12.

N

Nachdem er auf der langen Reise

Sich und sein Pferd halb tot gehetzt,

Sich nur an kurzem Schlaf geletzt,

Sich nur genährt mit knapper Speise,

Mit kargem Trank erfrischt, gelangte

Der Zaubrer in des Sultans Reich,

Und bald vor seinen Augen prangte

Die Hauptstadt, wo sein Schurkenstreich

Ihm damals kläglich war mißlungen.

In einem kleinen Gasthaus stieg

Er ab, um seinen Rachekrieg

Zu fördern durch Erkundigungen.

Das Wichtigste ward ihm natürlich

Enthüllt, bevor ein Tag verfloß;

Denn alle Welt sprach unwillkürlich

Von Aladdin und seinem Schloß.

Er ließ zu dem berühmten Bau

Von seinem Wirt sich hingeleiten,

Und als er ihn von allen Seiten

Beschnüffelt hatte ganz genau,

Da wußt' er, daß dem Aladdin

Zu einem Werk von solcher Größe

Nur jene Lampe Kraft verliehn.

Er gab sich selber Rippenstöße

Vor Ärger, weil dies Meisterstück

Ihn völlig erst ermessen lehrte,

Was ihm entgangen war, und kehrte

Zu seinem Gasthaus dann zurück.

Wo mochte wohl die Lampe stecken?

Wenn ihren Aufbewahrungsplatz

Er fähig wäre zu entdecken,

Dann könnt' er den ersehnten Schatz

Von ihm erlisten, Raub um Raub,

Und von der angemaßten Zinne

Zurück ihn schmettern in den Staub.

Er nahm behend wie eine Spinne,

Die rastlos webt an ihrem Netze,

Das Zauberviereck wieder vor,

Und durch die magischen Gesetze,

Die mit Gekritzel er beschwor

Und knifflicher Berechnungsart,

Ward bald unfehlbar ihm verraten:

Die Lampe war im Schloß verwahrt.

Der Zufall, der verruchten Taten

Oft beisteht, war auch ihm gewogen.

Willkommen traf die Nachricht ihn,

Daß vor drei Tagen Aladdin

Auf eine große Jagd gezogen

Und fern sei bis zum Wochenschluß.

Er trat in eines Klempners Laden

Und sagte: "Freund, es soll dein Schaden

Nicht sein, wenn du mir dienst. Ich muß

zwölf Lampen haben, nagelneu,

Von blankem Kupfer." "Meiner Treu,"

Erwiderte mit breitem Lachen

Der Klempner—denn er war erfreut,

Solch glänzendes Geschäft zu machen—

"Gleich zwölf? So viele hab' ich heut

zwar nicht auf Lager; doch bis morgen

Werd' ich die fehlenden besorgen."

Mit einem Korb am Arme kam

Der Zaubrer wieder tags darauf,

Verpackte drin den ganzen Kram,

Gab für den abgeschlossnen Kauf

Weit höhern Preis als nach Verpflichtung,

Bewegte dann sich in der Richtung

Des Schlosses langsam durch die Stadt

Und zwang das Volk, dem Ruf zu lauschen:

"Hört, hört! Wer alte Lampen hat,

Kann hier sie gegen neue tauschen."

Die Leute dachten allgemein:

"Der Mensch da hat wohl einen Sparren."

Die Kinder hielten ihn zum Narren

Und liefen gröhlend hinterdrein.

Ihn aber konnt' es nicht beirren;

Er ließ im Korb die Lampen klirren

Und wiederholte hundertmal

Aus Leibeskräften sein Gekrähe

Bis in des Schlosses nächste Nähe.

In ihrem großen Kuppelsaal

Saß Bedrulbudur. Das Gehöhne

Der Kinder und die schrillen Töne

Des Rufers drangen auch zu ihr,

Und einer Sklavin aufzutragen

Gebot ihr drum die Wißbegier,

Sie mög' hinuntergehn und fragen,

Was dieser wüste Lärm bedeute.

Die Sklavin ging und lachte hell,

Da sie zurückkam: "Der Gesell,

Der dort umringt wird von der Meute,

Ist ohne Zweifel gänzlich toll.

Sein Tragkorb ist von einem Haufen

Der schönsten neuen Lampen voll;

Er aber will sie nicht verkaufen,

Nein, will sie tauschen gegen alte."

Auch der Prinzessin Lachen schallte

Nun laut und klang im Echo nach,

Bis eine andre Sklavin sprach:

"Vergib mir, Herrin; doch ich finde,

Da sich's um alte Lampen dreht

Und gleich hier neben auf dem Spinde

Zufällig eine solche steht,

So könnte man, wenn's dir beliebt,

Erproben, ob der Kerl tatsächlich

Für diese da, die schon gebrechlich,

Uns eine nagelneue gibt."

Dem stimmte die Prinzessin zu.—

Klang dir im Innern keine Warnung,

O Bedrulbudur? Ahntest du

Nicht schmählichen Betrugs Umgarnung?

