In der Kadettenanstalt zu Petersburg blieb ich fast acht Jahre, und in der neuen Umgebung traten viele meiner Kindheitseindrücke zurück, doch habe ich sie selbst dort nie ganz vergessen. Zum Ersatz dafür nahm ich so viel neue Angewohnheiten und sogar Anschauungen in mich auf, daß ich mich alsbald in ein wildes, grausames und albernes Wesen verwandelt hatte. Die Formen der Höflichkeit und des weltlichen Umgangs eignete ich mir zusammen mit der französischen Sprache an, die Soldaten aber, die uns in der Anstalt bedienten, wurden von meinen Kameraden nicht höher als das Vieh geachtet, und auch von mir nicht. Ich mißachtete sie vielleicht sogar am meisten von allen anderen Kameraden, denn ich war der Empfänglichste von ihnen. Als wir als Offiziere die Anstalt verließen, waren wir bereit, für die sogenannte Ehre unseres Regiments unser Blut zu vergießen; die wahre Ehre aber kannte niemand von uns, und wenn sie uns jemand erklärt hätte, so würden wir sie verlacht haben. Man prahlte mit Liederlichkeit, Trunkenheit und Wildheit. Ich kann nicht sagen, daß alle diese jungen Leute schlecht gewesen wären, nein, sie waren gut, aber sie führten sich nur schlecht auf, und von ihnen allen führte ich mich am schlechtesten auf. Die Hauptsache war, daß ich Geld hatte, und so lebte ich denn nur fürs Vergnügen, stürmte mit vollen Segeln ins Leben hinein, ohne meine jugendlichen Begierden zu zügeln. Aber eines ist wunderbar: ich las damals mit vielem Vergnügen Bücher, nur die Bibel habe ich nie aufgeschlagen, doch trennte ich mich niemals von ihr, ich führte sie überall mit mir: wahrlich, ich bewahrte dieses Buch auf, ohne zu wissen für welchen Tag, für welche Stunde, welchen Monat oder welches Jahr. So war ich schon seit vier Jahren Leutnant, als ich in der Stadt K. ankam, wohin unser Regiment verlegt worden war. Die Gesellschaft dieser Stadt war sehr lustig, gastfrei und reich. Man empfing mich überall äußerst liebenswürdig, denn ich war sehr lebhaft, und man hielt mich obendrein für reich, was in dieser Welt nicht wenig zu bedeuten hat. Da ereignete sich aber etwas, was den Anfang zu allem übrigen bildete. Ich verliebte mich in ein junges und schönes Mädchen, die Tochter geachteter Eltern; sie war klug und hatte einen edlen Charakter. Es war eine angesehene Familie, die Vermögen hatte und nicht geringen Einfluß besaß; ich wurde freundlich und zuvorkommend in ihrem Hause aufgenommen. Auch schien mir, daß das junge Mädchen mir wohlgeneigt war – und mein Herz flammte auf. Später kam ich zu der Überzeugung, daß ich sie gar nicht so sehr geliebt hatte, sondern nur ihren hohen Verstand und ihren Charakter verehrte, wie es auch nicht anders sein konnte. Meine Eigenliebe verhinderte aber, daß ich damals um ihre Hand anhielt; ich konnte mich nur schwer von meinem liederlichen und freien Junggesellenleben in so jungen Jahren trennen, besonders da ich zum Überfluß selbst Geld besaß. Indessen machte ich ihr aber Andeutungen. Auf jeden Fall schob ich einen entscheidenden Schritt noch hinaus. Da erhielt ich eine Abkommandierung auf zwei Monate in einen anderen Kreis. Als ich wieder zurückkehrte, erfuhr ich, daß das junge Mädchen sich mit einem reichen Gutsherrn aus der Nachbarschaft verheiratet hatte, einem jungen, wenn