13.

A

Auf seinem Rückweg nach der Stadt

Begriffen, ahnungslos und heiter,

Traf Aladdin die dreißig Reiter.

Ihr Hauptmann grüßte höflich glatt,

Und er, von Heimweh schon beschwingt

Und in der Meinung, jene wären

Vorausgesandt zu seinen Ehren,

Sah sich mit einem Schlag umringt.

"Mir ziemt, mein Prinz, dich aufzuklären,"

Begann der Hauptmann; "doch ein Sprecher,

Der Unheil meldet, spricht nicht gern.

Uns ward vom Sultan, unsrem Herrn,

Befohlen, dich als Staatsverbrecher

In Haft zu nehmen und gefangen

Zu führen vor sein Angesicht."

"Sag' nur, was hab' ich denn begangen?"

Rief Aladdin mit heißen Wangen.

Drauf jener: "Prinz, das weiß ich nicht."

"Wohlan, da habt ihr mich. Vollzieht,

Was eures Amts! Ich folg' euch willig,

Ist's auch gewiß nicht recht und billig,

Was unverschuldet mir geschieht."

Er warb vom Pferd geholt, an Armen

Und Hals mit Ketten fest umschnürt

Und so zum Schrecken und Erbarmen

Des Volkes in die Stadt geführt.

Der Liebling aller war in Not!

Man wußte nicht, aus welchem Grunde,

Sah nur ihn von Gefahr bedroht

Und wollte drum, zu raschem Bunde

Vereinigt, ihm die Freiheit schaffen.

Ein Teil ergriff metallne Waffen,

Ein andrer Steine, Knüttel, Stangen,

Den Reitern sperrend Weg und Raum;

Mit ihrem Häftling konnten kaum

Sie bis in den Palast gelangen.

Der Sultan, der bereits ihr Nah'n

Erwartet hatte vom Altan,

Befahl dem Henker, alsogleich

Dem Schändlichen, der sein Vertrauen

Getäuscht, mit einem scharfen Streich

Das Frevlerhaupt herabzuhauen.

Es ward ihm keine Frist verliehn,

Sich durch Verteidigung zu retten;

Der Henker hieß, nachdem die Ketten

Ihm abgestreift, ihn niederknien,

Band ihm sodann die Augen zu,

Erhob das Richtschwert, wie befohlen,

Um auf des Herrschers Wink im Nu

zum Streich gewaltig auszuholen.

Aladdins schlimmste Stunde

Aladdins schlimmste Stunde

Da—was ist das? Was dröhnt und gellt?

Was schwillt und wirbelt, brandend, brausend?

Vom Volke haben viele Tausend

Im Aufruhr den Palast umstellt.

Man reißt und rüttelt an den Mauern,

Man bricht aus ihnen Stein um Stein,

Und lange kann es nicht mehr dauern,

Da stürzen sie zertrümmert ein,

Und alle Tore klaffen splitternd.

"O Herr, bedenk'!" so wendet zitternd

Zum Sultan sich der Großvezier,

"Schau hin, wie meuterische Horden,

Vollständig zügellos geworden,

Gleich einem grimmen Riesentier

Sich gegen deine Mauern türmen!

Der Mensch hat auch dein Volk behext,

Und wenn du diesen Spruch vollstreckst,

Dann wird es den Palast erstürmen."

Der Sultan fuhr erschreckt zusammen.

Er merkte wohl, daß durch den Tod

Prinz Aladdins das Reich in Flammen

Auflodern würde. Drum gebot

Er dem verblüfften Henker knapp

Vorm Streich, das Leben ihm zu lassen;

Der nahm die Binde von ihm ab,

Und den erregten Menschenmassen

Ward mit Trompetenstoß verkündigt,

Der Sultan habe kurz und gut,

Wie sehr auch Aladdin gesündigt,

Ihn zu begnadigen geruht.

Dies Wort, voll Beifallslärm umtönt,

Goß Öl in die erzürnten Wogen;

Die sämtlichen Empörer zogen

Nach Haus beschwichtigt und versöhnt.

Doch Aladdin, als er befreit

Sich sah, hob zum Altan die Hände:

"Herr," bat er flehentlich, "vollende

Die Gnade, die du mir geweiht,

Und sage mir, durch welch Verbrechen

Verdient' ich solch ein Strafgericht?"

"Ei, willst du dich noch gar erfrechen,

Zu tun, als wüßtest du das nicht?

Komm'," rief der Sultan, "komm' hierher!

Dein Stolzes Schloß, wo mag es liegen?

Zeig' mir's! Nicht finden kann ich's mehr."

Als Aladdin emporgestiegen,

Ließ er ihn durch das Fenster blicken

Und fragte barsch: "Was siehst du da?"

Der Ärmste glaubte zu ersticken,

Als er die leere Stelle sah.

Versteinert, reglos blieb er stehn,

War nicht imstande, sich zu sammeln,

Geschweige denn ein Wort zu stammeln.

"Nun sprich! Kannst du dein Schloß erspähn?"

So forschte jener streng und hart.

"Bekenne, wo es hingekommen,

Und was aus meiner Tochter ward!"

"Mein Fürst," sprach Aladdin beklommen,

"Obgleich ich selbst nicht ahnen kann,

Was mittlerweil sich hier begeben,

So schwör' ich dir bei meinem Leben,

Ich habe keinen Teil daran!"

