IV. Zweites Purgatorium

„Sie glauben nicht, Dmitrij Fedorowitsch, wie sehr Sie uns durch Ihre Bereitwilligkeit ermutigen ...“ begann Neljudoff, der Untersuchungsrichter, mit belebtem Gesicht und augenscheinlich angenehm berührt, was man am Blick seiner großen, hellgrauen, etwas hervorstehenden Augen sah, die übrigens sehr kurzsichtig waren, und von denen er soeben die Brille abgenommen hatte. „Sie haben da eine vollkommen richtige Bemerkung gemacht in betreff des beiderseitigen Vertrauens, ohne das es bei Verhören von ähnlicher Wichtigkeit nun einmal nicht geht, das heißt in Fällen, wenn der Verdächtigte tatsächlich sich zu rechtfertigen hofft, wenigstens es versuchen will und wahrscheinlich auch kann. Seien Sie überzeugt, daß wir alles tun werden, was an uns liegt. Sie haben auch bereits Gelegenheit gehabt, zu sehen, wie wir die Sache führen ... Sie stimmen mir doch bei, Hippolyt Kirillowitsch?“ wandte er sich plötzlich an den Staatsanwalt.

„Oh, selbstverständlich,“ bestätigte der sofort, doch war der Ton seiner Worte etwas trocken im Vergleich zur liebenswürdigen Rede des Untersuchungsrichters.

Hier muß ich noch eine Bemerkung hinzufügen: Neljudoff, der, wie bereits erwähnt, erst vor kurzem bei uns angekommen war, hatte gleich, schon seit dem ersten Anfang seiner Tätigkeit in unserer Stadt, für unseren Hippolyt Kirillowitsch eine außerordentliche Hochachtung empfunden und war ihm von Herzen zugetan. Er war vielleicht der einzige Mensch, der einwandlos an die ungewöhnlichen psychologischen und rednerischen Begabungen unseres „zurückgesetzten“ Hippolyt Kirillowitsch glaubte, wie er auch überzeugt war, daß man ihn bei der Beförderung übersehen hatte. Er hatte von ihm schon in Petersburg gehört. Dafür war denn wiederum Neljudoff der einzige Mensch in der ganzen Welt, den unser „beleidigter“ Staatsanwalt aufrichtig liebgewann. Auf dem Wege nach Mokroje hatten sie sich schon über gewisse Punkte besprochen, und so begriff denn Neljudoffs spitzfindiger Verstand sofort die Bedeutung jeden Winkes, jeder Bewegung im Gesichte seines älteren Amtsgenossen: es genügte ihm ein halbes Wort, ein Blick, ein Augenzwinkern.

„Meine Herren,“ fuhr Mitjä geschäftig auf, „überlassen Sie es ruhig mir, alles zu erklären, ich werde alles sachgemäß darstellen, nur bitte ich Sie, mich nicht mit dem Kleinzeug zu unterbrechen.“

„Das ist natürlich das Beste. Ich danke Ihnen. Doch bevor wir dazu übergehen, bitte ich Sie, vorher nur noch eine Tatsache konstatieren zu dürfen, da sie für uns von großer Wichtigkeit ist, nämlich in betreff jener zehn Rubel, die Sie gestern abend, ungefähr um fünf Uhr, von Ihrem Freunde Pjotr Iljitsch Perchotin geborgt haben, wofür Sie ihm Ihre Pistolen als Pfand gaben.“

„Ja, ich hatte sie versetzt, meine Herren, für zehn Rubel versetzt, was ist denn dabei? Und das ist alles. Als ich von der Fahrt in die Stadt zurückgekehrt war, ging ich sofort zu ihm hin und versetzte sie.“

„Ah, Sie waren also ausgefahren? Sie hatten die Stadt verlassen?“

„Ja, ich war ausgefahren, über vierzig Werst war ich gefahren. Wie, und Sie wußten das noch nicht, meine Herren?“

Der Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter blickten sich flüchtig an.

