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Die Großstadt erdrückte den Jungen fast. Er sah, wie auch der Vater vor dem hastigen Getriebe viel von seiner starren Würde verlor. Kein Schutzmann, kein Schaffner grüßte mehr, der Herr Sanitätsrat samt seinem Sohne ging spurlos in der Menge unter. — Felix war vom Vater hinausbestellt worden, um die Einzelheiten der Immatrikulation und Vorlesungswahl zu erledigen. Er prunkte mit seiner genauen Kenntnis der Universitätsverhältnisse und seine Stimme fiel bei der Miete eines Kostquartiers entscheidend ins Gewicht. Fritz ließ, halb betäubt, alles geschehen. Bald sehnte er sich nach dem Tag, wo der Vater mit Felix abreisen und diese letzte Bevormundung aufhören würde — bald fürchtete er das endgültige Alleinsein. Sein Körper machte ihm Sorge, durch ständige, bleierne Müdigkeit. Dann kamen wieder Augenblicke eines übernatürlichen Hellempfindens, in denen er sich wie abgehäutet vorkam, als ob jeder Laut, jede Farbe unmittelbar auf seine nackten Nervenstränge träfe. Dann konnte ihn die weite Aussicht über lange Reihen riesiger Prunkbauten fast weinerlich stimmen. Oft genügte ein Stück klaren Herbsthimmels in einem rußigen Dachausschnitt, um ihm den süßen Schmerz des Fremdseins zu vermitteln. — Der Vater führte ihn in die Oper. Und als auf ein dumpfes Glockenzeichen die riesige Halle in Dunkel versank und aus einem unsichtbaren Orchester mit unerhörter Gewalt die Carmen-Ouvertüre aufquoll, ein Katarakt von Klängen ihn umbrauste, die alle auf ihn, auf ihn zielten, da schlug der Junge stöhnend die Hände vors Gesicht, daß die Nachbarn mißbilligende Blicke warfen und der Vater ihn mit hartem Griff zum Anstand mahnte. Das Bühnenbild des ersten Aktes, der riesige Volksaufwand, die Chöre, die wie Glocken dröhnten, die Solostimmen, die übermenschlich schienen, — dies alles steigerte seine Erschütterung ins Unerträgliche. — Beim Fallen des Vorhangs, als jäh die schmerzende Lichtflut niederbrach, lehnte er totenblaß und bebend in seinem Sitz und bat den Vater flehentlich, sie sollten fortgehen. Der wollte zunächst nichts davon wissen, die teuren Sitze ungenützt verfallen zu lassen. Nach einem prüfenden Blick auf die verstörte Haltung des Jungen willigte er aber doch ein. Fritz kämpfte sich wie ein Ertrinkender durch das Gewühl und zog vor dem Portal die bittere Nachtluft in verzweifelten Zügen ein, als sei er dem Erstickungstode knapp entronnen. Der Vater polterte über die verrückten Faxen. Fritz hörte ihn kaum mehr, stolperte im Halbschlaf durch die Straßen bis zum Hotel.