Der Sultan schrie: "Du Strolch, mitnichten

Entschuldigst du dein Bubenstück!

Gern will ich auf das Schloß verzichten;

Jedoch mein Kind gib mir zurück!

Sonst lass' ich meinem Wort zum Trotz

Dir deinen Kopf herunterschlagen,

Als wäre der ein Tannenklotz."

"Herr, eine Frist von vierzig Tagen

Gewähre mir!" bat Aladdin.

"Ich werde, sollt' es mir mißlingen,

Verlornes wiederzuerringen,

Mich meiner Strafe nicht entziehn."

Der Sultan sagte: "Wohl, so sei's;

Ich will dir diese Frist vergönnen.

Du würdest doch um keinen Preis

Dem Rächerarm entrinnen können."

Bekümmert, mit gesenktem Haupt

Schlich Aladdin wie ausgestoßen

Von dannen, und dieselben Großen,

An deren Freundschaft er geglaubt,

Die gestern noch ihm auf dem Fuß

Gefolgt, um sich vor ihm zu bücken,

Vermieden heute seinen Gruß

Und kehrten lieblos ihm den Rücken.

Was konnt' er tun? Wohin sich wenden?

Er lief, im Kopfe wirr und kraus,

Umher, die Stadt von Haus zu Haus,

Von Tür zu Tür nach allen Enden

Durchwandernd, ohne zu verstehn,

In welcher Absicht, fragte jeden

Mit abgeriss'nen irren Reden,

Ob irgendwer sein Schloß gesehn.

Gar manche wurden übermannt

Von Mitleid; andre wieder lachten

Ihn aus, vermutlich, weil sie dachten,

Er sei nicht richtig bei Verstand.

Nachdem er so mit müdem Blick

Drei Tage lang herumgeschlendert,

Wollt' in der Stadt, wo sein Geschick

Sich so bejammernswert geändert,

Er nicht mehr weilen, sondern trollte

Sich ohne Plan hinaus aufs Feld.

Unendlich lag vor ihm die Welt;

Nur wußt' er nicht, wohin er sollte.

"Weh mir! Ich ward so bettelarm,

Daß ich mein traurig Los verfluche!"

So rief er aus in bittrem Harm.

"Wenn ich den Erdkreis auch durchsuche,

Beharrlich pilgernd Jahr um Jahr,

Wo find' ich die Geliebte wieder?

Weit besser, daß die Augenlider

Der Tod mir schließt auf immerdar!"

Er näherte sich einem Fluß

Und wollt', um seine Qual zu kürzen,

Sich mit verzweifeltem Entschluß

Kopfüber in die Fluten stürzen.

Es war um Sonnenuntergang;

Der Feuerball mit letztem Blinken

Schien ihm den Abschiedsgruß zu winken.

Ein Ruck, ein Anlauf—und er sprang.

Das Ufer war an dieser Stelle

Besonders steil, und seinen Rand

Umschloß ein kahles Felsenband

In rauh zerklüftetem Gefalle,

Sodaß der lebensmüde Springer

An einem Felsstück hängen blieb

Und jener Ring, den er am Finger

Noch immer trug, daran sich rieb.

Das war sein Glück; denn alsobald

Wie aus dem Wasserdunst verdichtet,

Stand mächtig vor ihm aufgerichtet

Desselben Geistes Schreckgestalt,

Der einst ihm in der Gruft erschienen,

Und rief: "Ich bin des Ringes Knecht.

Mir zu gebieten ist dein Recht;

Sag' an, womit kann ich dir dienen?"

Der Geist führt Aladdin nach Afrika

Der Geist führt Aladdin nach Afrika

Drauf Aladdin: "O Geist, errette

Zum zweiten Male mich vom Tod

Und bring', bevor der Morgen loht,

Mein Schloß zurück zur alten Stätte!"

Der Geist versetzte: "Dies Gebot

Verträgt sich nicht mit meinem Walten.

Ich diene nur dem Ring. Du mußt

Dich an den Geist der Lampe halten."

"Nun wohl; jedoch wenn dir bewußt,

Wo sich zurzeit mein Schloß befindet,"

Sprach Aladdin, "befehl' ich dir

Kraft dieses Ringes, der dich bindet:

Befördre mich sogleich von hier

Gradaus an seinen neuen Platz!"

Kaum ausgesprochen war der Satz,

Da trug beflügelt ihn der Riese

Nach Afrika, zu jenem Ort,

Wo nun inmitten einer Wiese

Das Bauwerk stand, und setzte dort

Ihn sänftlich nieder auf das Gras.

Zwar blieb es Aladdin verborgen,

Daß er im Innern Afrikas

Gelandet war; doch er genas

Von allen Martern, allen Sorgen,

Als er den wohlbekannten Bau

Trotz dunkler Nacht im Sternenschimmer

Gewahrte, ja sogar die Zimmer

Dicht vor sich sah, die seiner Frau

Zur Wohnung dienten; und sie schlief

Wahrscheinlich dort schon fest und tief.

Um Lärm und Aufsehn zu vermeiden,

Hielt er gewaltsam sich zurück,

Wie schwer's auch war, so nah dem Glück

Bis morgen früh sich zu bescheiden.

Er streckte, von der langen Pein

Ermattet, unter einer Palme

Sich aus zum Schlummer, und die Halme

Des Grases wiegten mild ihn ein.

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