dank, ich will Ihnen nur zwei Worte von hier aus sagen ... das heißt, ich muß doch wohl über die Schwelle treten, denn es ist vielleicht besser, leise zu sprechen. Aber hinsetzen werde ich mich nicht. Sie wundern sich über meinen scheußlichen Mantel: ja, Lambert hat mir den Pelz weggenommen ...“
Er hatte in der Tat einen ganz alten, abgetragenen Mantel an, der für ihn viel zu lang war. Er stand mit einem eigentümlich düsteren und traurigen Gesicht vor mir, die Hände in den Taschen und den Hut auf dem Kopf.
„Ich setze mich nicht, ich setze mich nicht. Hören Sie, Dolgoruki, ich weiß nichts Näheres, aber ich weiß, daß Lambert irgend etwas gegen Sie plant, etwas, was bald und ganz bestimmt ausgeführt werden wird – das ist sicher. Also nehmen Sie sich in acht! Der Pockennarbige hat unvorsichtigerweise mir gegenüber so was ausgeplaudert – Sie erinnern sich doch noch des Pockennarbigen? Er hat mir freilich nicht gesagt, um was es sich handelt, daher kann ich Ihnen auch nichts Bestimmteres sagen. Ich bin nur gekommen, um Sie zu warnen. Leben Sie wohl!“
„Aber so setzen Sie sich doch, lieber Trischatoff! Ich habe zwar nicht viel Zeit, aber ich freue mich so, daß Sie gekommen sind ...“ rief ich.
„Nein, nein, ich setze mich nicht; aber daß Sie sich über mein Kommen freuen, das werde ich nicht vergessen. Ach, Dolgoruki, wozu sich vor anderen maskieren: ich habe mich doch bewußt und freiwillig zu jeder Schändlichkeit bereit erklärt, und sogar zu einer solchen Gemeinheit, daß ich mich schäme, sie vor Ihnen auch nur auszusprechen. Wir sind jetzt zu dem Pockennarbigen übergegangen ... Leben Sie wohl! Ich bin es nicht wert, bei Ihnen zu sitzen.“
„Aber was reden Sie da, Trischatoff, lieber ...“
„Nein, sehen Sie, Dolgoruki: ich bin vor allen Menschen dreist und frech und werde jetzt ein Schlemmerleben anfangen. Bald werde ich einen noch besseren Pelz tragen als früher und nur mit Trabern fahren. Aber bei alledem werde ich im geheimen wissen, daß ich mich bei Ihnen doch nicht hingesetzt habe, weil ich mich noch selbst zu verdammen vermag und weiß, daß ich für Sie zu gemein bin! Diese Erinnerung wird mir noch angenehm sein, wenn ich ehrlos schlemme. Nun leben Sie wohl, leben Sie wohl! Auch die Hand gebe ich Ihnen nicht: nimmt doch selbst eine Alphonsinka nicht mehr meine Hand! Und bitte, kommen Sie mir nicht nach und suchen Sie mich nicht auf – vergessen Sie nicht unsere Abmachung.“
Damit drehte sich der sonderbare Junge um und ging. Ich hatte im Augenblick wirklich keine Zeit, aber ich nahm mir vor, ihn unbedingt aufzusuchen, sobald ich nur alle die Konflikte beigelegt hätte, in denen ich mich befand ...
Von diesem Vormittag will ich sonst nichts weiter erzählen, obschon sich noch vieles erzählen ließe. Werssiloff war nicht zur Beerdigung erschienen, und ich glaube, man konnte schon aus den Mienen der anderen schließen, daß er auch gar nicht erwartet wurde. Mama betete andächtig und gab sich ganz dem Gebet hin. Am Grabe waren von ihnen nur Tatjana Pawlowna und Lisa. Aber ich wollte ja davon nichts weiter berichten. Nach der Beerdigung fuhren wir alle nach Haus und setzten uns zu Tisch, und wieder schloß ich aus ihren Mienen, daß man ihn auch zu Tisch nicht erwartete. Als wir nach dem Essen aufstanden, ging ich auf Mama zu, umarmte sie herzlich und gratulierte ihr zum Geburtstage; Lisa tat dann dasselbe.
