Wie das über ihm rauschte und zitterte, in einsamer, wundervoller Waldespracht! – Wie das flüsterte und raschelte, und mit den langen, herrlichen Blättern wehte und ineinandergriff! – Hier war nichts Fremdes, nichts Verhaßtes mehr; das war sein eigenes, schönes Vaterland, die Cocospalme seines Stammes Bild, und wie das Herz ihm wieder aufging in Stolz und Lust und die Sehnsucht nach der Geliebten es rascher schlagen machte, wurde sein Schritt auch leichter und elastischer, und freundlich nickte er den Leuten zu, die er am Wege traf, und die Reis und andere Feldfrüchte, oder Matten und Körbe in die Stadt zu Markte trugen.
Schon hatte er hier die Gärten erreicht, die theils mit der rothblühenden Butju (rosa sinensis), theils mit der Buntaja (einer sehr giftigen Rankenpflanze, welche durch bloße Berührung schon Entzündungen und Anschwellungen bewirkt) eingezäunt waren, und hie und da schaute aus dem dunklen Laub einzelner Kaffee- und Muskatnußbüsche, oder zwischen den hochgezogenen Sirih-Ranken die stille, lauschige Bambushütte der Eingeborenen hervor, während die Cocospalmen in einem dichten Hain ihre Kronen in einander legten und kühlen Schatten auf den zwischen ihnen durchführenden Weg warfen.
Jetzt hatte er die ersten Wohnungen der Stadt erreicht; rechts am Wege leuchtete ihm schon das helle Dach des Gustis – des Dorfoberhauptes – entgegen, und von dort hinauf, der Cocosnußölmühle zu, die von den Weißen angelegt worden, gleich über dem breiten Platz, der sich dort ausdehnte – wie rasch das Herz ihm an zu pochen fing – dort wohnte Kassiar, und mit fast kindischer, jubelnder Lust malte er sich schon im Geiste die Überraschung der Geliebten aus, die keine Ahnung von seiner Nähe hatte.
Mehrere junge Mädchen waren ihm begegnet; manche aufgeputzt, wie zu einem ihrer Feste, andere in das einfach gewebte Zeug des Landes gekleidet. Aber er achtete ihrer nicht; sein Auge suchte zwischen den an ihm vorbeigleitenden Dächern hin, die wohlbekannte Gruppe schlanker Arekapalmen, die das Haus der Geliebten umstanden, und jetzt – schon wollte er um des Gustis Garten in die Straße einbiegen, denn dort ragten die schlanken Wipfel grüßend und freundlich nickend schon hervor, – da schritt ein junges Mädchen die Straße herab, und sein Fuß haftete wie angewurzelt an dem Boden fest.
Das war Kassiar – und wieder war sie's nicht. Die lieben dunklen Augen gehörten freilich ihr – der schlanke Wuchs, der leichte elastische Gang, dem Kiedang ihrer Wälder gleich – und dennoch schien sie ihm vollkommen fremd, denn Tracht und Sitte, wie er's bis jetzt an ihr gewohnt gewesen, glich sich gar nicht mehr. Das dunkle volle Haar war mit Blumen, rothen Beeren und kleinen farbigen Muscheln geschmückt, wie den Putz ähnlich auch andere eingeborene Mädchen trugen, aber in den Ohren hingen ihr goldene Zierrathen, wie sie die verhaßten Weißen mit herüber gebracht, den weichen runden Arm umschloß ein goldenes, steinbesetztes Band, und um die Schultern lag ihr ein himmelblau und roth gestreiftes seidenes Tuch und hing mit dem einen Zipfel vorn über die linke Brust herab. Leichten Schrittes kam sie den Weg herab, der nach dem Strande nieder führte, und wenn ihr Blick auch auf den jungen Krieger über die Straße herüber fiel, war sie doch zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, um viel auf ihn zu achten. So wollte sie eben an ihm vorüber eilen, als sein Ruf sie aufhielt und rasch nach ihm herüber sehen machte.
„Kassiar!“ – Der eine Blick genügte – zitternd und erschreckt, die Hände vorgestreckt, ihre Farbe, die selbst unter der zarten aber dunklen Haut sichtbar wurde, kommend und schwindend, die Arme halb nach dem geliebten Manne ausgestreckt, halb ihn damit abwehrend, stand das junge Mädchen einer schönen Statue gleich da.
„Glentek!“ hauchte sie dabei, „wo kommst du her, oder liegt dein Körper oben in den Bergen, von scharfer Waffe oder Tigerzahn zerrissen, und nur dein Geist hat mich hier aufgesucht?“
Glentek barg einen Augenblick die Stirne in der Hand und strich sich die langen Haare dann zurück, indem er seinen Blick dabei scheu und erstaunt auf die Jungfrau heftete.
