In der letzten Zeit gab ich dem Spielzirkel des Herrn Serschtschikoff den Vorzug vor allen. Bis dahin hatte ich drei andere Zirkel besucht, immer zusammen mit dem Fürsten, der mich dort eingeführt hatte. In einem dieser Zirkel wurde nur ein kniffliches Hasardspiel gespielt, und zwar mit sehr hohen Einsätzen. Aber dort gefiel es mir nicht: ich sah, daß man da viel Geld haben mußte, und außerdem versammelten sich dort gar zu arrogante Leute und die bekannte goldene Jugend der hohen Aristokratie. Gerade das aber gefiel dem Fürsten; denn er liebte nicht nur das Spiel, sondern liebte es auch, mit solchen hochgeborenen Tollköpfen zu verkehren. Ich hatte übrigens bemerkt, daß er sich, wenn er auch mit mir zusammen hinging, im Laufe des Abends doch möglichst von mir zu entfernen pflegte, und mich mit keinem aus „seinen Kreisen“ bekannt machte. Allerdings benahm ich mich auch wie ein Wilder, und oft geschah es, daß ich die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf mich lenkte. Am Spieltisch kam ich wohl manchmal mit dem einen oder anderen ins Gespräch, doch als ich mal in denselben Räumen eines dieser „Herrchen“, mit dem ich am Abend vorher gesprochen und gelacht, und dem ich sogar mit Glück zu zwei bestimmten Karten geraten hatte, am anderen Tage begrüßen wollte, schien er mich einfach überhaupt nicht wiederzuerkennen. Ja, schlimmer noch: er sah mich mit gemachter Verwunderung an und schritt lächelnd an mir vorüber. Deshalb ging ich denn auch nicht mehr hin und besuchte seitdem mit Leidenschaft eine Kloake – anders kann ich diese Spielhölle nicht benennen. Es war das eigentlich ein ziemlich unbedeutender Roulettezirkel in der Wohnung einer Kokotte, die jedoch selbst niemals im Saal erschien. Dort herrschte ein sehr freier Ton, obgleich der Zirkel von Offizieren und reichen Kaufleuten besucht wurde, und es ging alles sehr schmierig zu, was übrigens manche gerade anzog. Außerdem hatte ich dort häufig Glück im Spiel. Aber auch diesen Zirkel verließ ich nach einer sehr widerwärtigen Geschichte, die dort einmal mitten im Spiel angefangen und mit einer richtigen Prügelei zwischen zwei Spielern geendet hatte. Und seitdem besuchte ich den Zirkel Serschtschikoffs, in den mich übrigens gleichfalls der Fürst eingeführt hatte. Serschtschikoff war Rittmeister außer Diensten. Der Ton in seinem Zirkel war sehr erträglich: militärisch, peinlich in der Beobachtung alles dessen, was mit Ehrbegriffen zu tun hatte, kurz und sachlich. Witzbolde und Trinker wurden nicht geduldet. Außerdem spielte man da nicht zum Spaß! Es wurde dort nur Roulette gespielt. Vor diesem Abend des fünfzehnten November war ich erst zweimal dagewesen, doch Serschtschikoff kannte mich, glaube ich, schon dem Ansehen nach; aber Bekannte hatte ich dort gar keine. Auch der Fürst und Darsan erschienen an diesem Abend erst um Mitternacht – sie kamen aus dem Zirkel jener aristokratischen Galgenstricke, den ich nicht mehr besuchte, und so war ich denn an diesem Abend ein Unbekannter unter Unbekannten.
