III.

Und ich hatte wahrlich auch Stoff zum Nachdenken. In mir war Unklarheit und Unruhe und doch keine greifbare, zwingende Veranlassung dazu; einzelne Empfindungen traten sehr deutlich hervor, aber keine einzige von ihnen riß mich ganz mit sich fort, da ihrer so viele waren. Alles tauchte nur flüchtig auf, ohne Zusammenhang und Reihenfolge, und ich hatte auch selbst gar keine Lust, bei irgend etwas zu verweilen oder Ordnung in die Reihenfolge zu bringen. Sogar der Gedanke an Krafft trat unmerklich zurück und – immer mehr in den Hintergrund. Am meisten beschäftigte und erregte mich meine eigene Lage: daß ich nun schon mit ihnen „gebrochen“ hatte, daß mein Koffer bei mir war, und ich nicht mehr zu Hause schlief, und jetzt bereits das Neue begonnen hatte, ganz als hätte ich mit allen meinen Absichten und Vorbereitungen bisher nur im Scherz gespielt, und als hätte erst jetzt, und vor allem ganz plötzlich und unerwartet, die „Umsetzung in die Tat, in die ernste Wirklichkeit“ begonnen. Aber diese Vorstellung gab mir Mut, und so unklar und unruhig ich mich innerlich aus vielen Gründen auch fühlte, sie machte mich sogar heiter. Aber ... aber es waren da auch noch andere Empfindungen; und eine von diesen wollte sich aus allen anderen ganz besonders hervordrängen und sich meiner Seele bemächtigen. Und sonderbar, auch diese Empfindung ermunterte mich: sie rief mich gleichsam zu etwas ungemein Lustigem. Und doch hatte sie mit einer Angst angefangen: ich fürchtete, und schon lange, schon seit dem Augenblick des Geschehens, daß ich in der Hitze und Überrumpelung der Achmakoff zuviel von dem Dokument gesagt hatte. „Ja, ich habe zuviel gesagt,“ dachte ich, „und nun werden sie womöglich etwas erraten ... fatal! Natürlich werden sie mir keine Ruhe mehr lassen, wenn sie Verdacht geschöpft haben, aber ... meinetwegen! Übrigens, sie werden mich nicht einmal finden – ich verstecke mich, ganz einfach! Was aber dann, wenn sie wirklich anfangen mich zu verfolgen ...“ Und ich begann mich bis in alle Einzelheiten und mit wachsendem Vergnügen zu erinnern, wie ich vor Katerina Nikolajewna gestanden hatte, und wie ihre furchtlosen, nur maßlos verwunderten Augen mich unverwandt angesehen hatten. Und auch als ich hinausgegangen war, hatte ich sie in derselben Verwunderung zurückgelassen, erinnerte ich mich. „Ihre Augen sind aber doch nicht ganz dunkel ... nur die Wimpern sind ganz schwarz, deshalb erscheinen auch die Augen so dunkel ...“

Und auf einmal, ich weiß noch, wurde mir die Erinnerung unendlich widerlich ... und ärgerlich und ekelhaft wurden mir sowohl die beiden Frauen wie ich mir selbst. Ich warf mir da irgend etwas vor und bemühte mich, an anderes zu denken. „Warum ist in mir nicht die geringste Empörung über Werssiloff wegen der Geschichte mit der Nachbarin?“ ging es mir plötzlich durch den Sinn. Ich war natürlich fest überzeugt, daß er ein Liebeserlebnis gesucht und sie nur deshalb aufgesucht hatte, aber das empörte mich eigentlich gar nicht. Es schien mir sogar, daß man ihn sich überhaupt nicht anders denken könne, und wenn es mich auch freute, daß er bloßgestellt worden war, so verurteilte ich ihn doch nicht. Das war nicht wichtig für mich; wichtig war aber für mich, daß er mich so böse angesehen hatte, als ich mit dieser Nachbarin eingetreten war, daß er mich so angesehen hatte wie noch nie zuvor. „Also endlich hat auch er mich ernst genommen!“ dachte ich mit stockendem Herzschlag. Oh, wenn ich ihn nicht so geliebt hätte, sein Haß hätte mich nicht so gefreut!

Endlich kam der Schlaf über mich, und ich schlief fest ein. Ich sah nur noch wie im Traum, halb schon schlafend, wie Wassin nach Beendigung seiner Arbeit alles ordentlich forträumte und, nach einem prüfenden Blick auf meinen Diwan, sich auszukleiden begann und das Licht löschte. Es war nach Mitternacht.

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