II

Das Land Spanien breitet seine Arme nach Süden aus. Und der Süden stürzte in seine Arme. Nachdem die Halbinsel manche ethnische Revolution erlebt hatte, nachdem Kelten, Karthager, Phönizier, Römer, Vandalen schwere Erschütterungen über sie gebracht hatten, erhob sich im Anfang des achten Jahrhunderts die ganze, junge, unberührte Gewalt der Atlasländer und ergoß den heißen Strom ihrer Stämme übers Meer in die herrlich blühenden Fluren Andalusiens und weiter bis in den Norden hinein. Der Orient vermählte sich dem Okzident und brachte ihm als Morgengabe eine neue, kaum hundertjährige Kultur mit, die, eingepflanzt in die bunten Gärten Südspaniens, eine herrliche Blütezeit erlebte.

Nach der machtvollen Regierung der Ommajaden, vor allem der fünfzigjährigen des glänzenden Abderrahmân III. (912-961), der in der Millionenstadt Cordova, ein zweiter Salomo, alle Pracht und Bildung der Welt um sich sammelte, ward die arabische Herrschaft zwar bald durch lange Bürgerkriege in viele kleine Staaten zerschlagen, die Kultur aber erhielt sich in ihrer vollen, zauberhaften Schönheit. Im Gegenteil: Die Kleinstaaterei diente noch ihrer Förderung. All die Emire von Sevilla, Cordova, Granada, Malaga, Murcia waren zu schwach, als daß sie ihren Ehrgeiz in großen kriegerischen Unternehmungen befriedigen konnten. So suchten sie sich den Ruhm ihrer Vorgänger als Förderer und Pfleger der Künste und Wissenschaften zu erhalten und zu mehren. Und nie hat in einem Lande die Dichtkunst so geblüht wie in Andalusien.

Es war, als hätte diese gesegnete Erde nur darauf gewartet, von den Sohlen der freien, sangesfrohen Wüstensöhne, den Hütern der lauteren Sprache, den Schatzmeistern des reinen Arabisch berührt zu werden, um zu ewigen Jubeltönen zu erwachen. Da begann die Laute zu klingen vor den Balkonen in der Nacht zu feinen arabischen Sequidillas zum Lobe der Schönen: – „Zum Monde blickte ich, o Geliebte, und seinen Strahlen. Da nahm er einen Schleier und verhüllte sich: Er schämte sich, o Geliebte, als er dein holdes Antlitz sah. Deine Schönheit überwand ihn, er mußte sich verbergen.“ – Da tanzte und sang das Volk auf der Silberwiese von Sevilla, am grünen Ufer des Guadalquivir; sie warfen sich freundliche Worte in gereimter Rede zu, und hin und wider scholl das Lachen; und verkleidet unter ihnen wandelten die Fürsten und Prinzen und verlustierten sich im süßen Nichtstun. In der wundervollen Landschaft Silves hatte jeder Bauer das Talent, zu improvisieren. Wie sollte er auch nicht: Silves war die Perle in der silbernen Muschel Andalusiens. Als der genannte Al Motamid seinen Freund Ibn Ammâr als Statthalter nach Silves sandte, da brach er in Erinnerung an seine dort verlebten Jugendtage aus dem Stegreif in die Verse aus: – „Ach, wie oft haben dort die jungen, weißen und braunen Mädchen mir das Herz mit ihren süßen Blicken durchbohrt, als ob ihre Augen Dolche wären oder Lanzen! Und welche Nächte habe ich in jenem Tale am Ufer des Flusses mit der schönen Sängerin zugebracht, deren Armband dem zunehmenden Monde glich! Sie machte mich trunken durch Blicke, trunken durch Wein, trunken durch ihre Küsse!“

Wer singen und dichten konnte, war im schönen Andalusien nimmer verloren. Der Verbrecher, der zum Tode geführt wurde, konnte sich noch am Fuße seines Galgens befreien, wenn er einige anmutige Schmeichelworte in gereimter Rede zu sprechen vermochte. Der Bettler, der heute am Straßenrande lag, konnte morgen Wesir sein, wenn er, vom Emir in Versen angesprochen, in Versen antworten konnte. So wurde Ibn Ammâr von Al Motamid aus dem Staube erhoben, so hat derselbe Fürst auf der Gasse von Sevilla seine süße I’timâd, die Sklavin Romaikija, gefunden, das reizende Spielzeug seines Lebens bis zum Tage, da er nach Agmât wandern mußte in den Kerker seines Feindes.