„Überhaupt ... wie wäre es, wenn Sie Ihre Erzählung mit der systematischen Wiedergabe alles dessen, was Sie gestern seit dem Morgen getan haben, beginnen würden? Erlauben Sie, daß ich Sie zum Beispiel frage: warum verließen Sie die Stadt, wann sind Sie fortgefahren und wann zurückgekehrt ... und alle diese Tatsachen ...“

„Warum haben Sie denn das nicht gleich gesagt?“ fragte Mitjä laut auflachend. „Ja, genau genommen, muß man nicht mit dem gestrigen, sondern mit dem vorgestrigen Tage beginnen, vom frühen Morgen an, dann erst werden Sie verstehen können, wie und warum ich ging und fuhr. Ich ging, meine Herren, vorgestern am Vormittag zum hiesigen Großkaufmann Ssamssonoff, um von ihm unter der besten Sicherstellung dreitausend Rubel zu borgen – ich hatte mich plötzlich zu diesem Äußersten entschlossen, meine Herren ...“

„Gestatten Sie, daß ich Sie auf einen Augenblick unterbreche,“ hielt ihn höflich der Staatsanwalt auf, „wozu hatten Sie plötzlich diese Summe nötig, und warum gerade so viel, gerade dreitausend Rubel?“

„Ach, meine Herren, es wäre wirklich besser, es ginge ohne Nebensächlichkeiten! Wie, wann und warum, und warum genau so viel und nicht so viel, und dieses ganze Drum und Dran ... man könnte es nicht einmal in drei Bänden erzählen, es wäre noch ein Epilog erforderlich!“

Mitjä sagte dies mit der gutmütigen, doch ungeduldigen Familiarität eines Menschen, der die ganze Wahrheit sagen will und die besten Absichten hegt.

„Meine Herren,“ rief er sofort, gleichsam sich besinnend, „verzeihen Sie mir die Unhöflichkeit. Ich bitte Sie nochmals, mir zu glauben, daß ich die vollste Ehrerbietung empfinde und sehr gut die gegenwärtige Situation verstehe. Glauben Sie nicht, daß ich betrunken bin. Ich bin bereits ganz nüchtern geworden. Und schließlich, was wäre denn auch dabei, das würde ja weiter nicht stören, denn bei mir ist es doch:

Ist er nüchtern, so ist er klug, d. h. dumm,

Ist er trunken, so ist er dumm, d. h. klug.

Ha – ha! Übrigens, ich sehe, meine Herren, daß mir vorläufig noch nicht zusteht, zu scherzen, – vorläufig, das heißt, bis wir ins reine gekommen sind. Erlauben Sie, daß ich die nötige Würde bewahre. Ich begreife doch, was für ein Unterschied augenblicklich zwischen uns besteht: ich sitze ja vor Ihnen als Verbrecher, bin also alles andere, nur nicht auf gleicher Gesellschaftsstufe mit Ihnen, und Ihre Pflicht ist, mich jetzt zu verhören und zu beobachten. Sie werden mir doch für die Verletzung Grigorijs nicht wie einem braven Jungen noch obendrein das Köpfchen streicheln. Es ist ja wahr! Man kann doch nicht alten Männern ungestraft den Schädel einschlagen. Sie werden mich seinetwegen, nun, sagen wir auf ein halbes Jahr, nun, auf ein Jahr ins Zuchthaus einsperren, ich weiß nicht, wie man da bei Ihnen verurteilt wird, – aber doch ohne Verlust meiner Rechte, nicht wahr, Herr Staatsanwalt? Also wie gesagt, meine Herren, ich begreife vollkommen den Unterschied ... Aber Sie müssen mir auch zugeben, daß Sie mit solchen Fragen selbst Gott den Herrn aus dem Konzept bringen könnten: wo bist du gegangen, wie bist du gegangen, wann bist du gegangen, warum bist du gegangen, und so weiter? Ich kann doch dabei nur konfus werden, und Sie fassen dann alles, was ich sage, buchstäblich als Wahrheit auf und nehmen es natürlich sofort zu Protokoll – was kommt dabei schließlich heraus? Nichts kommt dabei heraus! ... Ach, nun, hol’s der Teufel, habe ich einmal angefangen zu schwatzen, so muß ich mich auch aussprechen, und Sie, meine Herren, verzeihen Sie mir bitte, als Menschen höherer Bildung und Ehrenmänner, die Sie sind. Ich will mit der Bitte schließen: versuchen Sie doch, meine Herren, diese abgedroschenen Verhörsvorschriften in diesem Falle einmal zu vergessen. Da heißt es denn, zuerst mußt du etwas ganz Unwichtiges fragen: wie er aufgestanden ist, was er gegessen hat, wie er gespuckt, und wohin er gespuckt hat, ‚und nachdem auf diese Weise die Aufmerksamkeit des Verbrechers eingeschläfert ist‘, – ihn plötzlich mit der wichtigsten Frage verblüffen: ‚Wie hast du erschlagen, wie bestohlen?‘ Haha! Das ist doch der ganze Bürogeist, der da drinsteckt, das sind doch Ihre Regeln und Formeln, dahinter versteckt sich ja Ihre ganze Schlauheit! Aber mit solchen Kniffen können Sie höchstens Bauern fangen, – nicht mich. Ich kenne doch die Sache, ich bin doch selbst Offizier gewesen und weiß daher, wie es in den Büros hergeht. Hahaha! Ärgern Sie sich nicht, meine Herren, Sie verzeihen mir doch den Ausfall gegen die Pedanten in Ihrem Fach?“ rief er lachend und blickte sie mit einer fast wundernehmenden Gutmütigkeit an. „Das hat doch Mitjä Karamasoff gesagt, folglich kann man es verzeihen, denn einem klugen Menschen kann man es nicht verzeihen, dem Mitjä aber selbstverständlich! Haha!“

