121. Goethe an Kestner.

v. 2. May 1783.

Ich habe mein guter Kestner, den Brief den mir euer iunger Mann[31] bringen sollte durch die Post erhalten und werde ihn also später zu sehen kriegen. Es muß nach Eurer Beschreibung ein interessanter Mensch seyn. Das Trauerspiel ist nicht unverständig, es läßt einen gewissen Geist im Verfaßer vermuthen, hingegen ist auch nichts neues, eigenthümliches drinne, und mir wenigstens scheint keine dichterische Ader durchzufliesen.

Für eure Langmuth alter und neuerer Zeiten danke ich Euch, und für Euer gut Betragen gegen mich. Ich habe in meinem Leben viele tolle Streiche angefangen, sie kosten mich aber auch etwas. Sehr angenehm war mir Euer Brief eben zu dieser Zeit. Ich habe in ruhigen Stunden meinen Werther wieder vorgenommen, und denke, ohne die Hand an das zu legen was so viel Sensation gemacht hat, ihn noch einige Stufen höher zu schrauben. Dabey war unter andern meine Intention Alberten so zu stellen, daß ihn wohl der leidenschaftliche Jüngling, aber doch der Leser nicht verkennt. Dies wird den gewünschten und besten Effekt thun. Ich hoffe Ihr werdet zufrieden seyn.

Das Schicksal scheint euch übrigens recht als Günstling zu behandlen. Erst soviel Bubens daß man denken sollte es wäre des Guten genug und das erwünschte Mädchen bis zur rechten Zeit aufgehoben. Gott erhalte sie Euch.

Vielleicht fällt mir einmal für Hansen etwas bey.

Grüset Lotten, und lebet wohl und behaltet mich lieb.

Weimar d. 2ten May 83.

G.

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