Ich habe jetzt noch die Fragen „Warum“ und „Wozu“ und „Ist das sittlich oder nicht“ zu beantworten – da ich eine Antwort versprochen habe.
Es tut mir leid, daß ich den Leser enttäuschen muß; es tut mir leid und es freut mich zugleich. Möge man doch erfahren, daß nicht der geringste „Rachedurst“ in meine „Idee“ hineinspielte, nichts Byronisches, – weder Racheschwüre, noch Waisenklagen oder Tränen wegen der illegitimen Geburt, nichts, gar nichts von dieser Art. Kurzum, eine romantisch veranlagte Dame würde, falls sie meine Aufzeichnungen lesen sollte, sehr enttäuscht sein und geknickt die Nase hängen lassen. Der ganze Zweck meiner „Idee“ ist – Einsamkeit.
„Aber Einsamkeit kann man doch auch so haben, ohne alle Großtuerei und Rednerei, daß man zuvor ein Rothschild werden müsse. Wozu ist da Rothschild nötig?“
„Weil ich außer der Einsamkeit noch Macht brauche.“
Zunächst eine Vorbemerkung: die Aufrichtigkeit meines Bekenntnisses wird den Leser vielleicht entsetzen, und es ist möglich, daß er sich in seiner Einfalt fragt: wie kann er das nur gestehen, ohne zu erröten? Meine Antwort ist: ich schreibe nicht, um das Geschriebene drucken zu lassen; einen Leser aber werde ich, wenn überhaupt, dann wohl erst nach zehn Jahren haben, wenn das eine schon so weit vergangen sein wird, das andere sich schon so weit zu erkennen gegeben hat, daß zum Erröten keine Veranlassung mehr vorhanden ist. Wenn ich aber in meinen Aufzeichnungen manchmal gleichsam zu einem „Leser“ spreche wie zu einem Kritiker, so ergibt sich das ganz von selbst. Mein Leser ist eine Phantasiegestalt.
Nein, nicht meine außereheliche Geburt, mit der man mich bei Touchard so oft geneckt hat, nicht die traurigen Jahre meiner Kindheit, nicht Rachelust und nicht das Protestgefühl mit seinem „Recht“ haben meine „Idee“ erzeugt; getan hat das einzig – mein Charakter. Ich glaube, schon in meinem zwölften Lebensjahr, also fast mit dem eigentlichen Erwachen meines Bewußtseins, begann ich, die Menschen nicht zu lieben. Das heißt nicht gerade, nicht zu lieben, aber so, sie wurden mir, ich möchte sagen, schwer. Es hat mich oft traurig gemacht, und zwar gerade in meinen reinsten Stunden, daß ich nicht einmal den mir am nächsten stehenden Menschen alles zu sagen vermochte, auch ihnen gegenüber nicht alles aussprechen konnte, oder richtiger, eigentlich nicht aussprechen wollte, d. h. daß ich mich aus irgendeinem Grunde zurückhielt, und daß ich mißtrauisch war, finster und verschlossen. Und wiederum ist mir fast schon in der Kindheit ein Charakterzug an mir aufgefallen: daß ich gar zu oft andere beschuldigte oder wenigstens geneigt war, andere zu beschuldigen; aber meinem Gedanken in dieser Richtung folgte auf dem Fuß ein anderer Gedanke, der für mich zu schwer zu ertragen war, der Gedanke: „Bin ich nicht selbst der Schuldige?“ Und wie oft habe ich mich dann selbst grundlos beschuldigt! Und um solchen Fragen aus dem Wege gehen zu können, sehnte ich mich nach Einsamkeit und suchte sie. Außerdem habe ich in der Gesellschaft der Menschen nichts finden können, trotz allem Suchen, und ich habe gesucht; wenigstens alle meine Altersgenossen, alle Schulkameraden erwiesen sich stets als geistig unter mir stehend; ich erinnere mich keiner einzigen Ausnahme.