Neljudoff hörte zu und lachte gleichfalls. Der Staatsanwalt lachte zwar nicht, beobachtete jedoch Mitjä mit scharfem Blick ungeheuer aufmerksam, als wollte er sich kein einziges Wort, nicht die geringste Bewegung oder Veränderung seines Gesichtes entgehen lassen.

„So haben wir ja auch mit Ihnen zuerst angefangen,“ meinte Neljudoff immer noch lachend, „wir haben an Sie keine einzige Frage von der Art gestellt, wie: Wann sind Sie aufgestanden, was haben Sie gegessen, und so weiter, sondern wir sind gleich auf das Wesentlichste übergegangen.“

„Ich weiß, ich weiß! Ich habe es wohl verstanden und verstehe es auch zu schätzen, und noch mehr schätze ich es, daß Sie so gütig zu mir sind, was Ihrer Gesinnung nur Ehre macht. Wir drei sind hier zusammengekommen, drei Ehrenmänner, und so mag denn auch alles auf dem gegenseitigen Zutrauen gebildeter Menschen beruhen, dreier Menschen derselben Gesellschaftsklasse, die durch ihren Adel und ihre Ehre verbunden sind. Jedenfalls erlauben Sie mir, Sie in dieser Stunde meines Lebens für meine besten Freunde zu halten, gerade in dieser Stunde, da meine Ehre so erniedrigt wird. Das verletzt Sie doch nicht, meine Herren, nicht wahr?“

„Im Gegenteil, Dmitrij Fedorowitsch, Sie haben das alles so vortrefflich ausgedrückt,“ stimmte ihm der Untersuchungsrichter ernst, doch wohlwollend bei.

„Und die Nebensachen, alle diese spitzfindigen Fußangeln zum Teufel,“ rief Mitjä ganz Feuer und Flamme, „sonst kommt doch nur Unsinn heraus, nicht wahr? ...“

„Ich billige vollkommen Ihren vernünftigen Vorschlag,“ unterbrach ihn plötzlich der Staatsanwalt zu ihm gewandt, „indessen kann ich nicht von meiner Frage ablassen. Es ist für uns von gar zu großer Wichtigkeit zu wissen, wozu Sie diese Summe brauchten, warum gerade dreitausend Rubel?“

„Wozu ich sie brauchte? Nun, für dieses und jenes ... nun, sagen wir, um eine Schuld zu bezahlen.“

„An wen zu bezahlen?“

„Das zu sagen, weigere ich mich, meine Herren! Sehen Sie, ich tue es nicht etwa darum, weil ich es nicht sagen kann, oder es nicht wage und mich fürchte, denn das ist doch nur eine Kleinigkeit, die zu erwähnen sich nicht lohnt, sondern ich sage es deshalb nicht, weil es sich hier um mein Prinzip handelt: das ist mein Privatleben, und ich erlaube niemandem, sich in dasselbe einzumischen. Das ist mein Prinzip. Ihre Frage hat mit der Sache nichts zu tun, und alles, was nicht zur Sache gehört, ist meine Privatangelegenheit. Eine Schuld wollte ich abzahlen, eine Ehrenschuld, doch an wen – das sage ich nicht!“

„Gestatten Sie, daß wir dies niederschreiben,“ sagte der Staatsanwalt.

