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Taufe. Durch die große, leere Pfarrkirche heult die Orgel, schwillt an, bricht dröhnend ab. Auf dem hohlen Bretterbelag des Hauptganges hallen die Schritte. Es riecht süß und schwer, einschläfernd. Aus dunklen Nischen, von brennenden Kerzen umrahmt, Gestalten mit unverständlichen Gesten. Drohen sie, locken sie? Fritzl taumelt an der Hand des Kindermädchens durch die tobende Stille; er fürchtet sich namenlos, läßt sich in eine tiefe, lange Bank ziehen, sitzt still und zitternd. Weit, endlos weit weg, um den Kanzelpfeiler geschart, eine Gruppe Menschen. Dort soll Papa sein, Mama, die Onkel und Tanten? Unerreichbar!

Plötzlich ein scharfer, durchdringender Ton, herrisch, Beachtung fordernd. Fritzl fühlt: so schreit das neue Wesen, um das sich jetzt alle so sehr kümmern. Er hat die Schwester noch nicht gesehen. Als ihn der Vater an die Wiege führte, war ihm unsäglich aufgeregt, alles zu gräßlichem Weiß verschwommen. Er weiß nur, daß ein Neues zwischen ihm und den Eltern ist, weit gefährlicher als die älteren Brüder. Das schreit nun dort. Und es sind doch alle bei ihm. Er aber, Fritzl, ist allein und weit, weit fort.

Wieder zu Hause. Der große Salon voll Leuten. Im Speisezimmer eine reichgedeckte Tafel. Aus der Küche riecht es nach guten Dingen. Felix und Max sind da. Sie müssen die fremden Onkel begrüßen. „Verbeugen! Hand küssen!“ kommandiert der Vater. Fritzl tut betäubt mit. Dann werden sie alle aus dem Zimmer geschoben. Alle drei. Hinter ihnen sagt jemand: „... die drei Brüder.“ Fritzl hört die Gleichstellung und ist sprachlos überrascht.

Felix und Max sind in der Schule. Der Jüngste sitzt allein an dem großen Tisch des Kinderzimmers. Das Mädchen bringt ihm, fertig auf dem Teller, Maronipüree mit Schlagrahm, dicke Schokolade, süßes Gebäck. Fritzl ißt ohne Freude. Durch leere Nebenzimmer hört er den Lärm der großen Tafel. Eine Einsamkeit, zu mächtig für den kleinen Körper, droht ihn zu sprengen. Er weint. Draußen vertropft ein Regenabend. Und alles ist grau.

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