Ja, ich bin ein düsterer Mensch, ich verschließe mich fortwährend. Oft habe ich Lust, mich von den Menschen ganz und gar abzusondern. Vielleicht werde ich den Menschen auch Gutes tun, aber zumeist kann ich nicht den geringsten, einigermaßen einleuchtenden Beweggrund dazu entdecken. Auch sind sie keineswegs so herrlich, daß es sich lohnte, sich sonderlich um sie zu kümmern. Warum treten sie nicht gerade und offen an mich heran, und warum bin ich verpflichtet, als erster zu ihnen zu gehen? Diese Fragen sind mir immer wieder durch den Kopf gegangen. Ich bin ein dankbares Geschöpf, das haben mir wohl schon hundert von mir begangene Dummheiten bewiesen. Einem offenen Menschen würde ich sofort mit Offenheit antworten und ihn liebgewinnen. So habe ich es ja auch getan; aber alle haben sie mich dann sogleich betrogen und sich selbst wieder vor mir verschlossen, sogar mit Hohn über mich. Der offenste von allen war Lambert, der mich als Junge so gehauen hat; aber auch dieser war bloß ein offener Schuft und Lump; und die Offenheit war bei diesem schließlich nur ein Ausdruck seiner Dummheit. Mit solchen Anschauungen kam ich damals nach Petersburg.
Als ich an jenem denkwürdigen Tage die Wohnung Dergatschoffs verließ (übrigens, Gott weiß weshalb es mich dahin gezogen hatte!), schloß ich mich Wassin an, und in einer Anwandlung von Begeisterung überschüttete ich ihn mit meinem Interesse. Und was geschah darauf? Noch an demselben Abend fühlte ich, daß ich ihn bereits viel weniger liebte. Warum? Ja, eben darum, weil ich durch meinen ihm überschwenglich gezollten Beifall mich selbst vor ihm erniedrigt hatte. Indessen sollte man meinen, es hätte gerade das Entgegengesetzte geschehen müssen: ein Mensch, der so weit gerecht und großmütig ist, daß er einem anderen in einer Weise Anerkennung zollt, die ihn selbst erniedrigt, – ein solcher Mensch steht doch an Menschenwürde eigentlich beinahe höher als jeder andere. Nun, und – ich sah das ein; aber trotzdem liebte ich Wassin weniger, sogar sehr viel weniger. Ich habe absichtlich ein dem Leser schon bekanntes Beispiel genommen. Selbst an Krafft dachte ich mit einem herben oder sogar bitteren Gefühl zurück, weil er mir ins Vorzimmer vorausgegangen war und mich auf diese Weise verabschiedet hatte: dieses Gefühl hatte ich die ganze Zeit bis zum nächsten Tage, bis ich plötzlich etwas erfuhr, das mir alles an ihm erklärte und jeden Grund zum Ärger aufhob. Aber schon in den untersten Klassen des Gymnasiums fühlte ich mich gekränkt, wenn einer meiner Mitschüler mich übertraf, sei es in einer Wissenschaft oder an Schlagfertigkeit und Witz, oder sei es, daß er mir an körperlicher Kraft überlegen war, – dann stellte ich sofort jeden Umgang mit ihm ein und sprach nicht einmal mehr mit ihm. Ich kann nicht sagen, daß ich ihn gehaßt oder ihm Mißerfolg gewünscht hätte; nein, das nicht; ich wandte mich nur von ihm ab, denn so ist nun einmal mein Charakter.
Ja, mich hat mein ganzes Leben lang nach Macht gedürstet, nach Macht und Einsamkeit. Ich träumte davon schon in so jungen Jahren, daß entschieden ein jeder mich ausgelacht haben würde, wenn er meine geheimen Gedanken erfahren hätte. Deshalb habe ich die Heimlichkeit so liebgewonnen. Ja, ich träumte mit aller Kraft und allen Sinnen, träumte, daß mir keine Zeit bliebe, mich mit anderen Menschen zu unterhalten; daraus folgerte man, daß ich menschenscheu sei, und aus meiner Zerstreutheit zog man noch dümmere Schlüsse auf meine Lebenskraft – aber meine roten Wangen bewiesen das Gegenteil.