„Höre, Arkadi,“ flüsterte mir Lisa heimlich zu, „sie erwarten ihn.“
„Das merke ich, Lisa, das sieht man ihnen an.“
„Er wird auch bestimmt kommen.“
Sie müssen zuverlässige Nachricht haben, dachte ich bei mir und fragte nicht weiter. Wenn ich auch meine Gefühle nicht beschreiben will, so muß ich doch sagen, daß dieses neue Rätsel, trotz meines ganzen frischen Mutes, sich wie ein Stein auf mein Herz wälzte. Wir setzten uns im Wohnzimmer alle zu Mama um den runden Tisch. Oh, wie wohl es mir damals tat, bei ihr zu sein und sie anzusehen! Sie bat mich plötzlich, etwas aus der Bibel vorzulesen. Ich las ein Kapitel aus dem Evangelium Lucä. Sie weinte nicht und war auch nicht einmal sehr traurig, aber ihr Gesicht war mir noch nie so – hellsichtig und bewußt erschienen. In ihrem stillen Blick leuchtete eine Idee, aber ich konnte es ihr nicht im geringsten ansehen, daß sie mit Bangen etwas erwartete. Das Gespräch spann sich fast von selbst weiter: wir sprachen von dem Verstorbenen, und Tatjana Pawlowna erzählte aus ihrer Erinnerung vieles von ihm, was ich früher nicht gewußt hatte. Und überhaupt, wenn man das aufzeichnen wollte, so fände sich viel Bemerkenswertes! Auch Tatjana Pawlowna schien ihr gewohntes Wesen ganz verändert zu haben: sie war sehr freundlich und vor allen Dingen gleichfalls sehr ruhig, wenn sie auch viel sprach, um Mama zu zerstreuen. Aber eines kleinen Zwischenfalles erinnere ich mich noch gut: Mama saß auf dem Sofa, und auf einem runden Tischchen links vom Sofa lag ein Heiligenbild – es schien mit Absicht dorthin gelegt zu sein. Es war ein altertümliches Bild auf einer Holztafel und ohne metallene Verkleidung, außer den silbernen Heiligenscheinen über den Häuptern der beiden Heiligen, die dargestellt waren. Dieses Heiligenbild hatte Makar Iwanowitsch gehört, das wußte ich; und ich wußte auch, daß der Verstorbene sich nie von diesem Bilde getrennt und es für wundertätig gehalten hatte. Tatjana Pawlowna sah schon wieder zu dem Bilde hinüber.
„Hör mal, Ssofja,“ sagte sie plötzlich, das Gespräch unterbrechend, „sollte man nicht das Heiligenbild, statt es so liegen zu lassen, lieber auf dem Tisch aufstellen – man kann es ja stützen – und ein Lämpchen davor anzünden?“
„Nein, es ist besser so, wie es jetzt ist,“ sagte Mama.
„Übrigens, du hast recht. So würde es sich gar zu feierlich ausnehmen ...“
Ich begriff damals nicht, um was es sich handelte. Erst später erfuhr ich, daß dieses Heiligenbild von Makar Iwanowitsch schon vor langer Zeit Werssiloff mündlich vermacht worden war; und Mama wollte es ihm jetzt übergeben. Es war inzwischen schon fünf Uhr geworden; wir unterhielten uns ruhig weiter, als ich plötzlich in Mamas Gesicht ein schreckhaftes Zucken bemerkte; sie nahm schnell eine geradere Haltung an und begann zu lauschen, während Tatjana Pawlowna, ohne etwas zu bemerken, weitersprach. Ich sah mich unwillkürlich nach der Tür um, und kurz darauf erblickte ich in ihr – Andrei Petrowitsch. Er mußte durch die Hintertür und den Korridor gekommen sein. Von uns allen hatte nur Mama seinen leisen Schritt gehört. Die jetzt folgende wahnsinnige Szene werde ich mit aller Ausführlichkeit wiedergeben, jedes Wort und jede Bewegung will ich festzuhalten versuchen. Es war übrigens nur ein kurzer Auftritt.
Zunächst fiel mir in seinem Gesicht nicht die geringste Veränderung auf. Gekleidet war er wie immer, das heißt, beinahe überelegant. In der Hand hatte er einen nicht großen, aber offenbar recht teuren Strauß frischer Blumen. Er trat näher und überreichte ihn mit einem Lächeln Mama; die sah ihn erschrocken und verständnislos an, nahm aber den Strauß, und plötzlich stieg eine leichte Röte in ihre blassen Wangen, und ihre Augen erstrahlten vor Freude.