Die Wunderlampe war's, die dort

Unscheinbar stand seit ein paar Tagen,

Weil Aladdin, der immerfort

Sie sonst mit sich herumgetragen,

Aus Furcht, sie könn' in Wald und Feld

Verloren gehn, nicht auf die Jagd

Sie mitgenommen. Wer nun fragt,

Warum aufs Spind er sie gestellt,

Anstatt sie sorgsam einzuschließen,

Den darf die Antwort nicht verdrießen,

Daß hin und wieder ein Versehn

Wohl jedem unterläuft im Leben,

Und daß die Allerklügsten eben

Die dümmsten Fehler oft begehn.

Die Sklavin nahm die Lampe, trug

Zum Zaubrer hurtig sie hinunter,

Hielt ihm sie hin und sagte munter:

"Wenn diese da dir alt genug,

Gib eine neue mir zum Tausche."

Zugreifend voll Begier verschlang

Er mit den Augen seinen Fang

In schlecht verhehltem Freudenrausche;

Dann ließ er unters Kleid ihn wandern.

Den Korb jedoch mit den zwölf andern

Wies er der Sklavin vor zur Wahl.

Sie wählte lachend, und die Rotte

Begoß ihn mit vermehrtem Spotte.

Doch er, geschmeidig wie ein Aal,

Entkam durch eine Seitengasse,

Ließ dort, sobald ihn dieser Schlich

Geborgen hatte vor der Masse,

Den angefüllten Korb im Stich

Und lief davon, sein Gasthaus meidend.

Was lag ihm noch an seinem Pferd?

Was lag an andrem Geldeswert?

Jetzt war nur eins für ihn entscheidend!

Nachdem er eine halbe Meile

Vorm Stadttor endlich Halt gemacht,

Beschloß er, noch für eine Weile

Sich zu gedulden, bis die Nacht

Ihm Schutz vor Überrumplung böte.

Erst als im Westen sich verlor

Der letzte Schein der Abendröte,

Zog er die Lampe sacht hervor

Und rieb sie.

"Was ist dein Begehr?"

So rief im nächsten Augenblicke

Der Geist, an Länge, Breite, Dicke

Fünfmal so massig wie ein Bär;

"Die Lampe macht es mir zur Pflicht,

Daß ich gehorsam dich bediene."

Der Zaubrer sprach mit Siegermiene:

"Du sollst das Schloß, das jener Wicht

Von dir sich hat erbauen lassen,

Mit seinen sämtlichen Insassen

Und mir zugleich alsbald von da

Forttragen durch des Äthers Wellen

Und an dem Punkt in Afrika,

Wo ich daheim bin, niederstellen."

Gehorsam seinem neuen Meister

Vollzog der Geist noch in der Nacht

Mit Hilfe seiner Nebengeister

Den Auftrag.

Zeitig aufgewacht

Begab der Sultan sich wie täglich

Zum Fenster, um in froher Schau

Zu mustern den erhabnen Bau.

Sein Staunen aber war unsäglich,

Als er den leeren Platz erblickte,

Vom Schloß dagegen keine Spur.

Er rieb die Augen sich, er zwickte

Sich in den Arm; dies konnte nur

Entweder Trug sein oder Traum!

Doch welche Vorsicht er auch übte,

Die Sonne schien, kein Wölkchen trübte

Den Himmel bis zum fernsten Saum.

Unzweifelhaft, er träumte nicht!

Mit steifem, starrem Angesicht

Stand er und stand wie angewurzelt

Und murmelte: "Das Schloß ist fort,

Soviel steht fest. Wär's eingepurzelt,

So lägen doch die Trümmer dort.

Der Kuckuck weiß, was hier geschehn!"

Zum Schluß, wie stets in schweren Fällen,

Ließ er dem Großvezier bestellen,

Er wünsche schleunigst ihn zu sehn.

Der Großvezier kam angerannt;

Der Sultan faßte seine Hand,

Zog ihn zum Fenster hin und fragte

Voll Spannung: "Wirst du was gewahr

Vom Schloß, das gestern hier noch ragte?

Mich foppt, so scheint's, mein Augenpaar."

Der Großvezier war höchst betroffen;

Jedoch er sammelte sich bald.

"Herr," sprach er, "liegt nunmehr nicht offen,

Was mir schon längst für sicher galt,

Wenngleich du mir nicht beigepflichtet?

Dies Schloß, ich wiederhol' es frei,

So schnell verschwunden wie errichtet,

Es war ein Werk der Zauberei."

Der Sultan, der dem Lästerwort

Nicht mehr zu widerstehn vermochte,

Ward kirschrot im Gesicht; er kochte

Vor Zorn und fluchte: "Pest und Mord!

Ein Gauner, listig und verlogen,

Hat an der Nase mich gezogen!

Wo ist der Schurk', der das gewagt?

Noch heute soll sein Blut verschäumen!"

Drauf jener: "Herr, laß uns nur säumen,

Bis er zurückkehrt von der Jagd."

"Nichts da! Das wäre zu viel Schonung,"

Entgegnete der Sultan wild;

"Vom Henker werd' ihm die Belohnung,

Mit der man Hochverrat vergilt.

Geh', schick' ihm dreißig Reiter nach!

Die sollen unterwegs ihn greifen,

Verhaften und mit Schimpf und Schmach

Gefesselt vor mein Antlitz schleifen!"

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