1.

Es war im September des Jahres 184*, als in dem südlichsten Rayat von Bali, in Badong, ein junger Bergbewohner rüstig aus der fruchtbaren Hochebene nieder der Süd-West-Küste der Insel und der Bai von Balikota zu stieg. Wohl führte eine breite, gut unterhaltene und fahrbare Straße von Badong zu dem kleinen Städtchen Kota an dieser Bai hinab. Der junge Balinese hätte aber, um auf sie zu gelangen, zu weit westlich aus dem Wege gehen müssen, und da er überdies auch nicht gewohnt war, einer breiten, bequemen Straße zu folgen, so suchte er sich lieber in gerader Richtung die nähere, wenn auch nicht eben so glatte Bahn.

Diese führte ihn durch weite mit Mais und Zuckerrohr bepflanzte Flächen und an den schmalen Dämmen bewässerter Reisfelder hin, zu den Rändern steiler, dichtbewaldeter Ravinen, die das Land durchschnitten und mit ihrer wilden üppigen Vegetation in die urbar gemachten und in vollkommenster Cultur gehaltenen Felder gar wunderlich hinein griffen.

Der Thau lag noch in voller funkelnder Pracht auf den Blättern und Blüthen, und hing in schweren Tropfen an den blitzenden Halmen, das saftige Grün der Hänge mit zauberhaftem Schimmer übergießend. Hoch und kühn daraus hervor ragte die stolze Cocospalme, die Königin der Wälder, mit ihrer schwankenden, zitternden Blattkrone, die der Südost-Monsoon hier nur in leichtem Säuseln erreichen konnte, und die Arekapalme streckte aus kleinen Fruchtdickichten den schlanken, zierlichen, pfeilartigen Stamm. Tief und schattig in den reizenden Hainen lagen die Bambushütten der Eingeborenen gar still versteckt, und die dunklen Ränder derselben wurden nur hie und da durch die purpurrothe Blüthenmasse des Tjanging[34] unterbrochen, der mit seinen unregelmäßig und reich über die Landschaft gestreuten Bäumen der ganzen Scenerie eine eigene wunderbare Färbung gab.

Wo der junge Eingeborene seinen Pfad suchte, war noch wenig Leben. Hie und da arbeiteten erst einzelne Gruppen in den Feldern, meistens Frauen, die mit der Hand den reifen Reis abschnitten und auf die Ränder trugen. Der Sikup[35] strich noch einsam nach Beute über die stille Gegend. Hie und da stand auch wohl ein einsiedlerischer Tjanga mit den langen Beinen und riesigem, fast unverhältnißmäßig großem Schnabel am Rande der Reisfelder und trat dem rasch Heranschreitenden mehr, wie es schien, aus Höflichkeit, als aus besonderer Sorge für seine eigene Sicherheit ein paar Fuß aus dem Weg. Oder eine Schaar wilder Pfauen, die an dem Rand der Ravine gesessen und sich gesonnt hatte, bäumte auf und schaute mit den langen Hälsen neugierig nach dem einzelnen Wanderer nieder.

Dieser aber war viel zu sehr mit sich selber und seinen eigenen Gedanken beschäftigt, um solchen, überdies durchaus gewöhnlichen Gegenständen auch nur einen Blick zu widmen. Rasch nur suchte er durch manche sich ihm in den Weg stellende Hindernisse seine Bahn, und hielt zum ersten Male an, als er eine Art Absatz oder Terrasse des Hanges erreicht hatte, von der aus sich eine weite Aussicht nach Süden und Südwest über die Küste und das ferne Meer gewinnen ließ.

Über Gebüsch und Palmen hin, die den steilen, tiefablaufenden Hang bedeckten, konnte er den breiten Cocoshain überschauen, der das kleine Städtchen Kota mit der ganzen dortigen Küste umgürtete, während das blaue freundliche Meer an dessen anderer Seite den Strand beschäumte. Massen kleinerer Segel, meist inländische Prauen, hie und da aber auch chinesische Dschunken, kreuzten durch das stille, von einer leichten Brise kaum bewegte Wasser, und nur ein einziges europäisches Schiff lag gerade über der Corallenbank und durch die südlich auslaufende Spitze des Landes (von den Engländern Tafelhoek genannt) gegen den Südost-Monsoon geschützt, draußen vor Anker. Seine Segel waren zwar noch fest, aber es schien ziemlich schwer geladen und ging tief im Wasser, während einzelne Boote noch immer mehr Fracht hinüber brachten. Die holländische Flagge wehte von des Fremden Gaffel.