Am nächsten Abend fuhr der Vater mit Felix zurück. Fritz hatte sie zum Zuge begleitet und stand benommen auf dem weiten Bahnhofsplatz. Das war nun die Freiheit! — Das Gewirr der Straßenbahnen, die mit bunten Glotzaugen aus dem Abenddunst auftauchten, kreischend durch die Kurven bogen und mit singenden Motoren hielten und wieder anfuhren; die Quecksilberlampen, die grelle Leichenfarbe über die Gesichter gossen; Lichtreklamen auf den Dächern, und der eigene, herbe Geruch in der Luft, dieser Großstadtgeruch, der ihm nach tagelangem Einatmen immer noch beizend neu war, aus Teer- und Asphaltqualm, Pferdeurin und Kohlenrauch gemischt. — Das zerrte und rüttelte an seinen überwachen Sinnen. Und einen Augenblick lang tauchte vor seinen Augen das Eßzimmer zu Hause auf, mit der großen Lampe und dem dunklen Scheitel der Schwester im Lichtkreis — dann zwang er die weiche Regung wütend nieder: was Teufel, Heimweh! Weil er’s schon gar so gut gehabt hatte! Und er rief die Erinnerung an alle Bitternisse seiner Jugendjahre wach, eingebildete und wirkliche, biß trotzig die Zähne aufeinander und stürzte sich in das Gewühl vor ihm, um den weiten Weg zu seinem Quartier zu Fuß zurückzulegen. Vielleicht ließen sich gleich ein paar kleine Abenteuer mitnehmen? — Bald lag der weite Platz hinter ihm, er kam durch stille Nebengassen, an Haustüren vorbei, aus denen süßlicher Frauendunst schlug, an dicht verhängten Fenstern, hinter denen Grauenhaftes vorgehen mochte. In jedem kleinen Kaffeehaus witterte er eines der Nachtlokale, die ihm als der Höhepunkt des Lebensgenusses vorschwebten. Es mochten harmlos biedere, kleine Spießerbuden sein — aber seine wilde Phantasie bildete sie um zu Stätten der Unzucht und unerhörter Ausschweifung. Es trieb ihn, einzutreten, einen Geldschein auf den Tisch zu werfen, herrisch nach Wein und Weibern zu rufen — doch ging er immer weiter. Wütend stellte er sich vor, daß es nun keinen Rektor mehr zu fürchten gab, keinen Krach zu Hause — er war frei, frei, zum Henker! — Sein ängstlich klopfendes Herz war anderer Meinung und drängte ihn immer wieder vorbei. Es wurde spät. Die Dienstmädchen, die Hunde an die Luft geführt hatten, verschwanden von der Straße. Die Haustüren wurden geschlossen. Nun begann wohl das Nachtleben, und was sich jetzt noch unterwegs zeigte, das waren sicherlich Dirnen, Lebemänner wie er und Zuhälter. Nun, mochte ihn nur eine ansprechen, er war gewappnet. „Wieviel verlangst du denn? Mehr als zwei Mark zahle ich nicht!“ Ach ja, man war nicht durchaus Provinzler, wenn man auch aus der Kleinstadt kam ...

Als er aber an einer Straßenecke an einer Gruppe von drei dicken Frauen vorbeikam, die ihm liebreich und eindringlich den Weg zu verstellen trachteten und ihn mit halb geflüsterten Einladungen überschütteten — da verflog die eingebildete Sicherheit im Nu, er bog rasch ab und begann zu rennen. Und plötzlich ertappte er sich dabei, wie er mit wütenden Fausthieben sich die Schenkel spornte und anfeuernd „Falko, Falko!“ keuchte. An der nächsten Hauptstraße erst machte er halt. Das Blut wallte ihm stoßweise in Augen und Ohren. Schwindel und die jähe Müdigkeit, die ihn nun so oft befiel, zwangen ihn, sich an eine Hausmauer zu lehnen. Endlich winkte er, um seinen ersten Abend nicht allzu kläglich verloren geben zu müssen, einen Mietswagen herbei, fuhr an seinem Wohnhause, das ihm zu ärmlich schien, vorbei bis zu einem Prunkbau, der wenige Schritte weiter stand. Dort stieg er ab und gab angemessenes Trinkgeld, daß ihn der Kutscher auf Portokassenraub einschätzte. Dann drückte er sich in den Torbogen, um den Wagen wegfahren zu lassen, bemerkte zu spät, daß der Prunkbau eine Bank und sein harmloser Betrug also mißglückt war, und kam endlich erschöpft in seinem Kämmerchen an.