auch mir an Jahren überlegenen Mann, der obendrein zu reichen Familien in Petersburg Verbindungen hatte, was mir fehlte, und dazu ein sehr liebenswürdiger und gebildeter Mann war, während ich fast gar keine Bildung besaß. Ich war so betroffen von dieser unerwarteten Tatsache, daß ich fast meine Sinne verlor. Die Hauptsache bestand aber darin, daß, wie ich erfuhr, der junge Gutsbesitzer schon lange mit ihr verlobt gewesen war – ich selbst war ihm mehrere Male in ihrem Hause begegnet. So blind war ich also von meinen Vorzügen überzeugt gewesen, daß ich nichts von alledem bemerkt hatte! Das war es, was mich jetzt vor allem beleidigte. Wie, alle hatten es gewußt, nur ich allein hatte nichts davon gewußt? Eine schreckliche Wut packte mich. Ich errötete vor Scham, wenn ich daran dachte, wie oft es meinerseits fast zu einem Liebesgeständnis gekommen war, und da sie mich weder unterbrochen, noch gewarnt hatte, so hatte sie sich also, dachte ich bei mir, nur über mich lustig gemacht. Später freilich gestand ich mir ein, als ich mir alles klar ins Gedächtnis zurückgerufen, daß sie keineswegs über mich gelacht hatte, sondern stets bemüht gewesen war, solche Gespräche scherzend abzubrechen und auf anderes überzugehen. Doch damals hatte ich nicht die nötige Ruhe, um mir das einzugestehen: alles brannte in mir vor Rachedurst. Mit Verwunderung denke ich noch jetzt daran zurück. Diese Rachsucht und mein Zorn waren für mich selbst bis zum äußersten schwer zu ertragen, weil ich, als ein lebhafter und leichter Charakter, niemals lange auf irgend jemanden böse sein konnte. Damals aber nährte ich sie künstlich und stachelte sie in mir auf, bis ich schließlich widerlich und albern wurde. Ich wartete nun darauf, und es gelang mir auch, meinen „Gegner“ einmal in einer zahlreichen Gesellschaft, bei einem ganz nebensächlichen Anlasse, zu beleidigen. Ich verlachte eine seiner Meinungsäußerungen über eine damals wichtige Begebenheit, und wie viele behaupteten, soll es mir tatsächlich gelungen sein, ihn gewandt und geistreich zu verspotten. Ich zwang ihn zu einer Erklärung, und dabei verhielt ich mich so grob zu ihm, daß er meine Herausforderung sofort annahm, ungeachtet des großen Abstandes zwischen mir und ihm, da ich jünger und viel niedriger im Range war als er. Hernach erfuhr ich denn, daß er aus Eifersucht auf mich meine Herausforderung zum Duell sofort angenommen hatte. Er war auch früher schon, als er noch verlobt war, auf mich eifersüchtig gewesen, und so dachte er: „Wenn sie erfährt, daß ich eine Beleidigung von ihm ertragen habe, ohne ihn zum Duell herauszufordern, so wird sie mich verachten und ihre Liebe zu mir wird erkalten.“ Einen Sekundanten hatte ich bald zur Stelle, einen Kameraden, einen Leutnant unseres Regiments. Obgleich damals Duelle streng bestraft wurden, so waren sie doch bei dem Militär geradezu Mode, – bis zu solch einem Wahnsinn können sich manchmal Vorurteile festsetzen. Es war Ende Juni, unser Rendezvous war auf den nächsten Tag um sieben Uhr morgens außerhalb des Städtchens festgesetzt worden. Da ereignete sich in Wahrheit etwas Verhängnisvolles mit mir. Am Abend, als ich angetrunken und wütend nach Hause zurückkehrte, ärgerte ich mich über meinen Burschen Afanassij und schlug ihm mit