LX.

Wie doppelt lästig mir diese Tage her eine Abstumpfung alles Geistigen und ein Mißbehagen aller körperlichen Thätigkeiten geworden, darf ich wohl nicht aussprechen. An und für sich wäre das schon schwer zu erdulden gewesen, da ich Sie aber, theuerster Herr und Freund, nur einige Hundert Schritte von mir entfernt, von gleichem Übel befangen und uns in solcher Nähe eben so getrennt fühlte als wenn Meilen zwischen uns lägen; so gab das einen bösen hypochondrischen Zug; wie ein mißlungenes Unternehmen, eine so nah und in der Erfüllung getäuschte Hoffnung, nur störend in unsre Tage hineinschieben können. Sie empfinden eben dasselbe und auch, in meinen Sinn sich versetzend, schärfer, weil in höheren Jahren, man immer weniger geneigt wird auf die Genüsse des Augenblicks Verzicht zu thun.

Wenn ich nun auch eben in diesem Alter nach Besitz weniger habsüchtig bin als sonst; denn warum sollte man das zu erlangen suchen, was man zunächst verlassen soll; so lebt aber doch, in gewissen Fällen, die alte Begierde wieder auf, und es begegnet mir gerade jetzt, indem ich mich anschicke Ihr herrliches Portefeuille, welches, für mich und mit Freunden, immer Ihre Gegenwart vermissend, auf das aufmerksamste durchgesehen, zurückzusenden im Begriffe bin.

Wie dem auch sey: ein gewisses Gefühl heißt mich den Wunsch des Kunstliebhabers von den Freundesworten zu trennen. Die Form eines Promemorias soll Ihnen völlige Freyheit lassen meine, vielleicht indiscreten Äußerungen nach ganz eignem Gefühl und Convenienz zu erwiedern.

Weimar
d. 4 Juni 1831.

Aufs Frische verbunden und
verpflichtet
J W Goethe

Zu geneigter Aufnahme.

Unter den trefflichen Kupferstichen welche uns in dem höchst bedeutenden Portefeuille mitgetheilt worden findet sich einer, dessen Besitz für mich von dem größten Werth wäre. Das Blatt stellt vor vier Kirchen-Vater die sich über eine wichtige Lehre des christlichen Kirchthums vereinigen, nach Rubens von Cornelius Galae. Von dieser höchst durchdachten und ausgearbeiteten Composition, besitze ich die Original Gouache von Rubens, genau in derselben Größe und man kann sich von der Ausführlichkeit derselben, durch das Kupfer den deutlichsten Begriff machen. Ich würde sie beylegen wenn sie nicht in den vielbepackten Portefeuilles begraben läge.

Einem Kunstfreund und Kenner darf ich nicht sagen wie zwey solche Blätter neben einander gelegt den Werth wechselseitig erhöhen indem eins von dem andern Zeugniß giebt was der Maler beabsichtigt und geleistet und wie der Kupferstecher, beym Übertragen und Übersetzen, einer so hohen Aufgabe sich würdig erwiesen; ja es läßt sich sagen: daß man beides erst neben- und miteinander kennen lerne und eigentlich besitze.

Möge, wie irgend sonst eine Leidenschaft, die sich nicht entschuldigt weil sie sich nicht helfen kann, auch dieser nicht zurüchzuhaltende Wunsch freundlich betrachtet werden. Der Liebende verzeiht dem Liebenden wohl einen Fehltritt, der Kunstfreund dem Kunstfreunde eine, vielleicht unbequeme, Anmaßung, die man einem geprüften Angehörigen vorzulegen wagt, ohne ihm die Freyheit des Entschlusses, nach Gefühl und Bezug, im mindesten schmälern zu wollen.

Weimar
d. 4 Juni
1831.

vertrauensvoll
J W Goethe

Share on Twitter Share on Facebook