Besonders glücklich war ich, wenn ich schon im Bett lag und die Decke über die Schulter gezogen hatte, und nun ganz allein, in der größten Einsamkeit, ohne Menschengetriebe um mich herum, ohne einen Laut von ihnen zu hören, mein Leben nach eigenem Wunsch in der Phantasie umzugestalten begann. So verbrachte ich die Zeit, bis meine Idee in mir auftauchte, in der glühendsten Träumerei; durch die Idee aber wurden alle Träume, die bis dahin dumm gewesen waren, mit einemmal vernünftig und gingen aus der träumerischen Form des Romans in die denkende Form der Wirklichkeit über.
Alles floß zusammen und strebte nur zu dem einen Ziel. Meine Träume waren übrigens auch früher schon gar nicht so dumm gewesen, obgleich es der Themata zu Tausenden gab. Aber unter ihnen gab es Lieblingsträume ... Übrigens, es geht doch nicht an, sie hier alle zu erzählen. Macht! Ich bin überzeugt, daß sehr viele es sehr lächerlich finden würden, wenn sie erführen, daß so ein „Nichts“ wie ich es gerade auf Macht abgesehen hatte. Aber ich werde sie durch ein weiteres Geständnis noch mehr in Erstaunen setzen: ich habe mich vielleicht schon von meinen ersten Träumen an, das heißt, so gut wie seit meiner frühesten Kindheit, mir selbst nie anders vorzustellen vermocht, als immer und unter allen Umständen auf dem ersten Platz. Und ich füge ein zweites seltsames Geständnis hinzu: vielleicht setzt sich das noch heute fort. Hierzu bemerke ich, daß ich nicht um Verzeihung zu bitten beabsichtige.
Und darauf beruht ja meine Idee, gerade darin liegt auch ihre Macht, daß das Geld – der einzige Weg ist, der selbst den Letzten auf den ersten Platz bringt. Vielleicht bin ich nicht einmal der Letzte; aber ich weiß zum Beispiel – der Spiegel sagt es mir –, daß mein Äußeres mir schadet, weil mein Gesicht gewöhnlich ist. Wenn ich aber so reich wie Rothschild bin – wer wird dann noch nach meinem Gesicht fragen, und werden dann nicht Tausende von Frauen, sobald ich nur pfeife, mit all ihren Schönheiten zu mir angeflogen kommen? Ich bin sogar überzeugt, daß sie selbst, und zwar vollkommen aufrichtig, mich schließlich für einen schönen Mann halten werden. Ferner: ich bin vielleicht klug. Aber mag ich auch noch so klug sein und eine noch so hohe Stirn haben, es kann sich doch in jeder Gesellschaft einer finden, der noch klüger ist und eine noch höhere Stirn hat – und ich bin verloren. Aber wenn ich nun ein Rothschild bin – wird dann dieser Klügere noch etwas neben mir bedeuten? Man wird ihn doch nicht einmal zu Wort kommen lassen neben mir! Ich bin vielleicht geistreich; aber da befindet sich plötzlich ein Talleyrand neben mir, ein Piron – und ich bin in den Schatten gestellt; bin ich aber ein Rothschild – wo bleibt dann Piron, ja selbst Talleyrand? Geld ist natürlich eine despotische Macht, zu gleicher Zeit aber bedeutet es die größte Gleichstellung, und darin liegt seine hauptsächliche Macht. Geld macht alle Ungleichheiten gleich. Das habe ich alles schon in Moskau eingesehen.
Man wird in diesem meinem Gedanken selbstverständlich nichts als einen Ausdruck von Gemeinheit und Herrschsucht sehen, hinter dem das Gelüst des Niedrigen steht, über die Hohen und Geistigen zu triumphieren. Ich gebe zu, daß dieser Gedanke verwegen ist (und deshalb süß). Aber mag er, mag er es sein: Sie denken gewiß, ich wolle Macht, nur um triumphieren, bedrücken und mich rächen zu können? Das ist es ja, daß unbedingt so und nicht anders die Dutzendgemeinheit handeln würde. Und nicht nur diese; ich bin überzeugt, daß Tausende von Talenten und klugen Leuten, die sich so hochstehend und geistig dünken, wenn man ihnen plötzlich die Rothschildschen Millionen aufladen würde, dem Reichtum nicht gewachsen wären, und wie die Ordinärsten verfahren und am allermeisten die anderen bedrücken würden. Meine Idee ist eine ganz andere. Ich fürchte das Geld nicht; mich wird es nicht bedrücken und auch nicht veranlassen, andere zu bedrücken.