Hand in Hand mit dieser tiefen Liebe zur Dichtung, dem höchsten Stolz des feingesitteten Andalusiers, ging die Pflege der Wissenschaften. Ueberall im Lande, in Cordova, Sevilla, Toledo, Valenzia, Almeriga, Malaga, Jaen, wuchsen islamische Akademien empor, denen umfangreiche Bibliotheken angegliedert waren, aufgesucht von den lernbegierigen Jünglingen der ganzen arabischen Welt. Hier wurde Philosophie, Grammatik, Lexikographie, Medizin gelehrt, und wie die andalusischen Jünglinge hinauszogen bis nach Bagdad, um die großen Lehrer des Islams zu hören, so kamen sie auch aus Syrien und dem Irak nach Cordova, um Schüler berühmter Meister genannt zu werden.

Dieses heiße Streben nach Bildung und Gesittung erhielt aber seinen höchsten Glanz durch die unerhörte Pracht, den maßlosen Reichtum, der sich in Städten wie Cordova, Sevilla, Toledo entfaltete. Bis in die dunkle Klause sächsischer Klöster drang die Kunde von diesem Reichtum: – „O Cordova, die helle Zierde der Welt, die junge, herrliche Stadt, stolz auf ihre Wehrkraft, berühmt durch ihre Wonnen, strahlend im Vollbesitz aller Dinge!“ sang die Nonne Hroswitha von Gondersheim. In der Tat, man kann sich heute kaum eine Vorstellung von dem Zauber machen, der damals diese Stadt erfüllte. Wer sie besuchte, mußte erst einen dichten Kranz marmorner Sommerpaläste durchwandern, die aus dem von Tausenden von Olivenbäumen bekränzten Ufer des in goldgrünen Wellen hinströmenden Guadalquivir emporragten und schon um das Jahr 950 achtundzwanzig Vorstädte bildeten. Kam er dann in die Stadt selbst mit ihren 113000 Häusern, 300 Bädern und 3000 Moscheen und betrat gar die große Moschee mit ihren „1300 Riesensäulen unter der gewaltigen Kuppel“, so mochte er sich schon dem Eindruck dieser stolzen Größe beugen, wenn ihm nicht schon vorher die Herrlichkeit dieser Welt überkommen war, da er die berühmte Brücke Abderrahmâns über den Guadalquivir, das Werk seines Lebens, zagend überschritten hatte. Aehnlich wirkte das lachende Sevilla mit seinen belebten Gassen inmitten der fruchtbaren Ebene, in der es lag, ähnlich das nördliche Toledo, das auf der natürlichen Feste eines hochragenden Felsens am Ufer des gelben Tajo gegründet war, Toledo, in dem Orient und Okzident am frühesten in innige Verbindung traten. Hier strömte das bildungsfähige Abendland zusammen, um in die Geheimnisse arabischer Weisheit einzudringen, hier bildeten sich schon im zwölften Jahrhundert förmliche Uebersetzungsschulen, welche die aristotelische Philosophie im arabischen Gewande der lernbegierigen Christenheit vermittelten.

Der Orient war es, der hier den blühenden Baum in den Garten des Okzidents gepflanzt hat. Er hat die Schönheit Andalusiens erst geschaffen. Die Schönheit der natürlichen ebenso wie der geistigen Kultur. Die Hände der Wüstensöhne hatten das ganze Land mit Kanälen und Wasserwerken durchzogen und dem Boden seine Fruchtbarkeit abgerungen, ihr Lied und Sang, ihr Denken und Forschen war es, was auch die Menschen des Landes eroberte. Es war eine starke Besitzergreifung. So stark, daß durch die Vermählung von Land und Menschen bald ein neues Volk geboren war, eine jungfräuliche Nation mit neuem, bald im ganzen Orient berühmtem Namen: – El Andalus.

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