ganzer Kraft zweimal ins Gesicht, so daß er blutete. Er diente schon lange bei mir, und es war auch schon früher vorgekommen, daß ich ihn geschlagen hatte, aber niemals noch hatte ich es mit einer so tierischen Roheit getan. Und glaubt es mir, meine Lieben, vierzig Jahre sind seitdem vergangen, aber noch jetzt denke ich mit Qual und Scham daran zurück. Ich legte mich schlafen und schlief drei Stunden. Als ich aufwachte, fing es gerade an zu tagen. Ich erhob mich sofort, denn ich wollte nicht mehr schlafen, ging ans Fenster, öffnete es – und lehnte mich zum Garten hinaus. Die Sonne ging gerade auf, es war warm und wundervoll, die Vögel zwitscherten. Warum, dachte ich, empfinde ich in meiner Seele etwas Schmutziges und Niedriges? Etwa deshalb, weil ich im Begriff war, Blut zu vergießen? Nein, denke ich, das ist es nicht. Vielleicht, weil ich den Tod fürchte und fürchte erschossen zu werden? Nein, das ist es auch nicht, das ist es erst recht nicht ... Und plötzlich wußte ich, um was es sich handelte: ich hatte gestern abend Afanassij geschlagen! Plötzlich sehe ich alles vor mir, als ob die Szene sich von neuem wiederholte: er steht vor mir, und ich schlage ihn mit voller Kraft ins Gesicht, er aber hält seine Hände an den Hosennähten, den Kopf gerade, die Augen, wie in der Front, geradeaus gerichtet. Bei jedem Schlage fährt er zusammen, und doch wagt er nicht, zum Schutze seine Hände zu erheben – und ich lasse mich so gehen und schlage einen anderen Menschen. Wie mit spitzen Nadeln stach es in mein Herz. Mir schwindelte. Die Sonne aber leuchtete so hell, die Blättchen blitzten feucht vom Tau, und die Vögel, die Vögel lobten Gott ... Ich bedeckte mein Gesicht mit beiden Händen, warf mich aufs Bett und schluchzte laut auf. Da erinnerte ich mich denn der Worte meines Bruders Markell, die er vor seinem Tode zu den Dienstboten gesagt hatte: „Ihr, meine Lieben, Teuren, warum dient ihr mir, und warum liebt ihr mich? Bin ich dessen wert, daß ihr mir dient?“ „Ja, bin ich denn dessen wert?“ ging es mir durch den Kopf. In der Tat, wodurch bin ich wert, daß ein anderer Mensch, so einer, wie ich es bin, das Ebenbild Gottes – daß er mir dient? Und zum erstenmal in meinem Leben ging mir diese Frage durch den Sinn ...
„Mütterchen, mein eigenes liebes Herzblut, in Wahrheit ist jeder vor allen schuldig, nur wissen es die Menschen nicht, wenn sie es aber wüßten, so würde sofort das Paradies auf Erden sein.“ „Herrgott, wie sollte das nicht wahr sein,“ denke ich und weine, „wahrlich, ich bin von allen Menschen auf der Welt der Schuldigste und Schlechteste!“ Und vor mir tauchte die ganze Wahrheit auf mit ihrem ganzen Licht. Was war ich im Begriff zu tun? Einen guten, klugen, edlen Menschen zu töten, der mir gegenüber keine Schuld hatte, und seine Frau auf ewig ihres Glückes zu berauben und sie zu quälen und gleichfalls zu vernichten! So lag ich auf dem Bett, das Gesicht in die Kissen gepreßt, und ich gewahrte nicht, wie die Zeit verging. Plötzlich tritt mein Kamerad, der Leutnant, der mein Sekundant sein sollte, mit dem Pistolenkasten unterm Arm, bei mir ein: „Gut,“ sagte er, „daß du schon angekleidet bist, es ist Zeit zum Aufbruch.