„Und das ist Kassiar?“ sagte er endlich halblaut und schüchtern, indem er langsam über die Straße hinüber schritt und vor dem zitternden Mädchen stehen blieb; „ist das das Weib, das ich mir in die Berge holen wollte, um sie der Gefahr hier zu entziehen, die ihr von Fremden und fremdem Glanz und Luxus droht? – Es ist zu spät, wie ich sehe, und Kassiar hat nicht allein Glentek vergessen, sondern auch ihr Vaterland. Wie sie sich da aufgeputzt, mag sie wohl einem der fremden Männer für kurze Zeit gefallen; werden aber die jungen Leute von Bali ihr wieder ihre Heldenlieder singen?“
„Glentek!“ bat das Mädchen, ihm die Hand entgegen streckend mit herzlichem, flehendem Ton, „ist das dein Gruß, mit dem du mich nach so langer Zeit der Trennung empfängst, und hast du in den Bergen oben deine Kassiar so ganz vergessen – so ganz vergessen und verlernt sie zu lieben?“
Glentek erwiderte nichts darauf, aber sein Blick hing noch immer fest und vorwurfsvoll an dem bunten, fremdländischen Staat, der die Geliebte schmückte, an den goldenen Ringen im Ohr und um den Arm, an dem seidenen Tuch, das ihre Schultern umschloß. Endlich sagte er langsam und traurig:
„Dich vergessen, Kassiar? – Mächtiger Brachma, mein Herz vergäße ebenso leicht zu schlagen, mein Ohr den Ruf des Vaterlandes zu hören! Dich vergessen, Kassiar? – Und bin ich deinetwegen nicht drei Tage gewandert und die letzte Nacht, um nur recht bald dein liebes Antlitz wieder zu schauen, deine Hand in der meinen zu fühlen, dem Flüstern deiner Worte zu lauschen? Die Sterne haben mir von dir gesprochen, wenn sie vom dunklen Himmel niederfunkelten, der Wasserfall rauschte mir deinen Namen Tage lang, Nächte lang, und meiner Palmen Wipfel kannten keinen andern Laut. – Dich vergessen, Kassiar? – Jeder Vogel zwitscherte mir das liebe Wort, in jedem Tropfen perlenden Thaues sah ich dein Bild, und nur die Sehnsucht nach dir hielt Schritt mit der wachsenden Liebe – und jetzt –“
„Und jetzt, Glentek?“ sagte das Mädchen und streckte ihm freundlich die Hand entgegen, „war das nun der ganze Gruß, den du deiner Kassiar bieten konntest?“
„Ich weiß nicht,“ entgegnete der junge Krieger leise und mit tief bewegter Stimme, „ich weiß ja gar nicht, ob es noch meine Kassiar ist. Die Augen lachen mich noch so freundlich an, wie vordem, wenn auch nicht so offen, so treuherzig mehr. Die süße Stimme ist es immer noch, aber der äußere Tand, der sie umschlossen hält, der Schmuck des Fremden, der ihre schlanken Glieder entstellt, anstatt sie zu zieren – der ist mir fremd, der verhüllt mir Kassiar, daß mein Auge das alte Herz nicht mehr darunter finden kann. Und ich weiß nicht, wem es jetzt entgegenschlägt.“
„Du böser Glentek,“ lächelte die Maid, seine Hand ergreifend und ihr Haupt an seine Schulter lehnend, „du weißt nicht, wem es schlägt?“
„Von wem ist denn der Putz – von wem das Tuch?“ sagte der junge Balinese noch immer nicht beruhigt.
„Wenn es dich ärgert, nehm ich's ab und trag's im Leben nicht wieder,“ rief schnell Kassiar, das Tuch von ihren Schultern ziehend.
„Und wer gab es dir?“ fragte Glentek finster. „Kassiar ist nicht so reich, daß sie der Fremden kostbarste Stoffe mit Reis und Kaffee kaufen könnte.“
„Du brauchst mich deshalb nicht so finster anzusehen, Glentek,“ sagte, mit einem halbscheuen Blick zu ihm empor, das junge Mädchen. „Du weißt, daß – daß die Fremden jetzt alles thun, der Balinesen guten Willen zu erkaufen und sie zu Freunden sich zu machen – und da –“
„Und da?“ wiederholte Glentek finster, aber seine Frage wurde überhört.
