g) Vom Gebet, von der Liebe und von der Berührung mit anderen Welten

Jüngling, vergiß nicht das Gebet. Jedesmal, wenn dein Gebet aufrichtig ist, taucht eine neue Empfindung in dir auf und mit ihr ein neuer Gedanke, den du früher nicht gekannt hast; er wird dich von neuem stärken, und du wirst begreifen, daß Gebet Erziehung ist. Vergiß auch nicht, jeden Tag und so oft du nur kannst, also zu beten: „Herr, erbarme dich aller, die vor dich hintreten.“ Denn in jeder Stunde und in jedem Augenblick verlassen Tausende von Menschen ihr Leben auf dieser Erde, und ihre Seelen treten vor Gott – und viele von ihnen scheiden einsam von dieser Erde, von niemand gekannt, in Kummer und Trauer, daß sich niemand um sie bekümmert, ja, nicht einmal gewußt hat, ob sie gelebt haben oder nicht. Und siehe, vom anderen Ende der Welt erhebt sich dein Gebet zu dem Herrn und bittet um die Seelenruhe des Verlassenen, obgleich du ihn nicht kanntest und er nicht dich. Wie wird es aber seiner Seele sein, wenn er in dem Augenblick, da er in Furcht vor Gott steht, fühlt, daß auch für ihn jemand betet, und daß auf der Erde ein menschliches Wesen lebt, das auch ihn lieb hat? Ja, und auch Gott wird milde auf euch beide schauen, denn hast selbst du mit ihm Mitleid, um wieviel mehr wird er Mitleid haben, der so unendlich viel mildtätiger und mitleidiger ist als du? Und er wird ihm vielleicht um deinetwillen vergeben. Brüder, vor der Sünde der Menschen schreckt nicht zurück, liebet den Menschen auch in seiner Sünde, denn das ist das Ebenbild der göttlichen Liebe und das Höchste der Liebe. Liebet die ganze Schöpfung Gottes, das ganze All, wie jedes Sandkörnchen. Jedes Blättchen, jeden Strahl Gottes liebet. Liebet die Tiere, liebet jegliches Gewächs und jegliches Ding. Wenn du jedes Ding lieben wirst, so wird sich dir das Geheimnis Gottes in den Dingen offenbaren. Ist dir dies offenbar geworden, so wirst du jeden Tag immer mehr und mehr die Wahrheit erkennen. Und schließlich wirst du die ganze Welt mit allumfassender Liebe umspannen. Liebet die Tiere, denn Gott hat ihnen den Urgrund des Denkens und harmlose Freudigkeit verliehen. Stört sie nicht, quält sie nicht, nehmet ihnen nicht die Freude, handelt dem Gedanken Gottes nicht zuwider. Der Mensch überhebe sich nicht den Tieren gegenüber, sie sind sündlos, du aber, Mensch, mit deiner Größe, du versetzest mit deinem Erscheinen die Erde in Fäulnis und läßt Spuren der Verwesung hinter dir, und leider tut das fast jeder von uns! Besonders liebet aber die Kinder, denn sie sind sündlos wie Engel. Sie leben zu unserer Freude, zur Reinigung unserer Herzen als Hinweis und Beispiel für uns. Wehe dem, der ein Kind kränkt. Mich lehrte der Pater Anfim die Kinder lieben; er ist gut und schweigsam. Auf unserer Wanderschaft kaufte er ihnen für die wenigen Kopeken, die man ihm schenkte, Pfefferkuchen und Zuckerwerk; er konnte an ihnen nicht vorübergehen, ohne daß sein Herz erbebte. So ist der Mensch. Vor gar manchem Gedanken bleibt man im Zweifel befangen stehen, besonders wenn man die Sünden der Menschen sieht, und man fragt sich: „Soll man es mit Gewalt anfassen oder mit demütiger Liebe?“ Entscheide dich immer für „demütige Liebe.“ Wenn du dich ein für allemal dazu entschlossen hast, so wirst du die ganze Welt bezwingen. Die „demütige Liebe“ ist eine furchtbare Kraft; sie ist die allergrößte Kraft, und ihresgleichen gibt es nicht. Jeden Tag, jede Stunde und jede Minute gib acht auf dich, damit dein Antlitz rein sei. Wenn du böse mit einem schlechten Wort und haßerfüllter Seele an einem Kinde vorbeigehst, das du vielleicht nicht einmal beachtet hast, und es sieht dein häßliches und verzerrtes Antlitz – siehe, so prägt es sich in sein schutzloses Herzchen ein. Du weißt es nicht einmal und hast doch Schlechtes in sein Herz gesät, und der schlechte Same wird aufgehen, und das alles nur, weil du in der Gegenwart des Kindes nicht auf dich acht gegeben hast, und weil du keine umsichtige und tatkräftige Liebe in deinem Herzen hegtest. Brüder, die Liebe ist eine große Lehrerin, man muß verstehen, sie zu erwerben; das aber ist sehr schwer – man muß sie teuer erkaufen durch lange andauernde Arbeit, denn nicht zufällig und auf einen Augenblick muß man lieben, sondern fortwährend und ewig. Zufällig kann jeder lieben, sogar der Bösewicht kann zufällig lieben. Mein Bruder bat die Vöglein um Verzeihung. Das scheint einem sinnlos, und doch tat er recht, denn alles ist wie ein Ozean, alles fließt und berührt sich. An einem Ende der Welt verursachst du eine Bewegung, und am anderen Ende der Welt hallt sie wider. Mag es sinnlos sein, die Vöglein um Verzeihung zu bitten, doch den Vögeln, den Kindern, ja, allen Tieren wäre es leichter in deiner Nähe, wenn du selbst besser und begeisterter wärest, und wenn auch nur um ein wenig mehr als sonst. Alles ist wie ein Ozean, sage ich euch. Wärest du besser, so würdest du auch zu den Vöglein beten, in Begeisterung und Verzückung, gequält von deiner allumfassenden Liebe, und du würdest bitten, daß sie dir deine Sünde verzeihen. Halte fest deine Begeisterung, wie sinnlos sie den Menschen auch scheine.