“ Ich fuhr auf und konnte mich gar nicht fassen. Wir traten hinaus, um in den Wagen einzusteigen. „Warte hier einen Augenblick,“ sagte ich zu ihm, „ich laufe nur auf einen Moment hinein, habe mein Portemonnaie vergessen.“ Und ich lief in die Wohnung zurück, geradeswegs in die Kammer Afanassijs: „Afanassij,“ sage ich, „ich habe dich gestern zweimal ins Gesicht geschlagen, verzeihe es mir.“ Er fuhr zusammen, als hätte ich ihn erschreckt, er sieht mich erstaunt an – und ich sah, daß das zu wenig war, und plötzlich fiel ich, so wie ich war, in Uniform und Epauletten, vor ihm hin und mit der Stirn berührte ich die Erde: „Vergib mir!“ sagte ich. Da erstarrte er einfach: „Euer Wohlgeboren, Väterchen, Herr, was tun Sie ... bin ich es denn wert!“ und er brach in Tränen aus; gerade wie ich es getan hatte, bedeckte nun auch er mit beiden Händen sein Gesicht, wandte sich ab zum Fenster, und sein Körper wurde vom Weinen erschüttert. Ich lief hinaus zu meinem Kameraden, stieg in den Wagen und schrie dem Kutscher zu: „Fort!“ „Ich habe einen Sieger gesehen,“ rief ich meinem Kameraden zu „siehst du, hier steht er vor dir.“ Ein solches Entzücken hatte mich gepackt, ich lachte während der ganzen Fahrt und sprach und sprach, ich weiß nicht mehr, was ich sprach. Er sieht mich an: „Nun, Bruder,“ sagte er zu mir, „du bist ein ganzer Kerl, wirst der Uniform Ehre machen.“ So kamen wir am Orte an. Die anderen waren schon dort und erwarteten uns. Man stellte uns auf zwölf Schritt Distanz. Er hatte den ersten Schuß. Ich stand vor ihm, fröhlich, gerade mit dem Gesicht zu ihm, unbeweglich, Auge in Auge, sah ihn liebevoll an, und ich wußte, was ich tat. Er schoß ab, die Kugel schrammte ein wenig meine Wange und streifte mein Ohr. „Gott sei Dank,“ rief ich, „Sie haben keinen Menschen getötet!“ erhob meine Pistole, kehrte mich zurück und warf sie mit einem Bogen in den Wald: „Dahin,“ rief ich – „gehörst du!“ Darauf wandte ich mich an meinen Gegner: „Geehrter Herr,“ sagte ich, „verzeihen Sie mir dummen, jungen Menschen, daß ich Sie absichtlich beleidigt habe, und Sie durch mich jetzt gezwungen waren, auf mich zu schießen. Ich bin zehnmal schlechter als Sie und vielleicht sogar noch mehr. Berichten Sie das, bitte, der Dame, die Sie vor allen anderen Menschen auf der Welt am meisten achten.“ Kaum hatte ich das gesagt – so schrien sie alle drei. „Aber ich bitte Sie,“ sagte mein Gegner sehr geärgert, „wenn Sie nicht schießen wollen, wozu haben Sie uns denn hierher bemüht?“ – „Gestern war ich noch dumm, heute aber bin ich schon klüger,“ antwortete ich ihm lächelnd. „Was Sie von gestern sagen, glaube ich Ihnen, was Sie aber von heute sagen, so weiß ich noch nicht, ob ich Ihrer Meinung beistimmen kann.“ – „Bravo,“ rief ich aus und klatschte in die Hände, „auch darin bin ich mit Ihnen einverstanden, habe es verdient!“ – „Werden Sie schießen, mein Herr, oder nicht?“ – „Ich werde nicht schießen,“ antwortete ich, „aber wenn Sie wollen, so schießen Sie noch einmal, nur besser wäre es für Sie, nicht zu schießen.“ Die Sekundanten riefen, besonders der meinige: „Wie können Sie das Regiment so beschimpfen, daß Sie vor dem Schuß stehend um Verzeihung bitten? Wenn ich das gewußt hätte!“ Da stand ich nun vor ihnen; ich lachte aber nicht mehr: „Meine Herren,“ sagte ich, „ist es denn wirklich so erstaunlich in unserer Zeit, einen Menschen zu treffen, der seine Dummheit bereut und öffentlich seine Schuld eingesteht?