III

An der Wende dieses glücklichen und reichen Zeitalters, in den letzten Strahlen seiner untergehenden Sonne, wurde zu Toledo um das Jahr 1083 Jehuda ben Samuel ben Samuel Halevi, oder, wie er arabisch hieß, Abul Hasan Allâwi, geboren. Die Familie, der er entstammte, war unbekannt, aber nicht arm. Wenn er auch im zartesten Alter die Belagerung Toledos (1085) und die Judenverfolgung in derselben Stadt (1090) erlebt hat, scheint doch seine Jugend glücklich gewesen zu sein, um so glücklicher, als er aller Wahrscheinlichkeit nach das einzige Kind seiner Eltern war. Bald aber entwöhnte ihn das rauhe Schicksal dieser „Milch der Jugendtage“. Der Vater muß frühzeitig gestorben sein. Er ließ den Knaben mit der Mutter zurück, welche seine ersten bitteren Enttäuschungen noch miterleben mußte.

Nach der Sitte der Zeit wurde der Knabe mit den schwarzen Locken und den dunklen feurigen Augen, die über braunen, gesunden Wangen leuchteten, früh in die Sprache und Lehre seiner Väter eingeweiht. Mit dreizehn Jahren sprach und schrieb er ein vollendetes Hebräisch und war gleichzeitig tief in die Kenntnis der arabischen Literatur wie der ganzen Zeitkultur eingedrungen. Er hat also seine erste Jugend, obgleich im christlichen Spanien, doch an der Grenze der mohammedanischen Kultur zugebracht. Dort hat er die arabische Kasside singen gelernt, das Preisgedicht, die poetische Epistel, sowie die kunstvollen Gürtel- und Kettenlieder, die damals in Spanien aufkamen.

Um jene Zeit erfüllte der Name Abû Harûn Mose ibn Esras, des religiösen Dichters, die jüdische Welt Spaniens. Dieser kaum mehr als fünfundzwanzig Jahre alte Dichter lebte wie die meisten Ibn Esras in Granada, jener Stadt im Süden Spaniens, die damals so viel Juden hatte, daß man sie schlechthin die „Stadt der Juden“ nannte. Da erhielt er eines Tages aus dem fernen Norden eine poetische Epistel. Von der Hand eines Kindes. Und las. Und war erschüttert. Dann setzte er sich nieder und schrieb die Antwort:

Ein Kind noch jung, ein Knabe zart,

Will Geistesfelsen rücken?

Stößt Helden in den Staub hinab

Und läßt als rot und weißer Knab’

Schon volle Blüten blicken?

So ist’s: Vom Norden strahlt er auf

Und füllt mit Licht die Auen.

Die ganze Weite ist erhellt,

Noch höher als das Sternenzelt

Könnt seine Hand ihr schauen.

Mose ibn Esra hat das Verdienst, Jehuda Halevi „entdeckt“ zu haben. Er tat es im guten Sinne des Wortes. Er gewann eine vollständige Herrschaft über den jungen Dichter, der sich ihm mit ganzer überschwenglicher Seele hingab. Der junge Jehuda war eine zarte, deutlich feminine Natur. Bei einem ausgesprochen genialen Selbstbewußtsein war er die Demut selbst vor seinen Freunden, die er fast immer überschätzte. Er vergötterte sie. Er dichtete ihnen die Eigenschaften an, die ihm selber fehlten. Oft erzürnte er sich mit ihnen, immer aber war er derjenige, der um Verzeihung bat. Es ist rührend zu sehen, wie häufig er in seinen Episteln an die erzürnten Freunde nach einer Schuld sucht, die nicht vorhanden ist. Von keinem aber ließ er sich so beherrschen, wie von Mose ibn Esra. Als er sich schon dem Gipfel seines Ruhmes nähert, fühlt er sich noch als sein Jünger. Wenn er dem Meister seine Verse schickt, ist es ihm, als schickte er Boten an den Gesalbten Gottes, den König. Und er läßt sie zum Könige sprechen:

Herr, o trage unsre Last,

Laß uns selbst nicht Sünde tragen,

Wenn in unbeholfner Hast

Wir dein Lob zu singen wagen.

Was wir bringen, ist ja noch

Keine Blüte, Knospe eben,

Aber einstmals soll es doch

Hier auch Frucht und Blüte geben.

Mose ibn Esra war ihm der, welcher berufen war, ihn zu läutern, „das Gold zu scheiden von seiner Schlacke“. Er war ihm dichterisches und menschliches Ideal, das Urbild der Demut und Selbstbeherrschung. Welch trauriger Irrtum: Mose ibn Esra führte ein wilderes, zerfahreneres Leben als Jehuda Halevi, dem aller Jammer, dessen sein Leben voll war, von einem herrlichen Frohgemüt übersonnt war, während der andere an seinen eigenen Launen zerschellte.

Am Ende des Lebens entfremdeten sich die Freunde, wofür die Schuld wohl eher in Mose ibn Esra zu suchen sein wird, den der strahlende Ruhm des Jüngeren seinem Charakter nach kränken mußte. Als er 1138 starb, sang ihm Halevi dennoch das Grablied: – „Mose, Mose, mein Bruder, Licht meines Mondes, meine Sonne, meine Leuchte, meines Glanzes Quell von alten Tagen her!“ –

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