Ich brauche das Geld nicht, oder sagen wir richtiger, ich brauche nicht das Geld, und nicht einmal die Macht; ich brauche nur das, was man durch Macht erwirbt und was man auf keine Weise ohne Macht erlangen kann; und das ist das einsame und ruhige Bewußtsein der Kraft! Das ist die erschöpfendste Bezeichnung dessen, was man „Freiheit“ nennt, und um die sich die ganze Welt so abquält! „Freiheit!“ Endlich habe ich es hingeschrieben, dieses große Wort ... Ja, das einsame Bewußtsein der Kraft – ist berauschend und wundervoll. Ich habe die Kraft, und ich bin ruhig. Jupiter hat Blitz und Donner in der Hand: und er ist ruhig. Hört man’s denn häufig, daß er den Donner grollen läßt? Ein Dummer könnte glauben, er schlafe. Aber setzt an die Stelle Jupiters irgendeinen Literaten oder ein dummes Bauernweib – und das Donnern wird kein Ende nehmen!
Habe ich aber erst einmal die Macht, philosophierte ich, so werde ich ihrer überhaupt nicht mehr bedürfen. Ich versichere, daß ich dann freiwillig und aus eigenem Antriebe überall den letzten Platz einnehmen werde. Wäre ich Rothschild, so würde ich in einem alten Mantel und mit einem Regenschirm gehen. Was mache ich mir daraus, daß man mich auf der Straße stößt, daß ich schnell über das schmutzige Pflaster springen muß, um nicht überfahren zu werden! Das Bewußtsein, daß ich es bin, Rothschild selbst, würde mich in solchen Augenblicken erheitern und belustigen. Ich weiß, daß ich den ersten Koch der Welt und ein Essen wie keiner haben kann, doch es genügt mir, das zu wissen. Ich würde ein Stück Brot und Schinken essen und würde satt sein durch mein Bewußtsein. Dieser Ansicht bin ich auch heute noch.
Ich werde mich nicht zu den Aristokraten drängen, wohl aber werden sie sich zu mir drängen; nicht ich werde den Weibern nachlaufen, sondern sie mir, und werden mir alles anbieten, was ein Weib nur anzubieten hat. Die „billigen“ werden des Geldes wegen kommen, und die klugen wird das neugierige Interesse für den eigenartigen, stolzen, verschlossenen und zu allem sich gleichmütig verhaltenden Menschen anlocken. Ich werde sowohl zu diesen wie zu jenen freundlich sein und ihnen vielleicht Geld geben; von ihnen nehmen aber werde ich nichts. Interesse gebiert Leidenschaft, vielleicht werde ich auch Leidenschaft erwecken. Aber ich versichere, sie werden vergeblich gekommen sein und nichts mitnehmen, als höchstens Geschenke. Und das wird mich für sie doppelt interessant machen.
„... denn mir genügt
Vollauf das Bewußtsein ...“
Sonderbar ist, daß ich mich in dieses Bild (das übrigens richtig ist) schon als Siebzehnjähriger verliebt habe.
