Rom, den 14. März.

Die nächste Woche ist hier nichts zu denken noch zu tun, man muß dem
Schwall der Feierlichkeiten folgen. Nach Ostern werde ich noch
einiges sehen, was mir zurückblieb, meinen Faden ablösen, meine
Rechnung machen, meinen Bündel packen und mit Kaysern davonziehn.
Wenn alles geht, wie ich wünsche und vorhabe, bin ich Ende Aprils in
Florenz. Inzwischen hört ihr noch von mir.

Sonderbar war es, daß ich auf äußere Veranlassung verschiedene Maßregeln nehmen mußte, welche mich in neue Verhältnisse setzten, wodurch mein Aufenthalt in Rom immer schöner, nützlicher und glücklicher ward. Ja, ich kann sagen, daß ich die höchste Zufriedenheit meines Lebens in diesen letzten acht Wochen genossen habe und nun wenigstens einen äußersten Punkt kenne, nach welchem ich das Thermometer meiner Existenz künftig abmessen kann.

Diese Woche hat sich ungeachtet des üblen Wetters gut gehalten. Sonntags hörten wir in der Sixtinischen Kapelle ein Motett von Palestrina. Dienstag wollte uns das Glück, daß man zu Ehren einer Fremden verschiedene Teile der Karwochsmusik in einem Saale sang. Wir hörten sie also mit größter Bequemlichkeit und konnten uns, da wir sie so oft am Klavier durchsangen, einen vorläufigen Begriff davon machen. Es ist ein unglaublich großes simples Kunstwerk, dessen immer erneuerte Darstellung sich wohl nirgends als an diesem Orte und unter diesen Umständen erhalten konnte. Bei näherer Betrachtung fallen freilich mancherlei Handwerksburschentraditionen, welche die Sache wunderbar und unerhört machen, weg, mit allem dem bleibt es etwas Außerordentliches und ist ein ganz neuer Begriff. Kayser wird dereinst Rechenschaft davon ablegen können. Er wird die Vergünstigung erhalten, eine Probe in der Kapelle anzuhören, wozu sonst niemand gelassen wird.

Ferner habe ich diese Woche einen Fuß modelliert nach vorgängigem Studio der Knochen und Muskeln und werde von meinem Meister gelobt. Wer den ganzen Körper so durchgearbeitet hätte, wäre um ein gutes Teil klüger; versteht sich in Rom, mit allen Hülfsmitteln und dem mannigfaltigen Rat der Verständigen. Ich habe einen Skelettfuß, eine schöne auf die Natur gegossene Anatomie, ein halb Dutzend der schönsten antiken Füße, einige schlechte, jene zur Nachahmung, diese zur Warnung, und die Natur kann ich auch zu Rate ziehen, in jeder Villa, in die ich trete, finde ich Gelegenheit, nach diesen Teilen zu sehen, Gemälde zeigen mir, was Maler gedacht und gemacht haben. Drei, vier Künstler kommen täglich auf mein Zimmer, deren Rat und Anmerkung ich nutze, unter welchen jedoch, genau besehen, Heinrich Meyers Rat und Nachhülfe mich am meisten fördert. Wenn mit diesem Winde auf diesem Elemente ein Schiff nicht von der Stelle käme, so müßte es keine Segel oder einen wahnsinnigen Steuermann haben. Bei der allgemeinen übersicht der Kunst, die ich mir gemacht habe, war es mir sehr notwendig, nun mit Aufmerksamkeit und Fleiß an einzelne Teile zu gehn. Es ist angenehm, auch im Unendlichen vorwärts zu kommen.

Ich fahre fort, überall herumzugehen und vernachlässigte Gegenstände zu betrachten. So war ich gestern zum erstenmal in Raffaels Villa, wo er an der Seite seiner Geliebten den Genuß des Lebens aller Kunst und allem Ruhm vorzog. Es ist ein heilig Monument. Der Fürst Doria hat sie akquiriert und scheint sie behandeln zu wollen, wie sie es verdient. Raffael hat seine Geliebte achtundzwanzigmal auf die Wand porträtiert in allerlei Arten von Kleidern und Kostüme; selbst in den historischen Kompositionen gleichen ihr die Weiber. Die Lage des Hauses ist sehr schön. Es wird sich artiger davon erzählen lassen, als sich's schreibt. Man muß das ganze Detail bemerken.

Dann ging ich in die Villa Albani und sah mich nur im allgemeinen darin um. Es war ein herrlicher Tag. Heute nacht hat es sehr geregnet, jetzt scheint die Sonne wieder, und vor meinem Fenster ist ein Paradies. Der Mandelbaum ist ganz grün, die Pfirsichblüten fangen schon an abzufallen, und die Zitronenblüten brechen auf dem Gipfel des Baumes auf.

Mein Abschied von hier betrübt drei Personen innigst. Sie werden nie wieder finden, was sie an mir gehabt haben, ich verlasse sie mit Schmerzen. In Rom hab' ich mich selbst zuerst gefunden, ich bin zuerst übereinstimmend mit mir selbst glücklich und vernünftig geworden, und als einen solchen haben mich diese dreie in verschiedenem Sinne und Grade gekannt, besessen und genossen.

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