Wenn ich einen Leser hätte, und der Betreffende hätte alles das, was ich von meinen Erlebnissen bisher erzählt habe, schon gelesen, so brauchte ich ihm jetzt wohl nicht mehr zu erklären, daß ich für keine einzige Art von gesellschaftlichem Verkehr geschaffen bin. Ich verstehe überhaupt nicht mich in Gesellschaft zu benehmen. Wenn ich irgendwo hinkomme, wo viele Menschen sind, so fühle ich sofort, wie alle Blicke mich beunruhigen. Ich winde mich förmlich unter diesen Blicken, auch im Theater und in ähnlichen Versammlungen, und vor allem natürlich in Privatgesellschaften. In all diesen Spielsälen und Zirkeln habe ich mir entschieden keine gesellschaftliche Haltung anzueignen verstanden: bald sitze ich da und mache mir Vorwürfe wegen meiner übertriebenen Höflichkeit und Weichheit, bald raffe ich mich plötzlich auf und begehe irgendeine Dummheit. Und doch verstehen selbst die größten Nichtsnutze, die im Vergleich zu mir einfach Dummköpfe sind, sich überall mit vorzüglicher Haltung zu bewegen. Das war es, was mich am meisten kränkte, und war der Grund, weshalb ich meine Kaltblütigkeit immer mehr verlor. Ich sage es offen: nicht nur jetzt, sondern schon damals wurde mir diese ganze Gesellschaft und das ganze Spiel, ja selbst das Gewinnen, wenn ich aufrichtig sein soll, – zum Ekel, zur Qual. Einfach – zur Qual. Ich empfand allerdings einen ungeheuren Genuß dabei, aber für diesen Genuß mußte ich diese ganze Qual in den Kauf nehmen. Alle diese Leute, das Spiel und ich selbst erschienen mir gemein und schmutzig. „Sobald ich gewonnen habe, spucke ich auf das alles!“ sagte ich mir jedesmal, wenn ich nach durchspielter Nacht in meiner Wohnung bei Morgengrauen zu Bett ging. Und was nun das Gewinnen an sich betrifft, so ist vor allem das eine zu bedenken: daß ich Geld überhaupt nicht mag. Das heißt, ich will nicht die alten Gemeinplätze wiederholen, die bei solchen Erklärungen üblich sind: daß ich nur aus Liebe zum Spiel, aus Leidenschaft, also nur wegen der Aufregung und um des Wagnisses willen, und nicht aus pekuniären Gründen gespielt hätte. Ich hatte das Geld schrecklich nötig, und obschon dieser Spielerweg nicht zu meiner Idee paßte, so hatte ich doch beschlossen, es auf ihm wenigstens zur Probe zu versuchen. Dabei verwirrte mich aber ein schwerwiegender Gedanke: „Du hast dich doch schon überzeugt, daß du ein Millionär werden kannst, daß du den dazu erforderlichen Charakter besitzt, du hast doch diese Charakterprobe bestanden; so bestehe sie doch auch hier; sollte man denn zum Roulette wirklich mehr Charakter brauchen als zur Ausführung deiner Idee?“ Das war es, was ich mir immer wieder sagte. Ich halte bis heute an der Überzeugung fest, daß man beim Hasardspiel, wenn man nur seine vollkommene Ruhe zu bewahren vermag – und damit die ganze Schärfe seines Verstandes und seiner Berechnung –, daß man dann die Unschlauheit des blinden Zufalls besiegen und im Spiel gewinnen muß. Und da ich an dieser Überzeugung festhielt, so regte es mich um so mehr auf, als ich sah, wie mein Charakter immer wieder versagte und ich mich wie ein ganz kleiner Junge fortreißen ließ: „Ich, der ich dem Hunger gewachsen gewesen bin, ich sollte nun plötzlich dieser Dummheit nicht gewachsen sein!“ Das reizte mich fürchterlich. Dazu kam nun noch das Bewußtsein, daß ich, wie gering und lächerlich ich auch erscheinen mochte, doch diesen Schatz an Kraft in mir trug, der sie einmal alle zwingen würde, ihre Meinung über mich zu ändern, daß dieses Bewußtsein schon seit meinen Kinderjahren die einzige Quelle meines Lebens, mein Licht, mein Stolz, meine Waffe und mein Trost gewesen war; sonst hätte ich mir vielleicht schon als Knabe das Leben genommen! Und wie sollte ich darum nicht gegen mich selbst erbittert sein, als ich nun sah, in was für ein klägliches Geschöpf ich mich am Spieltisch verwandelte? Das war auch der Grund, warum ich vom Spiel nicht lassen konnte, – das ist mir jetzt ganz klar. Doch außer diesen Sorgen quälte mich noch kleinliche Eigenliebe: daß ich im Spiel verlor, erniedrigte mich auch vor anderen, vor dem Fürsten, vor Werssiloff, obgleich dieser es nicht der Mühe für wert hielt, ein Wort darüber zu verlieren, nicht einmal Tatjana Pawlowna gegenüber – so schien es mir, so empfand ich es wenigstens. Und nun zum Schluß noch ein Geständnis: dieses Leben hatte mich schon verdorben; es fiel mir bereits schwer, auf ein Mittagessen von sieben Gängen im Restaurant zu verzichten, auf meinen Schlitten, auf das englische Herrengeschäft, auf die Meinung meines französischen Coiffeurs, kurz, auf diesen ganzen Luxus. Ich war mir dessen schon damals bewußt, doch ich wollte mir darüber keine Gedanken machen; jetzt freilich, wo ich das niederschreibe, erröte ich vor mir selbst.