„Bitte. Schreiben Sie es geradeso: daß ich es nicht sage, nicht sage. Schreiben Sie, daß ich es sogar für ehrlos halte, das zu sagen. Weiß Gott, Sie haben aber viel Zeit zum Schreiben!“

„Gestatten Sie noch, mein Herr, Sie daran zu erinnern, falls Sie es nicht wissen sollten,“ sagte sofort mit besonderem und sehr strengem Nachdruck der Staatsanwalt, „daß Sie das volle Recht haben, auf die Fragen, die wir Ihnen vorlegen, die Antwort zu verweigern, und wir wiederum kein Recht haben, die Antworten Ihnen irgendwie abzunötigen, wenn Sie aus diesem oder jenem Grunde nicht antworten wollen. Das hängt ganz von Ihrer persönlichen Erwägung ab. Doch fällt uns hierbei die Aufgabe zu, Sie in solchem Fall auf den Schaden aufmerksam zu machen, den Sie sich selbst dadurch zufügen, wenn Sie sich weigern, die eine oder andere Aussage zu machen.“

„Meine Herren, ich ... ärgere mich ja nicht ... ich ...“ stotterte Mitjä etwas verwirrt durch den Nachdruck der Bemerkung des Staatsanwalts. „Nun ja, dieser selbe Ssamssonoff, zu dem ich damals ging ...“

Ich werde natürlich nicht die ganze Erzählung dessen, was dem Leser bereits bekannt ist, wiederholen. Dmitrij Fedorowitsch wollte alles ganz ausführlich erzählen und doch in seiner Ungeduld möglichst schnell alles abmachen. Aber je mehr er aussagte, um so mehr wurde auch aufgeschrieben, und so mußte er immer wieder unterbrochen werden. Das mißfiel ihm sehr, und er ärgerte sich, wenn auch vorläufig noch in gutmütiger Weise. Allerdings rief er zuweilen: „Meine Herren, das würde selbst einen Gott aus der Haut bringen“ oder: „Meine Herren, wissen Sie auch, daß Sie mich ganz unnütz aufreizen?“ Doch verlor er dabei noch nicht seine freundschaftliche gutmütige Stimmung. So erzählte er denn, wie Ssamssonoff ihn vor zwei Tagen „zum Narren gehabt“ hatte (das hatte er inzwischen vollkommen erraten). Die Mitteilung vom Verkauf der Uhr für sechs Rubel, um sich Geld zur Fahrt zu verschaffen, erweckte sofort das größte Interesse der Juristen, die davon noch nichts gewußt hatten, und zu Mitjäs maßlosem Ärger fanden sie es für nötig, die Tatsache ausführlich aufzuschreiben, als wiederholte Bestätigung dessen, daß er schon am Abend des vorhergehenden Tages keine Kopeke mehr besessen hatte. Mitjäs Gesicht wurde allmählich immer düsterer. Er erzählte noch von der Fahrt zum Ljägawyj und von der Nacht, die er in der dunsterfüllten Stube verbracht hatte, und kam dann auf seine Rückkehr in die Stadt zu sprechen. Hier begann er, ohne darum gebeten zu sein, ausführlich seine Eifersuchtsqualen wegen Gruschenka zu schildern. Man hörte ihm schweigend und aufmerksam zu und merkte sich besonders das eine: daß er schon seit längerer Zeit einen Beobachtungsposten in der Hinterstraße hatte, von wo aus er Gruschenka auflauerte, und daß Ssmerdjäkoff ihm Nachrichten überbrachte. Letzteres wurde ausführlich niedergeschrieben und gut behalten. Von seiner Eifersucht sprach Mitjä erregt und viel, und wenn er sich auch dessen schämte, daß er seine intimsten Gefühle so preisgab, so „schmachvoll“ an die Öffentlichkeit preisgab, so zwang er sich doch immer wieder zur Überwindung seiner Scham, um die ganze Wahrheit zu sagen. Die teilnahmlose Strenge der Blicke des Untersuchungsrichters und besonders des Staatsanwalts, die während der ganzen Zeit seiner Erzählung auf ihn gerichtet waren, verwirrten ihn schließlich ziemlich stark. „Dieser Milchbart, mit dem ich noch vor ein paar Tagen Dummheiten über die Weiber geschwatzt habe, und dieser schwindsüchtige Staatsanwalt sind es wahrlich nicht wert, daß ich so mein Innerstes aufdecke,“ ging es ihm durch den Sinn. „Oh, die Schande! Doch – ‚Trage dein Leid, mein Herz, ergib dich und schweige‘ –.“ Mit diesem Dichterausspruch überwand er seinen traurigen Gedanken und nahm sich von neuem zusammen, um fortzufahren. Als er zur Erzählung seines Besuches bei Frau Chochlakoff kam, ärgerte er sich noch nachträglich über sie und wollte schon eine kleine lustige Anekdote über diese Dame erzählen, die er vor kurzem gehört hatte, doch der Untersuchungsrichter bat ihn höflich, zu „Wesentlicherem“ überzugehen. Endlich, als er seine Verzweiflung schilderte, wie er aus dem Chochlakoffschen Hause hinausgelaufen war und einen Augenblick sogar daran gedacht hatte, wenn nicht anders, irgend jemanden zu erdrosseln, um sich diese Dreitausend zu verschaffen, wurde er wieder unterbrochen, um auch das, daß er jemanden hatte „erdrosseln“ wollen, niederschreiben zu lassen. Mitjä ließ es wortlos geschehen. Schließlich gelangte er bei dem Augenblick an, wo er plötzlich erfahren hatte, daß er von Gruschenka betrogen worden war, und daß sie Ssamssonoff, bald nach seiner Trennung von ihr vor der Haustür, wieder verlassen hatte, während er im Glauben gewesen war, daß sie bis Mitternacht beim Alten bleiben werde. „Wenn ich in dem Augenblick diese Fenjä nicht erschlug, so geschah das nur deshalb nicht, weil ich keine Zeit dazu hatte,“ entfuhr es ihm plötzlich an dieser Stelle. – Und auch das wurde sorgfältig niedergeschrieben. Mitjä wartete mit düsterem Gesicht und wollte darauf zur Erzählung übergehen, wie er zum Vater in den Garten gelaufen war, – als ihn plötzlich der Untersuchungsrichter unterbrach und aus seinem großen Portefeuille, das neben ihm auf dem Sofa lag, und das er jetzt aufschlug, eine messingne Mörserkeule hervorzog.

