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Wolkenloser Frühling. Auf den Feldern wuchern meterhoch die jungen Halme. Gegen den Wüstenrand zu wird das dunkle Grün lichter, schütterer, verliert sich in kümmerlichen Hälmchen. Im Herbst aber wird das neue Stauwerk einsetzen, wird die zeugenden Wasser des Stromes weiter in das durstige Land hineinpressen, die Sakkîjen, Schaddûfs und die archimedischen Schnecken, da und dort wohl schon dampfgetriebene Drehpumpen, werden sie über Bodenschwellen heben, weiterdrücken, weiter ins Land. Und wieder wird ein neues Stück Wüste seine stolze Keuschheit verlieren, wird Frucht empfangen müssen und gebären. —

Die Wachteln, Bekassinen und Wildtauben sind aus dem Süden gekommen, sammeln letzte Kräfte zu dem Flug über das weite Meer. Wißt ihr nicht, ihr Wanderer, daß an den Inselküsten erbarmungslose Feinde euch erwarten? Daß viele Tausende in Stecknetzen, in Lockgarnen, in Fallen aller Art, oft unter rohen Knüppeln elenden Tod finden müssen, ehe die kühlen Ährenfelder des Nordens euch aufnehmen? Wißt ihr das nicht? Seht doch den Überfluß ringsum: Warum wollt ihr die reiche Tafel verlassen? Lockt es euch so übermächtig, das Rauschen der Bäche und der Wälder, die Glocken aus alten Zwiebeltürmen über abendliches Land klingen zu hören? Geht ihr Wanderer — Glück auf euren Weg! Bald folge ich euch!

An einem Morgen liegt feiner weißer Dunst über dem Himmel. Die Sonne blickt glanzlos, als matte Scheibe, gibt keinen Schein. Unerträgliche Spannung in der Luft — die Menschen kriechen müde, reizbar durch den schattenlosen Tag: Chamsîn!

Hier in der Stadt zeigt er nur noch das bleiche Grinsen, zu dem sein Antlitz nach tobender Wut erstarrt ist; nur ein letzter Hauch seines sengenden Atems weht jetzt durch die Straßen. Wieviel Leben aber magst du draußen in der Wüste vernichtet haben, die dir wehrlos untertan ist? Wieviel Grabhügel hast du über erstickten Menschen, über Tragtieren, über Nomadenzelten getürmt, verblasen und nochmals getürmt? Wieviel Mordlust hast du geweckt, wieviel lasterhafte Brunst entfacht, Vater des Bösen, Teufelsatem, Chamsîn? —

Nun kommt die heiße Zeit. Die Sandstürme folgen einander in kurzen Pausen, scheuchen Schlaf und Ruhe. Die letzten Touristen fliehen eilig. Die Stadt wird sommerlich still. Kutscher und Eseltreiber sind demütig auf bescheidenen Verdienst erpicht. Der halbflüssige Asphalt hemmt klebrig jeden Schritt. —

Draußen die Wüste, windstill in trockener Glut. Die Hitze legt sich eng um den Körper, wie ein Gewand. Ein langer Abschiedsritt durch die Hügel und Täler des Mokkhattam. Weit draußen im Wadi Dukla, im Windschutz eines Felsblockes, der Abdruck eines kleinen nackten Fußes im hartblätterigen Sand: Gitta! Da liegt er schon lang hingestreckt, das Gesicht in die schlanke Fährte gepreßt, tastet mit zuckenden Lippen die Umrisse nach: Gitta, Gitta! Und die kleine weiße Narbe glüht.

Vorbei auch das! — Fritz steht wieder fest auf beiden Beinen und umfaßt mit einem langen Blick das tausendfarbige Sandmeer: Laß mich dich trinken, fremde Schönheit, erfülle mich mit deinem Licht, daß es mir graue Tage unter einem Himmel erhellen mag, der deine Farben nicht kennt. Von dorther kam ich, aus grauen Nebeln — dorthin muß ich zurück! Auch dort liegt ein Geheimnis auf dem Grund der Dinge, in Wald und Bächen, und in den flachen Feldern noch, die sich endlos dehnen. Doch ist es süß und tief, birgt fruchtbaren Frieden, nicht Tod und Qualen, wie dein glühender Schoß, du prunkende Fremde!

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