141. Kestner an v. Hennings.

Wetzlar den 25. August 1770.

Wie konnte ich es von mir erhalten, in so langer Zeit Ihnen nicht zu schreiben. Ich mag das datum Ihres Briefs nicht ansehen. — Und dennoch muß es eine ganz andere Ursache haben, als Mangel der wärmsten Freundschaft. Und Sie können nimmer aufhören mein Freund zu seyn. Lassen Sie mich unser beyder Sache vertheidigen. Nur gewöhnliche Freunde brauchen einander ihr Andenken zu erneuern, aber unser Seelenverkehr bedarf keines Briefwechsels, um immer fortzudauern. Aufs heiligste kann ich Ihnen bey unsrer Freundschaft versichern, daß ich oft an Sie denke, oft von Ihnen rede als von meinem besten Freunde — Sie können schon denken mit wem. Sie verlangen von meiner Charlotte mehr zu hören und auch von mir.....

Meine Situation ist nicht ganz nach meinem Geschmack, es fehlt Vieles daran. — Die gegenwärtige Visitations-Versammlung zeichnet sich darin vor andern aus, daß sie die Sachen sehr weitläuftig tractirt. Hierzu kommt, daß unser Gesandter der arbeitsamste unter allen ist, welches natürlicher Weise auch auf mich einen großen Bezug hat. Viele von meinen Beschäftigungen sind sehr unangenehm und verdrießlich. Man ist nichts mehr als eine Maschine, welche sich bewegt, wenn es andere wollen, und so auch wieder stille steht. Das Bewußtseyn, auf solche Art gearbeitet zu haben, hat gar wenig befriedigendes. Nicht studieren, die Wißbegierde nicht stillen, die Seele nicht erheben zu können; Freunde zu haben und nicht an sie schreiben, nicht zu ihnen gehen zu können; die Zeit des Frühlings, des kühlen Morgens oder der erquickenden Dämmerung &c. zu fühlen, schätzen zu wißen, aber nicht zu genießen, u.s.w. Sagen Sie, ist das nicht bitter. So viele um sich sehen, gegen die man aus Pflicht mißtrauisch und zurückhaltend seyn muß. — In einer Stadt zu seyn, wo wenig Geschmack, — wo Gelehrter- Ahnen- und Stolz auf niedrigen Gewinn, Härte gegen anderer Unglück, Cabale &c. Tyrannisiren &c. — Da ist der Ort die Standhaftigkeit zu üben, das Böse zum Guten zu benutzen. — Einen Augenblick bin ich unzufrieden darüber, in dem andern tadle ich mich selbst. Ich suche meinem Schicksal Trotz zu bieten. Meine Geschäfte expediere ich so geschwind, wie möglich, und erzwinge mir einige Muße. Ich gehe spät zu Bette, und stehe früh wieder auf. In solcher Muße ziehe ich meine Wissenschaften hervor, Arbeiten die meine Seele befriedigen. Die anderen Uebel korrigire ich dadurch, daß ich mich in das politische Interesse nicht vertiefe. Der Catholische ist mir so lieb, wie ein anderer &c. In Gesellschaften komme ich nicht viel; nur um die Kenntniß des Publici zu behalten. Uebrigens habe ich eine Auswahl von Leuten gemacht. Man findet immer noch gute, wenn gleich der größte Theil nicht viel werth ist. Einigen geschickten Assessoren bin ich bekannt — und besuche sie von Zeit zu Zeit — Einen Procurator (dieß sind hier angesehene Leute) kenne ich, welcher die Probe völlig aushalten kann. Ehrlich, redlich, menschenliebend, einsichtsvoll, und der keine Sache annimmt, welche er nicht für gegründet hält, und alsdann treulich dient und hilft. Unter meines Gleichen sind auch ein Paar, welche Hochachtung verdienen. Um andere bekümmere ich mich nicht, außer dem allgemeinen Umgange. — Für den Mangel an Geschmack und Empfindung, die hier herrscht, werde ich durch ein einziges schadlos gehalten. Dieses habe ich Ihnen schon längst geschrieben. Es ist die Familie meiner Charlotte. Daher hole ich mir meine Geduld, meine Standhaftigkeit, meine Ermunterung, mein Vergnügen. So oft ich vom Tische komme, um halb 2 oder 2 Uhr, ist mein Gang dahin gerichtet — da bleibe ich bis 3 Uhr — und kann durch diese Stunde ausruhn, die schwerste Arbeit ertragen. Abends, wenn die Arbeit erlaubt, gehe ich um 9 Uhr wieder dahin bis 11 Uhr. Diese Stunden sind der Liebe, der Freundschaft und dem vertraulichen Gespräch gewidmet. Die Unschuld und Tugend setzt die Gränzen. — Die würdigste, die sanfteste und tugendhafteste Mutter hat ihre Kinder allezeit unter Augen, und diese entziehen sich ihr nie. — Meine Charlotte bildet sich täglich mehr aus. Sie können denken, daß dieses einem Mädchen von 18 Jahren einen Reiz giebt, welcher weit mehr bezaubert, als wenn sie die größte Schönheit wäre......

