III.

Der Fürst Sserjosha (das heißt, der junge Fürst Ssergei Petrowitsch Ssokolski, – ich werde ihn nur Ssergei Petrowitsch nennen) brachte mich in einem eleganten Gefährt nach seiner Wohnung, und das erste war, daß ich mich über die Pracht seiner Wohnung wunderte. Nicht Pracht im üblichen Sinne, aber die Wohnung war wie bei den „allerersten Leuten“, mit hohen, großen, hellen Räumen (ich sah zwei von ihnen, die Türen zu den anderen waren geschlossen), und die Möbel – allerdings nicht in Gott weiß was für einem Versailles- oder Renaissancestil, aber es waren doch schöne, komfortable, reiche Möbel in Menge, und im ganzen eine Einrichtung auf großem Fuß, mit schönen Teppichen, geschnitzter Holztäfelung und Statuen. Und doch wurde allgemein davon gesprochen, daß sie so gut wie Bettler seien, fast nichts mehr besäßen. Ich hatte freilich einmal flüchtig die Bemerkung gehört, daß dieser Fürst überall den Leuten Sand in die Augen gestreut habe, – sowohl hier wie in Moskau, im Regiment und in Paris – daß er sogar ein Spieler sei und Schulden habe. Ich hatte einen verknüllten Rock an, an dem zum Überfluß noch Federstäubchen waren, da ich angekleidet auf Wassins Bett gelegen hatte, und mein Hemd trug ich schon den vierten Tag. Der Rock war übrigens noch nicht so schlecht, aber hier beim Fürsten fiel mir wieder das Angebot Werssiloffs ein, bei seinem Schneider mir Kleider machen zu lassen.

„Denken Sie sich, ich habe, dank einer Selbstmörderin, diese ganze Nacht angekleidet geschlafen,“ bemerkte ich aus einer gewissen inneren Zerstreutheit heraus, und da er sogleich Interesse zeigte, so erzählte ich ihm kurz den ganzen Fall. Aber sein Brief schien ihn doch mehr zu beschäftigen. Und mich beunruhigte hauptsächlich, daß er nicht nur nicht gelächelt, sondern nicht einmal den Schimmer eines Gedankens an ein Lächeln gezeigt hatte, als ich vorhin so ohne weiteres mit meiner Absicht, ihn zu fordern, herausgerückt war. Wenn ich auch verstanden hatte, ihn zum Ernstsein zu zwingen, so war das doch merkwürdig von einem Menschen dieser Art. Wir setzten uns mitten im Raum einander gegenüber, an seinen riesigen Schreibtisch, und er gab mir den fertigen, schon ins reine geschriebenen Brief an Werssiloff zur Durchsicht. Dieses Dokument enthielt fast dasselbe, was er mir schon bei meinem Fürsten gesagt hatte; es war ersichtlich mit Leidenschaft geschrieben. Ich wußte freilich noch nicht, wie ich diese seine augenscheinliche Offenherzigkeit und seine Bereitwilligkeit zu allem Guten eigentlich beurteilen sollte, aber ich ließ mich schon besiegen; denn, im Grunde genommen – warum sollte ich ihm nicht glauben? Was er als Mensch auch sein und was man von ihm auch sagen mochte, er konnte doch trotz allem gute Neigungen haben. Ich las auch Werssiloffs Brief an ihn – nur sieben Zeilen – die Zurücknahme der Forderung. Obschon er in diesem Brief tatsächlich von „Kleinmut“ und „Selbstsucht“ geschrieben hatte, so sprach doch aus dem Ganzen ein gewisser Hochmut ... oder richtiger, in seiner ganzen Handlungsweise lag eine gewisse Geringschätzung. Ich sprach das aber nicht aus.

„Wie fassen Sie diesen Verzicht auf das Duell eigentlich auf?“ fragte ich. „Sie glauben doch wohl nicht, daß er den Mut verloren hat?“

„Selbstverständlich nicht,“ sagte der Fürst lächelnd, aber es war ein sehr ernstes Lächeln, und überhaupt wurde der Ausdruck seines Gesichts immer sorgenvoller. „Ich weiß zu genau, daß dieser Mensch mutig ist. Hier, in diesem Fall ist es natürlich ein Ausdruck seiner besonderen Auffassung ... seiner persönlichen Ideenrichtung.“

„Zweifellos ist es das!“ fiel ich ihm lebhaft ins Wort. „Ein gewisser Herr Wassin sagt, in seiner Handlungsweise mit dem Brief des Erblassers und in dem Verzicht auf die Erbschaft sei ein gewisses Verlangen, sich auf ein ‚Piedestal‘ zu stellen ... Meiner Ansicht nach tut man so etwas nicht fürs Publikum, sondern die Tat entspricht etwas dem Wesen des Menschen zugrunde Liegendem, dem Innersten dieses Menschen.“

„Ich kenne Herrn Wassin sehr gut,“ bemerkte der Fürst.

„Ach, ja, Sie müssen ihn ja in Luga gesehen haben.“

Wir sahen uns plötzlich an, und ich weiß noch, ich wurde, glaube ich, etwas rot. Wenigstens brach er das Gespräch sofort ab. Ich dagegen hätte sehr gern weitergesprochen. Der Gedanke an eine Begegnung, die ich tags zuvor gehabt hatte, lockte mich, etliche Fragen an ihn zu richten, nur wußte ich nicht, wie ich anfangen sollte. Und überhaupt war ich gewissermaßen schlecht aufgelegt. Mich frappierte auch seine erstaunliche Wohlerzogenheit und Höflichkeit, die Ungezwungenheit seiner Manieren, – mit einem Wort, diese ganze glänzende Politur ihres Tones, die diese Menschen fast schon in der Wiege annehmen. In seinem Russisch geschriebenen Brief aber fand ich zwei äußerst grobe grammatikalische Fehler. Übrigens: bei solchen Begegnungen erniedrige ich mich nicht etwa, sondern werde übertrieben schroff, was bisweilen vielleicht auch unangebracht ist. Aber in diesem Fall trug dazu auch noch der Gedanke bei, daß mein Rock nicht gebürstet war, und so überschritt ich erst recht die Grenze und rückte mit fast familiären Fragen heraus. Es war mir nicht entgangen, daß der Fürst mich hin und wieder sehr aufmerksam musterte.