Der junge Balinese blieb hier stehen und schaute lange und sinnend in das freundliche Thal hinab, das sich seinen Blicken öffnete. Aber seine Gedanken waren nicht mehr freundlicher Art. So frisch und froh vorher sein Auge dem niederen Lande entgegengeleuchtet hatte, so zog sich jetzt seine Stirn in düstere, krause Falten, und mit untergeschlagenen Armen schaute er schweigend zu dem fremden, unwillkommenen Gast, zu der ihm verhaßten, feindlichen Flagge hinüber.

Es war eine edle, schöne, schlanke und doch so kräftige Gestalt, wie sie unter der einzelnen wehenden Palme stand. Und Hoheit und Schmerz lag in den Zügen, als ob der zürnende Gott der Berge selbst aus seines Waldes Schatten getreten sei und jetzt den Feind seines Landes, seines Volkes vor sich erblicke. Die Züge seines Gesichts konnten fast griechisch genannt werden. Die leicht gebogene Nase, die hohe Stirn, die schwellenden und doch zart geschnittenen Lippen schienen kaum einem indischen Stamme anzugehören; aber die dunkle Bronzefarbe der Haut, die dunklen feurigen Augen, das lange, rabenschwarze aber weichlockige Haar verriethen den Sohn dieser Küste, das Kind dieser Berge. Er ging ganz in die Landestracht gekleidet. Um den Kopf trug er fast turbanähnlich ein dunkelfarbiges, mit rothen und gelben Streifen durchzogenes Tuch, nur daß oben die üppige Masse seines schwarzen, langen Haares herausquoll. Um seine Hüften, bis fast zu den Knieen niederreichend, schlang sich ein gleiches von ähnlicher Farbe, der sogenannte Kammen, und der Sappot, eine Art schottischer Plaid, aber auch aus inländischem Zeug gewebt, hing ihm in leichtem, malerischem Wurfe über die Schulter, mit dem einen langen Zipfel die rechte Brust bedeckend.

In dem Kammen stak vorn, wie bei allen Balinesen, die Kompec oder Sirihtasche (zum Betelkauen) aus feingeflochtenem und buntgefärbtem Bambus verfertigt, und hinten, wie bei den Südamerikanern, der lange Dolch oder Khris (im Balinesischen Radotan) in hölzerner, wunderlich geformter und mit Goldplättchen zierlich ausgelegter Scheide, während der Griff aus einem dunklen fein gravirten Metall bestand und ebenfalls mit Gold eingelegt war. An den Füßen trug er zierlich genähte Ledersandalen mit einem schmalen, goldgestickten Band quer über den Spann herüber. Sonst waren Arme und Beine nackt, aber voll und kräftig geformt, und nur um das Gelenk der linken Hand schlang sich ihm ein fast weibischer Schmuck, ein schmales Armband aus den purpurrothen, steinharten und herzförmigen Beeren einer Akazienart aufgereiht und zum schmalen Bande zusammengeflochten.

Als einzige Waffe hielt die Hand dabei ein langes dünnes Blasrohr, aus hartem schwerem Holz gebohrt, von etwa fünf Fuß Länge, an das oben mit Streifen Rattan (spanischem Rohr) eine eiserne Lanzenspitze so an der Seite befestigt war, daß sie dem Schuß des Pfeils oder Bolzens nicht hinderlich sein konnte. Der Köcher, der die kleinen aus Bambus gefertigten, mit einer Pflanzenmark-Mundspitze versehenen und mit Gift bestrichenen Pfeile trug, stak ebenfalls in Kammen, an der linken Seite.

Die Waffe stemmte er jetzt auf einen Stein, und mit dem linken Arm sich daran stützend, daß sein Haupt sich sinnend an die Lanzenspitze legte, murmelte er mit leiser, halbunterdrückter Stimme vor sich hin:

„Wieder so ein Schiff mit seiner stolzen dreifarbigen Fahne, wieder und wieder eins, in Handel und Freundschaft scheinbar, und uns zum Nutzen, wie sie sagen, heimlich aber nur sich und ihr räuberisches Ziel im Auge. Halb sind wir ja schon besiegt,“ setzte er mit finsterem Grimm hinzu, die Worte durch die zusammengepreßten Zähne zischend, „und wenn nicht noch der wackere Dewa Argo dem Treiben fest entgegenstünde und mit aller ihm zu Gebote stehenden Macht an unsern Sitten und Gesetzen hielte, den Fremden keinen Fuß breit Boden weiter gönnend, wie säh's um Bali aus! Hielt er die Hand nicht über unser Land gestreckt, wie bald würden die Fremden, die Brachma verdammen möge, das Land überschwemmen und den ganzen Fluch ihres Geschlechts über uns bringen. In den Thälern wüthet schon die furchtbare Radjadja[36], und die Leichen ihrer Opfer verpesten die Luft.“

„Die alten Prophezeihungen werden wahr,“ fuhr der Einsame in seinem Selbstgespräch inzwischen fort. „Der weiße Jakal hat den schwarzen überlistet und wüthet in seinem Jagdgrund, während unsere Götter ihr Haupt abwenden, um die Schmach ihrer muthlosen Kinder nicht zu schauen. „Der weiße Tiger wird kommen und uns verschlingen, wenn wir ihm nicht gehorchen,“ sagt der Orakelspruch jenes weisen Rajah, der tausende von Armen schon entnervt und die Herzen mit Angst und Muthlosigkeit gefüllt hat. Ei, er möchte kommen und es versuchen, und unsere Lanzen und Pfeilspitzen würden sein Herz finden, daß sein Blut den Boden düngte. Aber nur zusammen müßten wir stehen, in innigem Bündniß, nicht jeder Rajah für sich selber aus kleinlicher, erbärmlicher Furcht das Bündniß des Feindes suchen, um von sich selber dessen Rache abzuwenden, für sich selber die Regierung zu erhalten. Das Wohl der Völker, lügen sie dabei, hätten sie im Auge, und nur ihr eigener Ehrgeiz macht sie blind gegen Ehre und Pflicht, und treibt sie, die Völker, die ihrem Schutz durch Brachma anvertraut, nichtswürdig zu verrathen.“

„Wie stehen wir jetzt dem Feinde gegenüber? – Unsere Prauen liegen müssig am Strande, unsere Arme werden durch gefährliche Unterhandlungen gefesselt gehalten, und die Flagge jener Fremden weht stolz unseren Tempeln entgegen, und schändet uns und unsere Götter. Fluch über solche Unthätigkeit, über das Zaudern und Zögern und Wählen und Fürchten. Wenn das so fort geht, wird der Name Balinese bald gleichbedeutend werden mit Sklave und Feigling. O mein schönes, armes Vaterland!“

Er stand noch lange da, seinen finsteren, schmerzlichen Gedanken sich überlassend, als sein Auge plötzlich auf das Armband fiel, das er am linken Handgelenke trug, und ein freundlicherer Ausdruck seine schönen und edlen Züge belebte.

„Kassiar,“ murmelte er leise, indem ein flüchtiges Lächeln über sein Antlitz glitt, „Kassiar, du Blume des Thales, dich wenigstens will ich dem giftigen Einfluß jener Fremden entreißen und mit mir in meine Berge führen. Dort bieten wir dem fremden Einfluß Trotz, und kommt einmal die Zeit, in der mein Vaterland den Fluch erkennt, den es sich selber muthwillig aufzuladen scheint, dann brechen wir hervor, und unser Schlachtschrei soll die Feinde zurück auf ihre Schiffe schrecken. – Kassiar!“

Und mit dem Namen der Geliebten auf den Lippen, griff er die Lanze auf, und sprang mit leichtem Schritt den Hang hinab, der Richtung Kota's zu. Hier mußte er freilich noch ein breites mit Zuckerrohr bepflanztes Feld durchschneiden, das nördlich von dem kleinen in die Tanjong-Bai ausmündenden Kali oder Flusse lag. Eine Brücke gab es über den Strom nicht, aber eine Cocospalme, die dicht am Uferrand gestanden, war von dem angeschwellten Wasser unterwühlt hinübergestürzt, daß ihr Wipfel eben das jenseitige Ufer berührte. Auf dieser lief er hinüber, drängte sich durch den morastigen, mit niedrigen Büschen bedeckten Uferstrich, der die nördliche Seite der von Tuban nach Kota führenden Straße und den Palmenwald begrenzte, und fand sich bald im Schatten der wundervollen Punjannjo's, der Cocospalmen, wo er auf glattem, ebenem Wege rüstig dahin schritt.

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