III.

Ich lief, ohne zu überlegen, ohne zu denken, ich stieß achtlos die Menschen an und sah kaum etwas, bis ich schließlich die Wohnung Tatjana Pawlownas erreichte. Ich verfiel auch nicht einmal darauf, mir unterwegs eine Droschke zu nehmen. Bjoring hatte mich vor ihren Augen zurückgestoßen! Nun ja, ich war ihm auf den Fuß getreten, und da mag er es ganz unwillkürlich getan haben, wie einer, dem jemand auf ein Hühnerauge tritt (und ich war ihm vielleicht wirklich auf ein Hühnerauge getreten!) Aber sie hatte es gesehen und hatte auch gesehen, wie die Diener mich ergriffen, und alles das war vor ihren Augen geschehen, vor ihren Augen! Als ich zu Tatjana Pawlowna hineinstürzte, konnte ich zunächst kein Wort hervorbringen. Mein Unterkiefer zitterte wie im Fieber. Aber ich war ja auch im Fieber, und außerdem weinte ich ... Oh, man hatte mich so grausam gekränkt.

„Ah! Na was? Bist hinausgeworfen worden? Das ist recht, das ist recht!“ sagte Tatjana Pawlowna.

Ich sank stumm auf den Diwan und sah sie an.

„Aber was ist denn mit ihm?“ Sie betrachtete mich prüfend. „Er zittert ja! – Da, trink mal etwas Wasser, hier ist Wasser, trink! Und jetzt sag, was hast du dort noch angerichtet?“

Ich murmelte etwas davon, daß man mich hinausgeworfen und Bjoring mich auf der Straße gestoßen hatte.

„So? Kannst du jetzt schon etwas verstehen oder noch nicht? Dann nimm mal dies hier, – ließ und freue dich!“

Sie nahm einen Brief vom Tisch, gab ihn mir und blieb erwartungsvoll vor mir stehen. Ich erkannte sofort die Handschrift Werssiloffs: es war ein Brief von ihm an Katerina Nikolajewna. Ich fuhr zusammen, und im Augenblick war auch mein Verstand wieder klar, und ich begriff mit aller Schärfe. Der Inhalt dieses entsetzlichen, schändlichen, verrückten, räuberischen Briefes war buchstäblich folgender:

Sehr geehrte Katerina Nikolajewna!

Obschon ich weiß, wie verderbt Sie Ihrer Natur und Ihrer Anschauung nach sind, habe ich doch gedacht, daß Sie Ihre Leidenschaften manchmal etwas zügeln und es wenigstens nicht auf Kinder absehen würden. Aber Ihre Schamlosigkeit schreckt selbst davor nicht zurück. Ich teile Ihnen mit, daß das Ihnen bekannte Dokument bestimmt nicht verbrannt worden ist und sich auch niemals in den Händen des Herrn Krafft befunden hat, weshalb Sie auf diese Weise nichts erreichen werden. Verderben Sie deshalb nicht zwecklos einen Jüngling. Verschonen Sie ihn, er ist noch nicht volljährig, ist fast noch ein Knabe, ist sowohl geistig wie körperlich noch unentwickelt. Was hätten Sie an diesem Jungen? Ich aber nehme Anteil an ihm, und deshalb wage ich, Ihnen das zu schreiben, wenn ich auch nicht auf einen Erfolg hoffe. Ich habe die Ehre, Ihnen noch mitzuteilen, daß ich eine Abschrift dieses Briefes gleichzeitig an Baron Bjoring sende.

A. Werssiloff.

Ich erbleichte, als ich das las, dann aber schoß mir das Blut plötzlich heiß ins Gesicht, und meine Lippen bebten vor Empörung.

„Das sagt er ja von mir! Das ist das, was ich ihm vorgestern anvertraut habe!“ rief ich, zitternd vor Wut.

„Das ist’s ja, daß du’s ihm ‚anvertraut‘ hast!“ Tatjana Pawlowna riß mir den Brief aus der Hand.

„Aber ... ich habe ja gar nicht das ... so was hab ich ihm doch gar nicht gesagt! O Gott, was muß sie jetzt von mir denken! Aber er ist ja wahnsinnig! Er ist wirklich wahnsinnig ... Ich habe ihn gestern gesehen. Wann ist der Brief abgesandt?“

„Gestern am Tage; am Abend hat sie ihn erhalten, und heute früh brachte sie ihn mir persönlich.“

„Ich habe ihn gestern gesehen, er ist wahnsinnig! Das hat Werssiloff nicht schreiben können, das hat ein Wahnsinniger geschrieben! Wer schreibt denn so etwas an eine Frau?“

„Eben solche Verrückte schreiben’s in ihrer Wut, wenn sie vor Eifersucht und Zorn blind und taub werden, und ihr Blut sich in Gift verwandelt ... Du weißt noch gar nicht, was für einer er ist! Dafür wird man ihn jetzt so niederschlagen, daß überhaupt nichts mehr von ihm übrigbleibt. Er steckt ja selber seinen Kopf unter das Richtschwert! Er sollte doch lieber nachts auf die Nikolaibahnstrecke gehen und seinen Kopf auf die Schienen legen! Da würde er ihm so hübsch abgeschnitten werden, – wenn er ihm nun mal zum Tragen zu schwer geworden ist! Und was hat dich denn geplagt, ihm das zu erzählen? Wozu mußtest du ihn denn noch aufreizen? Wolltest dich wohl rühmen vor ihm?“

„Aber was ist das für ein Haß! Was für ein Haß!“ rief ich und schlug mir mit der Hand vor die Stirn. „Und weshalb, weshalb? Haß gegen eine Frau! Was hat sie ihm denn getan? Was hat es zwischen ihnen gegeben, daß er einen solchen Brief überhaupt hat schreiben können?“

„‚Was für ein Haß‘! Da höre doch einer!“ verhöhnte mich Tatjana Pawlowna mit beißendem Spott.

Wieder schoß mir das Blut ins Gesicht: es war mir, als hätte ich noch etwas ganz Neues zu begreifen; ich sah sie fragend an, jede Fiber in mir war gespannt.

„Scher dich weg! Geh mir aus den Augen!“ kreischte sie auf einmal und wandte sich schnell von mir ab. „Hab mich genug mit euch allen abgegeben! Bin es satt! Und wenn ihr auch alle umkommt ...! Nur um deine Mutter täte es mir noch leid ...“

Ich eilte von ihr natürlich zu Werssiloff. Nein, war das aber eine Niedertracht! So eine Niedertracht!

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