Am nächsten Morgen erwachte er mit einem eindringlich faden Geschmack im Munde. Beim Zähneputzen bemerkte er Blutspuren und schrieb sie der scharfen Bürste zu. Als die Erscheinungen aber die nächsten Tage hindurch wachsend anhielten, zugleich mit Schwindel, Atemnot und der toten Müdigkeit, die ihn nun selten verließ, da entschloß er sich, einen Arzt aufzusuchen. Er geriet an einen Spezialisten für Nase, Ohren und Kehlkopf, der sich von der Behandlung des schmächtigen Studentleins wohl keinen sonderlichen Gewinn versprach, ihm also nur flüchtig und obenhin Hals und Rachen abspiegelte und ihn mit wenigen flüchtigen Worten als gesund entließ. Fritz glaubte ihm gerne und nahm sich fest vor, nun, da auch dies letzte Bedenken, Krankheit, zerstreut war, unverweilt die Genüsse des Nachtlebens auszukosten. Er wagte es sich nicht einzugestehen, daß weit weniger Sorge wegen seines Unwohlseins als allgemeine Schüchternheit der Grund seiner bisherigen Zurückhaltung gewesen war. Der Zufall führte ihn einer Rotte von Landsleuten in den Weg, die ein Jahr vor ihm abituriert hatten, und nun vor dem jungen Finken großspurig die Weltstädter mimten. Es wurde ein rauschendes Fest, zunächst in einem Winkelcafé, bei reichlichen Schnäpsen, stundenlanges Billard- und Kartenspiel, wobei Fritz übel Geld zusetzte. Dann, in einem Vorstadtgasthause, ein Abendessen mit Bier und Wein. Nach mancherlei Bierspielen, wobei immer neue Runden ausgelost wurden, kamen tobende Chorgesänge und endlich führte der und jener Kraftstücklein vor. Auch Fritz versuchte sich darin, hob einen der klobigen Sessel an einem Bein vom Boden auf, hob und senkte ihn mit gestrecktem Arm. Plötzlich war es ihm, als ob tief in seiner Brust etwas risse und zugleich fühlte er es warm im Halse aufsteigen. Sein erster Gedanke war Übelkeit — der viele Alkohol. Doch da war wieder der eindringliche, fade Geschmack, stärker als je zuvor, die Mundhöhle lief voll, das Atmen wurde ihm schwer — und im nächsten Augenblick drang ihm Blut, schaumig und hell, aus Mund und Nase. Die Zechbrüder, jäh ernüchtert, machten Miene aufzubrechen. Nur der Seßhafteste, schweren Rausch im Nacken, dröhnte in die Stille: „Was denn — das bissel Nasenbluten — da graust’s euch schon? Was wollt ihr dann bei schweren Säbeln machen, wenn der ganze Kerl rot ist, daß man das Paukhemd nicht mehr sieht? — Jetzt wegrennen, lächerlich! Jetzt wird’s erst lustig! — Da, sauf eins, das hilft!“ Das galt Fritz. Doch der saß halb betäubt da und stierte auf das blutgetränkte Taschentuch, das auf die haltende Hand rot abfärbte. Er fühlte weder Angst noch Schmerz, nur ein dumpfes Staunen — warum das, warum gerade ihm, der sich so rasend nach Freiheit gesehnt, sie sich in langen Jahren strengster Zucht weiß Gott verdient hatte? — Endlich rief er den Kellner. Die anderen bürdeten ihm, wiehernd über den guten Witz, dreiviertel der Zeche auf, daß der Rest seiner Barschaft drauf ging. Sein Aufbruch weckte eine Flut von derben Späßen, Anspielungen auf seine unmännliche Weichheit. Keiner dachte daran, ihn zu begleiten, als er unsicher und langsam hinausschlich.

Draußen auf der Straße überfiel ihn, ungewohnt wie immer, der beizende Stadtgeruch. Seine überreizten Nerven witterten Drohung und Verachtung aus dem fremden Dunst. Da lag die große Stadt mit ihren Lüsten und Freuden, schickte höhnisch ihren Hauch bis zu ihm, der müde und einsam an ihrem Rande hinschlich, von ihrem Leben ausgeschlossen.

Als er am nächsten Morgen nach wüsten Träumen spät erwachte, überfiel ihn schreckhaft die Erinnerung an die nächtlichen Erlebnisse. Sein Lebensgefühl bäumte sich wütend auf — es durfte, durfte nicht sein, daß eine Knochenhand ihm nun das Glas vom Munde schlug, kaum daß er an seinem Rand genippt hatte. Da draußen lärmte und rief das Leben, die Freude, und er versäumte in der engen, sonnenlosen Kammer kostbare Zeit? Er sprang aus dem Bett, und schickte sich an, den Tag unbekümmert zu beginnen. Doch ein neuer Anfall, stärker, anhaltender als der erste, warf ihn alsbald röchelnd auf die Knie. Blutbesudelt schleppte er sich endlich zum Bett zurück. In seinem Hirn glitten, wie hinter grauen Schleiern, matte Gedanken — frei sein, jedes Zwanges ledig — doch sie hatten ihre wilde Triebkraft eingebüßt, konnten die starre Ruhe nicht brechen, die über ihn gekommen war. Er lag still. So fand ihn die Kostfrau, die das Kaffeebrett brachte. Sie hielt die dunklen Flecke auf Diele, Möbeln und Bett wohl für Rotwein und wollte heftig ausbrechen. Doch die totbleiche Ruhe des jungen Menschen, der dort schweratmend lag, nahmen ihr rasch den Irrtum: ein Kranker, Sterbender wohl gar — Rettungsgesellschaft, Spital. Dies ihre nächste Regung. Dann erinnerte sie sich an den Vater des Jungen, dessen Erscheinung von Würde und behäbigem Wohlstand gesprochen und ihr so ausgezeichnet gefallen hatte, überschlug blitzrasch das nette Sümmchen, das bei häuslicher Pflege zu verdienen sein müßte, und beschloß endlich, einmal eine Ausnahme zu machen und ihr gutes Herz frei walten zu lassen.