„Ich wußte es, daß du es so auffassen würdest, Ssonjä,“ sagte er.
Da wir bei seinem Eintritt alle aufgestanden waren, nahm er sich, als er an den Tisch trat, Lisas Stuhl, die links neben Mama gesessen hatte, und ohne zu bemerken, daß er einen fremden Platz einnahm, setzte er sich dort hin. So kam er neben dem Tischchen zu sitzen, auf dem das Heiligenbild lag.
„Guten Tag allerseits. Ssonjä, ich wollte dir heute unbedingt diesen Blumenstrauß bringen, an deinem Geburtstag, deshalb bin ich auch nicht zur Beerdigung gekommen, weil ich mit diesem Strauß nicht zu einem Toten kommen konnte. Aber du hast mich ja zur Beerdigung auch gar nicht erwartet, ich weiß es. Und der Alte wird sich über diese Blumen nicht ärgern, er hat uns doch selbst noch Freude vermacht, ist es nicht so? Ich denke, er ist hier irgendwo im Zimmer.“
Mama sah ihn befremdet an. Tatjana Pawlownas Gesicht verzerrte sich für einen Augenblick.
„Wer soll hier im Zimmer sein?“ fragte sie.
„Der Verstorbene. Lassen wir das. Sie wissen doch, daß ein Mensch, der an alle diese Wunder nicht vollkommen glaubt, immer am ehesten zu Vorurteilen geneigt ist ... Doch ich werde lieber von den Blumen sprechen – ich verstehe nicht, wie ich den Strauß heil und ganz hergebracht habe. Unterwegs hat mich mindestens dreimal die Lust angewandelt, ihn in den Schnee zu schleudern und mit dem Fuß zu zertreten.“
Mama zuckte zusammen.
„Ich hatte die größte Lust dazu. Hab’ Mitleid mit mir, Ssonjä, und mit meinem armen Kopf. Die Lust dazu hatte ich, weil er so schön war. Gibt es ein schöneres Ding auf der Welt als solche Blumen? Ich trage sie, und ringsum ist Schnee und Kälte. Unsere Kälte und Blumen – was für ein Gegensatz! Übrigens, das war es nicht, was ich sagen wollte: ich hatte einfach Lust, den Strauß zu zerdrücken, zu vernichten, weil er so schön war. Ssonjä, ich werde jetzt wieder verschwinden, aber ich werde sehr bald zurückkehren, denn ich glaube, ich werde – mich zu – fürchten anfangen. Und wenn ich Furcht bekomme – wer wird mich dann von meiner Angst erlösen, wo finde ich dann einen Engel wie Ssonjä? ... Was ist das da für ein Heiligenbild? Ach so, das vom Verstorbenen, ich erinnere mich. Es war sein Erbstück, vom Großvater; er hat sich ja sein Lebtag nicht von ihm getrennt, ich weiß, ich erinnere mich; er hat es mir vermacht, ich erinnere mich noch sehr gut ... ich glaube, es ist ein Bild von den Altgläubigen ... laßt doch mal sehen.“
Er nahm das Heiligenbild in die Hand, hielt es näher zum Licht und prüfte es aufmerksam, doch schon nach wenigen Sekunden legte er es auf den Tisch vor sich hin. Ich wunderte mich, denn alle diese sonderbaren Worte sagte er so unvermittelt, daß ich eigentlich noch nichts begreifen konnte. Ich weiß nur noch, daß ein krankhafter Schreck mein Herz ergriff. Mamas anfänglicher Schrecken dagegen wurde zu einem Nichtverstehenkönnen und dann zu Mitleid; sie sah in ihm vor allem den unglücklichen Menschen – war es doch auch früher schon vorgekommen, daß er fast ebenso sonderbar gesprochen hatte wie jetzt. Lisa wurde auf einmal sehr bleich und nickte mir mit einem seltsamen Blick auf ihn zu. Doch mehr noch als wir alle schien Tatjana Pawlowna erschrocken zu sein.
„Aber was haben Sie denn, bester Andrei Petrowitsch?“ fragte sie vorsichtig.