Meine Freunde, bittet Gott um Fröhlichkeit, seid fröhlich wie die Kinder, wie die Vögel des Himmels. Und die Sünde der Menschen soll euch nicht bekümmern in eurer Tätigkeit, und fürchtet euch nicht, daß sie euch an der Vollendung eurer Tat hindern könnte, saget nicht: „Stark ist die Sünde, stark ist die Ehrlosigkeit, stark ist die schlechte Umgebung, wir stehen allein und sind machtlos, die schlechten Einflüsse werden uns verderben und uns an der Vollendung unseres guten Werkes hindern.“ Laßt solch eine Verzagtheit fern von euch sein, meine Kinder! Dafür gibt es nur eine Rettung. Mache dich selbst für die Sünden der Menschen verantwortlich. Ja, mein Freund, es ist in Wahrheit so, wenn du dich nur aufrichtig für alle und alles verantwortlich machst, so wirst du auch einsehen, daß es in der Tat so ist, daß du allen gegenüber für alle schuldig bist. Wenn du aber deine Faulheit und deine Ohnmacht den Menschen zur Last legst, so wirst du in satanischen Hochmut verfallen und wider Gott murren. Vom satanischen Hochmut denke ich folgendes: Es ist schwer, ihn hier auf Erden immer zu erkennen, darum können wir ihm so leicht verfallen, selbst wenn wir meinen, groß und gut zu handeln. Ja, viele der stärksten Regungen und Gefühle unserer Natur können wir, solange wir auf Erden sind, nicht durchschauen und erkennen, aber lasse dich nicht verführen zu denken, daß das zu deiner Rechtfertigung dienen könnte, denn der ewige Richter fragt dich nicht nach dem, was du nicht erreichen, sondern nach dem, was du erreichen konntest. Du wirst dich noch selbst davon überzeugen, wenn du das berücksichtigst, und du wirst alles richtig erkennen und mit niemandem mehr hadern. Wahrlich wir irren auf der Erde herum, und wenn wir das Vorbild Christi nicht hätten, so würden wir uns gänzlich verirren und schließlich umkommen wie das Menschengeschlecht vor der Sintflut. Vieles auf der Erde ist uns verborgen, dafür ist uns aber das geheimnisvolle Bewußtsein der lebendigen Bande mit einer anderen Welt verliehen, mit einer höheren und erhabeneren Welt, denn unsere Gedanken und Gefühle hier auf Erden wurzeln in anderen Welten. Darum behaupten auch die Philosophen, daß man das Wesen der Dinge hier auf Erden nicht erkennen könne. Gott nahm die Samen, die er auf unsere Erde säte, aus anderen Welten, und es erwuchs ihm sein Garten, und alles ist aufgegangen, was aufgehen konnte, und alles, was wahrhaft lebendig ist, ist nur durch das Bewußtsein der Berührung mit den anderen geheimnisvollen Welten lebendig; wenn sich dieses Gefühl abschwächt, oder wenn es abstirbt, so stirbt auch das Lebendige in dir. Dann wirst du auch dem Leben gegenüber gleichgültig und kannst es sogar hassen. Also denke ich.

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