Bedrücken und quälen will ich und werde ich keinen; aber ich würde wissen, daß, wenn ich einen bestimmten Menschen, etwa meinen Feind, verderben wollte, niemand mich daran hindern könnte, alle vielmehr diensteifrig mir helfen würden, und wiederum würde mir dieses Bewußtsein genügen. Nicht einmal rächen würde ich mich. Es hat mich immer gewundert, daß James Rothschild den Titel „Baron“ angenommen hat! Warum das und wozu, wenn er doch schon über allen stand? „Oh, mag mich doch dieser aufgeblasene General beleidigen,“ würde ich denken, wenn wir, sagen wir, beide auf einer Poststation auf Pferde warten; „wenn er wüßte, wer ich bin, würde er selbst meine Postpferde anschirren helfen und mir beim Einsteigen in meinen bescheidenen Wagen behilflich sein. War doch einmal in den Zeitungen davon die Rede, daß ein ausländischer Graf oder Baron in einem Wiener Eisenbahnzug einem dortigen Bankier vor dem ganzen Publikum die Pantoffeln angezogen hatte, und dieser war gemein genug gewesen, das geschehen zu lassen. Oh, mag doch, mag diese unheimliche Schönheit (gerade ‚unheimliche‘ Schönheit, es gibt solche!) – diese Tochter der stolzen und bewundernswerten Aristokratin, mit der ich zufällig auf einem Schiffsdeck oder sonstwo zusammentreffe, mich mit ungehaltenem Blick messen und, hochmütig die Nase hebend, mit Verachtung sich darüber wundern, wie dieser geringe, abscheuliche Mensch mit dem Buch oder der Zeitung in der Hand es wagen durfte, sich auf den ersten Platz zu setzen, und noch dazu neben sie! Doch wenn sie nur wüßte, wer neben ihr sitzt! Und sie wird es erfahren, – erfahren und sich selbst neben mich setzen, ergeben, schüchtern, freundlich, und wird meinen Blick suchen und sich über mein Lächeln freuen ...“ Ich habe hier mit Absicht diese frühesten Träume wiedergegeben, damit der Gedanke greller hervortrete und dann verständlicher werde; aber diese Bilder sind blaß und vielleicht trivial. Nur die Wirklichkeit rechtfertigt alles.
Man wird sagen, so zu leben, wäre dumm: warum nicht in einem Palais wohnen, nicht ein großes Haus machen, nicht Gesellschaft bei sich versammeln, warum nicht Einfluß haben, und warum nicht heiraten? Aber was würde dann aus dem Rothschild werden, aus dem reichsten Menschen der Welt? Er würde zu dem werden, was alle sind. Der ganze Reiz der „Idee“, ihre ganze sittliche Kraft würde dahin sein. Schon als Kind habe ich den Monolog des „Geizigen Ritters“ von Puschkin auswendig gelernt; als Idee hat Puschkin nichts Höheres geschaffen! Der Meinung bin ich auch heute noch.
„Aber Ihr Ideal ist niedrig,“ wird man mir mit Verachtung vorhalten, „Geld, Reichtum! Etwas ganz anderes sind doch gemeinnützige Unternehmungen, menschenfreundliche Taten!“
Aber wer weiß es denn, wie ich meinen Reichtum anwenden würde? Was ist dabei Unsittliches und Niedriges, daß aus vielen jüdischen, schädlichen und schmutzigen Händen diese Millionen in die Hand eines nüchternen und standhaften Asketen, der mit scharfem Blick in die Welt schaut, zusammenfließen? Überhaupt, alle diese Zukunftsträume, alle diese Prophezeiungen – das wirkt jetzt noch wie ein Roman, und ich habe sie vielleicht ganz umsonst niedergeschrieben; wäre lieber alles in meinem Schädel geblieben! Ich weiß auch, daß niemand diese Zeilen lesen wird; doch wenn jemand sie lesen sollte, wird er dann glauben, daß ich den Rothschildschen Millionen vielleicht doch nicht gewachsen bin? Nicht deshalb, weil sie mich etwa bedrücken würden, sondern im entgegengesetzten Sinne!? In meinen Träumen habe ich schon mehr als einmal an jenen Augenblick gedacht, wo mein Machtbewußtsein übersättigt sein, die „Macht“ mir aber immer noch nicht groß genug erscheinen wird. Dann werde ich – nicht aus Langeweile und nicht aus Rührseligkeit oder Überdruß, sondern weil mich nach uferlos Größerem verlangen wird – dann werde ich alle meine Millionen den Menschen hingeben, mag die Gesellschaft meinen ganzen Reichtum verteilen und verwalten, ich aber – ich aber tauche wieder hinab und verschwinde unter den Namenlosen! Vielleicht ende ich dann auch so auf einem Zwischendeck, wie jener Bettler auf dem Wolgadampfer, bloß mit dem Unterschied, daß man in meinem Lumpenkittel nichts eingenäht finden wird. Allein das Bewußtsein, daß Millionen in meiner Hand waren und ich sie in den Schmutz geworfen habe wie Spreu, würde mich wie ein Rabe speisen in meiner Wüste. Ich denke auch jetzt noch genau so. Ja, meine „Idee“ ist die Festung, in die ich mich jederzeit und unter allen Umständen zurückziehen und vor allen Menschen verbergen kann, selbst als Bettler. Das ist nun meine Dichtung! Und wißt, ich brauche meinen lasterhaften Willen ganz, nur um mir selbst beweisen zu können, daß ich imstande bin, auf ihn zu verzichten.