„Ist Ihnen dieser Gegenstand bekannt?“ fragte er Mitjä.

„Ach, ja!“ sagte er, finster lächelnd, „selbstverständlich! Geben Sie her, zeigen Sie mir ... Äh, Teufel, nicht nötig!“

„Sie haben vergessen, seiner Erwähnung zu tun,“ bemerkte der Untersuchungsrichter.

„Ach, Teufel! Ich hätte es wahrlich nicht verheimlicht, da seien Sie unbesorgt, ohne dieses Ding wäre es ja doch nicht gegangen, was meinen Sie? – Ich hatte es im Augenblick nur ganz vergessen.“

„Würden Sie die Güte haben, sachlich zu erklären, wie und wo Sie sich mit dieser Mörserkeule bewaffnet haben.“

„Zu Befehl, ich werde die Güte haben, meine Herren.“

Und Mitjä erzählte, wie er sie bei Fenjä in der Küche ergriffen hatte und dann hinausgelaufen war.

„Was beabsichtigten Sie damit zu tun, welches Ziel hatten Sie im Auge, als Sie sich mit dieser Waffe versahen?“

„Welches Ziel? Überhaupt kein Ziel! Ich nahm sie und lief hinaus.“

„Aber warum nahmen Sie sie denn, wenn Sie kein Ziel im Auge hatten?“

In Mitjä brauste der Unwille auf. Starr blickte er dem „Milchbart“ in die Augen und lächelte finster und boshaft. Der wahre Grund seiner Wut war aber eigentlich der, daß er sich immer mehr dessen schämte, so ausführlich und mit solchen Herzensergüssen „diesen Leuten“ von seiner Eifersucht erzählt zu haben.

„Äh, ich spucke darauf!“ entfuhr es ihm plötzlich.

„Sie meinten? ...“

„Nun, um mich der Hunde zu erwehren ... in der Dunkelheit ... für alle Fälle.“

„Haben Sie auch früher, wenn Sie in der Nacht hinausgingen, eine Waffe mitgenommen, wenn Sie die Dunkelheit so fürchten?“

„Ach, zum Teufel, pfui! Meine Herren, mit Ihnen kann man wirklich nicht reden!“ rief Mitjä über die Maßen gereizt und vor Wut hochrot im Gesicht. Plötzlich wandte er sich zum Schreiber und schrie ihm mit einer Stimme, die die Wut nur zu deutlich verriet, zu:

„Schreibe sofort ... sofort ... daß ich die Mörserkeule ergriffen habe, ‚um hinzulaufen und meinen Vater zu erschlagen, Fedor Pawlowitsch ... durch einen Schlag auf den Schädel!‘ Nun, sind Sie jetzt zufrieden, meine Herren? Hat jetzt Ihre liebe Seele Ruh?“ fragte er mit herausforderndem Blick auf den Untersuchungsrichter und den Staatsanwalt.