„Wirklich, ich weiß es selbst nicht, liebe Tatjana Pawlowna, was mit mir ist. Erschrecken Sie nur nicht, ich weiß noch, daß Sie Tatjana Pawlowna sind, und daß Sie lieb und gut sind. Ich bin ja ... einstweilen ... nur für einen Augenblick hergekommen; ich wollte Ssonjä etwas Gutes sagen und suche vergeblich nach so einem Wort, wenn auch mein Herz voll ist von Worten, die ich nicht auszusprechen verstehe; wirklich, es sind lauter so sonderbare Worte. Wissen Sie, mir ist so, als ob ich mich gleichsam spaltete,“ sagte er und sah uns alle mit einem furchtbar ernsten Gesicht und mit aufrichtigem Mitteilsamkeitsbedürfnis an. „Wirklich, ich spalte mich geistig und habe eine schreckliche Angst davor. Es ist, als stünde neben mir mein Doppelgänger; man ist selbst noch klug und vernünftig, jener andere aber neben einem will unbedingt irgendeine Sinnlosigkeit begehen; manchmal sogar etwas sehr Lustiges; und plötzlich wird man gewahr, daß man selbst derjenige ist, der dieses Lustige begehen will. Man will es Gott weiß weshalb, man will es, ohne es zu wollen, man sträubt sich aus allen Kräften dagegen und will es doch mit aller Gewalt. Ich habe einen Arzt gekannt, der bei der Beerdigung seines Vaters in der Kirche plötzlich zu pfeifen anfing. Glaubt mir, ich hatte Angst, heute zur Beerdigung zu kommen, weil sich meiner die Überzeugung bemächtigt hatte, ich weiß nicht, aus welchem Grunde, daß auch ich in der Kirche zu pfeifen oder zu lachen anfangen würde, ganz wie jener unglückliche Arzt, der traurig genug endete ... Ich weiß wirklich nicht, weshalb mir heute immer wieder dieser Arzt einfällt; so oft, daß ich von ihm gar nicht mehr loskommen kann. Weißt du, Ssonjä, da habe ich wieder dieses Heiligenbild genommen“ (er hielt es schon und wendete es in den Händen hin und her), „und weißt du, ich habe jetzt, gerade in diesem Augenblick, in dieser Sekunde die größte Lust, es an den Ofen zu schleudern, an jene Ecke da. Ich bin überzeugt, daß es sich auf einen Hieb in zwei Teile spalten wird, gerade in zwei – nicht mehr und nicht weniger!“
Das sonderbarste war dabei, daß er das ohne eine Spur von Verstellung und ganz ohne Herausforderung sagte; er sprach ganz wie gewöhnlich; aber um so schrecklicher wirkte es; und ich glaube, er hatte in der Tat furchtbare Angst vor irgend etwas; ich bemerkte plötzlich, daß seine Hände ein wenig zitterten.
„Andrei Petrowitsch!“ schrie Mama auf und schlug die Hände zusammen.
„Laß, laß das Bild, Andrei Petrowitsch, laß es, leg es hin!“ rief Tatjana Pawlowna, die schon aufgesprungen war. „Kleide dich aus und leg dich ins Bett. Arkadi, zum Arzt!“
„Aber ... warum regt ihr euch denn auf?“ fragte er leise und sah uns alle der Reihe nach forschend an. Dann stützte er plötzlich beide Ellbogen auf den Tisch und preßte die Stirn in die Hände.
„Ich ängstige euch, aber ich habe eine Bitte, meine Freunde: unterhaltet mich ein wenig, setzt euch wieder hin und beruhigt euch alle – wenigstens auf einen Augenblick! Ssonjä, ich bin ja nicht deshalb gekommen, um das zu sagen; ich kam allerdings, um etwas mitzuteilen, aber etwas ganz anderes. Leb wohl, Ssonjä, ich gehe wieder auf die Wanderschaft, wie ich schon mehrmals von dir gegangen bin ... Nun und natürlich werde ich einmal wieder zu dir zurückkehren – in diesem Sinne bist du ja mein Schicksal. Zu wem sollte ich denn auch sonst gehen, wenn alles zu Ende ist? Glaube mir, Ssonjä, ich bin jetzt zu dir gekommen, wie zu einem Engel und durchaus nicht wie zu einem Feinde: was wärest du mir denn für ein Feind, ja, was für ein Feind? Glaube auch nicht, daß ich gekommen bin, um dieses Heiligenbild zu zerschlagen, aber weißt du, Ssonjä, ich habe doch Lust, es zu zerschlagen ...“
Als Tatjana Pawlowna vorhin ausgerufen hatte: „Laß das Bild, leg es hin!“ – da hatte sie es ihm entwunden und in ihrer Hand behalten. Plötzlich aber, bei seinem letzten Wort, sprang er auf, entriß es ihr im Augenblick, holte jähzornig aus und schleuderte es aus aller Kraft an die Ecke des Kachelofens. Das Heiligenbild zersprang in genau zwei Stücke ... Da wandte er sich hastig zu uns, sein bleiches Gesicht wurde rot, fast purpurrot, und jeder Nerv seines Gesichts bebte und zuckte.