Man wird mir hierauf zweifellos vorhalten, das sei doch Phantasterei, in Wirklichkeit würde ich die Millionen nie aus den Fingern lassen und mich nie und nimmer in einen solchen Bettler verwandeln. Möglich, daß ich sie nicht aus den Fingern lasse; ich habe doch nur das Ideal meiner Idee aufgezeichnet. Aber ich füge noch hinzu, und im Ernst: wenn mein Reichtum bis zu der Ziffer eines Rothschildschen angewachsen ist, so könnte es in der Tat damit enden, daß ich ihn den Menschen hinwerfe. (Übrigens vor Erreichung der Rothschildschen Ziffer, d. h. der Ziffer des größten persönlichen Reichtums, wäre es schwer, das auszuführen.) Und nicht die Hälfte würde ich hingeben; denn dabei käme doch nur eine Banalität heraus: ich würde nur um die Hälfte ärmer werden und nichts weiter; sondern gerade alles, alles bis aufs letzte, weil ich, wenn ich dann freiwillig zum Bettler geworden bin, mit einem Schlage doppelt so reich sein würde wie Rothschild! Wenn man das nicht begreift, ist es nicht meine Schuld; erklären werde ich es nicht.
„Das ist Fakirtum, poetische Träumerei der Niedrigkeit und Kraftlosigkeit!“ urteilen die Menschen, „das ist der Triumph der Talentlosigkeit und Mittelmäßigkeit.“ Gut, ich gebe zu, es mag zum Teil auch der Triumph der Talentlosigkeit und Mittelmäßigkeit sein, aber wohl kaum der Kraftlosigkeit. Es gefiel mir ungeheuer, mir gerade ein talentloses und mittelmäßiges Geschöpf vorzustellen, das vor der ganzen Welt steht und lächelnd zu ihr sagt: „Ihr seid die Galilei und Kopernikus, die Karl der Große und Napoleon, ihr seid die Puschkin und Shakespeare, seid Feldmarschälle und Hofmarschälle, und hier bin ich – die Unbegabtheit und Rechtlosigkeit selbst, und bin doch höher als ihr; denn ihr selbst habt euch mir unterworfen!“ Diese Phantasie habe ich, das muß ich gestehen, so weit und schrankenlos fortgesetzt, daß ich sogar die Bildung ablehnte. Es schien mir, es müsse noch schöner sein, wenn dieser Mensch sogar maßlos ungebildet wäre. Diese Übertreibung des Gedankens blieb auch nicht ohne Einfluß auf meine Schulzeugnisse in der letzten Klasse des Gymnasiums; ich hörte einfach auf zu lernen, und zwar aus Fanatismus: die Verwirklichung des Ideals von einem Menschen ohne Bildung erschien mir großartiger. Inzwischen habe ich aber meine Ansicht in dieser Frage geändert und halte Bildung nicht mehr für störend.
Meine Herren, sollte denn die Selbständigkeit im Denken, und wäre es auch nur die geringste, wirklich so schwer für Sie sein? Selig ist, wer ein Schönheitsideal hat, und mag es auch nur ein fehlerhaftes sein! Aber an meines glaube ich. Ich habe es nur nicht richtig dargestellt, habe es ungeschickt und schülerhaft wiedergegeben. Nach zehn Jahren würde ich es selbstverständlich besser können. Aber diese Darstellung hier werde ich mir doch zur Erinnerung aufbewahren.