Die Erfahrung, welche Sie an Ihrem Bedienten gemacht, habe ich auch gemacht. Ich habe immer geurtheilt, daß die wenigsten Herrn mit ihren Bedienten umgingen, wie es seyn sollte. Ich nahm mir daher vor, den meinigen, welchen ich hierher mitnahm, wie meines Gleichen zu begegnen, und keineswegs als eine niedrigere Gattung Menschen zu betrachten. Ich hielt ihn gut. Er hatte gute Tage; ich ließ mir nicht, wie sonst gewöhnlich, aufwarten, und wollte ihn gleichsam nur als einen Gehülfen in denjenigen Sachen haben, wozu ich nicht Zeit hatte, sie zu besorgen. Zwar wußte er es wohl zu erkennen, und hätte vielleicht sein Leben für mich gewagt. Allein, meine Nachsicht, seine guten Tage, der Ueberfluß, machten ihn unordentlich. Er hielt sich viel im Wirtshause auf, blieb wohl des Nachts aus, gerieth in Schlägereyen, und ward ein Held, und furchtbar unter seinen Cameraden, lange ohne mein Wissen. Als ich es erfuhr, rieth ich ihm ernstlich davon ab, aber vielleicht mit zu viel Gelindigkeit. Er kam in eine Schlägerey, ward in Arrest genommen, und wegen der Streitigkeiten, welche unter dem Reichsmarschall-Amte und den Gesandtschaften wegen der Jurisdiction über die Bedienten sind, war ich endlich genöthigt, ihn abzuschaffen, nachdem ich ihn schon einmal nach einer solchen Affaire wieder angenommen hatte. Die gute Begegnung war ihm also nur schädlich gewesen, ob ich mir gleich sonst Mühe gab, ihn zu bessern, und ihn geschickt zu machen, in solchen Sachen, die sich für seinen Stand schickten. Ich verschaffte ihm indessen nachher einen guten Herrn wieder.

Darauf habe ich einen andern Bedienten angenommen, welchem ich weder so viel Kost und Lohn gebe, noch in der Aufwartung so viel einräume, und er ist hundertmal besser, als der erste......

Meine Charlotte ist Ihnen zuvorgekommen, und hat Ihren Auftrag schon vorher ausgerichtet. Sie hat mich oft erinnert Ihnen wieder zu schreiben. Sie wollte gar zu gern wieder einen Brief von Ihnen lesen hören. Ich werde bald eifersüchtig, denn ohne Sie von Person zu kennen, ist sie von Ihnen eingenommen. Wäre dieß nicht, so würde ich Sie bitten einmal hierher zu kommen, da es Ihnen doch gleich viel zu seyn scheint, in welchem Theile der Welt Sie sind. Immerhin sollen Sie mir willkommen seyn, und ich will es gern sehen, wenn meine Charlotte Sie gern hat, nur nicht mehr als mich, — das versteht sich......

Ich habe es mit Vergnügen gelesen, wenn Sie von meiner Charlotte schreiben: denn ich liebe sie noch immer wie vorhin. — Ihr Herz und ihr Geist ist es vornämlich, was mich zu ihrem Gefangenen macht; Ihr Gefühl, ihr Verstand, ihre Lebhaftigkeit, die alles belebt, was um sie her ist. — Ich bin unvermerkt bemüht gewesen, sie weiter bilden zu helfen, und sie ist so gefällig, meine Denkungsart anzunehmen, so weit es sich mit ihrer Munterkeit vereint. Ich würde der glücklichste Mensch seyn, wenn nicht das oben erwähnte, mein Glück beschränkte. Die Abende sind noch immer das Beste was ich habe. Dieß ist gleichsam das geheime Conseil, wo jedes Herz offen ist. Von dem ganzen Tage wird auf diese Zeit gespart. Es wird auch nicht allein gesprochen, sondern auch gelesen, und über mancherley deliberirt. Die beste Mutter präsidirt in diesem Conseil; die älteste Schwester ist gegenwärtig, der Vater geht gewöhnlich früh zu Bette, und die übrigen Kinder sind schon lange schlafen gegangen......

Vielleicht wollen Sie wissen, wie weit unsere Verbindung gekommen. Sie ist wie sie war. Wir lieben uns. Wir haben uns eins für das andere auf immer bestimmt, aber ohne, daß eine sonst gewöhnliche Versprechung vorgegangen. Ich wünschte herzlich, daß wir uns bald noch näher verbinden könnten; aber ich muß zuvor eines genügenden Unterhaltes sicher seyn. Das Project zu meiner Anstellung ist schon gemacht; aber es kann noch nicht ausgeführt werden. Meinen Aeltern habe ich schon von dieser Familie, doch aber nur von Freundschaft geschrieben. Dieses ist noch ein Punct der mir Sorge macht. Die Aeltern pflegen andere Projecte zu haben. Ich muß schließen. Leben Sie wohl, meine Charlotte empfiehlt sich Ihnen.

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