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Um 1135 wird es gewesen sein, daß Jehuda Halevi über die Brücke von Cordova schritt, um nie wieder diese Stadt zu verlassen bis zu dem Augenblicke, wo er seine Wallfahrt nach Palästina antrat.

Cordova! Dieser Name bedeutet die letzte und reichste Epoche im Leben Jehuda Halevis. Eine glückliche Epoche. Wohl war er äußerlich ein alternder Mann geworden, als er seinen Einzug in die herrliche Stadt Andalusiens hielt. Aber er selber wollte es nicht wahr haben. Denn er fühlte sich jung wie am ersten Tag. Die schwarze Locke war ergraut, aber darunter blühten frische, jugendliche Züge, und es war seine Eitelkeit, auf den anmutigen Gegensatz zwischen dem weißen Haar und den braunen vom Barte umrahmten Wangen hinzuweisen. Die Unstetheit seines Lebens hatte ihn nicht beugen können. Spät war die Ruhe gekommen, aber nun war sie da und trug herrliche Blüten und Früchte.

Cordova! Hier lernte er kennen, was Ruhm heißt. „Ganz Israel bekennt sich zu dir,“ rief ein Freund ihm zu. Und selbst konnte er von sich sprechen: „Jehuda Sohn Samuels! Enkel Samuels! Sein Zelt ist bekannt von den Enden Edoms bis zum Flachlande, von Kastilien bis Andalusien.“ Man hörte auf ihn. Es sammelten sich Schüler um ihn, die er „als seines Gartens Blumen“ liebte und pflegte, und die mit Andacht am Munde des Meisters hingen, der ihnen seine Religion predigte und den Glauben seines Lebens.

Von vielen umworben, gewährte er doch nur wenigen das Glück seiner Freundschaft. 1138 wurde Joseph ibn Zadîk Dajan[2] von Cordova. Er war es, der unserem Dichter am nächsten stand, in seinem Hause weilte er am liebsten, ihm Ehrenlieder weihend, die auf den Gastereien Ibn Zadîks vorgetragen wurden. Aber auch ein spätes Familienglück erblühte ihm noch. Er konnte seine Tochter verheiraten und wiegte noch ein Enkelsöhnlein auf den Knien, das denselben Namen trug wie er.

Im Scheine dieses abendlichen Glückes setzte sich Jehuda Halevi noch einmal nieder, um in einem umfangreichen Werke die letzten Schlüsse seines Lebens zu ziehen. Das ist die philosophische Schrift Al Chazârî, „das Buch des Argumentes und Beweises zur Verteidigung des verachteten Glaubens“. Als er im Jahre 1140 dieses Werk begann, da sollte es eine Streitschrift werden, eine Streitschrift gegen die Feinde von außen und die Feinde von innen. Seine weithin hallende Stimme sollte vom Ruhme Israels zeugen. Als er es beschloß, war es viel mehr geworden: Das persönlichste Bekenntnis seines Lebens. Und schreibend war er selbst ein anderer geworden.

Al Chazârî ist ein philosophisches Werk, geschrieben von einem Verächter der Philosophie, das sagt alles. Ein Werk des Verstandes, in Leidenschaft begonnen und vollendet, ein Werk des Beweises, dessen Argumente allein in seinem Pathos liegen. Dem kritischen Geiste hält es nicht stand, aber dennoch ist es stärker als er; um so viel stärker, wie Jeremia stärker ist als Aristoteles. Al Chazârî ist das Werk eines Dichters. Schon die Form ist eine dichterische: Der Dialog. Der König der Chazaren ringt um die Wahrheit. Eine Stimme war im Traume über ihn gekommen: „Dein Wille gefällt mir, doch nicht die Tat!“ Da geht er, die Tat zu suchen. Aber er findet sie nicht. Der Philosoph, der Christ, der Muslim lassen ihn im Dunkel. Schließlich kommt er zum Juden, den er verachtet. Der lehrt ihn die Tat. Lehrt ihn die realste aller Religionen, das unmittelbarste Wissen von Gott: Offenbarung. Offenbarung ist das A und das O dieses Werkes. Und seine verschwiegene Predigt ist, daß Offenbarung gesucht und erkämpft werden muß und – kann. Wohl hat die arme Zeit nichts als Ueberlieferung, die Tradition von Mund zu Mund, die ihr die Wahrheit aller göttlichen Offenbarungen verbürgt. Aber diese Ueberlieferung ist selbst Offenbarung, weil es die Ueberlieferung der Adelsmenschen dieser Welt ist, die Ueberlieferung derer, die am Fuß der Himmelsleiter stehen. Es ist das Kleinod Gottes, Israel, das die Gottesschau der Sechsmalhunderttausend kündet. Wer redet da? Wer wagt es zu zweifeln? Weh dem, der die Kette zerreißt, die uns mit den Jahrtausenden rückwärts verknüpft! –

Werden wir noch einmal Gott schauen? Ist es möglich, zu ihm zu dringen? Wer trägt uns zu seinem Throne? – Der denkende Geist? Nimmermehr. Tausendmal heiler als das Auge der Spekulation ist das Auge der Prophetie. Wer beweisen will, geht in die Irre. – Die Selbstkasteiung? Allein wird sie uns niemals Gott näher bringen. Eines muß hinzukommen: Die gute Tat. Sie ist die Kraft, die uns helfen wird. Nur durch Gottes Wort kommt man zu Gott. Sein Gebot ist die Brücke, die zu ihm führt. – –

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