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In einer Nacht wacht Fritz von leichtem, lockeren Husten auf. Ein süßer, fader Geschmack im Mund, ein Rasseln in der Luftröhre — und mit einem Schlag bricht in sein verschlafenes Hindämmern die Erkenntnis: eine neue Blutung! Er liegt starr, bewegungslos, horcht in sich hinein, wie das Blut mit jedem Atemzuge steigt, fällt, steigt, fällt, mit einem Geräusch, wie wenn leiser Wind Fallaub vor sich hertreibt. Mit weitoffenen Augen stiert er in die trostlose Dunkelheit. Wo ist nun die Schwester, hilfsbereit, mit leichten, kühlen Händen! Oder die ängstliche Sorgfalt der Mutter? Es ist wohl nur ein kleiner Anfall — doch immerhin: er könnte auch arg sein, und er liegt da, allein in einer Mietskammer, könnte ersticken in strömendem Blut ... Die Lippen beginnen weinerlich zu zucken, doch er beißt sie wütend fest. Denn durch die seidige Dunkelheit klingt eine tiefe Stimme: „Da liegt nun der Waschlappen und heult! Will immer den großen Weltreisenden spielen, und heult, um ein paar Tropfen Blut! Gar nichts fehlt dem Lehmpatzen!“ Des Vaters Stimme — und im Augenblick weicht das lähmende Entsetzen, das weinerliche Mitleid mit sich selbst. Was denn! Eine Blutung? So spuckt man eben Blut! Daß es aus der Lunge kommt, und nicht etwa aus der Nase, oder aus einem Riß im Finger, oder aus einem schlechten Zahn — das geht keinen Teufel was an. Nur nichts reden davon! — Wenn er den Wirt ruft? Der kann nichts helfen, aber er schickt ihn womöglich ins Krankenhaus. Und wenn die in der Bank davon erfahren, so geht’s ihm noch schlimmer. Sechs Wochen Krankengeld und die Entlassung! Die Entlassung! Und er sieht sein Zimmer zu Hause vor sich, mit dem peinlich geordneten Schreibtisch, sieht sich mit dem Schuster Karten spielen. Und die häßlichen Häuser, die öden Rübenfelder dahinter grinsen durch die Fenster herein: „Bist du wieder da? Nun lassen wir dich nicht mehr!“ — Vorbei die Sehnsucht nach Pflege, nach ein wenig Verzärtelung, selbst nach der Schwester lieben Händen. — Erst große Worte — wir müssen alle unsre Eltern morden — und dann winselnd unterkriechen, sobald es einmal schief geht? Nein, stark bleiben, einsam bleiben, sich selbst helfen, aus eigener Kraft ... „Der Alte kriegt mich nicht wieder unter die Fuchtel, und wenn mich der Teufel holt!“

Da sagt sehr deutlich die tiefe Stimme aus der Nacht: „So gefällst du mir!“ Und in zwei strengen Augen, auf Lippen, die ein eisengrauer Bart umrahmt, springt ein kurzes Lächeln auf. Fritz fühlt es wie eine unerhörte Liebkosung, die den starren Druck von ihm nimmt, fühlt dankbare Hingegebenheit: Vater! Und versinkt in erlösenden Schlaf.

Das Erwachen bei Tageslicht bringt mit der Erinnerung an die Nacht jähes Erschrecken zurück. Doch einen Augenblick nur — dann ist die lächelnde Entschlossenheit wieder da. Gut, man trug ein Gerippe Huckepack mit sich, das einen gelegentlich mit kaltem Knochenfinger antippte und ans Grab mahnte. Gut, verfluchtes Gerippe, mitschleppen muß ich dich — aber unterkriegen sollst du mich nicht, du nicht und dein boshafter Meister nicht, der läppische Gott, der dich mir ins Genick gesetzt hat.

Er tritt auf die Straße hinaus, spuckt knallend vor sich hin und sieht mit bitterem Stolz den dunklen Blutfleck auf dem grauen Pflaster. Ein Schicksal, hart zu tragen! Aber er war der Mann dazu!

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