Als Fritz aus seinem dumpfen Halbschlaf erwachte, fand er sich sauber gebettet, einen Eisbeutel auf der rechten Brust, einen auf dem Kopf. In der Zimmerecke stand die Kostfrau und schien lebhaft gerührt. Am Fußende seines Bettes aber saß ein fremder, bärtiger Mann, hielt sein Handgelenk prüfend in weichen, feuchten Fingern und begann ihm, als er die Augen aufschlug, tröstlich zuzureden: „Ja, ja, Sohnerl, es geht uns nicht recht gut — ein bissel rasch gewachsen sind wir, hoch aufgeschossen, nicht wahr, und für die rechte Breite hat’s nicht gereicht. Na, das werden wir schon kriegen, — nur schön ruhig liegen bleiben, ganz, ganz ruhig, damit die Blutung nicht wiederkommt! — Da hab’ ich ein paar Pulver aufgeschrieben, die nehmen Sie schön brav — die Frau Specht weiß Bescheid. Gegen Abend schau’ ich wieder her! Und nicht traurig sein, Sohnerl, ja nicht sich aufregen — es wird hoffentlich alles wieder gut!“ Fritz wurde weinerlich zumute beim Klang der tiefen, leisen Stimme. Doppelt stark empfand er das namenlose Unrecht, das ihm mit dieser Krankheit widerfuhr, fühlte brennendes Mitleid mit sich selbst. Dabei wehrte sich etwas in ihm gegen die weiche Art des fremden Arztes, gegen die rührselige Geschäftigkeit der Kostfrau. Er suchte sich vorzustellen, was wohl der Vater gesagt haben würde: „Du bist doch ein heilloser Schafskopf, legt sich hin und spuckt Blut!“ Und zum ersten Male wurde ihm klar, wieviel Aufmunterung und Ansporn doch in dieser scheinbaren Härte gelegen, und wie unbedingt geborgen er sich immer dabei gefühlt hatte. Für Trost und Mitleid waren ja die Mutter da und Gretl. Gretl! Da kamen wieder die verfluchten Tränen. — Als aber die Kostfrau, die vor Stolz auf den eigenen Opfermut jede Selbstbeherrschung verloren hatte, rührselige Mutterlaute von sich gab, um das wilde Heimweh des armen, armen jungen Menschen zu bannen, da bellte er sie böse an: „Was? Wer weint? Ich? Ein’ Dreck! — geben Sie mir frisches Eis!“ So daß die gute Frau Specht, schmerzlich berührt von so viel Undank, eine wesentliche Erhöhung der Pflegekosten beschloß.

Der Gedanke übrigens kam ihm nicht, daß diese Krankheit sein Tod sein könnte. Keinen Augenblick schwankte die feste Überzeugung in ihm, daß ihm das Leben reiche und stürmische Freuden aufbewahrte. Dies dumme Bettliegen — ein weiterer Aufschub nach achtzehn Jahren schwer ertragener elterlicher Zucht, ein Aufschub, widerlich, aufreizend durch seine grausame Sinnlosigkeit — aber doch nur ein Aufschub. Durch das schmale Fenster klang der Puls der großen Stadt. „Wart’ du, wir rechnen noch ab!“

Die Genesung wurde nochmals durch einen bösen Blutsturz unterbrochen. Einen Todesfall wollte Frau Specht doch nicht gerne im Hause haben. In ihrer Angst holte sie einen zweiten Arzt herbei, der sich von da ab mit dem ersten in die Behandlung teilte und den Jungen reichlich mit Medikamenten fütterte. Um für alle Fälle gedeckt zu sein, telegraphierte die gute Frau aber auch dem Vater und, doppelt reißt nicht, dem Bruder des Kranken, beiden gleich: „Fritz schwer erkrankt, bitte sofort kommen!“ Beide machten sich sofort auf. Um aber für die Dauer der eintägigen Reise den Jungen nicht ohne Pflege zu lassen, telegraphierte der Vater einem Studienfreunde, der es in der Hauptstadt zum weltberühmten Professor gebracht, und unabhängig davon, Felix einem Geheimrat, in dessen Hause er viel verkehrt hatte. Die beiden Geheimräte erschienen fast gleichzeitig und ließen, in peinlicher Wahrung ärztlichen Anstands, die behandelnden Ärzte herbeiholen. So fand sich Fritz als Mittelpunkt eines vierköpfigen Konsiliums und fühlte ungeahnte Wichtigkeit — Frau Specht erstarb in demütiger Freude über die große Ehre. Und: ein Mann, der mit Geheimräten Freundschaft hielt und seine Söhne von ihnen behandeln ließ, der würde auch einer armen Quartierfrau die aufopfernde Pflege zu lohnen wissen.