“ – „Aber doch nicht vor dem Schuß!“ schrie wieder mein Sekundant. – „Das ist es ja,“ antwortete ich ihm, „das ist ja freilich sehr wunderlich, ich hätte gleich meine Entschuldigung machen sollen, als wir hierherkamen, noch vor Ihrem Schuß, und Sie nicht zu einer so großen und todbringenden Sünde zwingen sollen, aber wir haben uns in der Welt so sinnlos eingerichtet, daß mir anders zu handeln unmöglich war, ich mußte erst Ihren Schuß auf zwölf Schritt Distanz aushalten, um Ihnen allen meine Meinung darüber sagen zu können. Hätte ich es aber vor dem Schuß, als wir hier zusammentrafen, gesagt, so hätten Sie einfach geurteilt: Dieser Feigling, die Pistole hat ihm Angst gemacht! Meine Herren,“ rief ich plötzlich von ganzem Herzen aus, „sehen Sie um sich, auf diese Götterwelt: Der Himmel ist klar und die Luft ist rein, wie zart ist das Gras, wie schön und sündlos ist die Natur, nur wir, nur wir allein sind gottlos und dumm und verstehen nicht, daß das Leben ein Paradies ist – wenn wir es nur verstehen wollten, so würde die Erde in ihrer ganzen Schönheit zum Paradiese, und wir würden einander umarmen und vor Freude weinen ...“ Ich wollte noch weiter fortfahren, konnte aber nicht, der Atem ging mir aus, so selig, so jugendlich war mir zumute, das Herz voller Glück, wie ich es in meinem ganzen Leben nicht empfunden hatte. „Alles das ist sehr vernünftig und ehrenwert,“ sagte mein Gegner „und jedenfalls sind Sie ein origineller Mensch ...“ „Lachen Sie nur, später werden auch Sie mich loben,“ rief ich ihm lachend zu. – „Ich bin bereit, Sie schon jetzt zu loben, erlauben Sie, daß ich Ihnen meine Hand reiche, denn es scheint, daß Sie wirklich ein aufrichtiger Mensch sind.“ – „Nein,“ sagte ich, „jetzt ist das nicht nötig, später, wenn ich besser sein und Ihre Achtung verdient haben werde, dann reichen Sie mir Ihre Hand.“ Wir kehrten nach Haus zurück; mein Sekundant schimpfte mich während der ganzen Fahrt tüchtig aus, ich aber – küßte ihn. Sofort erfuhren es alle meine Kameraden und versammelten sich noch am selben Tage, um über mich Gericht zu halten: „Er hat das Regiment beschimpft, er soll seinen Abschied einreichen!“ Einige verteidigten mich und meinten: „Den Schuß hat er doch abgewartet.“ – „Ja, aber die anderen Schüsse hat er eben gefürchtet und daher um Verzeihung gebeten.“ – „Aber, wenn er die Schüsse gefürchtet hätte,“ erwiderten die Verteidiger, „so hätte er erst aus seiner Pistole geschossen und dann um Verzeihung gebeten, er aber warf sie geladen in den Wald! Nein, dem liegt etwas anderes zugrunde, etwas Originelleres.“ Ich hörte ihnen zu; mir war so heiter zumut, wenn ich sie so anschaute: „Meine lieben Freunde und Kameraden, sorgen Sie sich nicht um meinen Abschied; ich habe ihn schon eingereicht, heute morgen, und sobald ich ihn erhalte, gehe ich sofort ins Kloster – darum habe ich es getan.“ Als ich das kaum ausgesprochen hatte, lachten alle bis auf den Letzten laut auf: „Ja, wenn du uns das nur gleich mitgeteilt hättest, so wäre uns ja alles klar geworden, einen Mönch kann man doch nicht verurteilen!