Die Beziehung zu Gitta hat sich irgendwie verschoben. Keine Abkühlung, o nein; keine Abkühlung. Aber das warme Gefühl der ersten Tage ist manchmal wie überwuchert von fremdartigem Gerank. Wünsche sind aufgewacht, heiße Wünsche, die Fritz sich kaum einzugestehen wagt und die ihm doch mit lastender Süße im Blute liegen und nicht zu verscheuchen sind. Und Gitta, als ob sie seine Gedanken erriete, zeigt oft unvermittelt heftige Abwehr, jähes Erröten. In Gegenwart der Mutter oder bei Spaziergängen und Ritten durch dicht belebte Straßen ergibt sich immer wieder der alte, übermütige Plauderton. Sobald sie aber alleine sind, außer Sehweite fremder Augen, stellt sich unfehlbar die unerklärliche Befangenheit ein. Kaum, daß ein Wort gesprochen wird. Sie verständigen sich mit Blicken und Gebärden, gehemmt, wie Kinder. Und doch liegt ein Reiz in diesem wortlosen Nebeneinander, den sie beide immer wieder suchen. —
Gitta hat gewünscht, den Abendanstand auf Schakale oder Füchse am Köder mitzumachen. So fahren sie am frühen Nachmittag eines Sonnabends bis zu den Kalifengräbern und wandern von dort zu Fuß ins Mokhattamgebirge hinein. Fritz trägt im Rucksack eine alte Henne, die unwillig gackert. In einem engen Seitental, an dessen steilen Rändern frischbefahrene Baue kenntlich sind, wird halt gemacht. Die Henne bekommt eine Schlinge um den Leib und wird an einen Ginsterbusch festgebunden. Von ihrem Ständer läuft eine dünne Schnur zwanzig Meter weit weg, bis zu dem erhöhten Felsblock, hinter dem die Jäger sich verbergen. Regloses Warten beginnt. Die Henne hat ihren anfänglichen Widerstand gegen die Fesselung aufgegeben und hockt teilnahmslos da. Ein Ruck an der dünnen Schnur weckt gackernden Einspruch. Doch das Raubzeug bleibt taub — weder Fuchs noch Schakal läßt sich sehen. Es ist auch noch früh — kaum Sonnenuntergang. — Reglos warten, reglos. Jede unzeitige Bewegung kann den Erfolg gefährden. —
Gitta sitzt mit untergeschlagenen Beinen auf dem feinen Sandboden, das Gewehr über die Knie gelegt. Fritz kauert halb knieend hinter ihr. An seiner rechten Schulter fühlt er die Wärme ihres Arms, ihres Rückens. Wenn er leise, vorsichtig, den Kopf vorstreckt, weht ihn aus dem offenen Kragen der Hemdbluse der reine Atem des Mädchenleibes an; ein loses Haar spielt an seiner Wange. Unter der dünnen Schläfenhaut sieht er das Blut pochen. Nieempfundenes greift ihm ans Herz: letzte Schranken fällen — eins werden mit dem geliebten und doch so fremden Leib da — die eigene Körperlichkeit aufgeben, um sie verdoppelt wieder zu empfangen ....
Oh, wer nun rein wäre, unberührt, nicht das Zerrbild gieriger, gleichgültiger oder gekaufter Umarmungen mit sich schleppte, wie ein Schandmal!
Doch Gitta ... wenn sie ahnte? Und ihre Mutter? — Schändlicher Vertrauensmißbrauch, Ehrlosigkeit ... Und er zwingt sich zu starrer Ruhe, wenn auch sein Herz wütend flattert. —
Rotes Dämmerlicht mit violetten Schatten. Die Köderhenne hat sich müde gezappelt, achtet kaum mehr auf das Rucken der dünnen Leine, kauert aufgeplustert neben dem Ginsterbusch. Da schrillt ein heiserer Schrei aus der Luft — ein großer Weißkopfgeier streicht niedrig über den Talkessel, wendet scharf, als er die Henne erspäht und will niederstoßen. Im Augenblick hat Gitta das Gewehr an der Wange, die starke Korditladung bellt auf, einmal, zweimal ... im Doppelschuß überschlägt sich der riesige Vogel, stürzt schwer in den Sand, knapp neben der entgangenen Beute, nach der er verzuckend noch die Fänge reckt.
Gitta bejubelt den glücklichen Schuß in wildem Tanz, und Fritz, von ihrer Freude mitgerissen, tobt mit ihr um die Wette. Da gleitet sie auf dem steinigen Hang aus, droht zu stürzen, Fritz will sie auffangen, und der Wirbel wirft sie gegeneinander.
Fritz fühlt ihre Last in den Armen, fühlt ihre Arme um seinen Hals — da preßt er sie wie rasend an sich, sucht die roten, starken Lippen und verliert sich in den namenlosen Schauern des ersten Kusses. — Die Füße in den Sand gestemmt, schwankend im Takt des jagenden Pulsschlages, stehen sie umschlungen, und ihr Atem mengt sich keuchend. — Als die Lippen voneinander lassen, späht er ängstlich in ihr Gesicht, bereit, seine Arme zu lösen, in den Tod zu rennen, wenn sie ihn verdammt ...
Doch nur Liebe, unendliche Liebe, strahlt aus den großen Augen. Und sie flüstert: „Du hast dich gequält ... ich weiß ... Sei froh, du, sei froh! Ich hab dich lieb! Sei froh!“
Da überfällt ihn haltloses Weinen, furchtbar, ein Schluchzen, das die Brust zerreißen will. Er bricht ins Knie, hält ihre Hand mit seinen beiden umfaßt und würgt abgerissen hervor: „Weißt du denn ... wieviel Schmutz ...“ — Doch die kleine Hand schließt ihm den Mund. Gitta beugt sich über ihn, trinkt küssend seine Tränen, murmelt: „Laß ... Laß ... Sei froh, du, sei froh!“