Spät abends traf der Vater ein. Frau Specht empfing ihn im Vorraum, wollte sich in aufgeregte und weinerliche Schilderung des furchtbaren ersten Schrecks verlieren; und dennoch habe sie sich entschlossen, das große Opfer zu bringen, aus Mitleid mit dem armen, jungen Menschen ... Sie wurde betrübt und enttäuscht durch die abweisende Bemerkung, der Transport in ein Krankenhaus wäre zweifellos richtiger gewesen. Dann betrat der Vater das Krankenzimmer, wo Fritz ihn schlaflos erwartete. „Schöne Geschichten führst du auf!“ Dies die Begrüßung. Dann eine rasche Prüfung der Fiebertabelle und der Rezepte, einige kurze Fragen an Frau Specht, die gekränkt, doch selbstbewußt Auskunft gab. Und als Fritz seine eigenen Beobachtungen äußern wollte, ein kurzes: „Du halt den Mund und liege still, das ist das einzig Vernünftige!“ Und zu seinem eigenen Erstaunen empfand Fritz keine gehässige Auflehnung gegen des Vaters schroffen Ton, fühlte sich sogar getröstet und innerlich befreit, als der Vater fortfuhr: „Soviel ich bis jetzt sehe, ist die ganze Sache gar nicht schlimm — nur maßlos übertrieben.“ Dies mit einem Seitenblick auf Frau Specht, der ihren Zahlensinn aufpeitschte. „Die arme Mama und Gretl ängstigen sich halb zu Tod — ich muß ihnen gleich telegraphieren. Morgen spreche ich mit deinen Ärzten. Auch ein Unsinn übrigens, gleich zwei zu rufen! Also schau, daß du einschläfst!“ Fritz fühlte kurz des Vaters fleischige, kühle Hand auf seiner Stirn. Dann war er allein. In sein leises Eindämmern verfolgte ihn die Frage, warum ihn die kurze Berührung wohl so glühend durchzuckt hatte. Und er träumte von früher Kindheit.

Die Ereignisse des nächsten Morgens ließen die versöhnliche Stimmung rasch verfliegen: gründliche Untersuchung und Besprechung ergaben, daß die rechte Lunge, zwar durchaus nicht ernsthaft, leider aber in nächster Nähe einer größeren Arterie angegriffen sei. Daher die starke Blutung. Nun sei, im Hinblick auf die schmächtige Schlankheit des Jungen, größte Vorsicht geboten, besonders aber der weitere Aufenthalt in der Großstadt undenkbar. Die Geheimräte legten dem Vater nahe, den Jungen auf ein, zwei Jahre in einen der großen Schweizer Höhenkurorte zu schicken. Dabei müßte, nach menschlicher Voraussicht, eine endgültige Heilung nahezu sicher zu erreichen sein. Die andern beiden Ärzte schlossen sich dem Urteil der Berühmtheiten ehrfurchtsvoll an. Auch Felix sprach dafür. In ihm kämpfte die bittere Erinnerung an die Umstände, die den Verlust seines Auges begleitet hatten, mit dem halb väterlichen Wunsche, dem jüngsten Bruder ein besseres Los zu sichern. Fritz war ja noch so jung — knapp achtzehn Jahre — hatte durch blindes Glück beim Abiturium eben erst ein Jahr erspart, in den ersten Universitätssemestern versäumte er ohnehin wenig, konnte auch auf eigene Faust anfangen ...

Der Vater blieb allen Vorstellungen taub: „Daran ist nicht zu denken! Den Buben etwa zum Weltreisenden erziehen? Er kann’s gar nirgends besser haben als zu Hause — gute Kost und Pflege — und ich habe ihn immer unter den Augen! Und kurz und gut — der Junge kommt nach Hause!“

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