„Faß es nicht als Sinnbild auf, Ssonjä, ich habe nicht Makars Vermächtnis zerschlagen, sondern nur so ... um zu zerschlagen ... Zu dir werde ich ja doch zurückkehren, – als zu meinem letzten Engel! oder übrigens – faß es meinetwegen auch als Sinnbild auf; denn das war es doch nun einmal, unbedingt! ...“
Und plötzlich ging er schnell aus dem Zimmer und verließ das Haus – wieder durch die andere Tür (sein Pelz und seine Mütze waren an jenem Ende des Korridors geblieben). Ich will nicht ausführlich schildern, was mit Mama geschah: zu Tode erschrocken und mit erhobenen Händen stand sie wie erstarrt da, bis sie – jäh zu sich kam und ihm nachrief:
„Andrei Petrowitsch, so laß uns doch wenigstens Abschied nehmen, Liebster!“
„Er wird schon kommen, Ssofja, er wird schon kommen! Sei unbesorgt!“ schrie Tatjana Pawlowna in einem furchtbaren Haßanfall, zitternd vor Empörung, vor geradezu tierischer Wut. „Du hast doch gehört, er versprach ja wiederzukommen! Laß nur den Narren noch zum letzten Male spazieren gehen! Wenn er dann alt wird – wer wird ihn als Gichtlahmen dann noch pflegen außer dir, seiner alten Pflegerin? So hat er’s ja selber erklärt, hat sich ja nicht mal geschämt ...“
Lisa war ohnmächtig geworden.
Ich selbst wollte ihm nachlaufen.
Aber dann eilte ich zu Mama, umfaßte sie und hielt sie in meinen Armen.
Lukerja kam herbeigelaufen und brachte ein Glas Wasser für Lisa.
Mama kam bald wieder zu sich, sank auf das Sofa, bedeckte das Gesicht mit den Händen und weinte.
„Aber ... ja aber ... so lauf ihm doch nach!“ rief plötzlich Tatjana Pawlowna laut, wie wenn sie jetzt erst zur Besinnung käme. „So lauf doch, hol ihn ein, lauf, geh ihm nicht von der Seite, so geh doch, lauf, lauf ihm nach!“ und sie suchte mich mit Gewalt von Mama loszureißen. „Ach, dann laufe ich doch selber!“
„Arkascha, ja, ach, lauf ihm schnell nach!“ rief plötzlich auch Mama.
Da lief ich denn Hals über Kopf hinaus, gleichfalls durch die Küchentür und über den Hof; aber er war schon nicht mehr zu sehen. In der Ferne sah ich auf den Fußsteigen schwarze Gestalten gehen; ich lief ihnen nach und sah im Vorüberlaufen jedem ins Gesicht. So lief ich bis zur Straßenkreuzung.
„Über Irrsinnige ärgert man sich doch nicht,“ dachte ich flüchtig, „Tatjana Pawlowna aber wurde doch vor Ärger so wild auf ihn, – folglich ist er gar nicht irrsinnig ...“
Ich hatte das Gefühl, daß seine Tat dennoch ein Sinnbild gewesen war, und daß er unbedingt mit irgend etwas ein Ende habe machen wollen, ein Ende, wie mit diesem Heiligenbilde, und zwar so, daß wir es sähen, wir, Mama und Alle. Aber auch der „Doppelgänger“ war sicherlich neben ihm gewesen; daran war gewiß nicht zu zweifeln ...