„Sagen Sie, Fürst,“ platzte ich plötzlich mit der Frage heraus, „finden Sie es in Ihrem Inneren nicht lächerlich, daß ich, der ich noch so ein ‚Milchbart‘ bin, Sie zum Zweikampf fordern wollte, und das noch wegen einer einem Fremden zugefügten Beleidigung?“

„Durch die Beleidigung des Vaters kann man sehr wohl sich selbst beleidigt fühlen. Nein, ich finde es nicht lächerlich.“

„Mir aber scheint es, daß so etwas furchtbar lächerlich sein muß ... von manchem Gesichtspunkt aus ... das heißt, versteht sich, nicht von meinem aus. Um so mehr, als ich Dolgoruki heiße und nicht Werssiloff. Wenn Sie mir aber nicht die Wahrheit sagen, vielleicht um die Sache zu beschönigen aus glatter gesellschaftlicher Höflichkeit, so sagen Sie mir wohl auch in allem übrigen nicht die Wahrheit und betrügen mich?“

„Nein, ich finde es nicht lächerlich,“ wiederholte er ungeheuer ernst. „Sie können doch das Blut Ihres Vaters nicht – nicht in sich fühlen ...? Sie sind aber noch zu jung; denn ... ich weiß nicht ... ich glaube, wer noch nicht volljährig ist, darf sich noch nicht duellieren, oder man darf seine Forderung nicht annehmen ... so ist die Regel ... Aber vielleicht gibt es hier schließlich nur einen einzigen ernsten Einwand: wenn Sie ohne Wissen des Beleidigten, wegen dessen Beleidigung Sie sich schlagen wollen, den Beleidiger fordern, so äußern Sie damit gleichsam eine gewisse persönliche Nichtachtung des Betreffenden Ihrerseits, ist es nicht so?“

Unser Gespräch wurde von einem Diener unterbrochen, der eintrat und etwas melden zu wollen schien. Wie der Fürst ihn erblickte, stand er sofort auf – er hatte ihn wohl die ganze Zeit schon erwartet – und ging schnell auf ihn zu, so daß der Diener die Meldung nur halblaut machte, und ich natürlich nichts davon hören konnte.

„Entschuldigen Sie mich, bitte,“ wandte sich der Fürst nach mir um, „in einer Minute bin ich wieder da.“

Und damit ging er hinaus. Ich blieb allein zurück, ging auf und ab und dachte nach. Sonderbar, er gefiel mir, und gleichzeitig gefiel er mir gar nicht. Es war in ihm irgend so etwas, was ich selbst nicht zu benennen gewußt hätte, aber jedenfalls war es etwas Abstoßendes. „Wenn er wirklich nicht über mich lacht, so muß er allerdings sehr offenherzig sein; aber wenn er über mich lachte, so ... würde ich ihn vielleicht für klüger halten ...“ ging es mir etwas seltsam durch den Kopf.

Ich trat an den Tisch und las noch einmal seinen Brief an Werssiloff. Die Gedanken beschäftigten mich so, daß ich die Zeit ganz vergaß, und als ich wieder zu mir kam, da bemerkte ich plötzlich, daß die ‚eine Minute‘ des Fürsten sich schon zweifellos zu einer Viertelstunde ausgedehnt hatte. Das regte mich ein wenig auf; ich ging noch einmal hin und her, schließlich nahm ich meinen Hut und beschloß, hinauszugehen, und falls mir jemand begegnete, den Fürsten rufen zu lassen, und wenn er käme, mich einfach zu verabschieden unter dem Vorwande, daß ich zu tun hätte und nicht länger warten könne. Ich dachte, das wäre das richtigste; denn mich quälte ein wenig der Gedanke, daß er mich, indem er mich solange allein ließ, etwas nachlässig behandelte. Der Raum hatte nur zwei Türen, beide waren geschlossen und befanden sich in derselben Wand. Da ich vergessen hatte, durch welche Tür wir eingetreten waren, vielleicht aber auch aus Zerstreutheit, öffnete ich die falsche Tür und sah auf einmal in einem schmalen, langen Zimmer, auf einem Diwan sitzend, – meine Schwester Lisa. Außer ihr war niemand im Raum, und sie wartete wohl auf jemand. Aber noch hatte ich keine Zeit, mich zu wundern, als ich auf einmal die Stimme des Fürsten hörte, der laut hinter der anderen Tür mit jemand sprach und ins Kabinett zurückkehrte. Ich schloß schnell meine Tür, und der eintretende Fürst merkte nichts. Ich erinnere mich, er begann sich zu entschuldigen und sprach von einer Anna Fjodorowna ... Ich war aber so verwirrt und betroffen durch das Gesehene, daß ich fast nichts verstand und nur irgendwie hervorstotterte, daß ich unbedingt nach Hause müsse, und ich verließ entschlossen und schnell das Zimmer. Der wohlerzogene Fürst wird mein Benehmen wohl sehr merkwürdig gefunden haben. Er begleitete mich sogar bis ins Vorzimmer und sprach die ganze Zeit, ich aber antwortete nichts und sah ihn nicht einmal an.

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