Rasches, donnerndes Pferdegestampf schallte die Straße nieder, die von Tuban herüber führte, und als sich die beiden jungen Leute darnach umsahen, kam ein kleiner Trupp Europäer, mit einer Dame an der Spitze, an deren Seite ein paar eingeborene Rajahs und auch der Gusti von Kota dahin sprengten. Sie wollten quer über den mit Waringhis bewachsenen Platz hinüber nach eines Holländers Wohnung, die dort lag. Die Dame warf auch nur im Vorbeisprengen einen flüchtigen Blick auf das junge Paar, als sie plötzlich ihrem Pferd rasch in die Zügel griff, daß es aufbäumte und schäumend in sein Gebiß knirschte und zurücklenkte, wo jene Beiden standen.
„Mein Tuch!“ rief sie dabei; „beim Himmel, die Dirne dort hält mein gestohlenes Tuch!“
„Aber, liebes Kind!“ rief ihr Gatte, der Capitain des auf der Rhede liegenden holländischen Schiffes, „mach' hier keine Scene. Reite hinüber zum Haus, ich werde das Tuch reclamiren und sehen, wie es sich damit verhält.“
Die Dame aber, taub gegen die Vorstellungen, rief gereizt:
„Daß mir die Diebin in die Hecken schlüpft und sich nicht wieder an der Küste sehen läßt, nicht wahr. Mich hat ein glücklicher Zufall hierher geführt, und den will ich benutzen.“
„Was ist – was gibt's?“ rief der Gusti, der ebenfalls sein Pferd rasch parirt hatte und gerade an ihre Seite sprengte, als sie vor dem trotzig zu ihnen aufschauenden Glentek und dem Mädchen hielten.
„Das Tuch ist, glaub' ich, gestohlen und Madame hat es wieder erkannt,“ dolmetschte ein anderer Europäer dem eingeborenen Richter in balinesischer Sprache.
„Gestohlen?“ schrie Glentek, der die Worte gehört hatte, wild emporfahrend, und seine Hand zuckte wie unwillkürlich nach dem Radotan.
„Ruhig, mein Bursche!“ rief aber finster der Gusti; „die Sache wird sich finden. – Her das Tuch, Kassiar – zögerst du, Dirne?“
Kassiar hatte erbleichend die Beschuldigung gehört, und ihr Auge haftete eine Weile in Angst und Schrecken auf dem einen Fremden, dem Capitain des Schiffs, als ob sie von ihm Schutz und Entschuldigung erwarten dürfe. Der Gusti hatte ihr indeß das Tuch aus der Hand genommen und der weißen Frau hingereicht, damit sich diese überzeugen könne, ob es wirklich das ihre sei.
„Gewiß – gewiß!“ rief aber diese, als sie es auf dem Pferd mit der einen Hand in die Höhe hob und einen forschenden Blick darauf geworfen. „Das ist mein Tuch, das ich seit Jahren nicht mehr getragen und in meines Mannes Sekretär liegen hatte. Als ich aber neulich zufällig einmal darnach fragte und es zu sehen verlangte, war es verschwunden. Niemand konnte sich erklären wie, und jetzt trägt es die Dirne in der Hand.“
„Und hast du keine Vertheidigung für dich, Kassiar?“ rief mit unterdrückter Stimme, aber in Todesangst der junge Bergbewohner. „Läßt du die Fremden dich eine Diebin nennen, und wirfst ihnen die Lüge nicht zurück in ihr Gesicht?“
„Woher hast du das Tuch?“ fragte jetzt der Gusti das zitternde und mit niedergeschlagenen Augen vor ihm stehende Mädchen. „Nun, wirst du deinem Richter antworten, Dirne?“
Wieder hob sich der Blick Kassiars scheu und flüchtig zu dem Fremden empor, aber nur einen Moment weilte er dort. Erbleichend wandte sie ihr Haupt ab, dem Geliebten zu, und barg ihr Antlitz dann, wie ihre Schuld bekennend, in den Händen.
„Man wird dich reden machen,“ sagte indessen ruhig der Gusti. „Cheh Lascie, Maras, führt sie in mein Haus und haltet sie dort bewacht, bis ich selbst hinüber komme.“
Und seinem Pferd die Sporen gebend, winkte er der übrigen Gesellschaft freundlich, ihren Weg fortzusetzen. Die kleine Cavalcade sprengte auch gleich darauf wieder dem Hause des Holländers zu, wo sie zahlreiche Diener empfingen, ihnen die Pferde abnahmen und sie in die Halle geleiteten. Sie waren alle dort zu Tische geladen, ebenso der Gusti von Kota, und es wurde neun Uhr Abends, ehe dieser wieder in seine Wohnung hinüber ging, um der Verhafteten für die Nacht in einem der Gefängnisse einen Platz anzuweisen. Das Hauptverhör sollte am nächsten Morgen sein.