140. Kestner an v. Hennings.

Wetzlar den 2. Nov. 1768.

Mein Liebster,

Ohngeachtet mein letzter Brief von ansehnlicher Länge ist; so erschöpft er doch lange nicht Alles, was ich Ihnen zu sagen habe......

Ich kann nicht sagen ob es möglich ist eine Schöne zu lieben, deren Eigenschaften des Guten, Erhabenen und Edlen ermangeln; denn meine Geliebte vereinigt dies Alles. Ich setze mich mehr in ihrem Herzen fest, je mehr ich mich bestrebe, der Pflicht nichts nachzusetzen. Mein Gesandter ist, von allen die hier sind, der arbeitsamste und unermüdetste, doch habe ich ihm, bis jetzt wenigstens, Genüge geleistet. Die schönsten Augenblicke opfere ich der Arbeit oft auf. Der Gedanke an meine Geliebte versüßet sie mir. Mein Verlangen zu ihr zu eilen, verdoppelt meine Kräfte, und beschleunigt die Vollendung der Arbeit. Welch ein Vergnügen, wenn ich dann hinfliege, die Belohnung meiner Aufopferung einzuärndten; wenn ich dann ein geliebtes Gesicht sich aufheitern sehe, wenn zärtliche Blicke mich bewillkommen, und ein sanfter Druck der Hand mir sagt, daß man mich schon lange erwartet hat; wenn ein schöner Mund über das lange Verweilen sich beschwert, gegen die Arbeit zärtlich zürnt, und mich deswegen bedauert; wenn die beste Mutter und die gute Schwester mich gleichfalls freundlich empfangen, und der redliche Vater lobt, wenn man seine Geschäfte vorzüglich verrichtet. Dann höre ich, was in meiner Abwesenheit geschehen, gehört und gesprochen ist. Oft kleine Begebenheiten, die aber, angenehm erzählt, wichtig werden. Oft zielt die Erzählung dahin, einer zärtlichen Besorgniß, sonst Eifersucht genannt, zuvorzukommen; doch auf die ungezwungenste, natürlichste Weise. Dann machen artige Einfälle, Munterkeit und Laune, die Stunden dahinfliegen, wie Minuten; und dieses nicht allein mir oder meiner Geliebten, auch der Mutter, der Schwester und dem Vater. Ein: „Ach, da schlägt es schon!“ — gewährt mit dem Schmerz der Trennung das unaussprechliche Vergnügen, welches dem nächsten Besuch zum Voraus einen Reitz bereitet.

Oft auch kommt anderer Besuch. Denn das Haus wird gern besucht wegen der Ruhe, die da herrscht, wegen der angenehmen Unterhaltung, wegen der freundschaftlichen Bemühungen, kein finsteres Gesicht von sich zu lassen, und selbst den Kummer und die Sorge aus dem Herzen zu verjagen; denn hierin findet die Menschenliebe der besten Mutter ihren Beruf, und ihre Weisheit, ihr Verstand, ihre Einsicht weiß ihren Wunsch möglich zu machen. Abends um 8 Uhr pflegen sich dann die fremden Besuche, die ohne Anmeldung und Ceremoniel, und ohne die frauenzimmerlichen Arbeiten zu unterbrechen, angenommen werden, zu verlieren. Wenn ich nicht zum Essen da bleiben muß, so gehe ich dann auch nach Haus, esse schnell, besorge ein und anderes und finde mich wieder ein, wenn ich nicht abgehalten werde.

Alsdann bin ich gewöhnlich Abends von halb 9 oder 9 bis 11 Uhr wieder da. Diese sind meine schönsten Stunden; — Sie sind auch meine ruhigsten. Meine Geschäfte sind gethan, und mein Gesandter geht früh zu Bette.....

Durch dieses Schreiben wollte ich Ihnen Rechenschaft geben, daß ich auch liebend meines Freundes nicht unwerth bin, wofern ich jemals durch andere Eigenschaften seiner werth gewesen. Ihre Güte, Ihre Freundschaft und Liebe sagt: ja! und ich beruhige mich dabey. Urtheilen Sie nun und weisen Sie mich zurecht, wo Sie glauben daß ich fehlen könnte.

Noch Eins: Ich glaube, daß zur Erhaltung einer so reizenden Verbindung mit einem Frauenzimmer nothwendig ist, daß man in Beobachtung seiner übrigen Pflichten sehr strenge ist, damit man sich keine Vorwürfe zu machen habe, zumal wenn man sich einmal gewisse Regeln, Vorschriften und Pflichten gesetzt hat... Hierdurch weiß ich, daß ich das Herz meiner Geliebten ganz besitze. Der Himmel erhalte es mir.......

Sagen Sie mir auch was Sie in Coppenhagen gemacht haben, und was Sie künftig zu thun denken?......

Leben Sie wohl. Lieben Sie mich, wie ich Sie liebe. Meinen Gruß Ihrem Hrn. Bruder. — Ich bin unaufhörlich der

Ihrige

Kestner.

Wetzlar d. 2. November 1768.

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