„Wir begreifen sehr gut, daß Sie diese Worte soeben in der Gereiztheit und im Ärger über uns und unsere Fragen gesprochen haben, – über die Fragen, die wir an Sie stellen, und die Sie für Fußangeln oder lächerliche Hintergedanken halten, die aber in Wirklichkeit von großer Wichtigkeit sind und nur zur Sache führen,“ gab der Staatsanwalt trocken zur Antwort.

„Aber erbarmen Sie sich, meine Herren! Ja, ich habe eine Mörserkeule ergriffen ... Nun, wozu nimmt man zuweilen, wenn man erregt ist, irgendeinen Gegenstand in die Hand? Ich weiß nicht, wozu. Ich nahm das Ding und lief hinaus. Und das ist alles. Das ist doch wirklich ... Meine Herren, passons, oder ich schwöre Ihnen, ich sage kein Wort mehr!“

Er setzte den Ellenbogen auf die Tischkante und stützte den Kopf in die Hand. So saß er, halb abgewandt von ihnen und bemühte sich, zur Wand blickend, das in ihm aufsteigende schlechte Gefühl niederzuringen. Er wollte am liebsten sofort aufstehen und erklären, daß er kein Wort mehr sagen werde, „bringen Sie mich meinetwegen aufs Schafott!“

„Meine Herren,“ sagte er plötzlich, nur mit Mühe sich bezwingend, „sehen Sie, ich höre Sie fragen, und es kommt mir dabei vor, wie ... Wissen Sie, ich habe zuweilen einen Traum, sehr oft sogar ... einen ganz besonderen Traum ... Mir träumt, daß mich jemand verfolgt, irgend jemand, vor dem ich mich entsetzlich fürchte, er verfolgt mich in der Dunkelheit, in der Nacht, sucht mich, und ich verstecke mich vor ihm hinter der Tür oder hinter einem Schrank, verstecke mich in ganz erniedrigender Weise, und die Hauptsache ist, er weiß ganz genau, wo ich mich vor ihm verstecke, aber er tut absichtlich, als wüßte er nicht, wo ich bin, er verstellt sich, um mich länger zu quälen, um sich an meiner Angst zu weiden ... Und so machen auch Sie es jetzt! Genau so!“

„Also solche Träume haben Sie?“ erkundigte sich der Staatsanwalt.

„Ja, solche Träume ... Aber wollen Sie das vielleicht nicht auch niederschreiben?“ fragte Mitjä mit boshaft verzogenem Lächeln.

„Nein, das wollen wir nicht niederschreiben, aber immerhin haben Sie doch interessante Träume.“

„Jetzt aber ist es kein Traum mehr! Das ist der Realismus, meine Herren, der Realismus des Lebens! Ich bin der Wolf, Sie sind die Jäger, nun, so hetzen Sie mich denn!“

„Sie haben ganz grundlos diesen Vergleich gemacht ...“ wollte der Untersuchungsrichter mit außerordentlich sanfter Stimme beginnen, doch Mitjä unterbrach ihn.

„Nein, nicht grundlos, meine Herren, nicht grundlos!“ Er brauste wieder auf, doch hatte er durch den Ausbruch des plötzlichen Zornes sein Herz erleichtert, und so wurde er jetzt mit jedem Wort wieder ruhiger und gutmütiger. „Sie können einem Verbrecher oder Verurteilten, den Sie mit Ihren Fragen foltern, meinetwegen nicht glauben, aber an dem edelmütigsten Menschen, meine Herren, an dem edelsten Aufschwung der Seele – das sage ich dreist! – nein! an dem dürfen Sie nicht zweifeln ... dazu haben Sie kein Recht ... aber –

‚Trage dein Leid, mein Herz,

Ergib dich und schweige!‘

Nun, was, – soll ich fortfahren?“ brach er finster ab.

„Bitte, haben Sie die Güte,“ antwortete der Untersuchungsrichter.

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