“ Sie lachten und hörten gar nicht auf damit, aber nicht spöttisch, sondern freundlich und heiter lachten sie. Und alle liebten sie mich plötzlich, sogar meine heftigsten Ankläger, und den ganzen Monat, solange ich meinen Abschied noch nicht erhalten hatte, trugen sie mich fast auf den Händen: „Ach, du Mönch,“ sagten sie. Und jeder hatte für mich ein freundliches Wort. Sie beredeten mich und bedauerten mich sogar: „Was machst du aus dir?“ – „Nein,“ sagten sie, „er ist tapfer, er hat den Schuß nicht gefürchtet und auch selbst hätte er geschossen, ihm hatte aber die Nacht vorher geträumt, daß er Mönch werden sollte, und daher ist alles gekommen.“ Dasselbe geschah mit mir auch in der Gesellschaft. Früher hatte man mich nicht sonderlich beachtet, obgleich man mich überall freundlich empfangen hatte, jetzt aber kannten mich alle und luden mich täglich zu sich ein: sie lachten dabei über mich, aber sie liebten mich. Ich muß noch bemerken, daß, obwohl allgemein in der Gesellschaft und öffentlich über das Duell gesprochen wurde, die Obrigkeit die Sache geflissentlich übersah; da mein Gegner ein naher Verwandter unseres Generals war, und da die Sache so günstig und ohne alles Blutvergießen verlaufen war, ganz wie ein Scherz, und da ich zudem meinen Abschied eingereicht hatte, so faßte man denn auch wirklich die ganze Sache nur als Scherz auf. Ich sprach daher ganz offen über die Sache, ungeachtet ihres Gelächters, denn ich wußte, ihr Lachen war nicht böse, sondern gut gemeint. Dieses Gespräch war an den Abenden besonders beliebt; in der Damengesellschaft hörte man mir gerne zu, und die Damen forderten auch ihre Männer auf, mir zuzuhören. „Wie ist denn das möglich, daß ich allen gegenüber schuldig bin?“ fragte mich ein jeder und lachte mir ins Gesicht, „wie soll ich denn zum Beispiel Ihnen gegenüber schuldig sein?“ – „Ja, wie sollten Sie das wohl wissen,“ antwortete ich ihnen, „da die ganze Welt schon seit langem einen anderen Weg eingeschlagen hat, und die Lüge als Wahrheit anerkannt ist, und daher auch ein jeder vom anderen solche Lüge verlangt. Einmal im Leben habe ich aufrichtig gehandelt, und da erscheine ich nun Ihnen allen als Geistesschwacher: obgleich Sie lieb zu mir sind, so lachen Sie doch alle über mich.“ – „Wie sollte man Sie, so wie Sie sind, nicht lieben?“ sagte laut die Hausfrau und lächelte mir zu. Es war bei ihr eine zahlreiche Gesellschaft versammelt. Und plötzlich sehe ich, löst sich aus der Gesellschaft eine Dame und tritt auf mich zu. Es war dieselbe junge Dame, um derentwillen es zum Duell gekommen war, und die ich mir noch vor kurzer Zeit als Braut zugedacht hatte. Ich hatte es nicht bemerkt, daß auch sie sich im Salon befand. Sie kam auf mich zu und reichte mir die Hand: „Erlauben Sie, bitte, Ihnen zu sagen, daß ich nicht über Sie lache, im Gegenteil, mit Tränen in den Augen danke ich Ihnen, und ich drücke Ihnen meine Hochachtung aus, die ich für Sie wegen Ihrer Tat empfinde.“ Da kam auch ihr Mann auf mich zu, reichte mir die Hand, und die ganze Gesellschaft umringte mich und drückte mir somit ihr Mitgefühl aus. Es fehlte nicht viel, so hätten sie mich alle umarmt. Mir war sehr froh zumute. Damals fiel mir aber besonders ein Herr auf, ein älterer Herr, der auch zu mir herangetreten war, den ich wohl dem Namen nach kannte, doch mit dem ich noch nie ein Wort gewechselt hatte.